In die Rezession gebombt?
Von Dieter Kuckelkorn
Nach den Terroranschlägen vom Dienstag befinden sich die Vereinigten Staaten nach wie vor in einem Schockzustand. Ganz Süd-Manhattan ist ein Ort der Verwüstung, das bedeutendste Finanzzentrum der Welt ist komplett lahmgelegt. Noch immer ist es völlig unklar, wie viele Menschenleben der Terroranschlag, der mit unmenschlicher Präzision ausgeführt worden ist, gefordert hat.
Auch wenn die humanitären Konsequenzen des Anschlags derzeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, so ist es gleichwohl notwendig, sich um die ökonomischen Auswirkungen der Tragödie Gedanken zu machen. In einer konzertierten Aktion müssen die nationalen Notenbanken, Wertpapieraufsichtsbehörden und Börsen verhindern, dass die Terroristen neben dem World Trade Center auch die Weltwirtschaft beschädigen.
Den ersten Schock hat das internationale Finanzsystem gut überstanden. Es ist weder am Dienstag noch gestern zu einem Kursturz der Weltbörsen ins Bodenlose gekommen. Der Dollar hat sich gehalten, er ist nicht einmal auf eine Parität zum Euro gefallen. Der Goldpreis, ein zentrales Krisenbarometer, ist wieder gefallen.
Nun geht es vor allem um die US-Finanzmärkte, die erstmals seit dem ersten Weltkrieg außerplanmäßig geschlossen sind. Harvey Pitt, Chairman der US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission, steht jetzt vor der schwierigen Frage, ob die US-Börsen bereits heute wiedereröffnet werden sollen. Niemand weiß derzeit, wie die amerikanischen Finanzmärkte unmittelbar nach ihrer Wiedereröffnung reagieren werden. Die Frage, wo ein angemessenes Kursniveau liegt, kann derzeit kein Marktteilnehmer beantworten. Insofern ist die Gefahr einer Krise nicht völlig gebannt. Aus demselben Grund hatte sich Fed-Chairman Alan Greenspan während der Börsenturbulenzen 1987 den Forderungen aus Washington, den Aktienhandel auszusetzen und die New York Stock Exchange vorübergehend zu schließen, vehement entgegengestellt. Greenspans Argument war es gewesen, dass niemand weiß, wie man im heutigen Umfeld einen Aktienmarkt erfolgreich wiedereröffnet. Mit übereiltem Aktionismus würde Pitt somit ein unkalkulierbares Risiko eingehen.
Selbst wenn die Aufnahme des Handels einigermaßen diszipliniert abläuft, so ist der Markt in den ersten Tagen gegenüber schlechten Nachrichten äußerst anfällig. Die psychologischen Konsequenzen auf die Börsenhändler und Marktteilnehmer sind nicht zu unterschätzen. Die Straßen rund um die New York Stock Exchange sehen nach wie vor so aus, als habe ein Krieg stattgefunden. Ferner ist es eine enorme mentale Belastung, in unmittelbarer Nähe von mehreren Tausend Todesopfern Börsengeschäfte abwickeln zu müssen. Zudem sind die Hauptquartiere zahlreicher Investmentbanken und Broker verwaist, und ist ein größerer Teil der Infrastruktur in Süd-Manhattan zerstört. Auch wenn die Unternehmen betonen, dass sie weiterhinn in der Lage sind, ihre Geschäfte abzuwickeln, so sind sie keineswegs wieder voll einsatzfähig. Beispielsweise ist das gesamte üblicherweise aus Manhattan kommende Research, das entweder veröffentlicht wird oder innerhalb der Häuser verbreitet wird, komplett ausgefallen. Es gibt auch noch keine brauchbaren Schätzung über die finanzielle Schäden des Angriffs sowie über die Auswirkungen auf die gesamte US-Volkswirtschaft. Die amerikanischen Finanzmärkte würden sich also im Blindflug bewegen.
Hinzu kommen die politischen Risiken. Kriegerische Auseinandersetzung stellen stets eine Belastung für die Börse dar. Zwar ist klar, dass Washington reagieren wird. Wie umfangreich der Gegenschlag ausfallen wird, ist jedoch nur schwer abzuschätzen. Präsident Bush sprach zwar einerseits davon, dass es sich nicht nur um einen terroristischen, sondern auch um einen militärischen Angriff auf die USA handelt. Andererseits kündigte er auch an, besonnen und fokussiert vorgehen zu wollen. Damit gibt es aktuell keine Anzeichen auf einen unmittelbar bevorstehenden Kurswechsel der Bush-Administration, die diese schwere nationale Krise bislang gut gemeistert hat.
Völlig offen ist derzeit, wie die Verbraucher und die Unternehmen reagieren. Zahlreiche US-Ökonomen befürchten nun eine Rezession in den USA und in der Folge auch in anderen Industrieländern. Die US-Volkswirtschaft ist in einem Moment getroffen worden, in dem sie bereits auf Nullwachstum zurückgefallen ist. Für eine negative Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts im laufenden Quartal könnte bereits schon die gegenwärtige Paralysierung des gesamten Landes sorgen. Das Verbrauchervertrauen wird vermutlich noch stärker zurückgehen als beim Ausbruch des Golfkriegs, da diesmal Amerika selbst angegriffen worden ist. Anzunehmen ist daher, dass die privaten Haushalte ihre Ausgaben für mehrere Monate zurückfahren werden, wobei sich insbesondere Branchen wie Luftverkehr und Touristik auf harte Zeiten einstellen müssen. Eine weitere Beeinträchtigung der Konjunktur könnte durch steigende Energiepreise erfolgen und durch Investitionszurückhaltung der Unternehmen. Durch den Anschlag ist der Druck auf die Fed stärker geworden. Sie wird nun möglicherweise Anfang Oktober stärker an der Zinsschraube drehen, als sie es bisher beabsichtigt hatte. Ob dies angesichts der gegenwärtig nur schwachen Reaktionen auf die Zinssenkungen allerdings ausreicht, um eine Rezession zu verhindern, darf bezweifelt werden.
Börsen-Zeitung, 13.9.2001