Wie gut ist unsere Wirtschaft tatsächlich? Kaum eine andere Frage bewegt die Deutschen derzeit so stark. manager magazin gibt Antworten - erfreuliche und traurige.
"Deutschland ist gut." 2,5 Millionen Euro lässt sich Bundeskanzler Gerhard Schröder die Verbreitung dieser frohen Botschaft kosten.
Daumen hoch oder Daumen runter? - Wie es um Deutschlands Wirtschaft wirklich steht
Ganz falsch liegt der Kanzler mit seiner Kampagne nicht: In den Ranglisten der weltgrößten Firmen halten deutsche Konzerne Spitzenplätze. Die heimische Industrie hat in jüngster Zeit Anteile an den globalen Märkten zurückgewonnen. Im Export sind wir Vizeweltmeister, nach den USA.
Klingt doch super.
Deutschland ist schlecht. Die Bundesbürger verdummen, siehe Pisa-Studie. Es mangelt an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern. Was Wunder, dass die Wirtschaft in den Hochtechnologien weit hinten liegt. Dass kein anderes europäisches Land so langsam wächst. Dass nirgendwo sonst so wenig neue Jobs entstehen.
Klingt doch furchtbar.
Beides stimmt: Viele deutsche Unternehmen zählen zur Weltelite - die deutsche Wirtschaft krankt an Wachstumsstörungen.
Wie passen diese scheinbaren Widersprüche zusammen? Herrschen bei uns argentinische Verhältnisse, wie DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun unkt? Oder findet die deutsche Wirtschaft wieder Anschluss an die Weltspitze?
Eine mm-Analyse der wichtigsten Branchen zeigt: In den vergangenen zehn Jahren haben sich einige Wirtschaftszweige spektakulär regeneriert - etwa die Autoindustrie. Andere sind überhaupt erst als Wirtschaftsfaktoren aufgeblüht - wie Versorger, Transport und Logistik.
Aber es gibt auch die traurigen Fälle, die in einem kaum vorstellbaren Maß zurückgefallen sind - die Banken zum Beispiel oder die Bauindustrie. Ganz zu schweigen von Zukunftsbranchen wie Informationstechnologie und Pharma, in denen deutsche Unternehmen nur in Ausnahmefällen globale Bedeutung genießen.
Da Top, dort Flop. Warum feiern einige Sektoren große Triumphe, während andere unter Erfolglosigkeit leiden - obwohl doch alle gleichermaßen unter hohen Steuern und Sozialabgaben, unter verkrusteten Arbeitsmärkten und lähmender Bürokratie leiden?
Wer die Entwicklung genauer betrachtet, entdeckt vier Grundmuster.
1. Auf alte Industrien gebaut
International führend ist Deutschland in traditionellen Industriezweigen. Autoindustrie, Maschinen- und Anlagenbau, Chemie - das ist nach wie vor der Kern der heimischen Ökonomie.
Abhängig vom Export: Nach Nordamerika ist Deutschland Zweiter im Weltexport. Ein Zeichen der Stärke? Nicht unbedingt. Getrieben werden die Ausfuhren von Traditionsfirmen, die auf stagnierenden Märkten Erfolge feiern. Neue, dynamische Branchen fehlen.
Traditionell heißt nicht: veraltet. Im Gegenteil, die führenden Firmen dieser Branchen haben die technologische Revolution der 90er Jahre mitgemacht, haben moderne Computertechnik, innovative Verfahren und Geschäftsmodelle aufgegriffen, neue Produkte entwickelt, viel Geld in Forschung und Entwicklung gesteckt.
Mit Erfolg behaupten sich die runderneuerten Unternehmen im globalen Wettbewerb. Auch weil Staat und Gesellschaft helfen, wo sie nur können: Öffentliche Forschungseinrichtungen und Universitäten liefern Know-how, das System der beruflichen Bildung sorgt für handwerklich versierte Facharbeiter, das Tarifkartell schafft Ruhe in den Belegschaften.
Traditionell heißt aber auch: nicht sonderlich dynamisch. Die Märkte stagnieren. Mehr Wachstum und Beschäftigung entstehen anderswo - oder gar nicht.
2. Im Erfinden schwach
In den USA, in Skandinavien oder Großbritannien haben Hightech-Branchen wie Chipproduktion, Softwareentwicklung und Biotechnologie in den vergangenen zehn Jahren Dynamik erzeugt. Deutsche Unternehmen hingegen spielen nur in Ausnahmefällen global mit.
Herr, wirf Hirn vom Himmel. Hier liegt der Hauptgrund für die deutsche Tech-Schwäche: Es gibt zu wenig Hochqualifizierte. Nur 23 Prozent der deutschen Erwerbsbürger haben eine Fach-, Fachhochschule oder Uni absolviert. Zum Vergleich: In Schweden sind es 29 Prozent, in den USA gar 35 Prozent.
Die Folge: Deutschland muss Technologien im großen Stil importieren. Bei technologischen Services wie Ingenieur- und EDV-Leistungen, wie Patenten und Lizenzen klafft ein Handelsbilanzdefizit von 7,5 Milliarden Euro - 15-mal so viel wie noch 1990.
3. Deutscher Heimnachteil
Die Wirtschaft lebt vom Export. Seit Jahren trägt fast nur die Warenausfuhr zum Wachstum bei, die Inlandsnachfrage verharrt im Dauertief.
Dummerweise können Vizeweltmeisterschaft im Export und lahmes Heimatgeschäft auf Dauer nur schwer parallel bestehen. Ein schwacher Inlandsmarkt gefährdet die Wettbewerbskraft: Unternehmen, die zu Hause keine konkurrenzfähige Größe erreichen, haben es am Weltmarkt schwer.
Unmittelbar betroffen: Handel, Konsumgüter, Bau. Branchen, die direkt vom privaten Verbrauch abhängen.
