VW-Chef Bernd Pischetsrieder zieht am Freitag Halbjahresbilanz: Die Zahlen liegen unter Plan - aber der Turn-around ist eingeleitet
von Sonja Banze und Ulrich Reitz
Zu jeder Bilanz gehört auch eine Botschaft. Wenn VW-Chef Bernd Pischetsrieder am Freitag bei Vorlage der Halbjahreszahlen das Wort ergreift, dürfte das in etwa so klingen: "Die Zahlen für die abgelaufenen sechs Monate sind mies. Aber die Zukunft verspricht Besseres."
Gute Zahlen vielleicht sogar. Ein lange angekündigter Schreck also. Denn dass den Wolfsburgern die maue Konjunktur und die Debatten um Dienstwagensteuer und Entfernungspauschale zugesetzt haben, daraus hat Pischetsrieder nie einen Hehl gemacht. War bereits im ersten Quartal 2003 der Gewinn im Vergleich zum Vorjahresquartal um 202 Millionen Euro, sprich 68 Prozent, eingebrochen, liegt auch das zweite Quartal nach Informationen von WELT am SONNTAG weit unter Plan. Einziger Lichtblick in der alles andere als positiven Halbjahresbilanz ist das China-Geschäft.
Das Ist ist schlimm. Nach neuesten Analysen des Branchendienstes AID rutschte VW in den vergangenen sechs Monaten erstmals unter die Schallmauer von zehn Prozent beim Marktanteil. Eine Ohrfeige für den einst größten Autobauer Europas. Mit nur noch 9,7 Prozent zuckelt die Pischetsrieder-Truppe mittlerweile einen satten Prozentpunkt hinter Europas Marktführer Renault her. Und dass angesichts der ernsten Lage jetzt auch noch die Ratingagentur Standard & Poor's, die den niedersächsischen Autobauer gerade von "A+" auf "A" herunterstufte?
Pischetsrieder wird auf das Werden setzen. VW sei auf gutem Weg, wird er sagen. Die Krise verlaufe kalkuliert, sie treffe VW nicht sehr viel härter als andere Autokonzerne auch. Und: Ab Herbst werde es wieder steil nach oben gehen.
Die Wende zum Guten erwartet Volkswagen ausgerechnet für den 11. September. Dann eröffnet in Frankfurt die Internationale Autoausstellung IAA. Auf einem der Podeste: der neue Golf. Wenige Tage später dürfte der Golf V dann auch beim Händler stehen. D-Day für die riesige Fan-Gemeinde.
Lange, viele sagen viel zu lange, mussten die treuen Anhänger des Bestsellers auf Ersatz für den völlig veralteten Golf IV warten. Die Hoffnung in Wolfsburg: Das Kauf-Fieber der Enthusiasten könnte vielleicht sogar noch das Ergebnis des letzten Quartals 2003 retten.
Und 2004 kommt der große Schub. Der Golf für die einen, der neue Touran für die anderen. Die überarbeitete Familienkutsche, diesmal ein Fünf- statt Sieben-Sitzer, der damit kleiner und vor allem billiger ist, wird die Bilanz schon polieren. Die Neuauflage des VW-Zugpferds Nummer zwei, des Passat, ebenfalls ein längst fälliges Modell, wird dann 2005 kommen. Wieder viel zu spät, aber diesmal mit guter Ausrede: Der neue Passat wird nicht mehr auf der Basis des Audi A4 gebaut, sondern in die Golf-Familie aufgenommen. Das heißt: viele Gleichteile. Und das heißt: viel niedrigere Produktionskosten.
Golf, Touran, Passat - Pischetsrieder geht auf Nummer sicher und rückt die Fehler seines Vorgängers Ferdinand Piëch wieder gerade, einen nach dem anderen. Luxusstrategie, Modellpolitik und Autodesign, Produktionsprozesse und Organisation - alles wird anders.
Statt wie Piëch auf den Autoshows rund um die Welt mit immer neuen Luxuskarossen wie Phaeton, Touareg, Bentley & Co. für Furore zu sorgen, setzt Bayer Pischetsrieder auf das Solide. Die Edel-Autos bringen kein Geld, bestenfalls Image, nahmen aber preiswerten Nischenmodellen den Platz. Jetzt läuft alle drei Wochen irgendwo auf der Welt ein neues Auto des Wolfsburger Konzerns vom Band; eine Modelloffensive, wie es sie noch nie gab bei VW. "Das System wird bis zum Anschlag belastet", sagt ein hochrangiger Manager. "Die Seile sind bis zum Gehtnichtmehr gespannt."
