DAX: Kursziel 10.000 Punkte

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DAX: Kursziel 10.000 Punkte

 
20.11.03 15:32
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Fast so wie damals

Nach Jahren des freien Falls steigen die Kurse von High-Tech-Aktien wieder. Alte Gurus kehren zurück – und mit ihnen die Träume vom Reichtum über Nacht

Fast alles scheint wieder wie zu Zeiten des Aktien-Hypes zu sein. Gut, es gab einen bösen Absturz, den Jahrtausendcrash. Aber seit Frühjahr 2003 stiegen die Aktienkurse. Notierungen mancher Technologietitel wie Amazon, eBay, Web.de oder T-Online haben sich gegenüber ihren Tiefs mehr als verdoppelt. Und auch viele alte Protagonisten des Börsenspiels sind zurück. So verkündet Egbert Prior – zeitweilig im Verdacht, selbst am stärksten von seinen Empfehlungen in der Börsensendung von 3sat profitiert zu haben – nun per Rundschreiben, dass der Deutsche Aktienindex Dax bis auf 10000 Punkte klettern werde. Derzeit steht das Börsenbarometer bei rund 3700 Zählern. Und Abby Cohen, Cheerleaderin des Börsenaufschwungs beim US-Investmenthaus Goldman Sachs, gab in London kund, eine neue Hausse laufe gerade an.

Déjà-vu-Erlebnisse allerorten. An der Spitze der Rangliste der in jüngster Zeit am besten gelaufenen Investmentfonds rangiert neben Karl Fickel, dem Nebenwertexperten von Lupus alpha, wieder Volker Kuhnwald von Nordinvest. Nach Verlusten von mehr als 90 Prozent in der Spitze setzen die von ihm gemanagten Finanzprodukte Nordinternet und Nordasia.com wieder zu einem neuen Höhenflug an. Selbst Kurt Ochner, der ehemalige Superstar des Neuen Marktes, wird in Frankfurt wieder gesichtet. Er darf zwar keine Fonds bei der Bank Julius Bär mehr verwalten, bleibt jedoch als Vorstand des Finanzdienstleisters Starbitrage im Geschäft mit der Geldanlage.

Sind also die alten Zeiten wieder da mit ihren Gurus, ihrer Gier und ihrem Wahnsinn? „Nein, das kann ich nicht unterstreichen“, urteilt Johannes Reich, Chefstratege des Frankfurter Bankhauses Metzler. Die Spekulationsblase des Jahres 2000 habe sich über Jahre aufgebaut. Zudem sei weder von den Mittelzuflüssen in die Aktienanlage noch von der Stimmung der privaten und institutionellen Anleger her die Situation dieselbe wie Ende der neunziger Jahre.

In der Tat. Mit einem Verhältnis von Aktienkurs zum Jahresgewinn von weniger als 20 erscheint der Dax kaum überbewertet, auch im Vergleich zu den derzeit niedrigen Renditen am Anleihemarkt. Und der Aktienindex TecDax, der Nachfolger des Nemax, weist zumindest laut der Börse Online-Datenbank mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 40 für die für 2003 erwarteten Gewinne ein wesentlich geringeres Bewertungsniveau auf als sein Vorgänger vor knapp vier Jahren: Dessen Kurs-Gewinn-Verhältnis rangierte zu dieser Zeit bei 300 auf Basis der für 1999 prognostizierten Gewinne – und noch bei satten 100 auf Grundlage der völlig überzogenen Gewinnerwartungen für das Jahr 2000.

„Gerade weil sich heute viele Leute schon wieder darum sorgen, es handele sich um eine Spekulationsblase, liegt kein Blase vor“, beschreibt Aktienstratege Reich den Zustand an den Aktienmärkten. Zu Zeiten des Börsenbooms herrschte Euphorie allenthalben. Befürchtungen, Aktien seien generell überbewertet, gab es damals kaum. Zudem war die Börse Gesprächsthema praktisch für jedermann – ein klassisches Zeichen für eine so genannte Dienstmädchenhausse. In der wollte jeder von steigenden Kursen profitieren, jeder zeichnet Neuemissionen wie Telekom, T-Online und Infineon, etliche Sparer investierten in Aktienfonds, und Magazine wie Börse-Online, Aktionär, Euro am Sonntag, Focus-Money oder die Telebörse fanden reißenden Absatz. Übrigens: Auch vor dem Crash 1929 blühten die Börsenmedien auf.

Von dieser Euphorie ist bei den Privatanlegern derzeit nichts zu spüren. Bei den meisten ist die Erinnerung an den Crash noch höchst präsent – die Verluste sind bei vielen längst nicht wieder ausgeglichen. Skepsis und Vorsicht dominieren deshalb. Den Banken gelang es zumindest in Deutschland im Jahre 2003 nicht, auch nur einen Börsenneuling an den Kapitalmarkt zu bringen. Metzler-Stratege Reich befürchtet vor diesem Hintergrund jedenfalls eher ein Platzen der Blase an den Anleihemärkten, dem in den vergangenen drei Jahren gesuchten sicheren Hafen, denn an den Aktienmärkten.

