Herzen mit Schmerzen
Alte Mythen und neue Erkenntnisse über den Infarkt
Herzinfarkte treten häufiger zum Wochenanfang auf - nach Meinung von Experten wohl wegen der besonders hohen Fettzufuhr an den freien Tagen. Hierzulande tötet der Herzinfarkt rund 100 000 Menschen pro Jahr und liegt damit als Todesursache noch vor den Krebserkrankungen.
Arbeiter sterben früher
Der klassische Infarktpatient ist männlich, über 40 Jahre alt, dick, Raucher, gestresst und obendrein ein Sportmuffel. Mancher Manager passt perfekt zu dieser Beschreibung - trotzdem ist der Begriff Managerkrankheit falsch, weil es sich viel eher um eine Arbeiterkrankheit handelt. "Die Gesundheitsstatistiken lassen keine Zweifel, dass sozial benachteiligte Menschen wesentlich höhere Risiken haben, Herzprobleme zu bekommen", sagt der Epidemiologe Matthias Bopp vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich. Personen mit niedriger Schulbildung seien seltener ernährungsbewusst, häufiger übergewichtig, weniger sportlich und öfter Raucher. So hat der Arbeiter am Fließband ein dreimal höheres Risiko, am Infarkt zu sterben, als der gleichaltrige Fabrikdirektor.
Impfung gegen den Herztod
Derzeit streiten sich die Experten, ob die Chlamydien oder Helicobacter-Bakterien bei der Entstehung der Fettablagerungen eine Rolle spielen. Diese Keime kannten die Ärzte zuvor hauptsächlich als Verursacher von Lungenentzündungen oder Magengeschwüren. Mittlerweile glauben nur noch wenige an den ursächlichen Zusammenhang mit Herzkrankheiten. Doch eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigte, dass mit Antibiotika behandelte Patienten ihr Risiko für weitere Herzattacken um 40 Prozent im Vergleich zur Plazebokontrollgruppe senken konnten. Erstaunlicherweise halfen die Antibiotika auch den Patienten, bei denen gar keine Bakterien nachgewiesen worden waren.
Argentinische Wissenschaftler fanden jetzt heraus, dass auch Grippeviren dem Herzen gefährlich werden können. Eine Grippeimpfung konnte die Herzinfarktrate sogar deutlicher senken als die Aufweitung der Herzkranzgefäße mit einem Katheter. Die Forscher vermuten, dass die unspezifische Anregung weißer Blutkörperchen Entzündungen in den Gefäßen unterdrücken.
Falsche Alarmsignale
Zwei Mechanismen verursachen den Herzinfarkt: Die Innenbeschichtung der Gefäße löst sich ab, und an der rauen Oberfläche bilden sich Gerinnsel. Oder die Cholesterin-Plaque reißt auf und verstopft so die Zufuhr von frischem Blut für den Herzmuskel. Der Laie erwartet vielleicht einen stechenden Schmerz in der Herzgegend. Das Gehirn kann jedoch Alarmsignale aus dem Herzen nicht interpretieren, weil von dort sonst nie Schmerzmeldungen eintreffen. Das Denkorgan lokalisiert den Sauerstoffmangel fehlerhaft: Anstelle des Herzens tut der Arm weh, der Rücken oder der Bauch. Ein Drittel aller Infarkte verläuft atypisch. Deshalb verkennen auch viele den Ernst ihrer Symptome - sie suchen medizinische Hilfe erst, wenn es vielleicht zu spät ist. Leider irren sich selbst Ärzte und behandeln dann wegen Sodbrennen. "Nach wie vor stirbt fast die Hälfte aller Infarktpatienten, bevor sie im Krankenhaus ankommen", sagt Martin Gottwik von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Und je früher die Patienten kommen, desto besser die Prognose. "Jedes Gramm Herzmuskel, das wir retten können, bedeutet eine höhere Lebensqualität", sagt Gottwik.
Humor als Schutzfakto
Wer im Job Gestaltungsfreiraum hat, wird durch den Stress eher beflügelt. Ganz anders wirkt sich der Druck eines cholerischen Chefs auf seine Untergebenen aus: Stresshormone peinigen ständig ihre Gefäße - bis sie schließlich mit Verschluss reagieren. "Wenn ein Arbeitnehmer ständig glaubt, er gebe mehr von sich, als er zurückbekommt, entsteht eine so genannte Belohnungskrise", sagt Olaf von dem Knesebeck vom Institut für medizinische Soziologie der Universität Düsseldorf. Befristete Zeitverträge, schlechter Verdienst oder Mobbing spielten dabei eine wichtige Rolle. Die dadurch entstehende chronische Unzufriedenheit verdoppele das Herzinfarktrisiko.
Umgekehrt kann die Fähigkeit zum Lachen auch schützen. Kardiologe Michael Miller von der University of Maryland entdeckte, dass Spaßvögel nur halb so oft unter beschädigten Herzgefäßen leiden wie Griesgrame.
Kein Schutz durch Östrogen
Bei Frauen werden Brustschmerzen oft falsch interpretiert. Der Arzt schickt sie zum Gynäkologen. Dabei sind Herzprobleme auch bei Seniorinnen die häufigste Todesursache. Vor der Menopause schützen die weiblichen Sexualhormone die Gefäße vor der Arteriosklerose. Deshalb war der Versuch naheliegend, die Natur durch Östrogene in Pillenform zu überlisten. Doch das funktioniert offensichtlich nicht. Eine amerikanische Studie mit über 2700 Frauen im Klimakterium, die an einer koronaren Herzkrankheit litten, konnte in einem Zeitraum von vier Jahren keinen Vorteil einer Hormon- gegenüber einer Plazebobehandlung finden. Im Gegenteil: Innerhalb des ersten Behandlungsjahres nahmen die Infarktraten deutlich zu.
Sport hält frisch
Eine unbequeme Erkenntnis hält sich wacker. Kürzlich belegte eine Untersuchung der kalifornischen Stanford University erneut: Je körperlich fitter sowohl gesunde Probanden wie auch Herzkranke waren, desto länger lebten sie. Eine Erhebung des Robert-Koch-Institutes im Jahr 1998 aber brachte die deutsche Bequemlichkeit an den Tag: Nur 13 Prozent der Deutschen erfüllten das für Erwachsene geltende Maß an körperlicher Aktivität. Der Weltgesundheitstag am 7. April hatte in diesem Jahr das Motto move for health. Die Empfehlung lautet: Jeder sollte täglich mindestens eine halbe Stunde lang spazieren gehen.
Quelle:Die Zeit