Die Rentenreform von Bundesarbeitsminister Walter Riester genügt nicht, um die Altersvorsorge auf eine stabile Basis zu stellen
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Börsen-Zeitung, 16.2.2001
Die Alterung der Gesellschaft ist kein allein deutsches Phänomen, sondern betrifft viele Industrieländer. Nicht nur die Bundesrepublik muss sich deshalb Gedanken machen, wie sie ihr Rentensystem stabilisiert und ihre Gesellschaft auf diese Entwicklung vorbereitet, sondern auch Staaten wie Frankreich, Japan oder China.
Kofi Annan, der Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), bezeichnete die demografischen Veränderungen unlängst als "eine der größten Herausforderungen des neuen Jahrhunderts". Denn während heute nur eine von zehn Personen älter als 60 Jahre ist, wird sich dieses Verhältnis bis zum Jahr 2050 einschneidend verändern. Dann dürfte, so die Bevölkerungsschätzung der UN, einer von fünf Menschen älter als 60 Jahre sein - mit gravierenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft.
Großer Bevölkerungsschwund
Allein in den fünf Jahren zwischen 2045 und 2050 wird danach die Bevölkerung in China um knapp 18 Millionen Menschen zurückgehen. Deutschland folgt in der Rangliste des Bevölkerungsschwunds dabei - nach Russland, Japan und Italien - bereits auf Platz 5. Allein in dieser Zeitspanne dürfte sich die Einwohnerzahl der Bundesrepublik um 1,6 Millionen verringern. Nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes werden dann nur noch 70 Millionen Menschen auf dem Boden der Bundesrepublik leben, rund 10 Millionen weniger als heute.
Das hat schon jetzt spürbare Folgen für die gesetzliche Rentenversicherung. "Kinder kriegen die Leute immer", sagte einst der frühere Bundeskanzler Konrad Adenauer, und das blieb auch die stillschweigende Voraussetzung für den 1957 verabschiedeten "Generationenvertrag". Doch damals mussten 3,7 Arbeitnehmer einen Rentner nach dem Umlageverfahren "finanzieren", heute sind es 2,5 Arbeitnehmer, und im Jahr 2040 werden es nur noch 1,3 Arbeitnehmer sein. Um dieser Entwicklung zu begegnen, müsste das Durchschnittsrentenalter um etwa 9,5 Jahre auf 69 Jahre erhöht werden, hat der Mannheimer Ökonom Axel Börsch-Supan errechnet. Die geplante und heute vom Bundesrat debattierte Rentenreform ist zwar politisch gesehen ein erstes Eingeständnis an die Dramatik dieser Lage, aber bei weitem noch nicht genug, um das System grundlegend zu stabilisieren.
Das liegt zum einen daran, dass Bundesarbeitsminister Walter Riester mit geschönten Zahlen gerechnet hat. Die Entwicklung der Lebenserwartung werde unter- und die Entwicklung der Erwerbstätigkeit systematisch überschätzt, kritisiert der Mannheimer Rentenexperte. Durch rechnerische Tricks wird zudem suggeriert, dass das Rentenniveau nur auf 67 % fällt und die Rentenbeiträge bei 22 % zu halten sind. Doch zum einen hat sich bei der Berechnung die Basis verändert, so dass 67 % nach neuer Rechnung einem Niveau in alter Rechnung von deutlich unter 65 % entspricht, zum anderen werden die Aufwendungen der privaten Altersvorsorge, die immerhin mit 4 % des Bruttolohns veranschlagt werden, nicht mitgerechnet. Dann käme man auf einen Beitragssatz von 26 %. Und schließlich geht die Riestersche Rechnung vom so genannten Eckrentner aus, der 45 Versicherungsjahre auf dem Buckel hat und zeitlebens ohne Unterbrechungen arbeitet. Doch der Eckrentner ist längst ein Exot unter den Arbeitnehmern. Teilzeitarbeit, eine längere Ausbildung und Zeiten der Arbeitslosigkeit machen eine solche Rechnung obsolet.