4. Vorteil Liberalisierung
Und wo bleibt das Positive? Bitte schön: In den 90er Jahren hat der deutsche Staat einige Bereiche aus seiner Obhut entlassen. Die Liberalisierung hat Telekommunikation, Energieversorgung, Transportmarkt und Post in dynamische Wirtschaftszweige verwandelt. Privatisierte Firmen wie Lufthansa, Post und Deutsche Telekom haben sich von muffigen Behörden zu global agierenden Konzernen entwickelt.
Jetzt zahlt sich aus, dass Deutschland früh und entschlossen Staatsmonopole aufgebrochen hat. Auf Effizienz getrimmte Ex-Monopolisten lassen ihre staatlichen Konkurrenten in anderen Ländern alt aussehen. Die Branchen sind in den 90er Jahren explodiert - allein in der Telekommunikation stieg die Wertschöpfung um 72 Prozent.
Ließe doch der Staat in der gesamten Wirtschaft die Zügel locker. Aber Fehlanzeige, die Reformbereitschaft in Deutschland ist gering.
So weit, so trübe
Eine erste Bilanz der vier großen Trends zeigt, dass in der deutschen Volkswirtschaft mehr Frust als Lust herrscht. Bei näherem Hinsehen allerdings differenziert sich das Bild. In nährstoffarmer Umwelt trotzen einige Unternehmen den Widrigkeiten, ja sie dominieren gar den Weltmarkt. Einst erfolgreiche Konzerne dagegen versagen kläglich.
Jenseits tagesaktueller Aufgeregtheit und kurzfristiger Konjunkturen hat mm nach den langfristigen Trends gefahndet. Eine Analyse, wo die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich noch Spitze ist. Und wo nicht.
Hervorragende Unternehmen, aber stagnierende Märkte. Klassische Industrien wie Chemie und Maschinenbau liegen im globalen Vergleich auf den vorderen Plätzen. manager magazin sagt, was Deutschlands traditionell starken Branchen blüht.
Die Verteilung von Strom und Gas erledigten in Deutschland bis vor kurzem Monopolisten: regionale Versorger, Stadtwerke und Großanbieter wie Veba, Viag oder RWE. Diese Mischkonzerne hatten sich mit ihren satten Gewinnen ein undurchschaubares Sammelsurium an Beteiligungen zusammengekauft.
Daumen halbhoch: Deutsche Traditionsbranchen liegen im weltweiten Vergleich vorn, aber die Märkte stagnieren.
Die Liberalisierung des Versorgungsgeschäfts zwang den Konglomeraten einen scharfen Wettbewerb auf. Konsequenz: Die Versorgungsanstalten wandelten sich zu schlagkräftigen Konzernen, die sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und überflüssigen Ballast abstoßen.
Als dominante Spieler etablierten sich RWE (siehe: "Hochspannung") und die aus der Fusion von Veba und Viag entstandene Eon (siehe: "Endlich Ruhe"). Die beiden Energieriesen übernehmen derzeit emsig im In- und Ausland Stadtwerke, Regionalgesellschaften und Konkurrenten. Das Ziel: der Aufbau möglichst großer Versorgungsnetze, die hohe Gewinne abwerfen.
Gegenüber den Staatsunternehmen in den anderen europäischen Ländern und den regional extrem zersplitterten US-Firmen halten die deutschen Versorger klare Wettbewerbsvorteile. Sie haben den Übergang zum privatwirtschaftlichen Unternehmen geschafft, der etwa der französischen Électricité de France (siehe: "Abgang in Karlsruhe") oder der italienischen Enel noch bevorsteht.
Gelingt es Eon und RWE, ihre vielen Neuerwerbungen geschickt zu integrieren, stehen sie vor allem im Vergleich zum antiquierten US-Energiegeschäft und zu den abgeschotteten asiatischen Märkten unangefochten an der Spitze.
Die Top-Versorger
Rang Unternehmen* Umsatz 2001 Mutterland
in Mrd. Euro
1 Eon 68 Deutschland
2 RWE 52 Deutschland
3 Suez 39 Frankreich
4 Électricité de France 38 Frankreich
5 Enel 27 Italien
* ohne rein national orientierte Staatsunternehmen
Quelle: "Fortune", Unternehmensangaben
Die Versicherungswirtschaft
Ohne Lebens-, Hausrat-, Haftpflicht-, Rechtsschutz-, Aussteuer- sowie Ausbildungsversicherung fühlt sich der Deutsche den Wechselfällen seiner Existenz schutzlos ausgeliefert. Ähnlich wie bei der Autoindustrie (siehe: "Schock-Options") hat die spezifische Befindlichkeit der Bundesbürger eine blühende Versicherungsbranche geschaffen.
Und ähnlich wie beim Auto sorgt auch bei den Versicherungen der Staat mit allerlei Regelungen dafür, dass es dem Sektor richtig gut geht: Die Erträge aus Kapitallebensversicherungen sind hier zu Lande steuerfrei. Dank dieser Subvention stecken Anleger ihr Geld lieber auf Jahre fest in eine Versicherung als in einen Fonds. Wunderbares Kapital, mit dem Herr Kaiser und seine Kollegen arbeiten können.
Auf dieser komfortablen Basis sind viele kleine und mittlere Firmen entstanden, meist in genossenschaftlicher oder öffentlich-rechtlicher Form. Überragt wird der mal mehr, mal weniger erfolgreiche Mittelstand von einem globalen Spitzenstar: der Allianz.
Der weltgrößte Versicherer steckt die auskömmlichen Gewinne aus dem Inlandsgeschäft seit 1991 systematisch in die Internationalisierung des Konzerns. Mit ihrem internationalen Vertriebsnetz war die Allianz bestens auf die Deregulierung in der Europäischen Union Mitte der 90er Jahre vorbereitet. Der Kauf der Dresdner Bank soll die ehrgeizigen Münchener jetzt auch noch zum Allround-Finanzdienstleister befördern - eine Strategie, die hohe Risiken birgt (siehe: "Teilt der Versicherer die Dresdner Bank jetzt auf?").
Der zweite deutsche Weltspieler in der Versicherungsliga agiert ebenfalls äußerst erfolgreich. Die Münchener Rück liegt nach Prämienvolumen seit Jahren auf dem Spitzenplatz unter den weltgrößten Rückversicherern (siehe: "Günstiger Wertschaffer").
