Damit hat er die Raiffeisenkasse Gammesfeld in Hohenlohe bundesweit berühmt gemacht. Als Rebellenbank ohne Computer, Geldautomaten oder sonstigen Luxus, in der der Geschäftsführer alle Kontonummern auswendig kennt. Sein Widerstand gegen scheinbare Zwänge hat Vogt Fernsehauftritte und einen Kultstatus im Dorf eingebracht. Doch seinen überraschendsten Erfolg feierte der 77-Jährige erst jetzt: Er hat einen Nachfolger gefunden, der seinen Kampf fortsetzen wird. Das größte Kuriosum der deutschen Kreditwirtschaft wird weiterleben.
Daran haben all die Aufseher und Funktionäre nie geglaubt. Und Vogt selbst auch nicht. "Es war eigentlich immer klar, dass die Bank ihre Eigenständigkeit verliert, wenn ich aufhöre", sagt er. Schließlich ist er seit 40 Jahren der einzige Mitarbeiter. Doch nun sitzt neben Fritz Vogt ein 36 Jahre junger Banker: Peter Breiter, eingeborener Gammesfelder und entschlossen, die Konten im Dorf zu halten.
"Ich habe nie verstanden, warum andere kleine Banken ihre Eigenständigkeit so schnell aufgegeben haben", sagt Breiter. Er will zeigen, dass es auch im 21. Jahrhundert noch anders geht. Dafür hat er seinen Job in der Kreditabteilung der Volksbank in Rothenburg ob der Tauber gekündigt, der nächsten größeren Stadt, 20 Kilometer entfernt. Er hat Abendkurse besucht. Nun darf er die Bank leiten. Er wird in Zukunft Vorstand und Putzkraft in einer Person sein.
Und Breiter weiß, dass seine Aufgabe nicht einfach wird. Er will die Bank behutsam modernisieren, sie von der Altsteinzeit in die Antike des Bankgeschäfts holen. Das Zwergeninstitut hinkt anderen Banken in jeder erdenklichen Hinsicht hinterher. Doch es hat etwas, wovon Großbanken nur träumen können: das unbedingte Vertrauen der Kunden. Das könnte reichen für ein langes Überleben.
Als die Raiffeisenkasse vor 120 Jahren gegründet wurde, waren unabhängige Institute in Dörfern gang und gäbe. Nach einer Fusionswelle sind nun jedoch die 260 Genossen in Gammesfeld, die gemeinsam eine Bank unterhalten, Exoten. Das Dorf hat viele gepflegte Fachwerkgehöfte zu bieten, einen Edeka-Markt und einige Handwerksbetriebe, vom Fensterbauer bis zum Solaranlageninstallateur. So ein Ort darf nicht ohne eigene Bank sein, finden die Leute hier.
Peter Immel ist einer von ihnen. Er kommt in der Mittagspause, um seine Firma mit Überweisungsformularen zu versorgen. An Internetbanking denkt hier niemand. "Größere Banken wollen doch nur schnell Kasse machen, und die Kunden bleiben auf der Strecke", sagt Immel und verlässt die Filiale.
Das Dorf stand hinter Vogt, als dieser sich in den 80er-Jahren mit der Bankenaufsicht anlegte und sich selbst der Genossenschaftsverband wegduckte. Die Aufseher forderten mehr Kontrolle innerhalb der Bank, drohten Vogt sogar mit drei Jahren Gefängnis. Der wich jedoch nicht, klagte - und gewann. Das nötigt sogar dem Präsidenten der deutschen Genossenschaftsbanken, Christopher Pleister, Respekt ab. "Dass Herr Vogt das Institut so lange erhalten hat, ist eine bemerkenswerte Leistung", sagt er.
Wenn man Vogt fragt, warum er seine Freiheit für sein Miniinstitut riskiert hat, zeigt er nur auf ein Bild an der Wand. Es zeigt Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Gründungsvater der ländlichen Banken. Seine Idee treibt Vogt um. Alles müsse übersichtlich und vor Ort bleiben. "Sonst werden die Kunden ausgenommen nach Strich und Faden."
Die Raiffeisenbank Gammesfeld ist ein Muster an Übersichtlichkeit. Sie besteht aus einem einzigen schmalen Raum. Rechts hinter dem Tresen ziehen sich Holzregale mit leicht vergilbten Ordnern an der Wand entlang, links ebenso alte Schreibtische. Gleich unter dem Telefon - natürlich mit Wählscheibe - steht ein Kasten mit Hängeregistern. "Im Prinzip ist das die ganze Bank", sagt Vogt.
