Es ist an der Zeit, den Realitäten ins Auge zu sehen, meint Thomas Mayer, Director of Euroland Economic Research bei Goldman Sachs.
Thomas Mayer ist Director of Euroland Economic Research
bei Goldman Sachs in Frankfurt
Zunächst schien das neue Jahrzehnt eine Fortsetzung der "Roaring Nineties" zu sein. Inzwischen wissen wir es besser: Mit dem Jahreswechsel 2002 sind wir auf den harten Boden der Wirklichkeit zurückgekehrt.
Gleich mehrere Illusionen sind zerstoben: der Traum von schnellem Reichtum durch immerwährend steigende Börsenkurse, die Vorstellung, Deutschlands wirtschaftliche Schwäche wäre mit ein paar kleineren Reparaturen am System zu verhindern, und die Hoffnung, mit der europäischen Währungsunion hätte ein neues Zeitalter europäischer Politik begonnen.
Es ist an der Zeit, den Realitäten ins Auge zu sehen: Wir werden uns an den Finanzmärkten wieder mit einstelligen prozentualen Jahresrenditen zufrieden geben müssen, wir werden schmerzhafte Einschnitte ertragen müssen, um zu verhindern, dass Deutschlands gegenwärtige Schwäche in einen langfristigen Abstieg mündet, und wir werden uns anstrengen müssen, die europäische Währungsunion vor all zu enger politischer Umarmung zu schützen.
John Maynard Keynes hat das Geschehen an den Börsen mit dem Ablauf einer Schönheitskonkurrenz verglichen. Für das Publikum kommt es nicht darauf an, auf die vermeintlich schönste Teilnehmerin zu setzen. Viel wichtiger ist es, zu erraten, wen die Preisrichter küren.
Mit anderen Worten, die Preisbildung an den Börsen hängt zumindest in der kurzen und mittelfristigen Sicht in hohem Maße von der Erwartungsbildung ab. In den neunziger Jahren haben sich die Preisrichter bei der Keynes'schen Schönheitskonkurrenz von ihrer eigenen Phantasie und viel Schminke leiten lassen.
Maßstäbe hatten sich grotesk verschoben
Auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase spielten Unternehmensgewinne bei der Aktienbewertung kaum eine Rolle. "Konservative" Anleger orientierten sich womöglich noch am Verhältnis der Aktienpreise zu den Umsätzen, die meisten ließen aber ihrer Phantasie freien Lauf.
Nach dem Sündenfall der Internetwerte erinnerte man sich wieder an Gewinn-und-Verlust-Rechnungen und Bilanzen. Aber der Blick blieb getrübt und deshalb anfällig für gutes Make-up.
So akzeptierten Analysten und Anleger so genannte Pro-forma-Rechnungen der Unternehmen als Datenbasis für ihre Bewertungen, obwohl diese ihrem Charakter nach eher Planungsrechnungen sind und daher mehr die Wünsche des Unternehmensmanagements für das operative Ergebnis widerspiegeln als die harte Wirklichkeit. Die Analysten und Wirtschaftsprüfer ließen sich aber auch durch legale und illegale Schminke der offiziellen Gewinn-und-Verlust-Rechnungen und der Bilanzen blenden.
So konnten Unternehmen ihr operatives Ergebnis ausbessern, indem sie zum Beispiel - Einnahmen in ihren Rechnungen zeitlich nach vorne und Ausgaben nach hinten legten
- störende Verluste in negative außerordentliche Erträge umbuchten
- ihre Personalaufwendungen durch die Ausgabe von Aktienoptionen, die nicht bilanziert werden müssen, minderten oder
- ihre Pensionsaufwendungen dank steigender betrieblicher Pensionsfondsvermögen aussetzten.
Die Bilanzstruktur konnte optimiert werden, indem zum Beispiel Anlagen verkauft und zurückgeleast wurden oder indem störende Verpflichtungen an getrennt bilanzierende Tochterunternehmen abgegeben wurden, die womöglich durch kreatives Schuldenmanagement noch zum Gewinn der Muttergesellschaften beitrugen. Dabei wurde die Grenze zwischen legalem und illegalem "financial engineering" immer undeutlicher.
Enron-Pleite öffnete die Augen
Mit der Pleite von Enron wurde dem Publikum schlagartig bewusst, dass ein wesentlicher Teil der Zahlenwerke nur schöner Schein waren. Des Kaisers neue Kleider waren eine Illusion, der Kaiser war in Wirklichkeit nackt.