Die erfolgreiche Expansion der deutschen Assekuranz lässt sich an der Börsenkapitalisierung der Unternehmen ablesen: Sie stieg um durchschnittlich 16 Prozent pro Jahr.
Auch wenn die Versicherer über hohe Schäden durch Terror und Umweltkatastrophen klagen - eine große Unwägbarkeit für die Branche liegt im "politischen Änderungsrisiko", wie Hans-Jürgen Schinzler sich ausdrückt. Der Vorstandsvorsitzende der Münchener Rück bemängelt vor allem, dass eine neue Bundesregierung den steuerfreien Verkauf von Beteiligungen wieder abschaffen könnte (siehe: "Hohe Buchverluste drohen"). Das wäre ärgerlich für die Versicherer, schließlich erhoffen sie sich für die Zukunft aus dem Geschäft mit Unternehmensteilen schöne Renditen.
Die Top-Versicherer
Rang Unternehmen Umsatz 2001 Mutterland
in Mrd. Euro
1 Allianz 87 Deutschland
2 Axa 67 Frankreich
3 Nippon Life 65 Japan
4 American International 64 USA
5 Aviva 53 Großbritannien
...9 Münchener Rück 43 Deutschland
Quelle: "Fortune", Unternehmensangaben
Der Maschinen- und Anlagenbau
Ende der 80er Jahre schienen Japaner und Italiener den deutschen Maschinen- und Anlagenbauern den Rang abzulaufen. Heute ist die Branche überwiegend gesund, obwohl die Krise des Anlagenbauers Babcock Borsig aktuell einen anderen Eindruck vermittelt.
Viele der Mittelständler, welche die äußerst vielfältige Branche prägen, dominieren unangefochten enge Marktnischen, und zwar global - hochspezialisierte Fachfirmen, die zumeist Einzelstücke nach Kundenwünschen fertigen. Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser zum Beispiel versorgt die Welt mit Profi-Wäschemangeln. SMS-Chef Heinrich Weiss ist führender Ausstatter für Stahlwerke.
Völlig gegenläufig zur Fusionsorgie anderer Branchen sind in den 90er Jahren große Anbieter tendenziell geschrumpft, kleinere Firmen hingegen gewachsen. Der Grund für diese Ausnahmeentwicklung: In der üblichen Maßfertigung für die Kunden bringt schiere Unternehmensgröße kaum Vorteile. Im Gegenteil: Kleinere können schneller und flexibler arbeiten.
Für Deutschlands Ruf als Exportvizeweltmeister sind die Maschinen- und Anlagenbauer maßgeblich mitverantwortlich. Traditionell exportieren sie den Großteil ihrer Produktion, inzwischen rund 60 Prozent.
Die Branche, meint SMS-Chef Weiss, sei unter anderem deshalb "stark, weil sie überwiegend aus inhabergeführten Unternehmen besteht". Und weil sie sich, wie die Autoindustrie, auf etablierte Standortvorteile wie die Facharbeiterausbildung und die Technischen Hochschulen verlassen kann.
Auf stagnierenden Märkten versuchen die Firmen zu wachsen, indem sie eine immer breitere Palette an Dienstleistungen anbieten, von der Wartung der Maschinen bei ihren Kunden bis zur Entwicklung von Produkten im Auftrag von Großkonzernen. Aus Schrauberbuden werden Systemanbieter.
Das bedeutet aber auch: Immer weniger Wertschöpfung wird in Deutschland erbracht, immer mehr im Ausland - als Service vor Ort beim Kunden.
Trotz solider Basis und jüngster Erfolge kommen Schwierigkeiten auf die Branche zu: "Der Maschinen- und Anlagenbau leidet wie kaum eine Branche unter der strukturellen Investitionsschwäche der deutschen Wirtschaft", warnt der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands. "Die deutliche Ausweitung der Auslandsumsätze konnte und kann dies nur zum Teil kompensieren." Und dann ist da noch ein gravierenderes Problem: der Mangel an Facharbeitern und Ingenieuren.
Firmen, die keine Leute finden, dürften geneigt sein, noch mehr Produktion ins Ausland zu verlagern.
Die chemische Industrie
Nur einer kann gewinnen. Nach diesem Muster lief die Abspaltung der Pharma- von der Chemieindustrie in den vergangenen Jahren ab. Sieger in Deutschland war die Chemie.
BASF ist das größte Chemieunternehmen der Welt (siehe: "Die Chemie stimmt wieder"), Degussa der größte Spezialchemiehersteller (siehe: "Getrübter Blick in die Zukunft"). Bayer, einer der letzten Konzerne, die sich nicht eindeutig für Chemie oder Pharma entscheiden mögen, gilt als Polymer-Produzent etwas in der Welt (siehe: "Partner verzweifelt gesucht"). Auch Spezialisten wie die Hoechst-Abspaltung SGL Carbon sind bedeutende Spieler (siehe: "Das zweite Kartell-Desaster").
Die kapitalintensive Branche profitiert in Deutschland von ihrer langjährigen Erfahrung und der in diesem Bereich hervorragenden öffentlichen Forschung. Durchschlagender Erfolg: Die Börsenkapitalisierung der deutschen Chemiekonzerne stieg im vergangenen Jahrzehnt schneller als die aller ausländischen Konkurrenten.
Leider entwickelt sich die Chemie nicht sehr dynamisch. In den 90er Jahren stieg die Wertschöpfung in Deutschland um ganze 7 Prozent.
Dafür aber haben es die Besten geschafft, sich "konjunkturrobust" aufzustellen, wie BASF-Vorsteher Jürgen Strube stolz vermerkt. Weiteres Wachstum will er mit "aktivem Portfoliomanagement" erzielen - vulgo: mit dem Verkauf schwacher Geschäftsfelder und dem Kauf renditeträchtiger Gebiete.
