Sogar von Pleite war die Rede. Managementfehler, Konjunkturflaute und Asbestklagen hatten den Industriekonzern ABB in die schlimmste Krise seiner Geschichte getrieben. Dann die Wende: Mit guten Quartalszahlen und einer Einigung mit den Asbestklägern versetzte ABB die Börse Anfang August in Aufregung. In drei Tagen sprang die Aktie um 28 Prozent in die Höhe. Das war nur der Startschuss - nach weiteren sechs Tagen hatte die ABB-Aktie noch mal um 15 Prozent zugelegt. Auch jene Anleger also, die die erste Kurswelle verpasst hatten, durften sich über kräftige Gewinne freuen.
Das Wellenreiter-Phänomen. Obwohl Nachrichten wenige Sekunden nach ihrer Veröffentlichung weltweit verbreitet sind, dauert es oft Tage, bis kursrelevante News tatsächlich in den Aktienkurs eingeflossen sind. "Informationen sind zwar sehr schnell verfügbar. Aber bevor sie umgesetzt werden, müssen sie aufgenommen und bewertet werden", erklärt Martin Weber, Wirtschaftsprofessor und Experte für Börsenpsychologie an der Uni Mannheim, das Phänomen.
Gerade große institutionellen Investoren reagierten in der Praxis oft langsamer, als viele Kleinanleger glauben. "Bis eine Änderung der Investmentstrategie umgesetzt ist, können mehrere Tage oder Wochen vergehen", gibt denn auch ein Manager eines großen deutschen Publikumsfonds zu. Schließlich gilt es auch, oft hohe sechsstellige Beträge kursschonend in eine Aktie zu investieren.
Die Trägheit der Großen ist die Chance für Kleinanleger: Sie erhalten Nachrichten zwar vielleicht erst am nächsten Tag aus der Zeitung, können aber trotzdem noch schnell genug reagieren - ABB ist dafür nur ein Beispiel.
Eine wichtige Rolle spielt die Qualität einer Neuigkeit. Sie muss zum einen überraschend sein, zum anderen eine nachhaltige Wirkung haben. Als ein Gericht Ende Mai Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe gegen den Tabakkonzern Altria als "maßlos überzogen" abkanzelte, stieg der Kurs postwendend um zehn Prozent an. In den folgenden zwei Tagen packte er weitere zehn Prozent drauf.
Eine kurzfristig ausgerichtete und auf eine Aktie beschränkte Wellenreiter-Strategie ist attraktiv, aber natürlich auch riskant. Wer den richtigen Zeitpunkt verpasst oder die Nachricht falsch einschätzt, kann schnell vom Brett stürzen. Anleger, die dieses Risiko scheuen, setzen langfristig auf ein breit gestreutes Portfolio mit mehreren Siegeraktien.
Wissenschaftler der Universität Mannheim haben in einer Langzeitstudie die Kursentwicklung deutscher Aktien unter die Lupe genommen. Ergebnis: Die Titel, die über einen Zeitraum von sechs Monaten am besten abgeschnitten haben, entwickelten sich in den folgenden zwölf Monaten im Schnitt um 12,4 Prozent besser als die entsprechenden Verliererwerte. Im Vergleich zum Index-Durchschnitt lagen die Sieger immerhin 6,1 Prozent besser.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Studien für andere Länder. In den USA beispielsweise haben die Wirtschaftsprofessoren Werner De Bondt und Hsiu-Lang Chen die Kursentwicklung des S&P-500-Index von 1976 bis 2000 untersucht. Sie stellten fest: Die Erfolgswelle treibt die Siegeraktien durchschnittlich ein Jahr lang nach oben. Dann ebbt die Welle ab, neue Favoriten tauchen auf.
"Mit Fundamentaldaten, Cash-Flow oder Risikomanagement hat das eher nichts zu tun. Die Investoren springen auf den fahrende Zug auf", sieht De Bondt vor allem psychologische Gründe für den Erfolg der Siegeraktien.
Der Clou: Die Wellenreiter-Strategie eignet sich vor allem für Kleinanleger - für viele Großinvestoren hingegen ist sie nahezu nutzlos. Denn die Outperformance der Siegeraktien beruht fast ausschließlich auf den Kursgewinnen von Unternehmen mit kleiner und mittlerer Marktkapitalisierung. Von Titeln also, in die Fonds mit einem großen Volumen nur Bruchteile ihres Vermögens investieren können. Bei großen Werten aus dem DAX oder Dow Jones hingegen bringt die Strategie langfristig keinen signifikanten Vorteil.
Wichtiger Grund für die unterschiedliche Wirkung der Wellenreiter-Strategie ist nach Überzeugung der Wissenschaftler die unterschiedliche Aufmerksamkeit, mit der Unternehmen beobachtet werden. "Es ist plausibel, dass Informationen über kleine und mittlere Unternehmen langsamer zu den Investoren durchdringen als etwa Nachrichten über einen DAX-Konzern", so Börsenpsychologe Weber. Während bei Großunternehmen eine Information also relativ schnell im Kurs enthalten ist, dauert der Vorgang bei kleineren Unternehmen entsprechend länger, fällt dafür, je nach Qualität der Nachricht, aber deutlicher aus.
Komplizierter ist die Lage unmittelbar nach starken Kurseinbrüchen, wie ihn die Börsen in den Jahren 2001 und 2002 erlebt haben. Ziehen die Kurse wieder an, gehören zunächst jene Aktien zu den Gewinnern, die beim Crash besonders stark verloren haben. Dementsprechend werden die aktuellen Siegerlisten von den besonders sensiblen Technologietiteln dominiert.
Die meisten dieser Aktien müssten sich nach historischer Erfahrung auch in den kommenden Monaten überdurchschnittlich entwickeln. Dennoch sollten Anleger auf eine ausgewogene Branchenmischung achten und auch Siegertitel des eher konservativen MDAX berücksichtigen. Damit gleichen sie die Verzerrung der Crash-Folgen aus und minimieren das Risiko.