Irak-Krieg stürzt die Wirtschaft in ein neues Tief
Norbert Walter glaubt nicht an einen schnellen Erfolg der USA. Gespräch mit dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank.
Von Volker Mester
ABENDBLATT: Ein Angriff auf den Irak scheint unausweichlich. Welche Folgen hätte er für die Wirtschaft?
WALTER: Nach meiner Ansicht beträgt die Wahrscheinlichkeit für einen Krieg etwa 75 Prozent. Es spricht vieles dafür, dass sich die Amerikaner auf einen Angriff einstellen, der nicht später als im Februar beginnt. Unklar ist aber, ob der Konflikt dann - im Sinne der Amerikaner - kurz und erfolgreich ist: Die Produktionsstätten für Massenvernichtungswaffen im Irak werden zerstört, bald nach dem Einmarsch von Bodentruppen wird Saddam Hussein abgesetzt. Noch im ersten Quartal 2003 ist alles vorüber. Für die Konjunktur wäre das noch der beste Fall. Wir hätten ein Vierteljahr lang einen hohen Ölpreis, rund 40 Dollar pro Barrel gegenüber heutigen 28 Dollar, dann käme die Rückkehr zur Normalität.
ABENDBLATT: Für wie plausibel halten Sie einen solchen Verlauf?
WALTER: Die Amerikaner messen dem eine hohe Wahrscheinlichkeit bei, ich eine niedrige. Ich rechne damit, dass der Krieg eher länger dauern und weniger erfolgreich sein wird. Er dürfte neue terroristische Anschläge hervorrufen, außerdem dürften Öltransportwege im Nahen Osten und andere Länder in der Region gefährdet werden. Wir hätten dann nicht nur den Kaufkraftentzug durch den hohen Ölpreis, sondern auch noch zusätzliche Unsicherheit der Verbraucher - gleich zwei negative Konjunktureffekte.
ABENDBLATT: Für 2003 wird ohnehin nur noch ein geringfügiges Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwartet. Brächte ein Irak-Krieg eine Rezession?
WALTER: Die Prognosen eines schwachen Wirtschaftswachstums beziehen einen Irak-Konflikt schon mit ein. Allerdings legen sie meist das optimistische Szenario zu Grunde. Aus meiner Sicht ist die Gefahr gegeben, dass in Europa die BIP-Veränderungsrate unter null rutscht. Welche Folgen das für den Aktienmarkt hätte, liegt auf der Hand.
ABENDBLATT: Aber haben sich nicht die Unternehmen schon in den vergangenen zwei Jahren durch Kostensenkungen krisenfest gemacht?
WALTER: Das ist richtig, Gott sei Dank. Aber bei vielen Firmen haben sich auch die Erlöse verringert, bei manchen Unternehmen sinken sie schneller als die Kosten. Das ist etwa in der Bauwirtschaft und im Einzelhandel so. Daraus leite ich ab, dass es 2003 noch mehr Insolvenzen geben wird als in diesem Jahr.
ABENDBLATT: Gibt es Branchen, denen es im kommenden Jahr wieder besser gehen wird?
WALTER: Man muss schon nach einzelnen Unternehmen innerhalb von Branchen suchen. Discountern wie Aldi wird es gut gehen. Aber nehmen Sie zum Beispiel die Industrie, die ja in den vergangenen zwei Jahren der Träger unseres Miniwachstums war: Ihr Export leidet jetzt unter dem gestiegenen Euro-Kurs und dem Abschwung der Wirtschaft in anderen Ländern. Und wenn im kommenden Jahr den Bundesbürgern mit den mittleren Einkommen jeweils rund 3000 Euro mehr als in diesem Jahr vom Staat abgenommen werden, dann werden sie größere Neuanschaffungen wie einen Autokauf eben verschieben.
ABENDBLATT: Kommt nicht irgendwann der Punkt, an dem der Konsum wieder anspringen muss, weil Ersatzbeschaffungen nicht mehr zu umgehen sind?
WALTER: Wenn die Waschmaschine zusammenbricht und das Auto nicht mehr weiterfährt, dann ist das schwer zu ignorieren. Nur sind zum Beispiel Autos wirklich besser geworden, damit ist die Freiheit größer, einen Neukauf noch aufzuschieben. Es werden aber auch immer mehr Unternehmen feststellen, dass ihre Informationstechnik inzwischen so von gestern ist, dass Investitionen unabwendbar werden. Das alles wird sich auf die Konjunktur auswirken, aber wohl erst 2004.
ABENDBLATT: Noch einmal zurück zum Aktienmarkt: Was halten Sie davon, wenn manche Börsianer sagen, ein Irak-Krieg sei schon "eingepreist".
WALTER: Das glaube ich ihnen nicht. In meinem langen Analystenleben habe ich zu oft erlebt, dass alle behaupten, dies oder jenes sei schon in den Kursen enthalten. Wenn das Ereignis dann aber tatsächlich eintrat, gab es doch noch einen Schlag nach unten.
ABENDBLATT: Wie wird sich der deutsche Aktienmarkt 2003 unter diesen Bedingungen entwickeln?
WALTER: In einem Jahr werden wir wohl etwa wieder dort stehen, wo wir heute sind. Aber vorher, im ersten Quartal, dürften wir neue Tiefstkurse sehen.
ABENDBLATT: Sehen Sie die Gefahr, dass in Deutschland - ähnlich wie in Japan - die Börse dauerhaft immer weiter sinkt?
WALTER: Wenn wir uns als Gesellschaft so aufführen, wie es die Regierung seit der Wahl tut, dann schaffen wir das auch noch. Wir müssten uns ja nicht vom Status quo gefangen nehmen lassen wie von einer Krake, die alles umklammert. Aber dass sich daran etwas ändert, ist im Moment nicht einmal schemenhaft zu erkennen.
erschienen am 21. Dez 2002 in Wirtschaft
Gruß julius