Die schönen Renditepläne könnte den Chemikern die EU durchkreuzen. Die will eine Richtlinie verabschieden lassen, die den Umgang mit Chemikalien stärker reglementieren soll, und den Handel mit Emissionszertifikaten einführen (siehe: "Emissionsrechte"). Die neuen Regeln würden die deutsche Chemie laut Branchenverband VCI mit mehr als drei Milliarden Euro jährlich belasten.
Die Top-Chemiekonzerne
Rang Unternehmen Umsatz 2001 Mutterland
in Mrd. Euro
1 BASF 30 Deutschland
2 Dow Chemical 29 USA
3 Dupont 27 USA
4 Bayer Chemie* 18 Deutschland
5 Mitsubishi Chemical 15 Japan
* Umsatz der Sparten Chemie, Polymere, Landwirtschaft
Quelle: "Fortune", Unternehmensangaben
Dynamische Märkte, deutsche Heimvorteile und Weltklassefirmen - einige Branchen entwickeln sich äußerst positiv. manager magazin sagt, wer die Gewinner sind.
Autoindustrie
Anfang der 90er Jahre galten die Japaner als Helden. Toyota, Nissan und Co. dominierten die Automärkte. VW und Porsche waren Sanierungsfälle, Mercedes und BMW galten als biedere Nischenanbieter.
Daumen hoch: Vor allem die deutschen Automobilhersteller haben die Krise der 90er Jahre zur Erneuerung genutzt
In der Krise zettelten Manager wie Ferdinand Piëch (Volkswagen), Wendelin Wiedeking (Porsche) und Helmut Werner (Mercedes) in ihren Konzernen eine Kulturrevolution an. Sie kupferten die japanischen Fertigungsmethoden ab und verfeinerten sie mit heimischer Ingenieurskunst. Konsequent nutzten sie die spezifisch deutschen Vorteile: gut ausgebildete Ingenieure und Facharbeiter; Forschungsinstitute und Universitäten, die Know-how beisteuern. Zudem erleichtert der starke deutsche Maschinenbau Innovationen im Produktionsprozess.
Vielleicht noch wichtiger: die extrem technikbegeisterten deutschen Kunden, die sich teure Innovationen leisten. Heimische Autos müssen den Bleifußstress auf Freie-Fahrt-Autobahnen bestehen. Und sie sollen angesichts hoher Mineralölsteuern auch noch spritsparend sein.
Kurz: Deutsche Entwickler haben ihren Produkten Eigenschaften angezüchtet, die weltweit begehrt sind. Ein unschätzbarer Vorteil, wie der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands resümiert, den das Berliner Forschungsministerium veröffentlicht.
Und die Hersteller haben ihre Wagen neu positioniert: Sie setzen auf teure Premiumautos, geben viel Geld aus, um das Markenimage zu polieren. Sie wissen: Mit glanzlosen Massenautos lässt sich nur noch schwer Geld verdienen (wie Ford und Opel, die deutschen Töchter von US-Konzernen, erfahren haben).
Heute gilt die deutsche Autoindustrie als weltweit führend - was auch der Börsenwert der Konzerne zeigt.
Wie geht es weiter? Das große Wachstum der letzten Jahre dürfte vorerst der Vergangenheit angehören. Für den harten Verdrängungskampf sind die deutschen Hersteller gut gerüstet. Bei der Produktion von Massenautos mit schmalen Margen ist Deutschland allerdings nicht unbedingt Spitze. Immer mehr arbeitsintensive Fertigung wird an billigere Standorte verlagert, zuvörderst nach Osteuropa.
Große Chancen für die Zukunft sehen Fachleute wie Arthur-D.-Little-Berater Christoph Terrahe in der Autoelektronik, insbesondere in Verkehrsleitsystemen. So geraten sogar Deutschlands verstopfte Straßen zum Standortvorteil.
Die Top-Autohersteller
Rang Unternehmen Umsatz 2001 Mutterland
in Mrd. Euro
1 General Motors 178 USA
2 Ford 164 USA
3 DaimlerChrysler 138 Deutschland
4 Toyota 122 Japan
5 Volkswagen 80 Deutschland
Quelle: "Fortune", Unternehmensangaben
Transport, Logistik, Touristik
Weltmeister im Urlauben, Vizeweltmeister im Export, super Straßen, Schienen, Flughäfen, zentrale Lage in Europa eigentlich logisch, dass die deutschen Logistik- und Touristikfirmen florieren.
Der Globalisierungsschub der 90er Jahre ließ die Transportdienstleistungen in Deutschland um 28 Prozent anschwellen. So richtig ab ging die Post aber erst mit der Liberalisierung der Branche.
Die Deutsche Post stieg durch geschickte Investition ihrer Monopolgewinne aus dem Briefgeschäft zum größten global agierenden Logistikkonzern auf. Die Lufthansa, drittgrößte Fluglinie der Welt, gilt als eine der erfolgreichsten Airlines. Mit Tui und Thomas Cook residieren zwei der führenden Touristikanbieter in Deutschland.
Die Strategie der Erfolgreichen: auf einzelnen nationalen Märkten durch Zukäufe hohe Anteile gewinnen und überdurchschnittliche Margen erzielen.
Die Top-Logistiker
Rang Unternehmen* Umsatz 2001 Mutterland
in Mrd. Euro
1 Deutsche Post 32,4 Deutschland
2 UPS 31,8 USA
3 Federal Express 21 USA
4 La Poste 16 Frankreich
5 Royal Mail 13 Großbritannien
6 Stinnes 12 Deutschland
* ohne rein national orientierte Staatsunternehmen
Quelle: "Fortune", Unternehmensangaben
Ausblick: Der Globalisierungsboom flaut ab, Terrorängste dämpfen Handel und Reiselust. Für die großen Logistiker sei diese Entwicklung allerdings von Vorteil, meint Stinnes-Chef Wulf Bernotat: "Als Erste bekommen die vielen kleinen Firmen Probleme - auf deren Kosten wachsen große wie wir." Oder noch größere wie die Deutsche Bahn, die gerade im Begriff ist, Bernotats Konzern zu schlucken.
http://www.manager-magazin.de/magazin/artikel/0,2828,210397,00.html
Gruß
Happy End
"Deutschland ist gut." 2,5 Millionen Euro lässt sich Bundeskanzler Gerhard Schröder die Verbreitung dieser frohen Botschaft kosten.
