JENOPTIK
Die Späthfolgen
Hohe Schulden, strategischer Wirrwarr - das ostdeutsche Unternehmen Jenoptik kämpft auch nach der Trennung von M+W Zander mit der Hinterlassenschaft seines ehemaligen Chefs.
Lothar Späth befindet sich dort, wo er sich am wohlsten fühlt - auf dem Podest. Das Publikum ist gespickt mit ranghohen Bankern. An diesem letzten Mittwoch im vergangenen Oktober spricht er auf einem Galaempfang der Raiffeisen Zentralbank Österreich im Frankfurter Zoo-Gesellschaftshaus. Späths Arbeitgeber, die amerikanische Investmentgesellschaft Merrill Lynch Chart zeigen, hat kurz zuvor eine Tochterfirma der österreichischen Bank erfolgreich an die Börse geleitet.
Gelegentlich muss sich der Professor, wie man ihn am Empfang von Merrill Lynch respektvoll nennt, allerdings in die Niederungen begeben. Etwa ins Saale-Tal nach Jena zur Jenoptik AG Chart zeigen. Hier hat sich der jetzige Aufsichtsratschef der ostdeutschen Börsenfirma zwischen 1991 und 2003 seinen Ruf als tatkräftiger Manager erworben.
Späth erinnert sich gern an seine zwölf Jahre in Jena. Bei Gesprächen, bei seinen Vorträgen gibt er freimütig Anekdoten aus seiner Zeit als Aufbauhelfer zum Besten. Sie künden vom Überwinden widriger Umstände und einer ostdeutschen Erfolgsgeschichte.
Tatsächlich aber hat der spätberufene Firmenleiter in Jena ein Erbe hinterlassen, das kaum zum Vorzeigeobjekt taugt. Bei Jenoptik passt wenig zusammen, wirkt vieles ungelenk, manches verkorkst. Nur unter größter Kraftanstrengung und mit einer ordentlichen Portion Glück ist aus der Hinterlassenschaft noch ein zukunftsträchtiges Unternehmen zu formen. Und wenn, dann nur noch ein kleines.
Zweieinhalb Jahre nach Späths Ausscheiden als Vorstandschef
Jenoptik wurde gepäppelt, gehätschelt und protegiert wie kaum eine zweite Ost-Firma nach der Wende. Dafür hat vor allem Lothar Späth mit Charme, Charisma und Kapital gesorgt. Aus dem gescheiterten baden-württembergischen Landeschef wurde alsbald ein Held. Und Helden verehrt man, man kontrolliert sie nicht, wenn sie sich im Laufe der Jahre immer mehr verzetteln.
Zum Start gab es von der Treuhandanstalt und dem Land Thüringen happige 1,84 Milliarden Euro. Zwar verschlangen Altschulden, Pensionen und der Personalabbau den Großteil des Geldes. Doch blieben immerhin auch 310 Millionen für den eigentlichen Aufbau übrig. Zudem Patente, wertvolle Immobilien und eine viel versprechende Forschung. Reichlich Ressourcen für ein Start-up.
1998, beim Börsengang, flossen weitere 115 Millionen Euro in die Unternehmenskasse, später noch einmal rund 50 Millionen Euro mittels einer Kapitalerhöhung. Insgesamt vereinnahmte Späth annähernd eine halbe Milliarde Euro.
Befreit von den Zwängen der Vergangenheit, machte sich der Manager ans Werk. Häufig von seiner baden-württembergischen Heimat aus, das operative Geschäft überließ er bis 1995 weitgehend einem Team der Unternehmensberatung Boston Consulting. Der Chef selbst ging vor allem auf Einkaufstour.
Späth griff sich, was er bekommen konnte. Gewiss in bester Absicht, doch ohne erkennbaren strategischen Plan, langte er in Düsseldorf, Stuttgart, Berlin (West) oder Nürnberg zu. Insgesamt sammelte Späth in elf Jahren mehrere Dutzend Firmen aus den unterschiedlichsten Branchen ein. Mal war es ein Telekom-Unternehmen, mal ein Medizintechnikspezialist. Wichtigstes Auswahlkriterium: Die Unternehmen mussten zahlungsfähige Kunden haben. Denn die fehlten seinem Schützling wie das Vitamin dem Skorbut-Kranken.
Auf seinen größten Coup, der zugleich auch der fragwürdigste war, ist Späth noch heute stolz. Den landete er 1994 mit der Übernahme des Stuttgarter Reinraumherstellers Meissner + Wurst.