Noch einschneidender als die Auswirkungen auf das Rentensystem ist die Alterung der Gesellschaft für die Wirtschaft insgesamt. Wenn die Zahl der Beschäftigten sinkt, vermindert sich auch das Wachstum und geht die wirtschaftliche Dynamik zurück. Die Folgen sind bereits jetzt zu spüren, wie der Rückgang der Arbeitslosigkeit im vergangenen Jahr gezeigt hat. Ein Teil davon ist dem schrumpfenden Erwerbspersonenpotenzial geschuldet. Berechnungen zufolge werden sich Arbeitsplatzsuchende und Arbeitsplätze schon im Jahr 2010 die Waage halten. Und in knapp 40 Jahren werden aus derzeit 37 Millionen Erwerbspersonen nur noch 24 Millionen. Einwanderung kann diesen Schrumpfungsprozess nicht aufhalten. Selbst Zuwanderungsüberschüsse von 300 000 Personen pro Jahr reichen dazu nicht aus, hat der Bamberger Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid errechnet.
Wenn das Erwerbspersonenpotenzial aber schrumpft, vermindert sich die Wirtschaftsleistung, wodurch es auch von dieser Seite immer schwieriger wird, eine immer größere Zahl an Rentnern zu finanzieren, ob dies nun über das Umlageprinzip erfolgt oder die Kapitaldeckung.
Weniger Rendite ab 2011
Denn auch die Kapitaldeckung ist kein Ausweg aus dem demografischen Dilemma. In einer Studie hat die Investmentbank Goldman Sachs (vgl. BZ vom 15. Februar) darauf hingewiesen, dass in wenigen Jahren die Zahl der Entsparer (Rentner) größer sein wird als die Zahl der Sparer (Erwerbstätige). Insofern dürfte die Rendite sinken und sich der Druck auf die Aktienkurse tendenziell erhöhen. Auf eine klare Prognose hat sich Goldman Sachs nicht festlegen wollen, spricht aber davon, dass die Entsparphase etwa mit dem Jahr 2011 beginnen wird, wenn die "Babyboomer" in Rente gehen.
Doch das heißt nicht, dass die Kapitaldeckung keine strukturellen Vorteile gegenüber dem bisherigen Umlageverfahren hat. Denn mit einer Hinwendung zur Kapitaldeckung wird das Wirtschaftswachstum langfristig gestärkt. Mit dem investierten Geld können die Unternehmen ihre Produktivität erhöhen und ermöglichen damit in der Folgezeit der Volkswirtschaft, mit weniger Beschäftigten unter Umständen eine gleich hohe oder gar eine höhere Wirtschaftsleistung zu vollbringen als bisher. Das stützt dann zum einen den Standort Deutschland, zieht auf diesem Wege weitere Investitionen nach sich und erlaubt den Rentnern damit ein auskömmliches Leben auch in Zeiten sinkender Renditen.
Das Problem ist, dass die private Altersvorsorge in Deutschland derzeit eine noch zu geringe Rolle spielt, um auf diese Weise zu wirken. Das liegt vor allem an dem suggerierten hohen Rentenniveau bei der gesetzlichen Altersvorsorge. Viele Versicherte halten den Rückgang von knapp 70 auf 67 % für marginal. Deshalb dürfte die staatliche Förderung lediglich Mitnahmeeffekte auslösen: Bisherige Sparanlagen werden einfach umgeschichtet, um fördertauglich zu werden. Ob tatsächlich mehr auf die hohe Kante für die Altersvorsorge gelegt wird als bisher, ist fraglich.
Hinzu kommt, dass die Politik die private Altersvorsorge regelrecht unattraktiv gemacht hat. Stets wird das hohe Kapitalmarktrisiko angeführt, wenn es darum geht, das Umlagesystem zu verteidigen. Entsprechend rigoros sind die (renditemindernden) Anlagevorschriften für die private Zusatzvorsorge. Dass es solcher Vorschriften gar nicht bedarf, hat unlängst der BVI in einer Vergleichsrechnung dargelegt: Während die gesetzliche Rentenversicherung für manche Personengruppe eine negative Rendite erwirtschaftet, lagen Aktienfonds mit 10-jähriger Laufzeit selbst unter unglücklichsten Umständen immer auf der positiven Seite.
Belgien, Italien, Luxemburg, Österreich, Spanien, die Schweiz und Großbritannien erlauben den Bürgern, beim Aufbau ihrer Altersvorsorge begrenzte Risiken einzugehen. Das ist dem deutschen Bürger verwehrt. Implizit wird ihm also unterstellt, dass er nicht in der Lage ist, mit Risiken umzugehen. Dabei geht er schon bisher ein viel größeres Risiko ein, nimmt er doch mit dem Umlageprinzip das Risiko der politischen Willkür und des Versagens in Kauf.
