Das rot-grüne Projekt: Verschieben, vertagen, vertrösten
Das Land benötigt eine Generalüberholung - aber gerade die wird nicht versucht - Kommentar
Von Hugo Müller-Vogg, Welt am Sonntag
Die neue Regierung ist die alte und die alten Probleme sind auch die neuen. Deutschland ist ein Sanierungsfall. Das gilt für den Bundeshaushalt wie für die Renten- und Krankenkassen, das betrifft die wachstumshemmende Bürokratie, den unterfinanzierten Mittelstand und den verkrusteten Arbeitsmarkt, das schließt das Steuer- und Abgabensystem mit ein, das den Bürgern und Unternehmen jeden zweiten Euro wegnimmt.
Die Regierenden kennen diese Herausforderung. Doch sie denken nicht daran, sich damit auseinander zu setzen. Das Drehbuch für das von den rot-grünen Wahlsiegern proklamierte Jahrzehnt ist der Koalitionsvertrag. Doch der ist kein Dokument für entschlossenes Handeln, sondern eine Anleitung zum Durchwursteln. Motto: verschieben, vertagen, vertrösten.
Zum Beispiel Verschuldung: Natürlich hatte die Bundesregierung gewusst, dass die Neuverschuldung in diesem Jahr die Drei- Prozent-Marke überschreiten wird. Aber vor der Wahl gab Hans Eichel den seriösen Kassenwart. Jetzt wissen wir, dass die Koalition finanzpolitisch gar nicht mehr als solide gelten will.
Die Neuverschuldung wird bewusst erhöht. Mit Paris und Rom wird vereinbart, den europäischen Stabilitätspakt nicht so genau zu nehmen. Und den für 2004 angestrebten ausgeglichenen Bundeshaushalt wird es frühestens 2006 geben, wenn überhaupt. Motto: Alles wird gut - wir wissen nur nicht wann.
Zum Beispiel Steuern: Die für den 1. Januar 2003 beschlossenen Steuersenkungen sind schon vor der Wahl um ein Jahr verschoben worden. Statt steuerlicher Erleichterungen erwarten die Bürger nun eine Fülle von steuerlichen Mehrbelastungen. Weh dem, der ein Haus bauen will, mit Gas heizt, ein Auto fährt oder sein Geld in Aktien anlegt. Weh dem, der als Unternehmer - und Arbeitgeber - viel Energie verbraucht. Weh dem, der einen Dienstwagen fährt. Sie alle zahlen mehr. Und sollen sich mit der Aussicht trösten, die jetzt verschobenen Steuersenkungen würden 2004 in Kraft treten.
Irgendwie drängt sich da der Verdacht auf, der Finanzminister werde im Sommer nächsten Jahres mit sorgenvoller Miene verkünden, leider, leider müsse die zweite Stufe der Steuerreform noch einmal verschoben werden. Wenn kein Hochwasser zur Begründung dienen kann, tut's vielleicht auch ein besonders heißer Sommer. Motto: Wir senken die Steuern - irgendwo, irgendwie, irgendwann.
Zum Beispiel Renten: Jeder weiß, dass die Rentenversicherung auf wackligen Beinen steht. Der nahe liegende Ausweg: Die Beitragsbemessungsgrenze wird kräftig angehoben. Das bedeutet kurzfristig weniger Netto für viele Arbeitnehmer, höhere Kosten für Arbeitgeber und höhere Einnahmen für die Rentenkassen.
Nur: Wer jetzt höhere Beiträge zahlt, hat später Anspruch auf höhere Rente. Das Loch in der Rentenkasse wird also notdürftig gestopft in der Gewissheit, dass sich in einigen Jahren deshalb eine noch größere Finanzierungslücke auftun wird. Motto: Lebe heute - sorge dich später.