Die Firma kannte Späth bereits aus seiner Zeit als Ministerpräsident. 1994 wurde er bei einer Geschäftsreise in Singapur erneut auf das Unternehmen aufmerksam. Meissner + Wurst erhielt damals den Auftrag zum Bau einer Chipfabrik. Späths Jenoptik, die Fertigungsautomaten für die Chipproduktion (Wafer) liefern wollte, ging dagegen leer aus. Also dachte Späth: Kaufe ich die Firma, bekommt Jenoptik Aufträge. Außerdem hoffte er, die beiden Geschäfte Reinraumtechnik und Wafer-Produktion verzahnen zu können.
Späth zahlte für 150 Millionen Euro Umsatz 25 Millionen Euro Cash und übernahm Schulden sowie Pensionslasten. Die Eigentümerin jauchzte. Offenbar bot niemand außer Späth dermaßen viel.
Was Späth nicht wahrhaben wollte: Das Geschäft mit den Großanlagen, das schon die Vorbesitzerin finanziell überfordert hatte, war auch für Jenoptik kaum zu stemmen. Der Bau von Chipfabriken erfordert hohe Investitionen und Garantien. Wie stets im Anlagenbau können auch leicht Millionenverluste entstehen, wenn beim Aufbau der komplizierten Technik etwas schief läuft.
Milliardenspiel
Aufstieg und Fall der ostdeutschen Tec-Dax-Firma
Oktober 1991: Jenoptik startet mit 1,84 Milliarden Euro Subventionen; das Land Thüringen übernimmt alle Anteile.
Oktober 1994: Späth akquiriert den Chipfabrikhersteller Meissner + Wurst.
April 1996: Jenoptik kauft den Berliner Telekommmunikations-ausrüster Krone AG.
September 1997: Der Konzern übernimmt das Beteiligungs-unternehmen DEWB und steigt ins Risikokapitalgeschäft ein.
Juni 1998: Jenoptik geht an die Börse. Juli 1999: Die Anteile an der Krone AG werden wieder verkauft.
Dezember 2001: Abschluss des erfolgreichsten Geschäftsjahres der Jenoptik-Geschichte.
Dezember 2003: Das Unternehmen schreibt rote Zahlen.
Dezember 2004: Nach einem Gerichtsurteil droht dreistelliger Millionenabfluss.
Tatsächlich hat der "Volltreffer" (Späth) Jenoptik unter dem Strich bislang mehr gekostet als Erträge beschert. Zwei Jahre schrieb Meissner + Wurst rote Zahlen. In der übrigen Zeit waren die Investitionen hoch und die Gewinne mickrig. Kein Wunder, dass die Firma - bezogen auf den Umsatz - heute nur noch einen Bruchteil des früheren Wertes besitzt.
Auch als Folge der Akquisition hielt Späth zu lange an der Wafer-Produktion fest.
Erst 1999, nachdem sich die Verluste auf einen zweistelligen Millionenbetrag summiert hatten, trennte Jenoptik sich von dem Hersteller zur Produktion von Elektronikchips.
Die Techniker hatten es nicht vermocht, den Bereich - wie von Späth erhofft - mit der Reinraumsparte zu verbinden.
Große Erwartungen beim Einstieg, ein bestenfalls mäßiger Erfolg im weiteren Geschäftsverlauf - so erging es Späth mit etlichen seiner Erwerbungen. Dass Jenoptik dennoch zwischenzeitlich Gewinne einfuhr - in der Spitze waren es 88 Millionen Euro - verdankt Späth in erster Linie einigen lukrativen Börsengeschäften. Als Anleger nach allem griffen, was an Neu-Emissionen auf den Markt kam, brachte seine Truppe Aktien von Jenoptik-Ausgründungen und anderen jungen Technikfirmen unters Volk.
So war die hoch gelobte Jenoptik zum Ende der Ära Späth eher ein Emissionshaus mit kostspieliger Technologieabteilung: eine Unternehmenskonstruktion, die auf Dauer nicht tragfähig war. Das wurde spätestens 2002 erkennbar, als sich die Euphorie an der Börse in eine böse Depression verwandelt hatte. Prompt rutschte Jenoptik im folgenden Geschäftsjahr in die roten Zahlen.
Späth sieht indes auch heute keine Alternative zu seinem damaligen Vorgehen. "Mir war es gleichgültig, woher das Geld kam. Hauptsache, wir bekamen welches", gibt er zu Protokoll und fügt an: "Ich habe kein Lehrbuch gefunden, wo steht, wie man eine Firma dieser Art betreibt."
Späth, den viele als "Cleverle" bezeichnen, zog sich im Juni 2003 in den Aufsichtsrat zurück, in bester Strahlemannmanier, womöglich nur im Inneren ein wenig ernüchtert.
