Deutsche Firmen auf der Flucht

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Nassie:

Deutsche Firmen auf der Flucht

 
01.05.03 13:12
Wie Infineon überlegen derzeit viele deutsche Unternehmen, ihre Zentrale in ein Nachbarland zu verlegen. Einige sind bereits vorgeprescht.



 
 




Qiagen ist ein niederländisches Unternehmen, offiziell. Dabei sitzen in der Zentrale in Venlo nur drei Menschen. Produziert wird in Deutschland und neun weiteren, über den Globus verteilten Ländern. Thiel Logistik ist ein Luxemburger Unternehmen, offiziell. In Grevenmacher sitzen immerhin 150 Mitarbeiter. In Deutschland arbeiten 6000 Menschen für Thiel, weltweit sind es mehr als 11.000.

Epcos ist ein deutsches Unternehmen. Noch. Der Hersteller von Elektronikbauteilen kann sich ebenfalls einen Umzug vorstellen. "Wer diese Option nicht prüft, kann schon morgen weg sein", sagte Epcos-Chef Gerhard Pegam kürzlich.


Auch Infineon ist ein deutsches Unternehmen auf dem Sprung. CEO Ulrich Schumacher hat am Dienstag gedroht, den Firmensitz des Halbleiterherstellers in die Schweiz zu verlegen. "Wenn wir wieder in die Gewinnzone kommen, bleibt uns nichts anderes übrig", sagte Schumacher auf der Halbjahreskonferenz. Er erinnerte an das Jahr 2000, als Infineon ähnlich viel Gewinn machte wie der Konkurrent STMicroelectronics. Der Unterschied: ST zahlte 400 Mio. Euro weniger Steuern - weil dessen Sitz in der Schweiz liegt.



Steuern und Personal sparen


Nicht nur Steuern könnte Schumacher durch einen Umzug sparen - auch Personal. Denn alle 300 Mitarbeiter der Münchner Zentrale werden kaum mitgehen in die Schweiz. Die Buchhaltung beispielsweise wird nach Portugal ausgelagert, die Geschäftsführung für die Sparte Automobil- und Industrie-Elektronik nach Österreich.


Damit liegt Infineon voll im Trend. Viele Konzerne ärgern sich über aufgeblähte Wasserköpfe in teuren Zentralen. Über die Hälfte der 50 Unternehmen, die die Unternehmensberatung Arthur D. Little (ADL) in einer Studie befragte, reduzierten in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Arbeitskräfte in den globalen Zentralen, delegierten Verantwortung an dezentralisierte Geschäftsbereiche und reduzierten Hierarchieebenen. Auf 1000 Mitarbeiter im gesamten Konzern gerechnet, arbeiten in einer schlanken globalen Zentrale heute nur noch drei Personen.


Deren Aufgaben haben sich gewandelt: Zunehmend agiere die globale Zentrale als Vermittler zwischen den dezentralisierten Geschäftsbereichen, sagt ADLs Deutschland-Chef Achim Riemann. Deshalb setzten die Unternehmen auf "shared services": Globale Zentralen sollen heute Dienste produzieren, die von den einzelnen Standorten genutzt werden können. Zum Beispiel in der Marktforschung, im Qualitätsmanagement und im Marketing.


Als Standort von Unternehmenszentralen ist die Schweiz erste Wahl. In mehr als der Hälfte aller untersuchten Fälle (55 Prozent) zog es die Unternehmen in die Schweiz. Mit deutlichem Abstand folgen nach ADL-Angaben mit jeweils 16 Prozent Großbritannien und Belgien.



Schweizer sind zu Firmen freundlich


Drei Kriterien geben für die Wahl den Ausschlag: die Lebensqualität, die Erfahrung nationaler Manager und vor allem - 88 Prozent - steuerliche Vorteile. So viel Freundlichkeit wie die Schweiz zeigt kein anderes europäisches Land gegenüber seinen Unternehmen. Der Steuersatz von rund acht Prozent auf das Nettoeinkommen einer Holding ist in den Kantonen Fribourg, Zug und Glaris äußerst niedrig. Und dann fallen auf Gewinne aus Aktienverkäufen auch keine Kapitalertragssteuern an.


