Mit Blick auf die Kongresswahlen im November 2006 erwarten Fachleute einen Ausgaben-Wettlauf zwischen Regierung und Opposition, der die Budgets in neue Höhen treiben könnte.
HANDELSBLATT, Dienstag, 13. September 2005, 08:53 Uhr
Experten sehen Bushs Projekt der Halbierung des Defizits stark gefährdet
Flutschäden lassen US-Haushaltsdefizit steigen
Von Michael Backfisch
Angesichts der ansteigenden Milliarden-Schäden nach dem Wirbelsturm Katrina warnen Experten vor einem dramatischen Anstieg des US-Haushaltsdefizits. So rechnet Ed McKelvey von der New Yorker Investmentbank Goldman Sachs für die Jahre 2006 und 2007 mit einer Etatlücke nahe der Rekordmarke von 412 Mrd. Dollar im vergangenen Jahr.
HB WASHINGTON. „Die Finanzlage war vor Katrina nicht gut – jetzt ist sie bedeutend schlechter“, sagte McKelvey. Im Kongress werden die staatlichen Ausgaben in Folge des Hurrikans bereits auf eine Größenordnung zwischen 150 und 200 Mrd. Dollar taxiert. Zum Vergleich: Die Kriege im Irak und in Afghanistan kosteten den amerikanischen Steuerzahler bislang insgesamt rund 300 Mrd. Dollar.
US-Präsident George W. Bush hatte die Halbierung des Defizits bis 2009 zu seinem ehrgeizigen Projekt für seine zweite Amtszeit gemacht. Auf Grund der kräftig sprudelnden Steuereinnahmen schien er diesem Ziel im Sommer einen wichtigen Schritt näher gerückt zu sein: Das Weiße Haus schätzte im Juli, dass das Minus im laufenden Jahr auf 333 Mrd. Dollar schrumpfen werde. Dieser Trend droht nun zu kippen.
Bush besuchte gestern zum dritten Mal die verwüstete Region. In einem Militärfahrzeug fuhr er durch das zerstörte New Orleans. Er bestritt, dass untergründiger Rassismus für die zuerst nur langsam angelaufenen Rettungsarbeiten verantwortlich gewesen sei. „Der Sturm hat nicht diskriminiert, und dies werden auch die Bergungsarbeiten nicht tun“, sagte Bush.
Die massive Kritik am Katastrophen-Management der Regierung hat deutliche Spuren in seiner Popularität hinterlassen: Nach einer Umfrage des Nachrichtenmagazins „Newsweek“ sind nur noch 38 Prozent der US-Bürger mit Bush zufrieden – ein historischer Tiefstand.
Um den öffentlichen Unmut aufzufangen, erwägt das Weiße Haus derzeit ein Konjunkturpaket für die betroffenen Bundesstaaten am Golf von Mexiko. Im Gespräch sind dabei Steuervergünstigungen für Unternehmen und Erziehungsbeihilfen für Hurrikan-Opfer. Bei den Republikanern zirkuliert sogar ein Papier, das Steuererleichterungen für Firmen im ganzen Land vorsieht, um die negativen Auswirkungen von Katrina auf die Volkswirtschaft abzumildern. Finanzminister John Snow hatte bereits einen Rückgang des US-Wachstums um 0,5 Prozentpunkte für das zweite Halbjahr 2005 vorausgesagt.
Mit Blick auf die Kongresswahlen im November 2006 erwarten Fachleute einen Ausgaben-Wettlauf zwischen Regierung und Opposition, der die Budgets in neue Höhen treiben könnte. Der Republikaner Newt Gingrich, in den 90er Jahren Sprecher des Repräsentantenhauses, spricht sogar von einem „Katrina-Effekt“: Bei künftigen Wahlen würden diejenigen belohnt werden, die „kühne Ideen für eine moderne Krisenbewältigung“ lieferten.
Die Demokraten, die in beiden Häusern des Kongresses in der Minderheit sind, wittern auf einmal Morgenluft. John Podesta, unter Bill Clinton Stabschef im Weißen Haus, sieht nach Katrina eine neue Konjunktur für „die kollektive Verantwortlichkeit“ des Staates. Die Opposition werde sich für Initiativen bei der Hilfe für die Unterprivilegierten, bei der Energiepolitik sowie beim Heimatschutz stark machen. Bushs Idee einer „Eigentumsgesellschaft“ mit starker Förderung von Individuen und Privatunternehmen habe ausgedient, sagte der Demokrat Podesta. Eine unbefristete Senkung der Steuern bei gleichzeitiger Kürzung von Sozialprogrammen wie etwa die Krankenversicherung für Arme (Medicaid) sei nicht machbar.
Ex-Präsidentenberater David Gergen sieht bereits Anzeichen für eine Wechselstimmung. „Die Benzinpreise sind außer Kontrolle, Amerika steckt tief im Irak-Schlamassel, und die Politiker reden derzeit mehr, als dass sie handeln“, warnt Gergen. „Vieles spricht dafür, dass die Amtsinhaber bei den nächsten Kongresswahlen abgestraft werden: Die Republikaner würden in diesem Fall einen höheren Preis bezahlen.“