In jeder Registermappe steckt ein Kontenblatt. Immer wenn eine Überweisung kam, tippte Vogt bislang das Formular ab, in eine schrankgroße Buchungsmaschine, die den Betrag dann auf das Kontenblatt druckte. Kein Scanner, keine Rechenzentralen. Vogt brauchte nie einen Computer. Selbst den Taschenrechner fasst er nur an, wenn es nicht anders geht. "Mir sind die alten Maschinen lieber, da hört man wenigstens, wie sie rechnen."
Dass die Raiffeisenbank noch arbeitet wie vor 40 Jahren, hat aber nicht nur damit zu tun, dass der bisherige Chef ein Technikmuffel war. Nur der Verzicht ließ die Bank überleben. Moderne Computertechnik mit Verbindung zu Zentralrechnern würde etwa 50 000 Euro im Jahr kosten. Das könnte sich die winzige Bank nicht leisten. Doch Vogt arbeitete von Hand verblüffend wirtschaftlich. Drei Prozent Zinsen fürs Sparbuch, vier Prozent für einen Kredit, das kann sich sehen lassen. Kontoführungsgebühren kennt man in Gammesfeld nicht, Kreditausfälle ebenso wenig. Darlehen bekommen nur die Mitglieder der Bank. "Man muss hier bekannt sein, sonst wird das zu riskant", sagt Vogt. Dafür reicht dann als Kreditantrag ein einfacher Notizzettel. Man kennt sich ja.
"Vieles in dieser Bank ist auf den ersten Blick banal, aber es ist trotzdem genial effizient", sagt Breiter. Kollegen und Freunde haben ihn erschrocken oder auch amüsiert angestarrt, als er nach Gammesfeld ging. Wo er doch so ziemlich überall in der Bankenwelt mehr verdienen könnte. Doch das interessiert Breiter im Moment nicht. Er hat Anzug und Krawatte gegen Jeans und Strickjacke eingetauscht und erzählt lieber, wie viel Spaß die Amtsübergabe mit Vogt mache: "Wir sind fast wie Vater und Sohn."
Trotzdem wird er nicht umhinkommen, das Erbe zu entrümpeln. Weil er sich nicht länger auf eine Buchungsmaschine verlassen kann, die niemand mehr reparieren könnte, wenn sie einmal zicken sollte. Stattdessen hat Breiter einen Laptop gekauft. Was nicht heißt, dass die Raiffeisenbank Gammesfeld damit zum Stand der Technik des Jahres 2008 aufschließt.
Breiter führt die Konten zwar künftig in einer Excel-Tabelle - doch er schickt Überweisungen weiterhin per Post an die Zentralbank in Stuttgart, kein Kabel führt zu einem der ungeliebten Zentralrechner. Gammesfeld behält die Bank im Dorf. "Ich mache mit dem Laptop dasselbe wie der Fritz mit seinem Karteikasten", sagt Breiter. Vogt findet das gut.
Weil es mit Laptop aber doch etwas schneller geht, hofft Breiter, die Produktpalette etwas erweitern zu können. Bisher gibt es nur Girokonten, Sparbücher und Kredite, für mehr hatte Vogt auch keine Zeit. Künftig will Breiter auch Versicherungen oder Riester-Renten in der Bank verkaufen. Das bringt ein bisschen Provisionen. Vogt nickt auch hier zustimmend. "Aber irgendwelche spekulativen Dinge, die nur die Reichen noch reicher machen sollen, das würde nicht zur Raiffeisen-Idee passen", sagt er. Und seine Augenbrauen ziehen sich eng zusammen, als würde er sich fest vornehmen, sich einst im Grabe umzudrehen, wenn sein Nachfolger auf eine solche Idee kommen sollte.
Peter Breiter könnte einen solchen entschlossenen Blick auch noch brauchen. Die Aufsicht könnte wieder anklopfen, die Nachbarbank auf eine Fusion drängen. Oder die Zentralbank die manuellen Buchungen ablehnen. "Beim Fritz hat sicher so mancher gedacht: Es geht nur um ein paar Jahre, lassen wir ihn wursteln", sagt Breiter. Das gilt nun nicht mehr. Die aufmüpfige Bank hat niemandem den Gefallen getan, sich selbst zu beerdigen. Ärger mit den Großen gehen sie in Gammesfeld nicht aus dem Weg.