Seitdem steuert Alexander von Witzleben - grüne Augen, runde Hornbrille, hohe Stirn - die Geschicke von Jenoptik. Der Manager ist ein Zögling Späths, war 1993 vom Wirtschaftsprüfer KPMG zur Jenoptik gekommen. Späth lässt sich zumeist nur übers Telefon auf dem Laufenden halten. Schließlich ist von Witzleben ein Glücksfall für Jenoptik.
Der Mann kennt sich wie kein zweiter in den weiten Verästelungen des Konzerns aus. Außerdem ist von Witzleben ein guter Verkäufer. Bei Analystentreffen bringt der Manager, der in seinem Verhalten an die ungezwungenen Zeiten der New Economy erinnert, selbst 30 stocksteife Schweizer in Schwung. Vetter Albrecht von Witzleben, erfolgreicher Vermögensverwalter in London, tut ein Übriges. Er hilft in der Finanzmetropole mit guten Verbindungen zu Investoren und Bankanalysten.
Bei den Gelegenheiten erzählt der Jenoptik-Lenker dann von seinen Plänen. Ende vergangenen Jahres mit Erfolg. Am 19. Dezember 2005 unterschrieb die Investmentgesellschaft Springwater Capital einen Kaufvertrag für die mit 7200 Mitarbeitern und 1,5 Milliarden Euro Umsatz größte Konzerntochter M+W Zander. So heißt die Reinraum- und Gebäudetechniksparte seit Zusammenlegung mit der Nürnberger Zander Klimatechnik.
Bis Mitte des Jahres soll der Deal über die Bühne gehen. Im Gegenzug will von Witzleben den geschätzten Verkaufserlös von 150 Millionen Euro zur Schuldenreduzierung nutzen und rund um das Geschäft mit Lasern, optischen Geräten und Sensoren ein neues Unternehmen errichten. Bis Ende 2007 will er den Umsatz der dann "neuen Jenoptik AG" von rund 400 Millionen Euro auf eine halbe Milliarde Euro steigern. Damit spiele man in Europa und den USA "in der oberen Liga der Optoelektronik", so von Witzleben Ende Januar.
Den Anstoß zur Trennung von M+W Zander hatte von Witzleben bereits im Herbst 2002 gegeben. Bei einem Treffen im Gästehaus des Unternehmens in Jena stellte er Späth seine Idee erstmalig vor. Bei dem Schwenk mag eine Rolle gespielt haben, dass er mit dem M+W-Zander-Chef Jürgen Gießmann (59) geschäftlich offenbar nicht recht harmoniert. Gießmann ist ein grundsolider Arbeiter, von Witzleben ein Konzernkünstler, der mit Firmen jongliert wie andere mit Bällen.
So entwickelte sich die Trennung von M+W Zander auch mehr und mehr zum Scheidungsfiasko. Erst bemühten sich Gießmanns Mannen heimlich, aber vergeblich darum, die Firma selbst zu übernehmen. Dann probierte es von Witzleben mit einem Gang an die Börse in Singapur. Auch dieser Versuch scheiterte kläglich und kostete weitere 5,2 Millionen Euro. Anfang Dezember gelang es von Witzleben dann, Gießmann aus dem Konzernvorstand zu verbannen.
Neues Projekt, neue Strategie, neue Story - so weit, so gut. Allerdings ist der Verkauf an Springwater noch an die Zustimmung des Kartellamtes und Regelungen mit der Familie Zander, die gut 27 Prozent der Anteile an M+W Zander hält, geknüpft.
Verzögerungen und Rückschläge an allen Fronten - erfolgreiches Sanieren sieht anders aus. Denn auch bei der Tochtergesellschaft mit dem sperrigen Namen DEWB unterlief von Witzleben nach einem zunächst verzeihlichen Fehler womöglich ein folgenschwerer Lapsus.
DEWB steht für Deutsche Effecten- und Wechsel-Beteiligungsgesellschaft. Im Sommer 1997 hatten von Witzleben und Späth von der Heidenheimer Industriellenfamilie Voith gut 99 Prozent der Firmenanteile erworben.
Allerdings hatten die freien Aktionäre auf Grund eines zuvor geschlossenen Beherrschungsvertrags noch einen Abfindungsanspruch in Höhe von 26,51 Euro je Aktie. Einigen der Minderheitsaktionäre war der Betrag jedoch zu niedrig, sie klagten in einem Spruchstellenverfahren auf Nachbesserung.