Der amerikanische Star-Ökonom Paul Krugman hat darauf hingewiesen, dass der Fall Enron unsere Sicht der Dinge wahrscheinlich nachhaltiger geändert hat als die Ereignisse des 11. September. Wenn Krugman Recht hat, wird das Publikum in Zukunft erwarten, dass die Preisrichter bei der Keynes'schen Schönheitskonkurrenz auf den Finanzmärkten nun hinter der Schminke nach wahrer Schönheit suchen.
Damit rücken wieder solide Bilanzen und traditionelle Aktienbewertungsmethoden in den Mittelpunkt des Anlegerinteresses. Legt man aber konservative Maßstäbe an, so lässt das gegenwärtige Niveau der Aktienpreise trotz des Rückgangs in den letzten Wochen nur sehr mäßige Renditen auf Aktienanlagen erwarten.
Nach der Lähmung der Wirtschaftspolitik unter der letzten Regierung Kohl und dem Fehlstart 1998 schien es, als ob die rot-grüne Regierung auf einen Kurs der wirtschaftlichen Reformen einschwenken würde. In der Tat wurde in den letzten Jahren auch einiges in Angriff genommen, wie zum Beispiel die viel gelobte Steuerreform und die Rentenreform.
Rückblickend muss man aber leider festhalten: Es hat nicht gereicht, um den wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands zu beenden. Das magere Bruttoinlandsprodukt (BIP) - Wachstum von 0,6 Prozent im letzten Jahr - war kein Ausrutscher. Im Schnitt der letzten zehn Jahre (1992-2001) wuchs das deutsche BIP mit 1,5 Prozent verglichen mit 3,4 Prozent in den USA und 2,6 Prozent in Großbritannien.
Nun rächt sich die Inkonsequenz bei Reformen
Auch im Vergleich mit dem Kontinent schneidet Deutschland schlecht ab: Über den gleichen Zeitraum wuchs das BIP in Frankreich mit 1,9 Prozent und in Italien immerhin mit 1,6 Prozent. Unter den großen Ländern schnitt nur Japan mit einer Wachstumsrate von 1,0 Prozent im Durchschnitt der letzten zehn Jahre etwas schlechter ab als Deutschland.
Es rächt sich nun, dass die Steuer- und Rentenreform zu zaghaft ausfielen und wichtige Reformvorhaben überhaupt nicht in Angriff genommen wurden. So hat nach Berechnungen des Sachverständigenrats die Unternehmenssteuerreform des letzten Jahres lediglich den Abstand zwischen der Steuerbelastung deutscher Unternehmen und der Frankreichs, des Landes mit der zweithöchsten Steuerlast in Euroland, ausgeglichen.
Von der niedrigeren durchschnittlichen Steuerbelastung in Euroland oder in anderen Ländern sind wir noch weit entfernt. Des Weiteren hat die Rentenreform zwar eine wichtige systemische Veränderung - den Einstieg in die private Altersvorsorge - gebracht, sie ist aber so bescheiden ausgefallen, dass der Beitrag zur gesetzlichen Versicherung bald wieder steigen wird.
In den Bereichen des Gesundheitswesens und des Arbeitsmarkts, wo Reformen stecken geblieben oder überhaupt nicht in Angriff genommen worden sind, wird die Bundesregierung inzwischen von ihren Versäumnissen eingeholt.
Die Lehre aus der Vergangenheit könnte klarer nicht ausfallen: Nur wenn wir es schaffen, umfangreiche und auch schmerzhafte Reformen durchzuführen, können wir den Abstieg stoppen. Sind wir dazu nicht bereit, wird unsere Wirtschaftskraft in einigen Jahren so ausgehöhlt sein, dass wir international vornehmlich als Risikofaktor für die Wirtschaft Europas und der Welt wahrgenommen werden.
Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion sollte etwas Besonderes werden: Eine Stabilitätsgemeinschaft, abgesichert durch eine unabhängige, der Preisstabilität verpflichteten Zentralbank und vertragliche Vereinbarungen zu einer stabilitätsgerechten Finanzpolitik.
Der Start der EWWU und die Einführung des Euro verliefen technisch perfekt, und die EZB hat ihre ersten Sporen verdient. Und dennoch wollen die Zweifel, ob die hoch gesteckten Ziele auch dauerhaft zu erreichen sind, nicht vergehen.
Ausstieg Duisenbergs war offenbar geplant
Erstens hat Herrn Duisenbergs Ankündigung eines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Amt zum 9. Juli 2003 an die zwielichtigen Umstände seiner Ernennung erinnert. Er wurde 1998 wohl nur zum EZB-Präsidenten gekürt, weil er sich (wenn auch ohne genaue Zeitangabe) verpflichtet hatte, die im Maastricht-Vertrag festgelegte Amtszeit von acht Jahren zu verkürzen.