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Börsen-Zeitung, 16.2.2001
Die Alterung der Gesellschaft ist kein allein deutsches Phänomen, sondern betrifft viele Industrieländer. Nicht nur die Bundesrepublik muss sich deshalb Gedanken machen, wie sie ihr Rentensystem stabilisiert und ihre Gesellschaft auf diese Entwicklung vorbereitet, sondern auch Staaten wie Frankreich, Japan oder China.
Kofi Annan, der Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), bezeichnete die demografischen Veränderungen unlängst als "eine der größten Herausforderungen des neuen Jahrhunderts". Denn während heute nur eine von zehn Personen älter als 60 Jahre ist, wird sich dieses Verhältnis bis zum Jahr 2050 einschneidend verändern. Dann dürfte, so die Bevölkerungsschätzung der UN, einer von fünf Menschen älter als 60 Jahre sein - mit gravierenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft.
Großer Bevölkerungsschwund
Allein in den fünf Jahren zwischen 2045 und 2050 wird danach die Bevölkerung in China um knapp 18 Millionen Menschen zurückgehen. Deutschland folgt in der Rangliste des Bevölkerungsschwunds dabei - nach Russland, Japan und Italien - bereits auf Platz 5. Allein in dieser Zeitspanne dürfte sich die Einwohnerzahl der Bundesrepublik um 1,6 Millionen verringern. Nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes werden dann nur noch 70 Millionen Menschen auf dem Boden der Bundesrepublik leben, rund 10 Millionen weniger als heute.
Das hat schon jetzt spürbare Folgen für die gesetzliche Rentenversicherung. "Kinder kriegen die Leute immer", sagte einst der frühere Bundeskanzler Konrad Adenauer, und das blieb auch die stillschweigende Voraussetzung für den 1957 verabschiedeten "Generationenvertrag". Doch damals mussten 3,7 Arbeitnehmer einen Rentner nach dem Umlageverfahren "finanzieren", heute sind es 2,5 Arbeitnehmer, und im Jahr 2040 werden es nur noch 1,3 Arbeitnehmer sein. Um dieser Entwicklung zu begegnen, müsste das Durchschnittsrentenalter um etwa 9,5 Jahre auf 69 Jahre erhöht werden, hat der Mannheimer Ökonom Axel Börsch-Supan errechnet. Die geplante und heute vom Bundesrat debattierte Rentenreform ist zwar politisch gesehen ein erstes Eingeständnis an die Dramatik dieser Lage, aber bei weitem noch nicht genug, um das System grundlegend zu stabilisieren.
Das liegt zum einen daran, dass Bundesarbeitsminister Walter Riester mit geschönten Zahlen gerechnet hat. Die Entwicklung der Lebenserwartung werde unter- und die Entwicklung der Erwerbstätigkeit systematisch überschätzt, kritisiert der Mannheimer Rentenexperte. Durch rechnerische Tricks wird zudem suggeriert, dass das Rentenniveau nur auf 67 % fällt und die Rentenbeiträge bei 22 % zu halten sind. Doch zum einen hat sich bei der Berechnung die Basis verändert, so dass 67 % nach neuer Rechnung einem Niveau in alter Rechnung von deutlich unter 65 % entspricht, zum anderen werden die Aufwendungen der privaten Altersvorsorge, die immerhin mit 4 % des Bruttolohns veranschlagt werden, nicht mitgerechnet. Dann käme man auf einen Beitragssatz von 26 %. Und schließlich geht die Riestersche Rechnung vom so genannten Eckrentner aus, der 45 Versicherungsjahre auf dem Buckel hat und zeitlebens ohne Unterbrechungen arbeitet. Doch der Eckrentner ist längst ein Exot unter den Arbeitnehmern. Teilzeitarbeit, eine längere Ausbildung und Zeiten der Arbeitslosigkeit machen eine solche Rechnung obsolet.
