27. Juli 2004 Die Aktienmärkte haben in den vergangenen Wochen an Boden verloren, obwohl die Unternehmensgewinne im zweiten Quartal deutlicher als erhofft gestiegen sind. Seit Ende Juni hat zum Beispiel in Deutschland der Dax gut 7 Prozent verloren. Auf den anderen wichtigen Aktienmärkten sah es zuletzt nicht viel besser aus. Die wichtigen Indizes notieren mit Ausnahme des japanischen Topix wieder deutlich unter dem Niveau, das sie Ende 2003 erreicht haben.
Dabei wirken die meisten Aktien, gemessen an den erwarteten Gewinnen der Unternehmen, keineswegs überteuert. So zahlen Investoren im weltweiten Durchschnitt derzeit etwa das 15fache des für die kommenden zwölf Monate erwarteten Gewinns, wenn sie Dividendentitel erwerben. Im Januar 2004 lag dieser Wert, das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), noch bei 17.
Im internationalen Vergleich schneidet der Dax erfreulich gut ab. Das KGV liegt hierzulande bei 13,2. Das ist der niedrigste Wert seit März 2003, als sich die Krise auf den Aktienmärkten zuspitzte und die Kurse ihr zyklisches Tief erreichten. Damals fiel das Zwölfmonats-KGV des Dax auf 12. Ähnlich niedrige Werte gab es zuletzt im Jahr 1991.
"Kaufkurse"
Dennoch ist die Zurückhaltung der Investoren mit Händen zu greifen. So bewertet Maximilian Zimmerer, Finanzvorstand der Allianz Leben, das erreichte KGV-Niveau zwar mit dem Wort "Kaufkurse". Aber die Allianz Leben werde ihre Aktienquote von derzeit 13,5 Prozent erst erhöhen, wenn sich der Aufwärtstrend verstetige. Die Allianz Leben ist der größte deutsche Lebensversicherer und mit einem Vermögen von gut 100 Milliarden Euro einer der wichtigen institutionellen Investoren in Deutschland.
Die schwache Kursentwicklung führt Zimmerer auf eine Reihe von negativen Faktoren zurück. Viele Privatanleger hielten sich nach den schlechten Erfahrungen in der vorangegangenen Baisse immer noch von Aktien fern. Einige institutionelle Investoren wie Versicherungsgesellschaften könnten wegen des verringerten Risikokapitals nur noch in geringem Umfang in Aktien investieren. Zudem seien der hohe Ölpreis, die Erwartung rasch steigender Leitzinsen und die Angst vor Terroranschlägen Belastungsfaktoren. Das alles seien aber keine ausreichenden fundamentalen Begründungen für die niedrige Bewertung auf den Aktienmärkten, sagt Zimmerer. Es überwiege schlicht "die negative Stimmung".
Anlageurteil von "übergewichten" auf "neutral" reduziert
Ausdruck dieser Gemütslage ist auch die veränderte Einschätzung der Investmentbank Goldman Sachs. Sie attestiert den Aktienmärkten zwar nach wie vor ein "vernünftiges" Bewertungsniveau. Dennoch wurde das Anlageurteil kürzlich von "übergewichten" auf "neutral" reduziert.
Bei vielen Investoren seien Zweifel daran aufgekommen, daß das Tempo des Gewinnwachstums bei den Unternehmen beibehalten wird, hat Carsten Klude von M. M. Warburg beobachtet. Das sei aber auch gar nicht notwendig. In Amerika hätten die Unternehmensgewinne in den vergangenen vier Quartalen jeweils um mehr als 20 Prozent über demselben Zeitraum des Vorjahres gelegen. Dieses Tempo könne natürlich nicht unbegrenzt fortgesetzt werden. Entscheidend seien nicht die Steigerungsraten, sondern die absoluten Gewinnsummen, und die hätten längst Rekordwerte erreicht.
Nach Kludes Ansicht sind die Erwartungen an die künftigen Unternehmensgewinne zwar etwas zu optimistisch. Aber wenn man von einem amerikanischen Wirtschaftswachstum von 3 bis 3,5 Prozent im kommenden Jahr ausgehe, seien sie "nicht gravierend zu hoch". Das spreche dafür, daß Aktien derzeit attraktiv bewertet sind.
Text: ruh., Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.07.2004, Nr. 173 / Seite 17
Bildmaterial: F.A.Z.