Spiel mir das Lied vom Tod
Die Internet-Seite dotcomtod.de wurde mit anonymen Insiderinformationen zu dahinsiechenden Start-up-Unternehmen zum Mythos.
(SZ vom 1.12.2001) - Das Abwassersystem im Antiken Rom war ausgeklügelt, und doch begann die Cloaca Maxima zu stinken. „Wie der Neue Markt", sinniert Don Alphonso und erklärt: „Wir brechen die Dämme auf!“ Der Mann ist ein Kenner der Internet-Szene, und kündigt an, was manchen Pleitier der New Economy aufhorchen lässt: die „Cloaca Maxima" – ein Enthüllungsbuch als Fortschreibung des Onlineprojektes dotcomtod.de. Einige „Sentinels“, so heißen die ehrenamtlichen Wachposten der Internet-Site, wollen so das Spiel mit Insider-Informationen aus dahinsiechenden Firmen weitertreiben.
Ein Spiel, das seit rund einem Jahr die Internetszene in Atem hält. Auf dotcomtod.de wird der Niedergang zahlreicher Start-ups kenntnisreich beschrieben, von anonymen Journalisten, Managern, PR-Leuten, Finanziers, entlassenen Mitarbeitern. Dass die Protagonisten unter Decknamen agieren, sichert den Informationsfluss – und begründet den Mythos, der sich um das Projekt rankt.
Lügen, dass sich die Balken biegen
Als Initiatorin begreift sich „Lanu“, nach eigenen Angaben Hausfrau und Mutter. Ihr Partner ist ein Opfer des Online-Niedergangs „Ich weiß nicht viel über das Dotcom-Geschäft", schreibt Lanu unschuldig, „doch soviel hab' ich begriffen: Da wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Hier soll Platz für die Wahrheit sein."
So wurde über den nahenden Tod der Internet-Drogerie Vitago bereits Ende Mai im dotcomtod-Forum fröhlich gemutmaßt, während der Firmensprecher Durchhalteparolen ausgab. Zwei Wochen später war Vitago am Ende, und bei dotcomtod tauchten Fotos aus den verwaisten Nobelbüros auf. Keiner wird geschont. Die Kandidaten auf der Abschussliste reichen derzeit von Pixelpark über Kirch Intermedia bis zu Beate Uhse New Media. Alle Angaben: ohne Gewähr.
Ungefilterte Informationen für Journalisten
Gewissenhafte Recherche? Das müssten diejenigen Journalisten leisten, die diese Stories aufgreifen, so Joman, Mitgründer des Projektes. Martin Virtel, Fachredakteur der Financial Times Deutschland, gehört zur Fangemeinde. „Die Seite gehört für mich und Kollegen zur Pflichtlektüre." Das Interesse an ungefilterten Informationen ist groß: Spitzennews werden bis zu 3000 mal aufgerufen. Bei dotcomtod funktionieren Dinge, an denen kommerzielle Anbieter scheiterten: Inhalte werden eigenständig von den Nutzern geliefert. Eines aber ist anders: Die Macher können nicht am Businessplan scheitern – weil es keinen gibt. Es bleibt nur der Verkauf von T-Shirts mit dem dotcomtod-Logo, um die technischen Kosten zu finanzieren. Gefährlich ist nur, dass sich die Sprache radikalisieren könnte, so wie beim US- Pendant fuckedcompany.com: Dort gehören four-letter-words zum guten Ton.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Die Internet-Seite dotcomtod.de wurde mit anonymen Insiderinformationen zu dahinsiechenden Start-up-Unternehmen zum Mythos.
(SZ vom 1.12.2001) - Das Abwassersystem im Antiken Rom war ausgeklügelt, und doch begann die Cloaca Maxima zu stinken. „Wie der Neue Markt", sinniert Don Alphonso und erklärt: „Wir brechen die Dämme auf!“ Der Mann ist ein Kenner der Internet-Szene, und kündigt an, was manchen Pleitier der New Economy aufhorchen lässt: die „Cloaca Maxima" – ein Enthüllungsbuch als Fortschreibung des Onlineprojektes dotcomtod.de. Einige „Sentinels“, so heißen die ehrenamtlichen Wachposten der Internet-Site, wollen so das Spiel mit Insider-Informationen aus dahinsiechenden Firmen weitertreiben.
Ein Spiel, das seit rund einem Jahr die Internetszene in Atem hält. Auf dotcomtod.de wird der Niedergang zahlreicher Start-ups kenntnisreich beschrieben, von anonymen Journalisten, Managern, PR-Leuten, Finanziers, entlassenen Mitarbeitern. Dass die Protagonisten unter Decknamen agieren, sichert den Informationsfluss – und begründet den Mythos, der sich um das Projekt rankt.
Lügen, dass sich die Balken biegen
Als Initiatorin begreift sich „Lanu“, nach eigenen Angaben Hausfrau und Mutter. Ihr Partner ist ein Opfer des Online-Niedergangs „Ich weiß nicht viel über das Dotcom-Geschäft", schreibt Lanu unschuldig, „doch soviel hab' ich begriffen: Da wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Hier soll Platz für die Wahrheit sein."
So wurde über den nahenden Tod der Internet-Drogerie Vitago bereits Ende Mai im dotcomtod-Forum fröhlich gemutmaßt, während der Firmensprecher Durchhalteparolen ausgab. Zwei Wochen später war Vitago am Ende, und bei dotcomtod tauchten Fotos aus den verwaisten Nobelbüros auf. Keiner wird geschont. Die Kandidaten auf der Abschussliste reichen derzeit von Pixelpark über Kirch Intermedia bis zu Beate Uhse New Media. Alle Angaben: ohne Gewähr.
Ungefilterte Informationen für Journalisten
Gewissenhafte Recherche? Das müssten diejenigen Journalisten leisten, die diese Stories aufgreifen, so Joman, Mitgründer des Projektes. Martin Virtel, Fachredakteur der Financial Times Deutschland, gehört zur Fangemeinde. „Die Seite gehört für mich und Kollegen zur Pflichtlektüre." Das Interesse an ungefilterten Informationen ist groß: Spitzennews werden bis zu 3000 mal aufgerufen. Bei dotcomtod funktionieren Dinge, an denen kommerzielle Anbieter scheiterten: Inhalte werden eigenständig von den Nutzern geliefert. Eines aber ist anders: Die Macher können nicht am Businessplan scheitern – weil es keinen gibt. Es bleibt nur der Verkauf von T-Shirts mit dem dotcomtod-Logo, um die technischen Kosten zu finanzieren. Gefährlich ist nur, dass sich die Sprache radikalisieren könnte, so wie beim US- Pendant fuckedcompany.com: Dort gehören four-letter-words zum guten Ton.
Quelle: Süddeutsche Zeitung