Daumen hoch oder Daumen runter? - Wie es um Deutschlands Wirtschaft wirklich steht
Ganz falsch liegt der Kanzler mit seiner Kampagne nicht: In den Ranglisten der weltgrößten Firmen halten deutsche Konzerne Spitzenplätze. Die heimische Industrie hat in jüngster Zeit Anteile an den globalen Märkten zurückgewonnen. Im Export sind wir Vizeweltmeister, nach den USA.
Klingt doch super.
Deutschland ist schlecht. Die Bundesbürger verdummen, siehe Pisa-Studie. Es mangelt an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern. Was Wunder, dass die Wirtschaft in den Hochtechnologien weit hinten liegt. Dass kein anderes europäisches Land so langsam wächst. Dass nirgendwo sonst so wenig neue Jobs entstehen.
Klingt doch furchtbar.
Beides stimmt: Viele deutsche Unternehmen zählen zur Weltelite - die deutsche Wirtschaft krankt an Wachstumsstörungen.
Wie passen diese scheinbaren Widersprüche zusammen? Herrschen bei uns argentinische Verhältnisse, wie DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun unkt? Oder findet die deutsche Wirtschaft wieder Anschluss an die Weltspitze?
Eine mm-Analyse der wichtigsten Branchen zeigt: In den vergangenen zehn Jahren haben sich einige Wirtschaftszweige spektakulär regeneriert - etwa die Autoindustrie. Andere sind überhaupt erst als Wirtschaftsfaktoren aufgeblüht - wie Versorger, Transport und Logistik.
Aber es gibt auch die traurigen Fälle, die in einem kaum vorstellbaren Maß zurückgefallen sind - die Banken zum Beispiel oder die Bauindustrie. Ganz zu schweigen von Zukunftsbranchen wie Informationstechnologie und Pharma, in denen deutsche Unternehmen nur in Ausnahmefällen globale Bedeutung genießen.
Da Top, dort Flop. Warum feiern einige Sektoren große Triumphe, während andere unter Erfolglosigkeit leiden - obwohl doch alle gleichermaßen unter hohen Steuern und Sozialabgaben, unter verkrusteten Arbeitsmärkten und lähmender Bürokratie leiden?
Wer die Entwicklung genauer betrachtet, entdeckt vier Grundmuster.
1. Auf alte Industrien gebaut
International führend ist Deutschland in traditionellen Industriezweigen. Autoindustrie, Maschinen- und Anlagenbau, Chemie - das ist nach wie vor der Kern der heimischen Ökonomie.
Abhängig vom Export: Nach Nordamerika ist Deutschland Zweiter im Weltexport. Ein Zeichen der Stärke? Nicht unbedingt. Getrieben werden die Ausfuhren von Traditionsfirmen, die auf stagnierenden Märkten Erfolge feiern. Neue, dynamische Branchen fehlen.
Traditionell heißt nicht: veraltet. Im Gegenteil, die führenden Firmen dieser Branchen haben die technologische Revolution der 90er Jahre mitgemacht, haben moderne Computertechnik, innovative Verfahren und Geschäftsmodelle aufgegriffen, neue Produkte entwickelt, viel Geld in Forschung und Entwicklung gesteckt.
Mit Erfolg behaupten sich die runderneuerten Unternehmen im globalen Wettbewerb. Auch weil Staat und Gesellschaft helfen, wo sie nur können: Öffentliche Forschungseinrichtungen und Universitäten liefern Know-how, das System der beruflichen Bildung sorgt für handwerklich versierte Facharbeiter, das Tarifkartell schafft Ruhe in den Belegschaften.
Traditionell heißt aber auch: nicht sonderlich dynamisch. Die Märkte stagnieren. Mehr Wachstum und Beschäftigung entstehen anderswo - oder gar nicht.
2. Im Erfinden schwach
In den USA, in Skandinavien oder Großbritannien haben Hightech-Branchen wie Chipproduktion, Softwareentwicklung und Biotechnologie in den vergangenen zehn Jahren Dynamik erzeugt. Deutsche Unternehmen hingegen spielen nur in Ausnahmefällen global mit.
Herr, wirf Hirn vom Himmel. Hier liegt der Hauptgrund für die deutsche Tech-Schwäche: Es gibt zu wenig Hochqualifizierte. Nur 23 Prozent der deutschen Erwerbsbürger haben eine Fach-, Fachhochschule oder Uni absolviert. Zum Vergleich: In Schweden sind es 29 Prozent, in den USA gar 35 Prozent.
Die Folge: Deutschland muss Technologien im großen Stil importieren. Bei technologischen Services wie Ingenieur- und EDV-Leistungen, wie Patenten und Lizenzen klafft ein Handelsbilanzdefizit von 7,5 Milliarden Euro - 15-mal so viel wie noch 1990.
3. Deutscher Heimnachteil
Die Wirtschaft lebt vom Export. Seit Jahren trägt fast nur die Warenausfuhr zum Wachstum bei, die Inlandsnachfrage verharrt im Dauertief.
Dummerweise können Vizeweltmeisterschaft im Export und lahmes Heimatgeschäft auf Dauer nur schwer parallel bestehen. Ein schwacher Inlandsmarkt gefährdet die Wettbewerbskraft: Unternehmen, die zu Hause keine konkurrenzfähige Größe erreichen, haben es am Weltmarkt schwer.
Unmittelbar betroffen: Handel, Konsumgüter, Bau. Branchen, die direkt vom privaten Verbrauch abhängen.
4. Vorteil Liberalisierung
Und wo bleibt das Positive? Bitte schön: In den 90er Jahren hat der deutsche Staat einige Bereiche aus seiner Obhut entlassen. Die Liberalisierung hat Telekommunikation, Energieversorgung, Transportmarkt und Post in dynamische Wirtschaftszweige verwandelt. Privatisierte Firmen wie Lufthansa, Post und Deutsche Telekom haben sich von muffigen Behörden zu global agierenden Konzernen entwickelt.
