Charlotte purzelt
Von Bernd Niquet
Ein ganz merkwürdiger Vergleich drängt sich seit einiger Zeit auf: Zum zweiten Mal binnen zehn Jahren machen wir in Deutschland eine Situation durch, in der einem die Wendehälse schlichtweg die Sprache nehmen. Man braucht nur einmal den Fernseher anzustellen oder eine Zeitschrift zur Hand zu nehmen und schon springt es einem förmlich ins Auge:
Gerissene Wendehälse und friedliche Schafe
Gerade diejenigen, die mit der größten Überzeugung das Paradigma einer Neuen Zeit vertreten haben, sind jetzt auch diejenigen, die mit inbrünstiger Überzeugung die Gründe auflisten, warum dass, was sie vorher gesagt haben, nicht nur nicht eingetreten ist, nein, sondern warum sogar genau das Gegenteil davon eingetreten ist.
Oder, um es noch direkter zu sagen: Beobachtet man derzeit das Geschehen an den Neuen Märkten der Börsen, dann hat man den Eindruck, hier habe man tatsächlich Erich Mielke zum Abwickler der Stasi gemacht. Mir bleibt es jedenfalls unverständlich, wie beispielsweise in den Call-In-Sendungen im Fernsehen die Anrufer es immer wieder schaffen, die Contenance zu wahren.
Denn einmal im Ernst: Wie ist es möglich, dass immer wieder Menschen anscheinend völlig freiwillig ihre Schlächter anrufen und dabei stets freundlich und höflich bleiben, ganz so, als sei nichts geschehen? Trotz Kursverlusten von über 80 Prozent kann das eigentlich nur heißen: Die Korrektur ist noch längst nicht vorbei, denn anscheinend ist die Hoffnung auf Kursgewinne in der Zukunft immer noch so groß, um die Desillusionierung der Gegenwart erfolgreich übertünchen zu können. Der Markt ist also wohl erst dann frei, wenn auch diese Hoffnung gestorben, die Verluste tatsächlich - mental und durch Verkäufe - realisiert und der öffentliche Umgangston erheblich ruppiger wird.
Der Krise zweiter Teil
Ich sehe jedoch noch eine weitere Bedingung, die erfüllt sein muss, bevor die Kurse wieder steigen können: Auch die Gurus der Old Economy, die die gesamte Hausse an den Neuen Märkten der letzten Jahre vollkommen verpasst haben und sich jetzt als die Könige fühlen, werden wohl ebenfalls erst noch entthront werden müssen. Denn wenig hat mich in der letzten Zeit mehr geärgert als die selbstzufriedene Art der - wahrscheinlich sogar selbst geglaubten - Überlegenheit, mit der zum Jahreswechsel das Jahr 2001 zum hervorragenden Aktienjahr gekürt worden ist.
Wo doch eigentlich völlig klar sein musste, dass es zumindest sehr problematisch werden würde, mit Standardwerten nahe ihrer Alltime-Highs in eine rezessive Tendenz hineinzugehen. Und jetzt bekommen Sie es derart dick auf die Nase, doch mit ihnen leider auch die Anleger, die dieser Weisheit der Schwerelosigkeit allzu leicht und erfreut geglaubt haben. Doch reicht ein Dax von 5.700 und ein Dow von 9.800 schon aus?
Mit den Nerven am Ende?
Ich bezweifele es. Denn nach meiner Erfahrung geht keine Baisse zu Ende, ohne dass nicht Furcht und Schrecken vor dem Totalzusammenbruch herrschen. Und bisher hat diese Angst sich nur auf ein Teilsegment der Märkte bezogen. Doch eine Teilangst ist noch keine richtige Angst. Meine persönliche Erwartung ist: Demnächst wird die japanische Karte gespielt. Nicht nur angedeutet, wie bisher, sondern direkt als Trumpf (der Bären) ausgespielt. Konkret: Man wird überall behaupten, Japan bringe das Weltfinanzsystem zur Implosion. Und erst in einer derartigen Panik wäre der Markt dann frei. Jedenfalls ist es in der Vergangenheit aus meiner Sicht selten anders gewesen.
Aus diesem Grunde möchte ich heute auch den armen Markus Frick schonen, sondern lieber - gleichsam zur Stützung meiner These - die Einleitungspassage aus Hans Berneckers aktueller "Actien-Börse" zitieren. Denn die Gurus der Old Economy sind angezählt, und sie wissen es. Auf jeden Fall jedoch zeigen sie Wirkung: "Halt. Vorsicht! Diese Baisse geht zu weit. Das Massengrab ist voll und die Totengräber ziehen schon die weißen Glacé-Handschuhe aus. Die "analytische" Begleitmusik ist zwar noch etwas unstimmig, klingt aber aus. Die Hohen Priester des Investment-Banking murmeln noch ihre letzten Unschuldbeteuerungen, um den Ansatz für ihre nächste Rolle zu üben, während der gedämpfte Trommelwirbel der Medien langsam verhallt."