Zum Beispiel Arbeitslosigkeit: Die Regierenden wissen, dass das Volk das gebrochene Beschäftigungsversprechen ("weniger als 3,5 Millionen Arbeitslose") durchaus bemerkt hat. Folglich sind sie bemüht, den Eindruck einer arbeitsmarktpolitischen Wende zu erwecken. Zum einen wird die Nürnberger Statistik auf EU-Norm umgestellt; damit sinkt die Arbeitslosenquote automatisch um mehr als einen Prozentpunkt. Zum anderen werden aus älteren Arbeitslosen ganz schnell Rentner gemacht und jüngere vom Arbeitsamt als Leiharbeiter angestellt.
Das Wunderrezept der Hartz-Kommission wird so seine statistische Wirkung entfalten, ohne auch nur einen einzigen Arbeitsplatz zu schaffen. Über die Frage, unter welchen Rahmenbedingungen echte neue Arbeitsplätze entstehen könnten, wurde bei den Koalitionsverhandlungen gar nicht erst gesprochen. Es scheint, als warteten die Beteiligten auf den weltwirtschaftlichen "big bang", der allen Ländern Wachstum und Beschäftigung beschert. Motto: Wunder gibt es immer wieder.
Erneuerung, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit - das steht über dem neuen Koalitionsvertrag. In der Tat braucht das Land eine Generalüberholung - aber gerade die wird nicht versucht. In der Tat wären erhebliche Anstrengungen notwendig, um die größte Ungerechtigkeit - nämlich die Arbeitslosigkeit - abzubauen. Aber dazu fehlt es an Rezepten.
In der Tat ist eine über den Tag hinaus zielende, nachhaltige Politik kurzatmigen Lösungsversuchen vorzuziehen. Aber die Nachhaltigkeit dieser Koalition erschöpft sich in der Fortsetzung ihrer eigenen Politik, in der Weigerung, für den Sanierungsfall Deutschland ein hartes Sanierungskonzept zu verwirklichen. So aber geht alles seinen gewohnten rot-grünen Gang. Motto: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Der Mann spricht mir aus der Seele!!
Gruß und schönen Sonntag
Trader
Das Land benötigt eine Generalüberholung - aber gerade die wird nicht versucht - Kommentar
Von Hugo Müller-Vogg, Welt am Sonntag
Die neue Regierung ist die alte und die alten Probleme sind auch die neuen. Deutschland ist ein Sanierungsfall. Das gilt für den Bundeshaushalt wie für die Renten- und Krankenkassen, das betrifft die wachstumshemmende Bürokratie, den unterfinanzierten Mittelstand und den verkrusteten Arbeitsmarkt, das schließt das Steuer- und Abgabensystem mit ein, das den Bürgern und Unternehmen jeden zweiten Euro wegnimmt.
Die Regierenden kennen diese Herausforderung. Doch sie denken nicht daran, sich damit auseinander zu setzen. Das Drehbuch für das von den rot-grünen Wahlsiegern proklamierte Jahrzehnt ist der Koalitionsvertrag. Doch der ist kein Dokument für entschlossenes Handeln, sondern eine Anleitung zum Durchwursteln. Motto: verschieben, vertagen, vertrösten.
Zum Beispiel Verschuldung: Natürlich hatte die Bundesregierung gewusst, dass die Neuverschuldung in diesem Jahr die Drei- Prozent-Marke überschreiten wird. Aber vor der Wahl gab Hans Eichel den seriösen Kassenwart. Jetzt wissen wir, dass die Koalition finanzpolitisch gar nicht mehr als solide gelten will.
Die Neuverschuldung wird bewusst erhöht. Mit Paris und Rom wird vereinbart, den europäischen Stabilitätspakt nicht so genau zu nehmen. Und den für 2004 angestrebten ausgeglichenen Bundeshaushalt wird es frühestens 2006 geben, wenn überhaupt. Motto: Alles wird gut - wir wissen nur nicht wann.