Späth und von Witzleben kümmerten sich nicht weiter darum, nutzten stattdessen die Firma als Basis für ihre einträglichen Geschäfte mit jungen Technologieunternehmen. In der Folge kletterte der Kurs der DEWB-Aktie auf bis zu 64 Euro. Mit dem Anstieg machte das Duo erneut Kasse. Munter erhöhte man das Kapital - und damit auch den Streubesitz auf knapp 35 Prozent.
Dabei versäumte es Jenoptik, die rund fünf Millionen neuen Aktien durch eine eigene Wertpapierkennnummer von den alten abfindungsberechtigten Stücken zu unterscheiden. Ein Aktionär verlangte die Abfindung von Jenoptik und verklagte das Unternehmen, als dieses sich weigerte zu zahlen. Das Oberlandesgericht Jena gab ihm in zweiter Instanz Recht. Es beschied zudem, dass die Aktionäre keine Kaufbelege vorzulegen haben. Vielmehr müsse Jenoptik beweisen, dass die Ansprüche unberechtigt seien.
Für Jenoptik ist das ein Fiasko. Inzwischen fordern rund 6000 Kleinaktionäre für jede ihrer Aktien eine Abfindung in Höhe von 26,51 Euro nebst Zinsen. Im schlimmsten Fall müsste Jenoptik bis zu 140 Millionen Euro auszahlen.
Ein Ungemach, das von Witzleben durchaus hätte abwenden können. Im Oktober 2004 nämlich, etliche Wochen vor dem Rechtsspruch, war der Beschwerdeführer zu einem außergerichtlichen Vergleich bereit. 150.000 Euro, und die leidige Sache wäre erledigt gewesen. Parallel hätte sich von Witzleben im Spruchstellenverfahren mit den anderen Unzufriedenen einigen können. Das hätte ihn maximal weitere zwei Millionen Euro gekostet.
Doch von Witzleben wollte sich nicht beugen. Jetzt setzt der Chef verbissen darauf, dass der Bundesgerichtshof, bei dem seine Juristen Revision eingelegt haben, das Urteil und auch die Beweislast wieder umkehrt. "Den Prozess hoffen wir zu gewinnen", sagt er knapp.
Von Witzleben muss so einiges gelingen. Die strategische Neuformierung, die Ergebnisverbesserung, die Reduzierung der Schulden ... Aufsichtsratschef Lothar Späth hofft: "Damit wird es wohl nicht mehr lange dauern."
Falls doch, wird Späth wohl Konsequenzen ziehen müssen. Denn eines weiß der Manager Späth: Wo ein Desaster ist, muss ein Schuldiger präsentiert werden. Späth darf dann zwischen sich selbst und von Witzleben wählen.
Späth aller Orten: Dem Vorsitzenden des Jenoptik-Aufsichtsrats ist kein Job fremd oder zu schwer
Mandatsträger: Seine politische Karriere startete der Sohn eines Lagerverwalters in den 60er Jahren als Bürgermeister in Bietigheim. Rasch kam ein Sitz im baden-württembergischen Landtag dazu. 1978 avancierte Späth zum Innenminister und nach dem Rücktritt von Hans Filbinger zum Regierungschef. Die Regentschaft währte knapp 13 Jahre; danach zog sich Späth aus der Politik zurück. Im Jahr 2002 misslang ein Comeback, weil die CDU/CSU die Bundestagswahl verlor. Späth war als Superminister im Schattenkabinett von Edmund Stoiber vorgesehen gewesen.
Mitfahrer: Als Regierungschef hielt Späth stets engen Kontakt zu den Wirtschaftsführern des Landes - auch in der Freizeit. Als Späth vorgeworfen wurde, auf Kosten befreundeter Konzernchefs Reisen unternommen zu haben, musste er zurücktreten.
Medienstar: Späth liebt das Rampenlicht. Im Jahr hält er rund 50 gut dotierte Vorträge. Im "Handelsblatt" schreibt er eine wöchentliche Kolumne. Beim Nachrichtensender N-TV moderierte er von 1998 bis 2001 die Talkshow "Späth am Abend".
Manager: Späth betätigt sich seit 1961 immer wieder auch als Unternehmensleiter, bei kommunalen Wohnungsbauunternehmen, der ehemaligen Neuen Heimat, bei Jenoptik - und jetzt als Deutschland-Chef der Investmentbank Merrill Lynch. Außerdem hat er diverse Aufsichtsratsmandate.
Quelle: manager-magazin.de
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Der Einsame Samariter
Die Späthfolgen
Hohe Schulden, strategischer Wirrwarr - das ostdeutsche Unternehmen Jenoptik kämpft auch nach der Trennung von M+W Zander mit der Hinterlassenschaft seines ehemaligen Chefs.