Jetzt zahlt sich aus, dass Deutschland früh und entschlossen Staatsmonopole aufgebrochen hat. Auf Effizienz getrimmte Ex-Monopolisten lassen ihre staatlichen Konkurrenten in anderen Ländern alt aussehen. Die Branchen sind in den 90er Jahren explodiert - allein in der Telekommunikation stieg die Wertschöpfung um 72 Prozent.
Ließe doch der Staat in der gesamten Wirtschaft die Zügel locker. Aber Fehlanzeige, die Reformbereitschaft in Deutschland ist gering.
So weit, so trübe
Eine erste Bilanz der vier großen Trends zeigt, dass in der deutschen Volkswirtschaft mehr Frust als Lust herrscht. Bei näherem Hinsehen allerdings differenziert sich das Bild. In nährstoffarmer Umwelt trotzen einige Unternehmen den Widrigkeiten, ja sie dominieren gar den Weltmarkt. Einst erfolgreiche Konzerne dagegen versagen kläglich.
Jenseits tagesaktueller Aufgeregtheit und kurzfristiger Konjunkturen hat mm nach den langfristigen Trends gefahndet. Eine Analyse, wo die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich noch Spitze ist. Und wo nicht.
Die gesunde Basis
Hervorragende Unternehmen, aber stagnierende Märkte. Klassische Industrien wie Chemie und Maschinenbau liegen im globalen Vergleich auf den vorderen Plätzen. manager magazin sagt, was Deutschlands traditionell starken Branchen blüht.
Die Verteilung von Strom und Gas erledigten in Deutschland bis vor kurzem Monopolisten: regionale Versorger, Stadtwerke und Großanbieter wie Veba, Viag oder RWE. Diese Mischkonzerne hatten sich mit ihren satten Gewinnen ein undurchschaubares Sammelsurium an Beteiligungen zusammengekauft.
Daumen halbhoch: Deutsche Traditionsbranchen liegen im weltweiten Vergleich vorn, aber die Märkte stagnieren.
Die Liberalisierung des Versorgungsgeschäfts zwang den Konglomeraten einen scharfen Wettbewerb auf. Konsequenz: Die Versorgungsanstalten wandelten sich zu schlagkräftigen Konzernen, die sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und überflüssigen Ballast abstoßen.
Als dominante Spieler etablierten sich RWE (siehe: "Hochspannung") und die aus der Fusion von Veba und Viag entstandene Eon (siehe: "Endlich Ruhe"). Die beiden Energieriesen übernehmen derzeit emsig im In- und Ausland Stadtwerke, Regionalgesellschaften und Konkurrenten. Das Ziel: der Aufbau möglichst großer Versorgungsnetze, die hohe Gewinne abwerfen.
Gegenüber den Staatsunternehmen in den anderen europäischen Ländern und den regional extrem zersplitterten US-Firmen halten die deutschen Versorger klare Wettbewerbsvorteile. Sie haben den Übergang zum privatwirtschaftlichen Unternehmen geschafft, der etwa der französischen Électricité de France (siehe: "Abgang in Karlsruhe") oder der italienischen Enel noch bevorsteht.
Gelingt es Eon und RWE, ihre vielen Neuerwerbungen geschickt zu integrieren, stehen sie vor allem im Vergleich zum antiquierten US-Energiegeschäft und zu den abgeschotteten asiatischen Märkten unangefochten an der Spitze.
Die Top-Versorger
Rang Unternehmen* Umsatz 2001 Mutterland
in Mrd. Euro
1 Eon 68 Deutschland
2 RWE 52 Deutschland
3 Suez 39 Frankreich
4 Électricité de France 38 Frankreich
5 Enel 27 Italien
* ohne rein national orientierte Staatsunternehmen
Quelle: "Fortune", Unternehmensangaben
Die Versicherungswirtschaft
Ohne Lebens-, Hausrat-, Haftpflicht-, Rechtsschutz-, Aussteuer- sowie Ausbildungsversicherung fühlt sich der Deutsche den Wechselfällen seiner Existenz schutzlos ausgeliefert. Ähnlich wie bei der Autoindustrie (siehe: "Schock-Options") hat die spezifische Befindlichkeit der Bundesbürger eine blühende Versicherungsbranche geschaffen.
Und ähnlich wie beim Auto sorgt auch bei den Versicherungen der Staat mit allerlei Regelungen dafür, dass es dem Sektor richtig gut geht: Die Erträge aus Kapitallebensversicherungen sind hier zu Lande steuerfrei. Dank dieser Subvention stecken Anleger ihr Geld lieber auf Jahre fest in eine Versicherung als in einen Fonds. Wunderbares Kapital, mit dem Herr Kaiser und seine Kollegen arbeiten können.
Auf dieser komfortablen Basis sind viele kleine und mittlere Firmen entstanden, meist in genossenschaftlicher oder öffentlich-rechtlicher Form. Überragt wird der mal mehr, mal weniger erfolgreiche Mittelstand von einem globalen Spitzenstar: der Allianz.
Der weltgrößte Versicherer steckt die auskömmlichen Gewinne aus dem Inlandsgeschäft seit 1991 systematisch in die Internationalisierung des Konzerns. Mit ihrem internationalen Vertriebsnetz war die Allianz bestens auf die Deregulierung in der Europäischen Union Mitte der 90er Jahre vorbereitet. Der Kauf der Dresdner Bank soll die ehrgeizigen Münchener jetzt auch noch zum Allround-Finanzdienstleister befördern - eine Strategie, die hohe Risiken birgt (siehe: "Teilt der Versicherer die Dresdner Bank jetzt auf?").
Der zweite deutsche Weltspieler in der Versicherungsliga agiert ebenfalls äußerst erfolgreich. Die Münchener Rück liegt nach Prämienvolumen seit Jahren auf dem Spitzenplatz unter den weltgrößten Rückversicherern (siehe: "Günstiger Wertschaffer").