Zum Beispiel Steuern: Die für den 1. Januar 2003 beschlossenen Steuersenkungen sind schon vor der Wahl um ein Jahr verschoben worden. Statt steuerlicher Erleichterungen erwarten die Bürger nun eine Fülle von steuerlichen Mehrbelastungen. Weh dem, der ein Haus bauen will, mit Gas heizt, ein Auto fährt oder sein Geld in Aktien anlegt. Weh dem, der als Unternehmer - und Arbeitgeber - viel Energie verbraucht. Weh dem, der einen Dienstwagen fährt. Sie alle zahlen mehr. Und sollen sich mit der Aussicht trösten, die jetzt verschobenen Steuersenkungen würden 2004 in Kraft treten.
Irgendwie drängt sich da der Verdacht auf, der Finanzminister werde im Sommer nächsten Jahres mit sorgenvoller Miene verkünden, leider, leider müsse die zweite Stufe der Steuerreform noch einmal verschoben werden. Wenn kein Hochwasser zur Begründung dienen kann, tut's vielleicht auch ein besonders heißer Sommer. Motto: Wir senken die Steuern - irgendwo, irgendwie, irgendwann.
Zum Beispiel Renten: Jeder weiß, dass die Rentenversicherung auf wackligen Beinen steht. Der nahe liegende Ausweg: Die Beitragsbemessungsgrenze wird kräftig angehoben. Das bedeutet kurzfristig weniger Netto für viele Arbeitnehmer, höhere Kosten für Arbeitgeber und höhere Einnahmen für die Rentenkassen.
Nur: Wer jetzt höhere Beiträge zahlt, hat später Anspruch auf höhere Rente. Das Loch in der Rentenkasse wird also notdürftig gestopft in der Gewissheit, dass sich in einigen Jahren deshalb eine noch größere Finanzierungslücke auftun wird. Motto: Lebe heute - sorge dich später.
Zum Beispiel Arbeitslosigkeit: Die Regierenden wissen, dass das Volk das gebrochene Beschäftigungsversprechen ("weniger als 3,5 Millionen Arbeitslose") durchaus bemerkt hat. Folglich sind sie bemüht, den Eindruck einer arbeitsmarktpolitischen Wende zu erwecken. Zum einen wird die Nürnberger Statistik auf EU-Norm umgestellt; damit sinkt die Arbeitslosenquote automatisch um mehr als einen Prozentpunkt. Zum anderen werden aus älteren Arbeitslosen ganz schnell Rentner gemacht und jüngere vom Arbeitsamt als Leiharbeiter angestellt.
Das Wunderrezept der Hartz-Kommission wird so seine statistische Wirkung entfalten, ohne auch nur einen einzigen Arbeitsplatz zu schaffen. Über die Frage, unter welchen Rahmenbedingungen echte neue Arbeitsplätze entstehen könnten, wurde bei den Koalitionsverhandlungen gar nicht erst gesprochen. Es scheint, als warteten die Beteiligten auf den weltwirtschaftlichen "big bang", der allen Ländern Wachstum und Beschäftigung beschert. Motto: Wunder gibt es immer wieder.
Erneuerung, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit - das steht über dem neuen Koalitionsvertrag. In der Tat braucht das Land eine Generalüberholung - aber gerade die wird nicht versucht. In der Tat wären erhebliche Anstrengungen notwendig, um die größte Ungerechtigkeit - nämlich die Arbeitslosigkeit - abzubauen. Aber dazu fehlt es an Rezepten.
In der Tat ist eine über den Tag hinaus zielende, nachhaltige Politik kurzatmigen Lösungsversuchen vorzuziehen. Aber die Nachhaltigkeit dieser Koalition erschöpft sich in der Fortsetzung ihrer eigenen Politik, in der Weigerung, für den Sanierungsfall Deutschland ein hartes Sanierungskonzept zu verwirklichen. So aber geht alles seinen gewohnten rot-grünen Gang. Motto: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Der Mann spricht mir aus der Seele!!
Gruß und schönen Sonntag
Trader