Lothar Späth befindet sich dort, wo er sich am wohlsten fühlt - auf dem Podest. Das Publikum ist gespickt mit ranghohen Bankern. An diesem letzten Mittwoch im vergangenen Oktober spricht er auf einem Galaempfang der Raiffeisen Zentralbank Österreich im Frankfurter Zoo-Gesellschaftshaus. Späths Arbeitgeber, die amerikanische Investmentgesellschaft Merrill Lynch Chart zeigen, hat kurz zuvor eine Tochterfirma der österreichischen Bank erfolgreich an die Börse geleitet.
Gelegentlich muss sich der Professor, wie man ihn am Empfang von Merrill Lynch respektvoll nennt, allerdings in die Niederungen begeben. Etwa ins Saale-Tal nach Jena zur Jenoptik AG Chart zeigen. Hier hat sich der jetzige Aufsichtsratschef der ostdeutschen Börsenfirma zwischen 1991 und 2003 seinen Ruf als tatkräftiger Manager erworben.
Späth erinnert sich gern an seine zwölf Jahre in Jena. Bei Gesprächen, bei seinen Vorträgen gibt er freimütig Anekdoten aus seiner Zeit als Aufbauhelfer zum Besten. Sie künden vom Überwinden widriger Umstände und einer ostdeutschen Erfolgsgeschichte.
Tatsächlich aber hat der spätberufene Firmenleiter in Jena ein Erbe hinterlassen, das kaum zum Vorzeigeobjekt taugt. Bei Jenoptik passt wenig zusammen, wirkt vieles ungelenk, manches verkorkst. Nur unter größter Kraftanstrengung und mit einer ordentlichen Portion Glück ist aus der Hinterlassenschaft noch ein zukunftsträchtiges Unternehmen zu formen. Und wenn, dann nur noch ein kleines.
Zweieinhalb Jahre nach Späths Ausscheiden als Vorstandschef
- verbrennt die ostdeutsche Tec-Dax-Firma (Umsatz 2005: 1,9 Milliarden Euro) Quartal für Quartal zweistellige Millionenbeträge
- drücken den Konzern Schulden in Höhe von rund 1,1 Milliarden Euro
- notiert die Aktie bei einem Fünftel ihres Höchststandes.
Jenoptik wurde gepäppelt, gehätschelt und protegiert wie kaum eine zweite Ost-Firma nach der Wende. Dafür hat vor allem Lothar Späth mit Charme, Charisma und Kapital gesorgt. Aus dem gescheiterten baden-württembergischen Landeschef wurde alsbald ein Held. Und Helden verehrt man, man kontrolliert sie nicht, wenn sie sich im Laufe der Jahre immer mehr verzetteln.
Zum Start gab es von der Treuhandanstalt und dem Land Thüringen happige 1,84 Milliarden Euro. Zwar verschlangen Altschulden, Pensionen und der Personalabbau den Großteil des Geldes. Doch blieben immerhin auch 310 Millionen für den eigentlichen Aufbau übrig. Zudem Patente, wertvolle Immobilien und eine viel versprechende Forschung. Reichlich Ressourcen für ein Start-up.
1998, beim Börsengang, flossen weitere 115 Millionen Euro in die Unternehmenskasse, später noch einmal rund 50 Millionen Euro mittels einer Kapitalerhöhung. Insgesamt vereinnahmte Späth annähernd eine halbe Milliarde Euro.
Befreit von den Zwängen der Vergangenheit, machte sich der Manager ans Werk. Häufig von seiner baden-württembergischen Heimat aus, das operative Geschäft überließ er bis 1995 weitgehend einem Team der Unternehmensberatung Boston Consulting. Der Chef selbst ging vor allem auf Einkaufstour.
Späth griff sich, was er bekommen konnte. Gewiss in bester Absicht, doch ohne erkennbaren strategischen Plan, langte er in Düsseldorf, Stuttgart, Berlin (West) oder Nürnberg zu. Insgesamt sammelte Späth in elf Jahren mehrere Dutzend Firmen aus den unterschiedlichsten Branchen ein. Mal war es ein Telekom-Unternehmen, mal ein Medizintechnikspezialist. Wichtigstes Auswahlkriterium: Die Unternehmen mussten zahlungsfähige Kunden haben. Denn die fehlten seinem Schützling wie das Vitamin dem Skorbut-Kranken.
Auf seinen größten Coup, der zugleich auch der fragwürdigste war, ist Späth noch heute stolz. Den landete er 1994 mit der Übernahme des Stuttgarter Reinraumherstellers Meissner + Wurst.