Die erfolgreiche Expansion der deutschen Assekuranz lässt sich an der Börsenkapitalisierung der Unternehmen ablesen: Sie stieg um durchschnittlich 16 Prozent pro Jahr.
Auch wenn die Versicherer über hohe Schäden durch Terror und Umweltkatastrophen klagen - eine große Unwägbarkeit für die Branche liegt im "politischen Änderungsrisiko", wie Hans-Jürgen Schinzler sich ausdrückt. Der Vorstandsvorsitzende der Münchener Rück bemängelt vor allem, dass eine neue Bundesregierung den steuerfreien Verkauf von Beteiligungen wieder abschaffen könnte (siehe: "Hohe Buchverluste drohen"). Das wäre ärgerlich für die Versicherer, schließlich erhoffen sie sich für die Zukunft aus dem Geschäft mit Unternehmensteilen schöne Renditen.
Die Top-Versicherer
Rang Unternehmen Umsatz 2001 Mutterland
in Mrd. Euro
1 Allianz 87 Deutschland
2 Axa 67 Frankreich
3 Nippon Life 65 Japan
4 American International 64 USA
5 Aviva 53 Großbritannien
...9 Münchener Rück 43 Deutschland
Quelle: "Fortune", Unternehmensangaben
Der Maschinen- und Anlagenbau
Ende der 80er Jahre schienen Japaner und Italiener den deutschen Maschinen- und Anlagenbauern den Rang abzulaufen. Heute ist die Branche überwiegend gesund, obwohl die Krise des Anlagenbauers Babcock Borsig aktuell einen anderen Eindruck vermittelt.
Viele der Mittelständler, welche die äußerst vielfältige Branche prägen, dominieren unangefochten enge Marktnischen, und zwar global - hochspezialisierte Fachfirmen, die zumeist Einzelstücke nach Kundenwünschen fertigen. Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser zum Beispiel versorgt die Welt mit Profi-Wäschemangeln. SMS-Chef Heinrich Weiss ist führender Ausstatter für Stahlwerke.
Völlig gegenläufig zur Fusionsorgie anderer Branchen sind in den 90er Jahren große Anbieter tendenziell geschrumpft, kleinere Firmen hingegen gewachsen. Der Grund für diese Ausnahmeentwicklung: In der üblichen Maßfertigung für die Kunden bringt schiere Unternehmensgröße kaum Vorteile. Im Gegenteil: Kleinere können schneller und flexibler arbeiten.
Für Deutschlands Ruf als Exportvizeweltmeister sind die Maschinen- und Anlagenbauer maßgeblich mitverantwortlich. Traditionell exportieren sie den Großteil ihrer Produktion, inzwischen rund 60 Prozent.
Die Branche, meint SMS-Chef Weiss, sei unter anderem deshalb "stark, weil sie überwiegend aus inhabergeführten Unternehmen besteht". Und weil sie sich, wie die Autoindustrie, auf etablierte Standortvorteile wie die Facharbeiterausbildung und die Technischen Hochschulen verlassen kann.
Auf stagnierenden Märkten versuchen die Firmen zu wachsen, indem sie eine immer breitere Palette an Dienstleistungen anbieten, von der Wartung der Maschinen bei ihren Kunden bis zur Entwicklung von Produkten im Auftrag von Großkonzernen. Aus Schrauberbuden werden Systemanbieter.
Das bedeutet aber auch: Immer weniger Wertschöpfung wird in Deutschland erbracht, immer mehr im Ausland - als Service vor Ort beim Kunden.
Trotz solider Basis und jüngster Erfolge kommen Schwierigkeiten auf die Branche zu: "Der Maschinen- und Anlagenbau leidet wie kaum eine Branche unter der strukturellen Investitionsschwäche der deutschen Wirtschaft", warnt der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands. "Die deutliche Ausweitung der Auslandsumsätze konnte und kann dies nur zum Teil kompensieren." Und dann ist da noch ein gravierenderes Problem: der Mangel an Facharbeitern und Ingenieuren.
Firmen, die keine Leute finden, dürften geneigt sein, noch mehr Produktion ins Ausland zu verlagern.
Die chemische Industrie
Nur einer kann gewinnen. Nach diesem Muster lief die Abspaltung der Pharma- von der Chemieindustrie in den vergangenen Jahren ab. Sieger in Deutschland war die Chemie.
BASF ist das größte Chemieunternehmen der Welt (siehe: "Die Chemie stimmt wieder"), Degussa der größte Spezialchemiehersteller (siehe: "Getrübter Blick in die Zukunft"). Bayer, einer der letzten Konzerne, die sich nicht eindeutig für Chemie oder Pharma entscheiden mögen, gilt als Polymer-Produzent etwas in der Welt (siehe: "Partner verzweifelt gesucht"). Auch Spezialisten wie die Hoechst-Abspaltung SGL Carbon sind bedeutende Spieler (siehe: "Das zweite Kartell-Desaster").
Die kapitalintensive Branche profitiert in Deutschland von ihrer langjährigen Erfahrung und der in diesem Bereich hervorragenden öffentlichen Forschung. Durchschlagender Erfolg: Die Börsenkapitalisierung der deutschen Chemiekonzerne stieg im vergangenen Jahrzehnt schneller als die aller ausländischen Konkurrenten.
Leider entwickelt sich die Chemie nicht sehr dynamisch. In den 90er Jahren stieg die Wertschöpfung in Deutschland um ganze 7 Prozent.
Dafür aber haben es die Besten geschafft, sich "konjunkturrobust" aufzustellen, wie BASF-Vorsteher Jürgen Strube stolz vermerkt. Weiteres Wachstum will er mit "aktivem Portfoliomanagement" erzielen - vulgo: mit dem Verkauf schwacher Geschäftsfelder und dem Kauf renditeträchtiger Gebiete.