Mit der Ankündigung seines Rücktritts hat Duisenberg diese Verpflichtung honoriert und den Weg zur Ernennung eines französischen Präsidenten frei gemacht. Daraus ist ihm persönlich kein Vorwurf zu machen.
Die Umstände seines Abgangs und die nun anstehende Entscheidung über seinen Nachfolger zeigen aber, dass auch bei der EZB die von anderen europäischen Institutionen her bekannte Personalpolitik gemacht wird. Dies lässt wenig Gutes ahnen für die bevorstehende Reform der EZB zur Vorbereitung der Aufnahme weiterer EWWU-Mitglieder nach der Osterweiterung der EU.
Zweitens hat die von Kanzler Schröder betriebene Ablehnung einer Verwarnung der deutschen Finanzpolitik zu Zweifeln über die Haltbarkeit des Stabilitäts- und Wachstumspakts beigetragen. Der unter Ökonomen nicht unumstrittene Pakt kam auf Deutschlands Drängen zu Stande, und manche sehen es mit kaum verhohlener Schadenfreude, dass Deutschland als erstes Land wegen der Gefahr, die 3-Prozent-Defizitgrenze zu durchbrechen, nach den Regeln des Pakts verwarnt werden sollte und sich dagegen zur Wehr setzte.
Wenn man sich auch über Einzelbestimmungen des Pakts streiten kann, so ist doch die Zielsetzung einer stabilitätsgerechten Finanzpolitik unumstritten. Deutschland hat mit seiner Abwehr der Verwarnung dem Pakt und damit leider auch seiner Zielsetzung keinen guten Dienst erwiesen.
Auch in der europäischen Wirtschafts- und Währungspolitik ist es an der Zeit, illusionslos in die Zukunft zu schauen. Das Projekt wird Schaden nehmen, wenn die Politik weiter an der gewohnten hartnäckigen Verfolgung nationaler Interessen auf Kosten der übergeordneten Interessen der Gemeinschaft festhält.
Vielen mag Europa für eine solche Voranstellung des gemeinschaftlichen Interesses nicht reif sein. Wenn dem so wäre, dann wäre es aber auch gefährlich, die europäische Zusammenarbeit weiter zu vertiefen.
Gruß
Happy End
mm.de
Thomas Mayer ist Director of Euroland Economic Research
bei Goldman Sachs in Frankfurt
Zunächst schien das neue Jahrzehnt eine Fortsetzung der "Roaring Nineties" zu sein. Inzwischen wissen wir es besser: Mit dem Jahreswechsel 2002 sind wir auf den harten Boden der Wirklichkeit zurückgekehrt.
Gleich mehrere Illusionen sind zerstoben: der Traum von schnellem Reichtum durch immerwährend steigende Börsenkurse, die Vorstellung, Deutschlands wirtschaftliche Schwäche wäre mit ein paar kleineren Reparaturen am System zu verhindern, und die Hoffnung, mit der europäischen Währungsunion hätte ein neues Zeitalter europäischer Politik begonnen.
Es ist an der Zeit, den Realitäten ins Auge zu sehen: Wir werden uns an den Finanzmärkten wieder mit einstelligen prozentualen Jahresrenditen zufrieden geben müssen, wir werden schmerzhafte Einschnitte ertragen müssen, um zu verhindern, dass Deutschlands gegenwärtige Schwäche in einen langfristigen Abstieg mündet, und wir werden uns anstrengen müssen, die europäische Währungsunion vor all zu enger politischer Umarmung zu schützen.
John Maynard Keynes hat das Geschehen an den Börsen mit dem Ablauf einer Schönheitskonkurrenz verglichen. Für das Publikum kommt es nicht darauf an, auf die vermeintlich schönste Teilnehmerin zu setzen. Viel wichtiger ist es, zu erraten, wen die Preisrichter küren.
Mit anderen Worten, die Preisbildung an den Börsen hängt zumindest in der kurzen und mittelfristigen Sicht in hohem Maße von der Erwartungsbildung ab. In den neunziger Jahren haben sich die Preisrichter bei der Keynes'schen Schönheitskonkurrenz von ihrer eigenen Phantasie und viel Schminke leiten lassen.
Maßstäbe hatten sich grotesk verschoben
Auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase spielten Unternehmensgewinne bei der Aktienbewertung kaum eine Rolle. "Konservative" Anleger orientierten sich womöglich noch am Verhältnis der Aktienpreise zu den Umsätzen, die meisten ließen aber ihrer Phantasie freien Lauf.