Die Firma kannte Späth bereits aus seiner Zeit als Ministerpräsident. 1994 wurde er bei einer Geschäftsreise in Singapur erneut auf das Unternehmen aufmerksam. Meissner + Wurst erhielt damals den Auftrag zum Bau einer Chipfabrik. Späths Jenoptik, die Fertigungsautomaten für die Chipproduktion (Wafer) liefern wollte, ging dagegen leer aus. Also dachte Späth: Kaufe ich die Firma, bekommt Jenoptik Aufträge. Außerdem hoffte er, die beiden Geschäfte Reinraumtechnik und Wafer-Produktion verzahnen zu können.
Späth zahlte für 150 Millionen Euro Umsatz 25 Millionen Euro Cash und übernahm Schulden sowie Pensionslasten. Die Eigentümerin jauchzte. Offenbar bot niemand außer Späth dermaßen viel.
Was Späth nicht wahrhaben wollte: Das Geschäft mit den Großanlagen, das schon die Vorbesitzerin finanziell überfordert hatte, war auch für Jenoptik kaum zu stemmen. Der Bau von Chipfabriken erfordert hohe Investitionen und Garantien. Wie stets im Anlagenbau können auch leicht Millionenverluste entstehen, wenn beim Aufbau der komplizierten Technik etwas schief läuft.
Milliardenspiel
Aufstieg und Fall der ostdeutschen Tec-Dax-Firma
Oktober 1991: Jenoptik startet mit 1,84 Milliarden Euro Subventionen; das Land Thüringen übernimmt alle Anteile.
Oktober 1994: Späth akquiriert den Chipfabrikhersteller Meissner + Wurst.
April 1996: Jenoptik kauft den Berliner Telekommmunikations-ausrüster Krone AG.
September 1997: Der Konzern übernimmt das Beteiligungs-unternehmen DEWB und steigt ins Risikokapitalgeschäft ein.
Juni 1998: Jenoptik geht an die Börse. Juli 1999: Die Anteile an der Krone AG werden wieder verkauft.
Dezember 2001: Abschluss des erfolgreichsten Geschäftsjahres der Jenoptik-Geschichte.
Dezember 2003: Das Unternehmen schreibt rote Zahlen.
Dezember 2004: Nach einem Gerichtsurteil droht dreistelliger Millionenabfluss.
Tatsächlich hat der "Volltreffer" (Späth) Jenoptik unter dem Strich bislang mehr gekostet als Erträge beschert. Zwei Jahre schrieb Meissner + Wurst rote Zahlen. In der übrigen Zeit waren die Investitionen hoch und die Gewinne mickrig. Kein Wunder, dass die Firma - bezogen auf den Umsatz - heute nur noch einen Bruchteil des früheren Wertes besitzt.
Auch als Folge der Akquisition hielt Späth zu lange an der Wafer-Produktion fest.
Erst 1999, nachdem sich die Verluste auf einen zweistelligen Millionenbetrag summiert hatten, trennte Jenoptik sich von dem Hersteller zur Produktion von Elektronikchips.
Die Techniker hatten es nicht vermocht, den Bereich - wie von Späth erhofft - mit der Reinraumsparte zu verbinden.
Große Erwartungen beim Einstieg, ein bestenfalls mäßiger Erfolg im weiteren Geschäftsverlauf - so erging es Späth mit etlichen seiner Erwerbungen. Dass Jenoptik dennoch zwischenzeitlich Gewinne einfuhr - in der Spitze waren es 88 Millionen Euro - verdankt Späth in erster Linie einigen lukrativen Börsengeschäften. Als Anleger nach allem griffen, was an Neu-Emissionen auf den Markt kam, brachte seine Truppe Aktien von Jenoptik-Ausgründungen und anderen jungen Technikfirmen unters Volk.
So war die hoch gelobte Jenoptik zum Ende der Ära Späth eher ein Emissionshaus mit kostspieliger Technologieabteilung: eine Unternehmenskonstruktion, die auf Dauer nicht tragfähig war. Das wurde spätestens 2002 erkennbar, als sich die Euphorie an der Börse in eine böse Depression verwandelt hatte. Prompt rutschte Jenoptik im folgenden Geschäftsjahr in die roten Zahlen.
Späth sieht indes auch heute keine Alternative zu seinem damaligen Vorgehen. "Mir war es gleichgültig, woher das Geld kam. Hauptsache, wir bekamen welches", gibt er zu Protokoll und fügt an: "Ich habe kein Lehrbuch gefunden, wo steht, wie man eine Firma dieser Art betreibt."