Es sind aber nicht nur die Steuern, die die Schweiz so attraktiv machen, sondern auch die Lebensqualität. Als ansprechendste Stadt gilt laut "Worldwide Quality of Life Survey" Zürich, Genf liegt auf dem vierten Platz. Auch in der Managererfahrung haben die Schweizer die Nase vorn, vor den Niederländern und Belgiern, steht im "World Competetive Yearbook".


Die Schweiz ist Europas Holding-Standort Nummer eins, aber für deutsche Unternehmen sind auch die Niederlande interessant. Dort verhandelt jedes Unternehmen individuell mit der Finanzbehörde über die Besteuerungsgrundlage. Hat man sich geeinigt, wird diese Grundlage auf zunächst vier Jahre vertraglich festgeschrieben. Weil die Bemessungsgrundlage zumeist gering ausfällt, lässt sich auch der darauf zu entrichtende nominale Körperschaftssteuersatz von 34,5 Prozent verschmerzen.



Keine Gewerbesteuer in Holland


Vom internationalen Schachtelprivileg profitieren Muttergesellschaften in Ländern, mit denen ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen wurde: Sie zahlen keine Steuern auf Gewinne, die über die niederländischen Töchter erwirtschaftet und ausgeschüttet wurden. Beteiligungsgesellschaften haben außerdem den Vorteil, dass Veräußerungsgewinne steuerfrei sind. Gleiches gilt, wenn ausländische Beteiligungsgesellschaften Gewinne an die Holding überweisen. Weiterer Vorteil: Die Niederländer erheben keine Gewerbesteuer.


Damit ausländische Unternehmen nicht abgeschreckt werden, ist Entbürokratisierung ein Top-Thema in den Niederlanden. In einigen größeren Städten gibt es so genannte One Stop Shops: Unternehmen finden unter einem Dach die wichtigsten Ansprechpartner vom Finanzamt bis zur Wirtschaftsförderung. Das spart Wege und Zeit.


Mit wenig Bürokratie locken auch die skandinavischen Länder. Immer mehr Unternehmen konzentrieren ihre Verwaltung und ihre Logistik für ganz Skandinavien plus die gesamte baltische Region in Schweden. "Aus einzelnen Impulsen ist ein Trend geworden", sagt Ninni Abraham von der Handelskammer in Stockholm.


Kapitalgesellschaften zahlen in Skandinavien Sätze zwischen 25 und 30 Prozent, in Schweden wird noch nicht einmal eine Gewerbesteuer fällig. Die Einkommensteuer hingegen liegt meist über dem deutschen Spitzensatz, wenn auch nicht mehr so exorbitant hoch wie noch vor einigen Jahren. Kein Märchen ist das Gerücht von den aufgeschlossenen staatlichen Institutionen: Oliver Baake von der Handelskammer in Kopenhagen registriert in den Behörden ein "ausgeprägtes Servicedenken". Jörn Gallwitz, Geschäftsführer der deutsch-schwedischen Handelskammer in Stockholm, preist die Vorliebe für kurze Prozesse: "Eine AG, in Schweden die typische Unternehmensform, können sie binnen zehn Minuten gründen."



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Fluchtpunkt Schweiz

Steuern Auf Gewinne müssen Unternehmen in der Schweiz acht bis zehn Prozent Steuern zahlen. In Großbritannien sind es rund 30 Prozent, in den Niederlanden 35 Prozent und in Deutschland 40 Prozent.

Umzug Infineon ist nicht das erste deutsche Unternehmen, das mit der Schweiz liebäugelt. Umgezogen sind bereits Procter & Gamble (von Frankfurt nach Genf) sowie Compaq und Siemens Building Technologies von München nach Zürich. Ein Umzug ist in rund acht Monaten bewerkstelligt.



© 2003 Financial Times Deutschland
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