Nach dem Sündenfall der Internetwerte erinnerte man sich wieder an Gewinn-und-Verlust-Rechnungen und Bilanzen. Aber der Blick blieb getrübt und deshalb anfällig für gutes Make-up.
So akzeptierten Analysten und Anleger so genannte Pro-forma-Rechnungen der Unternehmen als Datenbasis für ihre Bewertungen, obwohl diese ihrem Charakter nach eher Planungsrechnungen sind und daher mehr die Wünsche des Unternehmensmanagements für das operative Ergebnis widerspiegeln als die harte Wirklichkeit. Die Analysten und Wirtschaftsprüfer ließen sich aber auch durch legale und illegale Schminke der offiziellen Gewinn-und-Verlust-Rechnungen und der Bilanzen blenden.
So konnten Unternehmen ihr operatives Ergebnis ausbessern, indem sie zum Beispiel - Einnahmen in ihren Rechnungen zeitlich nach vorne und Ausgaben nach hinten legten
- störende Verluste in negative außerordentliche Erträge umbuchten
- ihre Personalaufwendungen durch die Ausgabe von Aktienoptionen, die nicht bilanziert werden müssen, minderten oder
- ihre Pensionsaufwendungen dank steigender betrieblicher Pensionsfondsvermögen aussetzten.
Die Bilanzstruktur konnte optimiert werden, indem zum Beispiel Anlagen verkauft und zurückgeleast wurden oder indem störende Verpflichtungen an getrennt bilanzierende Tochterunternehmen abgegeben wurden, die womöglich durch kreatives Schuldenmanagement noch zum Gewinn der Muttergesellschaften beitrugen. Dabei wurde die Grenze zwischen legalem und illegalem "financial engineering" immer undeutlicher.
Enron-Pleite öffnete die Augen
Mit der Pleite von Enron wurde dem Publikum schlagartig bewusst, dass ein wesentlicher Teil der Zahlenwerke nur schöner Schein waren. Des Kaisers neue Kleider waren eine Illusion, der Kaiser war in Wirklichkeit nackt.
Der amerikanische Star-Ökonom Paul Krugman hat darauf hingewiesen, dass der Fall Enron unsere Sicht der Dinge wahrscheinlich nachhaltiger geändert hat als die Ereignisse des 11. September. Wenn Krugman Recht hat, wird das Publikum in Zukunft erwarten, dass die Preisrichter bei der Keynes'schen Schönheitskonkurrenz auf den Finanzmärkten nun hinter der Schminke nach wahrer Schönheit suchen.
Damit rücken wieder solide Bilanzen und traditionelle Aktienbewertungsmethoden in den Mittelpunkt des Anlegerinteresses. Legt man aber konservative Maßstäbe an, so lässt das gegenwärtige Niveau der Aktienpreise trotz des Rückgangs in den letzten Wochen nur sehr mäßige Renditen auf Aktienanlagen erwarten.
Nach der Lähmung der Wirtschaftspolitik unter der letzten Regierung Kohl und dem Fehlstart 1998 schien es, als ob die rot-grüne Regierung auf einen Kurs der wirtschaftlichen Reformen einschwenken würde. In der Tat wurde in den letzten Jahren auch einiges in Angriff genommen, wie zum Beispiel die viel gelobte Steuerreform und die Rentenreform.
Rückblickend muss man aber leider festhalten: Es hat nicht gereicht, um den wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands zu beenden. Das magere Bruttoinlandsprodukt (BIP) - Wachstum von 0,6 Prozent im letzten Jahr - war kein Ausrutscher. Im Schnitt der letzten zehn Jahre (1992-2001) wuchs das deutsche BIP mit 1,5 Prozent verglichen mit 3,4 Prozent in den USA und 2,6 Prozent in Großbritannien.
Nun rächt sich die Inkonsequenz bei Reformen
Auch im Vergleich mit dem Kontinent schneidet Deutschland schlecht ab: Über den gleichen Zeitraum wuchs das BIP in Frankreich mit 1,9 Prozent und in Italien immerhin mit 1,6 Prozent. Unter den großen Ländern schnitt nur Japan mit einer Wachstumsrate von 1,0 Prozent im Durchschnitt der letzten zehn Jahre etwas schlechter ab als Deutschland.
Es rächt sich nun, dass die Steuer- und Rentenreform zu zaghaft ausfielen und wichtige Reformvorhaben überhaupt nicht in Angriff genommen wurden. So hat nach Berechnungen des Sachverständigenrats die Unternehmenssteuerreform des letzten Jahres lediglich den Abstand zwischen der Steuerbelastung deutscher Unternehmen und der Frankreichs, des Landes mit der zweithöchsten Steuerlast in Euroland, ausgeglichen.