Späth, den viele als "Cleverle" bezeichnen, zog sich im Juni 2003 in den Aufsichtsrat zurück, in bester Strahlemannmanier, womöglich nur im Inneren ein wenig ernüchtert.
Seitdem steuert Alexander von Witzleben - grüne Augen, runde Hornbrille, hohe Stirn - die Geschicke von Jenoptik. Der Manager ist ein Zögling Späths, war 1993 vom Wirtschaftsprüfer KPMG zur Jenoptik gekommen. Späth lässt sich zumeist nur übers Telefon auf dem Laufenden halten. Schließlich ist von Witzleben ein Glücksfall für Jenoptik.
Der Mann kennt sich wie kein zweiter in den weiten Verästelungen des Konzerns aus. Außerdem ist von Witzleben ein guter Verkäufer. Bei Analystentreffen bringt der Manager, der in seinem Verhalten an die ungezwungenen Zeiten der New Economy erinnert, selbst 30 stocksteife Schweizer in Schwung. Vetter Albrecht von Witzleben, erfolgreicher Vermögensverwalter in London, tut ein Übriges. Er hilft in der Finanzmetropole mit guten Verbindungen zu Investoren und Bankanalysten.
Bei den Gelegenheiten erzählt der Jenoptik-Lenker dann von seinen Plänen. Ende vergangenen Jahres mit Erfolg. Am 19. Dezember 2005 unterschrieb die Investmentgesellschaft Springwater Capital einen Kaufvertrag für die mit 7200 Mitarbeitern und 1,5 Milliarden Euro Umsatz größte Konzerntochter M+W Zander. So heißt die Reinraum- und Gebäudetechniksparte seit Zusammenlegung mit der Nürnberger Zander Klimatechnik.
Bis Mitte des Jahres soll der Deal über die Bühne gehen. Im Gegenzug will von Witzleben den geschätzten Verkaufserlös von 150 Millionen Euro zur Schuldenreduzierung nutzen und rund um das Geschäft mit Lasern, optischen Geräten und Sensoren ein neues Unternehmen errichten. Bis Ende 2007 will er den Umsatz der dann "neuen Jenoptik AG" von rund 400 Millionen Euro auf eine halbe Milliarde Euro steigern. Damit spiele man in Europa und den USA "in der oberen Liga der Optoelektronik", so von Witzleben Ende Januar.
Den Anstoß zur Trennung von M+W Zander hatte von Witzleben bereits im Herbst 2002 gegeben. Bei einem Treffen im Gästehaus des Unternehmens in Jena stellte er Späth seine Idee erstmalig vor. Bei dem Schwenk mag eine Rolle gespielt haben, dass er mit dem M+W-Zander-Chef Jürgen Gießmann (59) geschäftlich offenbar nicht recht harmoniert. Gießmann ist ein grundsolider Arbeiter, von Witzleben ein Konzernkünstler, der mit Firmen jongliert wie andere mit Bällen.
So entwickelte sich die Trennung von M+W Zander auch mehr und mehr zum Scheidungsfiasko. Erst bemühten sich Gießmanns Mannen heimlich, aber vergeblich darum, die Firma selbst zu übernehmen. Dann probierte es von Witzleben mit einem Gang an die Börse in Singapur. Auch dieser Versuch scheiterte kläglich und kostete weitere 5,2 Millionen Euro. Anfang Dezember gelang es von Witzleben dann, Gießmann aus dem Konzernvorstand zu verbannen.
Neues Projekt, neue Strategie, neue Story - so weit, so gut. Allerdings ist der Verkauf an Springwater noch an die Zustimmung des Kartellamtes und Regelungen mit der Familie Zander, die gut 27 Prozent der Anteile an M+W Zander hält, geknüpft.
Verzögerungen und Rückschläge an allen Fronten - erfolgreiches Sanieren sieht anders aus. Denn auch bei der Tochtergesellschaft mit dem sperrigen Namen DEWB unterlief von Witzleben nach einem zunächst verzeihlichen Fehler womöglich ein folgenschwerer Lapsus.
DEWB steht für Deutsche Effecten- und Wechsel-Beteiligungsgesellschaft. Im Sommer 1997 hatten von Witzleben und Späth von der Heidenheimer Industriellenfamilie Voith gut 99 Prozent der Firmenanteile erworben.
Allerdings hatten die freien Aktionäre auf Grund eines zuvor geschlossenen Beherrschungsvertrags noch einen Abfindungsanspruch in Höhe von 26,51 Euro je Aktie. Einigen der Minderheitsaktionäre war der Betrag jedoch zu niedrig, sie klagten in einem Spruchstellenverfahren auf Nachbesserung.
