WDH/vwd Extra/Der Neue Markt hat 2002 eine echte Chance auf Erholung
- von vwd Korrespondent Manuel Priego Thimmel -
Frankfurt (vwd) - Der Neue Markt hat 2001 seine Talfahrt fortgesetzt.
Enttäuschende Unternehmensergebnisse, teilweise unrichtige Ad hocs und
weitere Insolvenzen prägten das Bild des deutschen Wachstumssegments. Von
seinem Hoch im Januar bei etwa 3.000 Punkten ging es bis auf ein Allzeittief
von 645 Zählern im September herunter. Seitdem befindet sich das
Wachstumssegment in einer Erholungsphase und hat sich in etwa verdoppelt.
Nach dem Vertrauensverlust durch Missmanagement und Pleiten hätten sich
2001 praktisch alle Anleger vom Neuen Markt zurückgezogen, sagte Stefan
Buchholz, im Sales-Bereich der DZ Bank tätig. Die Folge sei ein akuter
Liquiditätsmangel gewesen. Am Tiefpunkt angelangt, habe es 2001 dennoch
bereits Anzeichen für eine Besserung gegeben. Die Einführung der neuen
Ausschluss-Regularien durch die Deutsche Börse etwa sei als erster Schritt
in die richtige Richtung zu sehen, wenn er auch noch nicht ausreichend sei.
Dieter Schwarz, Aktienstratege bei Consors Capital, wünscht sich vor
allem eine stärkere Börsenaufsicht nach dem Vorbild der SEC, die mit
wesentlich größeren Kompetenzen ausgestattet ist, um etwa unrichtigen
Unternehmens-Mitteilungen besser entgegen wirken zu können. Schwarz betont
allerdings, dass der Markt selbst das beste regulative Element darstelle.
Auch die Unternehmen hätten aus der Vergangenheit gelernt. "Die nehmen den
Mund bei ihren Prognosen nicht mehr so voll." Bis zur Wiederherstellung des
verlorenen Vertrauens sei es aber noch ein langer Weg. Die jüngste
Kurserholung am Neuen Markt sei daher nicht überzubewerten. Nach
Einschätzung von Schwarz ist sie größtenteils auf Short-Eindeckungen nach
dem dramatischen Kursverfall zurückzuführen.
Dennoch sind beide Marktexperten optimistisch für das kommende Börsenjahr
gestimmt. Schwarz sieht den NEMAX-50 Mitte 2002 bei 1.900 Zählern, Buchholz
hält gar 2.000 bis 2.200 Stellen für möglich. Einer der Gründe hierfür ist
laut Schwarz die sich verbessernde Liquiditätssituation am Markt. Während
Fonds im September noch den stärksten Mittelabfluss überhaupt ausgemacht
hätten, seien nach einer Verbesserung im Oktober im November deutlich höhere
Zuflüsse auszumachen gewesen. Darüber hinaus erwartet der Aktienstratege
Umschichtungen aus Geldmarkt-Assets sowie aus dem Rentenmarkt. Nach den
zahlreichen Zinssenkungen dürfte die beste Zeit am Rentenmarkt schon wieder
vorbei sein. 2002 sei eher mit Zinserhöhungen seitens der Notenbanken
rechnen.
Auch das makroökonomische Umfeld mache eine Erholung wahrscheinlich. Der
sinkende Ölpreis, die zahlreichen Zinssenkungen durch die Federal Reserve
sowie die fiskalpolitischen Maßnahmen sollten Früchte tragen. Positiv sei
zudem anzumerken, dass das Kaufverhalten der Konsumenten bislang nicht
eingebrochen sei. Diese würden 2002 außerdem durch fallende Energiepreise
entlastet. Schwarz hält es daher für durchaus möglich, dass die
konservativen Schätzungen für das gesamtwirtschaftliche Wachstum sowohl in
den USA als auch in Europa übertroffen werden, was sich letztlich auch in
den Unternehmensbilanzen spiegeln würde.
Hierbei dürften sich nach Einschätzung von Buchholz zudem die reduzierten
Unternehmensziele günstig auswirken, die leichter zu übertreffen seien.
Insgesamt seien die durchschnittlichen KGV zwischen zehn und 25 durchaus
wieder attraktiv. Allerdings würden sich wohl nicht alle Titel in gleichem
Maße erholen. Das meiste Geld werde in Standardtitel und die zehn bis 20
liquidesten Titel am Neuen Markt fließen, so Buchholz. Zu nennen seien in
diesem Zusammenhang Werte wie Aixtron, Qiagen, T-Online, ce consumer oder
Singulus. Im NEMAX-ALL-SHARE hingegen gibt es laut Schwarz noch immer eine
Reihe von Gesellschaften, deren Geschäftsmodelle nicht überzeugen - weitere
Pleiten seien zu erwarten.
Chancen sieht Schwarz im kommenden Jahr in den Branchen Logistik (Thiel)
und Technologie (kontron embedded, Süss Microtec, Teleplan). Aussichtsreich
sei zudem trotz der hohen Bewertung der Bereich Biotechnologie. Langfristig
gebe es keine Branche, bei der die Fantasie so groß sei. Zu den Favoriten
von Stefan Buchholz gehören IT-Dienstleister wie IDS Scheer, SAP Systems
oder Syskoplan. Überraschungspotenzial biete die gebeutelte Medienbranche.
Viele Unternehmen würden sicherlich zerschlagen, nach der Marktbereinigung
könnte es für die verbliebenen Player aber wieder kräftig nach oben gehen.
Sollte das oben beschriebene günstige Marktszenario tatsächlich
eintreten, sieht Buchholz die Chance, dass sich ein positives
Aufwärtsmomentum am Neuen Markt bildet. Bei einer überzeugenden Performace
des deutschen Wachstumssegments dürfte der Druck auf die institutionellen
Investoren - allen voran Fondsmanager - schnell zunehmen. Dann würden wohl
verstärkt auch wieder ausländische Anleger investieren, denn in letzter
Instanz gehe es ums Geld verdienen. +++ Manuel Priego Thimmel
vwd/17.12.2001/mpt/zwi