Von der niedrigeren durchschnittlichen Steuerbelastung in Euroland oder in anderen Ländern sind wir noch weit entfernt. Des Weiteren hat die Rentenreform zwar eine wichtige systemische Veränderung - den Einstieg in die private Altersvorsorge - gebracht, sie ist aber so bescheiden ausgefallen, dass der Beitrag zur gesetzlichen Versicherung bald wieder steigen wird.
In den Bereichen des Gesundheitswesens und des Arbeitsmarkts, wo Reformen stecken geblieben oder überhaupt nicht in Angriff genommen worden sind, wird die Bundesregierung inzwischen von ihren Versäumnissen eingeholt.
Die Lehre aus der Vergangenheit könnte klarer nicht ausfallen: Nur wenn wir es schaffen, umfangreiche und auch schmerzhafte Reformen durchzuführen, können wir den Abstieg stoppen. Sind wir dazu nicht bereit, wird unsere Wirtschaftskraft in einigen Jahren so ausgehöhlt sein, dass wir international vornehmlich als Risikofaktor für die Wirtschaft Europas und der Welt wahrgenommen werden.
Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion sollte etwas Besonderes werden: Eine Stabilitätsgemeinschaft, abgesichert durch eine unabhängige, der Preisstabilität verpflichteten Zentralbank und vertragliche Vereinbarungen zu einer stabilitätsgerechten Finanzpolitik.
Der Start der EWWU und die Einführung des Euro verliefen technisch perfekt, und die EZB hat ihre ersten Sporen verdient. Und dennoch wollen die Zweifel, ob die hoch gesteckten Ziele auch dauerhaft zu erreichen sind, nicht vergehen.
Ausstieg Duisenbergs war offenbar geplant
Erstens hat Herrn Duisenbergs Ankündigung eines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Amt zum 9. Juli 2003 an die zwielichtigen Umstände seiner Ernennung erinnert. Er wurde 1998 wohl nur zum EZB-Präsidenten gekürt, weil er sich (wenn auch ohne genaue Zeitangabe) verpflichtet hatte, die im Maastricht-Vertrag festgelegte Amtszeit von acht Jahren zu verkürzen.
Mit der Ankündigung seines Rücktritts hat Duisenberg diese Verpflichtung honoriert und den Weg zur Ernennung eines französischen Präsidenten frei gemacht. Daraus ist ihm persönlich kein Vorwurf zu machen.
Die Umstände seines Abgangs und die nun anstehende Entscheidung über seinen Nachfolger zeigen aber, dass auch bei der EZB die von anderen europäischen Institutionen her bekannte Personalpolitik gemacht wird. Dies lässt wenig Gutes ahnen für die bevorstehende Reform der EZB zur Vorbereitung der Aufnahme weiterer EWWU-Mitglieder nach der Osterweiterung der EU.
Zweitens hat die von Kanzler Schröder betriebene Ablehnung einer Verwarnung der deutschen Finanzpolitik zu Zweifeln über die Haltbarkeit des Stabilitäts- und Wachstumspakts beigetragen. Der unter Ökonomen nicht unumstrittene Pakt kam auf Deutschlands Drängen zu Stande, und manche sehen es mit kaum verhohlener Schadenfreude, dass Deutschland als erstes Land wegen der Gefahr, die 3-Prozent-Defizitgrenze zu durchbrechen, nach den Regeln des Pakts verwarnt werden sollte und sich dagegen zur Wehr setzte.
Wenn man sich auch über Einzelbestimmungen des Pakts streiten kann, so ist doch die Zielsetzung einer stabilitätsgerechten Finanzpolitik unumstritten. Deutschland hat mit seiner Abwehr der Verwarnung dem Pakt und damit leider auch seiner Zielsetzung keinen guten Dienst erwiesen.
Auch in der europäischen Wirtschafts- und Währungspolitik ist es an der Zeit, illusionslos in die Zukunft zu schauen. Das Projekt wird Schaden nehmen, wenn die Politik weiter an der gewohnten hartnäckigen Verfolgung nationaler Interessen auf Kosten der übergeordneten Interessen der Gemeinschaft festhält.
Vielen mag Europa für eine solche Voranstellung des gemeinschaftlichen Interesses nicht reif sein. Wenn dem so wäre, dann wäre es aber auch gefährlich, die europäische Zusammenarbeit weiter zu vertiefen.
Gruß
Happy End
mm.de