Der VW-Boss spart zwar weiter, im laufenden Jahr eine Milliarde Euro wie schon 2002, aber nicht bei den Autos, sondern nur bei Logistik und Groß-Investitionen. So werden mit Ausnahme zweier Fabriken im Mega-Markt China keine neuen Werke gebaut.
Optimiert wird auch das Aussehen. Die Volkswagen, bisher im Design eher bieder bis stinklangweilig, bekommen ein neues Gesicht und auch das wird sich auf der IAA im September erstmals zeigen. Auf dem Podest neben dem neuen Golf wird dann ein Roadster stehen. Der wird zwar nicht so schnell sein wie ein Porsche Boxster, soll dafür aber auch nur halb so viel verbrauchen und kosten. Viel Chrom, ein kleineres VW-Emblem und Scheinwerfer anderer Art - ein Design, das sich künftig durch alle VW-Modelle ziehen und die Marke schicker machen soll.
Das Gesicht hinter VWs neuem Gesicht: Ex-Mercedes-Designchef Murat Günak, seit kurzem in Wolfsburg unter Vertrag. Auf Günaks Konto gehen Mercedes SLK, S-Klasse, Verkaufsschlager E-Klasse und Nobel-Limousine Maybach.
Nicht nur außen, auch innen bleibt im Konzern kein Stein auf dem anderen. Pischetsrieders Vorbild: sein früherer Konzern BMW. Während in Wolfsburg immer noch Ellenbogenmentalität und egoistisches Denken herrschen, herrührend aus der Zeit, als Piëch die unterschiedlichen Konzernmarken VW, Seat, Skoda und Audi immer wieder gegeneinander aufhetzte, eine selbst gemachte Konkurrenz, die Milliarden kostete, arbeitet man bei den Bayern seit jeher teamorientiert - und erfolgreich.
Von BMW lernen heißt siegen lernen, dachte sich Pischetsrieder und baute um. Bei der Plattformstrategie seines Vorgängers Ferdinand Piëch drückt Pischetsrieder aufs Bremspedal, um an anderer Stelle Gas geben zu können. "Wir entwickeln das weiter", heißt es noch diplomatisch bei VW. Die Wahrheit: Pischetsrieder verfolgt eine komplett andere Strategie. Er wechselt derzeit von der Plattform- zur Modulstrategie: Im Konzern wird ein riesiger Zubehörbaukasten eingerichtet. Ausstattungsdetails wie Klimaanlagen und Bordcomputer werden nur noch einmal für alle entwickelt und nur noch mit unterschiedlichem Design versehen.
Wenn eine Konzerntochter ein neues Feature entwickeln will, prüfen künftig Vorstandsausschüsse, ob es so etwas im Konzern bereits gibt. Doppel-Entwicklungen waren gestern.
Zudem soll künftig jede Marke für ihr weltweites Geschäft verantwortlich sein. Der Konzernvertrieb in Wolfsburg wurde abgeschafft, die Marken dadurch gestärkt. "Konzern geht vor Marke", nennt Pischetsrieder das kurz.
Auch die Produktionsabläufe baut der VW-Chef um und fängt damit beim neuen Golf an. Zum ersten Mal in der VW-Geschichte wurde mit dem Wolfsburger Werksleiter Werner Neubauer ein "Mister Golf" installiert. Er steuert den gesamten Prozess - von der Entwicklung bis zur Markteinführung. Der Vorteil: Der Modell-Beauftragte ist dafür verantwortlich, dass alles im Plan liegt. "Es wird künftig nicht mehr passieren", sagt ein Insider, "dass das Auto in der Produktion doppelt so teuer kommt und sich deshalb nicht mehr verkaufen lässt."
Pischetsrieder spart, Pischetsrieder steuert um, Pischetsrieder strukturiert neu, Pischetsrieder tut, was er kann. Aber wenn Pischetsrieder Pech hat, dann spielen zwei nicht mit: Konjunktur und Käufer. Dann wird er nicht zum letzten Mal schlechte Zahlen verkünden müssen wie kommenden Freitag.
Welt am Sonntag