Erste Zeichen einer Überbewertung gibt es lediglich bei einigen Technologiewerten. So preist Andreas Kraft, Fondsmanager bei Deutschlands führendem Geldverwalter DWS, in der Frankfurter Schillerstraße die Aktie des Internet-Auktionshauses eBay als Wert an, den sich Anleger für „die nächsten zehn Jahre“ ins Depot legen könnten. Starke Markteintrittsbarrieren, überlegenes Geschäftsmodell, solche Sprüche kennen Anleger spätestens seit der Jahrtausendwende zur Genüge. Allein, der eBay-Kurs hat 2003 bereits um 50 Prozent zugelegt, und die Aktie wird derzeit an der Börse mit dem 30fachen Umsatz des vergangenen Geschäftsjahres 2002 bewertet.

Mit knapp 200 Prozent Kursplus startete der Internet-Buchhändler Amazon sogar noch stärker durch; hier errechnet sich ein KGV von stolzen 70. Gerade erst an der Gewinnschwelle befinden sich die TecDax-Überflieger Web.de und T-Online, deren Kurs sich heuer jeweils in etwa verdoppelte. Substanzorientiert arbeitende Fondsmanager wie Hans-Peter Schupp von der MainFirst Bank können es jedenfalls nicht nachvollziehen, „dass der Börsenwert eines Unternehmens wie T-Online mit einem Umsatz von 1,6 Milliarden Euro der einer Volkswagen AG mit 87 Milliarden Euro Umsatz fast entspricht“.

Als „komplett überbewertet“ stufen auch kritische Beobachter wie Heinz Steffen, Analyst der bankenunabhängigen Gesellschaft FAIResearch, den Technologiesektor ein. „Der von vielen für 2004 erwartete Konjunkturaufschwung ist bereits vollständig in den Kursen verarbeitet“, sagt er. Ob allerdings die amerikanische Wirtschaft so stark wie erwartet wächst und ob insbesondere die Unternehmen in den USA wieder viel Geld in Technologie investieren, bleibt fraglich. Insbesondere die Bewertung von „Internet-Buden“ sei inzwischen völlig überzogen. Darüber hinaus rät Steffen, Deutschlands führenden Softwareanbieter SAP, dessen Kurs in diesem Jahr bereits um 60 Prozent zugelegt hat, zu verkaufen. Massiv SAP-Anteilscheine abgegeben – und damit ihren Einsatz vom Vorjahr in etwa verdoppelt – haben am 17. September 2003 bereits Oliver und Daniel Hopp, die Söhne des Unternehmensgründers Dietmar Hopp. Damit folgen sie dem Beispiel etlicher Insider, die vor allem in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Monaten Aktien ihres Unternehmens verkauften. Insider wie Vorstands- und Aufsichtsratmitglieder müssen es in den USA und mittlerweile auch in Deutschland melden, wenn sie Wertpapiere der eigenen Firma kaufen oder verkaufen.

Allerdings, und darauf weist Anlagestratege Roland Ziegler von der ING BHF-Bank ausdrücklich hin, liegen auch die Insider mit ihren Transaktionen nicht immer richtig. Nach dem Kurshoch im Frühjahr 2000 hatte diese Gruppe noch zugekauft und erst langsam begonnen zu verkaufen. Durch die jüngste Kurserholung eröffnet sich ihnen jetzt erstmals seit drei Jahren die Möglichkeit, Aktien des eigenen Unternehmens zu einem einigermaßen guten Preis zu veräußern. Mithin spiegelt sich möglicherweise auch in den Insiderverkäufen lediglich das Bestreben wider, Vermögen zu streuen und die finanzielle Abhängigkeit vom Aktienkurs des eigenen Unternehmens zu verringern.

Selbst das starke Anwachsen der Wertpapierkredite in den Vereinigten Staaten ist nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass die Gier wieder einmal über die Vernunft gesiegt hat. Im Verhältnis zur Börsenkapitalisierung des amerikanischen Aktienmarkts betragen die Wertpapierkredite derzeit lediglich 1,4 Prozent. In den siebziger Jahren wurden sehr viel mehr Aktien auf Pump gekauft. Doch verfügen Spekulanten mit Optionen, Futures und anderen derivativen Finanzinstrumenten inzwischen über etliche andere Produkte, um auf steigende oder fallende Kurse zu wetten.

Ein Grund für die jüngste Kursexplosion im Tech- und Internet-Sektor dürfte deshalb auch die Existenz einer ganzen Hedgefonds-Industrie gewesen sein. Etliche Jahre lang hatten diese Spekulanten von fallenden Aktienkursen profitiert. Dreht nun plötzlich die Richtung, dann müssen diejenigen, die auf Baisse gesetzt haben, ihre Verkaufspositionen wieder eindecken. Durch deren große Nachfrage wird der Kursaufschwung zusätzlich angeheizt.

Mögen die jüngsten Kursgewinne übertrieben erscheinen, es hat sich doch tatsächlich etwas getan. Das Internet erobert zunehmend den Alltag. Unternehmen wie Yahoo, Amazon, eBay oder T-Online haben Kosten gestrafft und schreiben Gewinne oder stehen kurz davor. Darüber hinaus besteht begründete Aussicht auf eine grundsätzliche konjunkturelle Besserung. Vor allem in den Vereinigten Staaten zeigen im Tech-Sektor etliche Frühindikatoren wieder nach oben. Nur hat die Aktienbörse möglicherweise schon viele dieser guten Neuigkeiten vorweggenommen. BHF-Stratege Roland Ziegler rät jedenfalls, sich „gedanklich langsam mit dem Auslaufen der Technologiehausse zu beschäftigen“. Seine Prognose: Vom Frühjahr an sei mit einer stärkeren Kurskorrektur zu rechnen. Nach unten.

(c) DIE ZEIT 20.11.2003 Nr.48  
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