Die schönen Renditepläne könnte den Chemikern die EU durchkreuzen. Die will eine Richtlinie verabschieden lassen, die den Umgang mit Chemikalien stärker reglementieren soll, und den Handel mit Emissionszertifikaten einführen (siehe: "Emissionsrechte"). Die neuen Regeln würden die deutsche Chemie laut Branchenverband VCI mit mehr als drei Milliarden Euro jährlich belasten.
Die Top-Chemiekonzerne
Rang Unternehmen Umsatz 2001 Mutterland
in Mrd. Euro
1 BASF 30 Deutschland
2 Dow Chemical 29 USA
3 Dupont 27 USA
4 Bayer Chemie* 18 Deutschland
5 Mitsubishi Chemical 15 Japan
* Umsatz der Sparten Chemie, Polymere, Landwirtschaft
Quelle: "Fortune", Unternehmensangaben
Die Spitzenreiter
Dynamische Märkte, deutsche Heimvorteile und Weltklassefirmen - einige Branchen entwickeln sich äußerst positiv. manager magazin sagt, wer die Gewinner sind.
Autoindustrie
Anfang der 90er Jahre galten die Japaner als Helden. Toyota, Nissan und Co. dominierten die Automärkte. VW und Porsche waren Sanierungsfälle, Mercedes und BMW galten als biedere Nischenanbieter.
Daumen hoch: Vor allem die deutschen Automobilhersteller haben die Krise der 90er Jahre zur Erneuerung genutzt
In der Krise zettelten Manager wie Ferdinand Piëch (Volkswagen), Wendelin Wiedeking (Porsche) und Helmut Werner (Mercedes) in ihren Konzernen eine Kulturrevolution an. Sie kupferten die japanischen Fertigungsmethoden ab und verfeinerten sie mit heimischer Ingenieurskunst. Konsequent nutzten sie die spezifisch deutschen Vorteile: gut ausgebildete Ingenieure und Facharbeiter; Forschungsinstitute und Universitäten, die Know-how beisteuern. Zudem erleichtert der starke deutsche Maschinenbau Innovationen im Produktionsprozess.
Vielleicht noch wichtiger: die extrem technikbegeisterten deutschen Kunden, die sich teure Innovationen leisten. Heimische Autos müssen den Bleifußstress auf Freie-Fahrt-Autobahnen bestehen. Und sie sollen angesichts hoher Mineralölsteuern auch noch spritsparend sein.
Kurz: Deutsche Entwickler haben ihren Produkten Eigenschaften angezüchtet, die weltweit begehrt sind. Ein unschätzbarer Vorteil, wie der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands resümiert, den das Berliner Forschungsministerium veröffentlicht.
Und die Hersteller haben ihre Wagen neu positioniert: Sie setzen auf teure Premiumautos, geben viel Geld aus, um das Markenimage zu polieren. Sie wissen: Mit glanzlosen Massenautos lässt sich nur noch schwer Geld verdienen (wie Ford und Opel, die deutschen Töchter von US-Konzernen, erfahren haben).
Heute gilt die deutsche Autoindustrie als weltweit führend - was auch der Börsenwert der Konzerne zeigt.
Wie geht es weiter? Das große Wachstum der letzten Jahre dürfte vorerst der Vergangenheit angehören. Für den harten Verdrängungskampf sind die deutschen Hersteller gut gerüstet. Bei der Produktion von Massenautos mit schmalen Margen ist Deutschland allerdings nicht unbedingt Spitze. Immer mehr arbeitsintensive Fertigung wird an billigere Standorte verlagert, zuvörderst nach Osteuropa.
Große Chancen für die Zukunft sehen Fachleute wie Arthur-D.-Little-Berater Christoph Terrahe in der Autoelektronik, insbesondere in Verkehrsleitsystemen. So geraten sogar Deutschlands verstopfte Straßen zum Standortvorteil.
Die Top-Autohersteller
Rang Unternehmen Umsatz 2001 Mutterland
in Mrd. Euro
1 General Motors 178 USA
2 Ford 164 USA
3 DaimlerChrysler 138 Deutschland
4 Toyota 122 Japan
5 Volkswagen 80 Deutschland
Quelle: "Fortune", Unternehmensangaben
Transport, Logistik, Touristik
Weltmeister im Urlauben, Vizeweltmeister im Export, super Straßen, Schienen, Flughäfen, zentrale Lage in Europa eigentlich logisch, dass die deutschen Logistik- und Touristikfirmen florieren.
Der Globalisierungsschub der 90er Jahre ließ die Transportdienstleistungen in Deutschland um 28 Prozent anschwellen. So richtig ab ging die Post aber erst mit der Liberalisierung der Branche.
Die Deutsche Post stieg durch geschickte Investition ihrer Monopolgewinne aus dem Briefgeschäft zum größten global agierenden Logistikkonzern auf. Die Lufthansa, drittgrößte Fluglinie der Welt, gilt als eine der erfolgreichsten Airlines. Mit Tui und Thomas Cook residieren zwei der führenden Touristikanbieter in Deutschland.
Die Strategie der Erfolgreichen: auf einzelnen nationalen Märkten durch Zukäufe hohe Anteile gewinnen und überdurchschnittliche Margen erzielen.
Die Top-Logistiker
Rang Unternehmen* Umsatz 2001 Mutterland
in Mrd. Euro
1 Deutsche Post 32,4 Deutschland
2 UPS 31,8 USA
3 Federal Express 21 USA
4 La Poste 16 Frankreich
5 Royal Mail 13 Großbritannien
6 Stinnes 12 Deutschland
* ohne rein national orientierte Staatsunternehmen
Quelle: "Fortune", Unternehmensangaben
Ausblick: Der Globalisierungsboom flaut ab, Terrorängste dämpfen Handel und Reiselust. Für die großen Logistiker sei diese Entwicklung allerdings von Vorteil, meint Stinnes-Chef Wulf Bernotat: "Als Erste bekommen die vielen kleinen Firmen Probleme - auf deren Kosten wachsen große wie wir." Oder noch größere wie die Deutsche Bahn, die gerade im Begriff ist, Bernotats Konzern zu schlucken.
http://www.manager-magazin.de/magazin/artikel/0,2828,210397,00.html
Gruß
Happy End