Späth und von Witzleben kümmerten sich nicht weiter darum, nutzten stattdessen die Firma als Basis für ihre einträglichen Geschäfte mit jungen Technologieunternehmen. In der Folge kletterte der Kurs der DEWB-Aktie auf bis zu 64 Euro. Mit dem Anstieg machte das Duo erneut Kasse. Munter erhöhte man das Kapital - und damit auch den Streubesitz auf knapp 35 Prozent.
Dabei versäumte es Jenoptik, die rund fünf Millionen neuen Aktien durch eine eigene Wertpapierkennnummer von den alten abfindungsberechtigten Stücken zu unterscheiden. Ein Aktionär verlangte die Abfindung von Jenoptik und verklagte das Unternehmen, als dieses sich weigerte zu zahlen. Das Oberlandesgericht Jena gab ihm in zweiter Instanz Recht. Es beschied zudem, dass die Aktionäre keine Kaufbelege vorzulegen haben. Vielmehr müsse Jenoptik beweisen, dass die Ansprüche unberechtigt seien.
Für Jenoptik ist das ein Fiasko. Inzwischen fordern rund 6000 Kleinaktionäre für jede ihrer Aktien eine Abfindung in Höhe von 26,51 Euro nebst Zinsen. Im schlimmsten Fall müsste Jenoptik bis zu 140 Millionen Euro auszahlen.
Ein Ungemach, das von Witzleben durchaus hätte abwenden können. Im Oktober 2004 nämlich, etliche Wochen vor dem Rechtsspruch, war der Beschwerdeführer zu einem außergerichtlichen Vergleich bereit. 150.000 Euro, und die leidige Sache wäre erledigt gewesen. Parallel hätte sich von Witzleben im Spruchstellenverfahren mit den anderen Unzufriedenen einigen können. Das hätte ihn maximal weitere zwei Millionen Euro gekostet.
Doch von Witzleben wollte sich nicht beugen. Jetzt setzt der Chef verbissen darauf, dass der Bundesgerichtshof, bei dem seine Juristen Revision eingelegt haben, das Urteil und auch die Beweislast wieder umkehrt. "Den Prozess hoffen wir zu gewinnen", sagt er knapp.
Von Witzleben muss so einiges gelingen. Die strategische Neuformierung, die Ergebnisverbesserung, die Reduzierung der Schulden ... Aufsichtsratschef Lothar Späth hofft: "Damit wird es wohl nicht mehr lange dauern."
Falls doch, wird Späth wohl Konsequenzen ziehen müssen. Denn eines weiß der Manager Späth: Wo ein Desaster ist, muss ein Schuldiger präsentiert werden. Späth darf dann zwischen sich selbst und von Witzleben wählen.
Späth aller Orten: Dem Vorsitzenden des Jenoptik-Aufsichtsrats ist kein Job fremd oder zu schwer
Mandatsträger: Seine politische Karriere startete der Sohn eines Lagerverwalters in den 60er Jahren als Bürgermeister in Bietigheim. Rasch kam ein Sitz im baden-württembergischen Landtag dazu. 1978 avancierte Späth zum Innenminister und nach dem Rücktritt von Hans Filbinger zum Regierungschef. Die Regentschaft währte knapp 13 Jahre; danach zog sich Späth aus der Politik zurück. Im Jahr 2002 misslang ein Comeback, weil die CDU/CSU die Bundestagswahl verlor. Späth war als Superminister im Schattenkabinett von Edmund Stoiber vorgesehen gewesen.
Mitfahrer: Als Regierungschef hielt Späth stets engen Kontakt zu den Wirtschaftsführern des Landes - auch in der Freizeit. Als Späth vorgeworfen wurde, auf Kosten befreundeter Konzernchefs Reisen unternommen zu haben, musste er zurücktreten.
Medienstar: Späth liebt das Rampenlicht. Im Jahr hält er rund 50 gut dotierte Vorträge. Im "Handelsblatt" schreibt er eine wöchentliche Kolumne. Beim Nachrichtensender N-TV moderierte er von 1998 bis 2001 die Talkshow "Späth am Abend".
Manager: Späth betätigt sich seit 1961 immer wieder auch als Unternehmensleiter, bei kommunalen Wohnungsbauunternehmen, der ehemaligen Neuen Heimat, bei Jenoptik - und jetzt als Deutschland-Chef der Investmentbank Merrill Lynch. Außerdem hat er diverse Aufsichtsratsmandate.
Quelle: manager-magazin.de
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Der Einsame Samariter