Der makabre Schwindel mit den Phantomopfern

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Der makabre Schwindel mit den Phantomopfern

 
20.03.02 16:26
URL: www.spiegel.de/panorama/0,1518,188143,00.html
WTC-Entschädigungsfonds

Sie erfanden Schwestern, die es gar nicht gibt. Sie erklärten Brüder für tot, die noch leben. Über hundert Amerikaner haben so die Entschädigungsfonds für die Opfer des Anschlags auf das World Trade Center betrogen. Jetzt sollen die Schwindler bestraft werden.
 
Washington/New York - Um mehr als eine Million Dollar seien die Entschädigungsfonds auf diese Weise betrogen worden, berichtete die "Washington Post" am Mittwoch. "Viele von den Betrügern gaben fälschlicherweise an, dass eine geliebte Person in den Twin Towers gestorben ist", sagte der New Yorker Polizeisprecher Joe Cavitolo dem Blatt.

Die Betrugssumme mag im Vergleich zur insgesamt ausgezahlten Hilfe von über einer Milliarde Dollar vielleicht gering erscheinen. Doch die amerikanischen Behörden wollen mit aller Härte gegen die Betrüger vorgehen.

Mark Christopher aus Sicklerville in New Jersey haben die Ermittler schon erwischt. Er legte sich eine neue Identität zu und nannte sich Mark Palmerri. Seine Frau sei im World Trade Center gestorben, erzählte der falsche Mark Palmerri - und erschlich sich so mehr als 63.000 Dollar an Entschädigungszahlungen, so der Vorwurf der Ermittler.

Für diesen Schwindel steht er jetzt vor Gericht. Das moralische Urteil sprach Peter Harvey, Direktor der Kriminaljustizbehörde des Staates New Jersey: "Dieser Fall repräsentiert einen widerlichen Betrug, begangen von einem Einzelnen, der an der Tragödie anderer verdienen wollte."

Besonders dreist versuchte Roxanna Freeman-Anderson aus der kleinen Stadt Mamaroneck im Bundesstaat New York, an Gelder aus den Fonds zu kommen. Ihre beiden Schwestern und ihr Bruder seien im World Trade Center umgekommen, log sie.

Die Betrügerin sponn ihre Lügengeschichte sogar noch weiter: Als die Hilfsorganisation ihr den Scheck über 2000 Dollar nach Hause brachte, schob sie vier Kinder aus der Nachbarschaft im Kinderwagen durch die Gegend. Das seien ihre Nichten und Neffen, meinte Freeman-Anderson. Die Lüge flog auf, die Amerikanerin sitzt jetzt im Gefängnis.

Für Aufsehen sorgte auch der Fall Patrick Henn. Der Mann aus Miami erschwindelte sich offenbar mehrere tausend Dollar von verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen. Henn erzählte, sein Lebenspartner sei am 11. September im World Trade Center gestorben. Eine New Yorker Gruppe, die sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzt, unterstützte Henn. Jetzt scheint es so, als habe Henn das Anliegen der Organisationen, homosexuelle Partnerschaften bei Entschädigungszahlungen gleichberechtigt zu behandeln, eiskalt ausgenutzt. Die Familie des angeblichen verstorbenen Lebenspartners sagte, der Mann sei wohlauf.

Die Hilfsfonds waren für Betrügerein wohl auch deshalb so anfällig, weil sie nach dem 11. September von einer Spendenflut überschwemmt wurden. Die Organisationen kamen in organisatorische Schwierigkeiten. Manche Familien setzten die Fonds unter Druck. Das Geld käme zu langsam, lautete der Vorwurf der Betroffenen.

Doch die bekannt gewordenen Betrugsfälle zeigen: Genau das Gegenteil war der Fall. Das Geld kam in vielen Fällen zu schnell - nämlich ohne eine Überprüfung, ob es die Opfer auch wirklich gibt, für die Entschädigungen gezahlt werden sollten. "Wir haben uns darauf konzentriert, die Hilfe so schnell wie möglich zu den Menschen kommen zu lassen", gesteht Jeanine Moss, Sprecher des United Way of New City, welcher den 11.-September-Fond verwaltet. Moss und ihre Mitarbeiter erhielten 456 Millionen Dollar Spenden und zahlten bis jetzt 205 Millionen Dollar an Organisationen aus, die das Geld weitergeben sollen.

Um noch höhere Summen geht es beim amerikanischen Roten Kreuz: 947 Millionen Dollar Spenden gingen dort ein, 561 Millionen Dollar wurden davon bisher ausgezahlt. Nach Angaben des Roten Kreuzes untersucht eine interne Kommission zwischen 30 und 50 Verdachtsfälle, in denen Spendengelder erschwindelt wurden. "So ein Desaster, meinte der Sprecher des Roten Kreuzes, Darren Irby, "haben wir noch nie erlebt."


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