Der Afghanistankrieg ist noch nicht vorbei

Beitrag: 1
Zugriffe: 193 / Heute: 1
vega2000:

Der Afghanistankrieg ist noch nicht vorbei

 
05.03.02 15:34

Afghanistan, dritter Akt


In Afghanistan hat jetzt die dritte Phase im Anti-Terror- Kampf begonnen: Nach Blitzkrieg und Vertreibung der Taliban (und damit auch der al-Qaida) von den Positionen der Macht hat das Land eine Interimsregierung erhalten. Nun aber sind nach wenigen Wochen erneut die Kräfte der Zersetzung am Werk. Die Interimsregierung – mehr von außen legitimiert als von innen akzeptiert – sieht sich herausgefordert von regionalen Provokateuren. Sie ist ihnen nicht gewachsen, weil Hamid Karsai weder über Geld noch über Streitkräfte verfügt, die seine Autorität festigen könnten. Mit guten Worten und runden Tischen ist da wenig zu helfen.

Die wohl gefährlichste Herausforderung ist nun durch die amerikanisch- alliierte Offensive im Osten des Landes sichtbar geworden. Die Bombenangriffe nahe der Stadt Gardes und der Abschuss eines amerikanischen Hubschraubers sind die sichtbaren Signale für den wachsenden Widerstand. Mehr noch: Sie sind Beleg dafür, dass Taliban und al-Qaida tatsächlich nicht über magische Fähigkeiten verfügen, sich also nicht in Luft auflösen können. Deshalb: Noch einmal Bühne frei für die Gotteskrieger, die sich – wie versprochen – zurückmelden als Guerilla-Kämpfer.

Die US-Regierung und vor allem die Öffentlichkeit in den USA haben sich wochenlang einem gefährlichen Trugschluss hingegeben, als sie die Überlegenheit von Mann, Maschine und politischem Konzept priesen. Tatsächlich war das Konzept – ein begrenzter Krieg mit Hilfe verbündeter, regionaler Truppen – in der ersten Phase aufgegangen. Die Nordallianz hatte mit Hilfe der militärisch überlegenen Technologie der USA einen unerwartet schnellen Erfolg errungen. Jetzt aber geht das Rezept nicht mehr auf, weil die Verteilungskämpfe der dritten Phase nicht mit Laserwaffen zu führen sind.

Zum einen erweist sich die Nordallianz als das, was sie in Wahrheit schon immer war – eine interessengeleitete Zusammenballung mehr oder weniger mächtiger Kriegsfürsten. Zum anderen zeugt die Zusammenrottung derart großer Gruppen von Taliban-Kämpfern in der Gardes-Region vom gewaltigen Machtvakuum in vielen Teilen Afghanistans. Beide Erkenntnisse miteinander verknüpft führen zu einem dritten Problem: Schon bei der Schlacht um Tora Bora haben die lokalen Hilfstruppen im Zweifel einen Al-Qaida-Mächtigen laufen lassen, wenn der nur ein paar hundert Dollar mehr zahlen konnte. Auf die Verbündeten von einst ist also kein Verlass mehr. Die Anarchie wächst.

Die Eskalation in dieser dritten Phase mit einer großen Zahl von alliierten Bodentruppen und damit auch Toten und Verletzten auf deren Seite zwingt zu einer neuen Ausrichtung in der US-Strategie. Die Regierung Bush war bisher davon ausgegangen, dass sie einer Verwicklung in einen hässlichen Guerilla-Krieg entgehen könnte, wenn sie nur schnell genug ihr Geschäft erledigt und sich selbst im besten Sinne des Wortes aus der Schusslinie entfernt. In dieser Denkschule entstand der Slogan von den Amerikanern, die kämpften, den Europäern, die zahlten, und den Vereinten Nationen, die fütterten.

Nun zeichnet sich ab, dass diese Arbeitsteilung nicht funktionieren kann. Erstens ist das Geschäft der Zerschlagung von Taliban und al-Qaida noch lange nicht erledigt, und zweitens werden die Kriegsparteien nicht unterscheiden wollen zwischen amerikanischen oder, zum Beispiel, deutschen Truppen, wenn sie ein Exempel zur Verwundbarkeit statuieren wollen. In diesem Zusammenhang ist es fast schon perfide, wenn das amerikanische Oberkommando nun die Nationalität aller an der Gardes-Aktion beteiligten Soldaten nennt – Deutsche sind auch darunter. Es gefährdet damit massiv das Kontingent der in Kabul stationierten und nicht besonders geschützten peacekeeper. Und es nimmt die Verbündeten in einer schwierigen Phase des Konflikts urplötzlich stark in die Pflicht. Die Geschäftsgrundlage schien vor wenigen Wochen noch umgekehrt.

Für die politische Auseinandersetzung hat die militärische Eskalation klare Folgen. Wer, erstens, die Verbündeten derart in Haftung nimmt, der muss sie auch stärker mitreden lassen. Zweitens müssen sich auch die USA zu einem langfristigen Engagement in Afghanistan bekennen. Wer unter Zustimmung der internationalen Gemeinschaft ein Machtvakuum erzeugt, der darf es nicht anschließend dem Zufall überlassen, wie sich die Lücke wieder schließt. Es kann also die heilsame Wirkung im Gardes-Abenteuer der USA darin liegen, dass die Diplomaten-Fraktion in Washington wieder an Gewicht gewinnt und der Begriff Nationbuilding – der politische Aufbau eines Staates – seinen hässlichen Unterton verliert. In Afghanistan bestehen nämlich noch immer gute Chancen, den Job zu einem vernünftigen Ende zu bringen.

Drittens schließlich könnte in der afghanischen Eskalation gar eine Chance liegen. So zynisch es klingt: Mit jedem Opfer mehr wird in den USA die Unterstützung für den unbegrenzten Anti-Terror-Krieg schrumpfen. Die Terminator-Truppe in Washington wird dann vielleicht erkennen, dass es nicht ausreicht, lediglich über die Beseitigung von Despoten und Regimen zu richten, aber nicht den nächsten Tag zu bedenken.

Quelle: Reuters
Es gibt keine neuen Beiträge.


Börsen-Forum - Gesamtforum - Antwort einfügen - zum ersten Beitrag springen
--button_text--