Lehren aus der Hamburg-Wahl
>>> Die Auswirkungen der Hamburg-Wahl beschäftigen vor dem derzeitigen aktuellen weltpolitischen Hintergrund auch das „Wall Street Journal Europe“ in einem Kommentar:
Es ist schon erstaunlich, was ein einzelner, entschlossener Mensch in Zeiten weltweiter Hochspannung anstellen kann und dabei auch noch die politische Landkarte verändert. Zum Beispiel ein Richter namens Ronald Schill. Er gründete vor gut einem Jahr eine „Law-and-order“-Partei in Hamburg und half am letzten Wochenende, die dort seit 1957 regierenden Sozialdemokraten aus dem Parlament zu werfen. Die Niederlage von Rot-Grün in Hamburg hat dabei politische Folgen in ganz Deutschland und die Kampagne Schills für eine härtere Hand in Sachen Kriminalitätsbekämpfung und Terrorismus wird in ganz Europa Auswirkungen haben. Selbst Kanzler Schröder wird der Erfolg Schills nicht unberührt lassen. Seine Partei hat nun seit 1998 in drei Bundesländern die Macht verloren und so wird sich der Kanzler wohl überlegen müssen, ob seine Koalition noch in der Lage ist, die Probleme zu bewältigen, die die Menschen derzeit am meisten beschäftigen.
Die „Law-and-order“-Partei schockte das politische Establishment dadurch, dass sie aus dem Stand heraus auf 20 Prozent der Stimmen kam. Dies ist das beste Ergebnis, das eine neue Partei in Deutschland seit 1945 erreicht hat.
Mit den Terrorangriffen vom 11. September erreichte die Angst vieler Menschen vor kriminellem Tun ihren Höhepunkt. Hamburgern wurde auf einmal klar, dass mitten unter ihnen fünf der mutmaßlichen Attentäter gelebt hatten. Schill schreckte nicht davor zurück, diesen Umstand auszunutzen. „Die Terroristen haben sich den richtigen Platz für ihre Taten ausgesucht“, rief er seinen Wählern zu. Ronald Schill war somit am richtigen Platz, zur richtigen Zeit, mit der richtigen Politik. Konservative in Deutschland sehnen sich derzeit nach einem charismatischen Mann, der Mitte-rechts-Wähler auf sich vereinen könnte. Schill wird dies sicherlich nicht sein können. Aber sein Erfolg in Hamburg hat gezeigt, dass Kriminalität und Terrorismus derzeit ganz oben auf der Agenda vieler Wähler stehen. „Mainstream“-Politiker sollten sich dessen klar bewusst sein.
HANDELSBLATT, Donnerstag, 27. September 2001