Noch einschneidender als die Auswirkungen auf das Rentensystem ist die Alterung der Gesellschaft für die Wirtschaft insgesamt. Wenn die Zahl der Beschäftigten sinkt, vermindert sich auch das Wachstum und geht die wirtschaftliche Dynamik zurück. Die Folgen sind bereits jetzt zu spüren, wie der Rückgang der Arbeitslosigkeit im vergangenen Jahr gezeigt hat. Ein Teil davon ist dem schrumpfenden Erwerbspersonenpotenzial geschuldet. Berechnungen zufolge werden sich Arbeitsplatzsuchende und Arbeitsplätze schon im Jahr 2010 die Waage halten. Und in knapp 40 Jahren werden aus derzeit 37 Millionen Erwerbspersonen nur noch 24 Millionen. Einwanderung kann diesen Schrumpfungsprozess nicht aufhalten. Selbst Zuwanderungsüberschüsse von 300 000 Personen pro Jahr reichen dazu nicht aus, hat der Bamberger Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid errechnet.
Wenn das Erwerbspersonenpotenzial aber schrumpft, vermindert sich die Wirtschaftsleistung, wodurch es auch von dieser Seite immer schwieriger wird, eine immer größere Zahl an Rentnern zu finanzieren, ob dies nun über das Umlageprinzip erfolgt oder die Kapitaldeckung.
Weniger Rendite ab 2011
Denn auch die Kapitaldeckung ist kein Ausweg aus dem demografischen Dilemma. In einer Studie hat die Investmentbank Goldman Sachs (vgl. BZ vom 15. Februar) darauf hingewiesen, dass in wenigen Jahren die Zahl der Entsparer (Rentner) größer sein wird als die Zahl der Sparer (Erwerbstätige). Insofern dürfte die Rendite sinken und sich der Druck auf die Aktienkurse tendenziell erhöhen. Auf eine klare Prognose hat sich Goldman Sachs nicht festlegen wollen, spricht aber davon, dass die Entsparphase etwa mit dem Jahr 2011 beginnen wird, wenn die "Babyboomer" in Rente gehen.
Doch das heißt nicht, dass die Kapitaldeckung keine strukturellen Vorteile gegenüber dem bisherigen Umlageverfahren hat. Denn mit einer Hinwendung zur Kapitaldeckung wird das Wirtschaftswachstum langfristig gestärkt. Mit dem investierten Geld können die Unternehmen ihre Produktivität erhöhen und ermöglichen damit in der Folgezeit der Volkswirtschaft, mit weniger Beschäftigten unter Umständen eine gleich hohe oder gar eine höhere Wirtschaftsleistung zu vollbringen als bisher. Das stützt dann zum einen den Standort Deutschland, zieht auf diesem Wege weitere Investitionen nach sich und erlaubt den Rentnern damit ein auskömmliches Leben auch in Zeiten sinkender Renditen.
Das Problem ist, dass die private Altersvorsorge in Deutschland derzeit eine noch zu geringe Rolle spielt, um auf diese Weise zu wirken. Das liegt vor allem an dem suggerierten hohen Rentenniveau bei der gesetzlichen Altersvorsorge. Viele Versicherte halten den Rückgang von knapp 70 auf 67 % für marginal. Deshalb dürfte die staatliche Förderung lediglich Mitnahmeeffekte auslösen: Bisherige Sparanlagen werden einfach umgeschichtet, um fördertauglich zu werden. Ob tatsächlich mehr auf die hohe Kante für die Altersvorsorge gelegt wird als bisher, ist fraglich.
Hinzu kommt, dass die Politik die private Altersvorsorge regelrecht unattraktiv gemacht hat. Stets wird das hohe Kapitalmarktrisiko angeführt, wenn es darum geht, das Umlagesystem zu verteidigen. Entsprechend rigoros sind die (renditemindernden) Anlagevorschriften für die private Zusatzvorsorge. Dass es solcher Vorschriften gar nicht bedarf, hat unlängst der BVI in einer Vergleichsrechnung dargelegt: Während die gesetzliche Rentenversicherung für manche Personengruppe eine negative Rendite erwirtschaftet, lagen Aktienfonds mit 10-jähriger Laufzeit selbst unter unglücklichsten Umständen immer auf der positiven Seite.
Belgien, Italien, Luxemburg, Österreich, Spanien, die Schweiz und Großbritannien erlauben den Bürgern, beim Aufbau ihrer Altersvorsorge begrenzte Risiken einzugehen. Das ist dem deutschen Bürger verwehrt. Implizit wird ihm also unterstellt, dass er nicht in der Lage ist, mit Risiken umzugehen. Dabei geht er schon bisher ein viel größeres Risiko ein, nimmt er doch mit dem Umlageprinzip das Risiko der politischen Willkür und des Versagens in Kauf.