Der Optimismus und der Pessimismus liegen also dicht beieinander. Der Verstand wehrt sich mit letzter Kraft gegen das Gefühl, was gerade deswegen auch wieder optimistisch macht, weil alles so aussieht, als ob er kurz davor ist, sein letztes Gefecht erfolgreich zu verlieren.
Von Bernd Niquet
Ein ganz merkwürdiger Vergleich drängt sich seit einiger Zeit auf: Zum zweiten Mal binnen zehn Jahren machen wir in Deutschland eine Situation durch, in der einem die Wendehälse schlichtweg die Sprache nehmen. Man braucht nur einmal den Fernseher anzustellen oder eine Zeitschrift zur Hand zu nehmen und schon springt es einem förmlich ins Auge:
Gerissene Wendehälse und friedliche Schafe
Gerade diejenigen, die mit der größten Überzeugung das Paradigma einer Neuen Zeit vertreten haben, sind jetzt auch diejenigen, die mit inbrünstiger Überzeugung die Gründe auflisten, warum dass, was sie vorher gesagt haben, nicht nur nicht eingetreten ist, nein, sondern warum sogar genau das Gegenteil davon eingetreten ist.
Oder, um es noch direkter zu sagen: Beobachtet man derzeit das Geschehen an den Neuen Märkten der Börsen, dann hat man den Eindruck, hier habe man tatsächlich Erich Mielke zum Abwickler der Stasi gemacht. Mir bleibt es jedenfalls unverständlich, wie beispielsweise in den Call-In-Sendungen im Fernsehen die Anrufer es immer wieder schaffen, die Contenance zu wahren.
Denn einmal im Ernst: Wie ist es möglich, dass immer wieder Menschen anscheinend völlig freiwillig ihre Schlächter anrufen und dabei stets freundlich und höflich bleiben, ganz so, als sei nichts geschehen? Trotz Kursverlusten von über 80 Prozent kann das eigentlich nur heißen: Die Korrektur ist noch längst nicht vorbei, denn anscheinend ist die Hoffnung auf Kursgewinne in der Zukunft immer noch so groß, um die Desillusionierung der Gegenwart erfolgreich übertünchen zu können. Der Markt ist also wohl erst dann frei, wenn auch diese Hoffnung gestorben, die Verluste tatsächlich - mental und durch Verkäufe - realisiert und der öffentliche Umgangston erheblich ruppiger wird.
Der Krise zweiter Teil
Ich sehe jedoch noch eine weitere Bedingung, die erfüllt sein muss, bevor die Kurse wieder steigen können: Auch die Gurus der Old Economy, die die gesamte Hausse an den Neuen Märkten der letzten Jahre vollkommen verpasst haben und sich jetzt als die Könige fühlen, werden wohl ebenfalls erst noch entthront werden müssen. Denn wenig hat mich in der letzten Zeit mehr geärgert als die selbstzufriedene Art der - wahrscheinlich sogar selbst geglaubten - Überlegenheit, mit der zum Jahreswechsel das Jahr 2001 zum hervorragenden Aktienjahr gekürt worden ist.
Wo doch eigentlich völlig klar sein musste, dass es zumindest sehr problematisch werden würde, mit Standardwerten nahe ihrer Alltime-Highs in eine rezessive Tendenz hineinzugehen. Und jetzt bekommen Sie es derart dick auf die Nase, doch mit ihnen leider auch die Anleger, die dieser Weisheit der Schwerelosigkeit allzu leicht und erfreut geglaubt haben. Doch reicht ein Dax von 5.700 und ein Dow von 9.800 schon aus?
Mit den Nerven am Ende?
Ich bezweifele es. Denn nach meiner Erfahrung geht keine Baisse zu Ende, ohne dass nicht Furcht und Schrecken vor dem Totalzusammenbruch herrschen. Und bisher hat diese Angst sich nur auf ein Teilsegment der Märkte bezogen. Doch eine Teilangst ist noch keine richtige Angst. Meine persönliche Erwartung ist: Demnächst wird die japanische Karte gespielt. Nicht nur angedeutet, wie bisher, sondern direkt als Trumpf (der Bären) ausgespielt. Konkret: Man wird überall behaupten, Japan bringe das Weltfinanzsystem zur Implosion. Und erst in einer derartigen Panik wäre der Markt dann frei. Jedenfalls ist es in der Vergangenheit aus meiner Sicht selten anders gewesen.
Aus diesem Grunde möchte ich heute auch den armen Markus Frick schonen, sondern lieber - gleichsam zur Stützung meiner These - die Einleitungspassage aus Hans Berneckers aktueller "Actien-Börse" zitieren. Denn die Gurus der Old Economy sind angezählt, und sie wissen es. Auf jeden Fall jedoch zeigen sie Wirkung: "Halt. Vorsicht! Diese Baisse geht zu weit. Das Massengrab ist voll und die Totengräber ziehen schon die weißen Glacé-Handschuhe aus. Die "analytische" Begleitmusik ist zwar noch etwas unstimmig, klingt aber aus. Die Hohen Priester des Investment-Banking murmeln noch ihre letzten Unschuldbeteuerungen, um den Ansatz für ihre nächste Rolle zu üben, während der gedämpfte Trommelwirbel der Medien langsam verhallt."
Der Optimismus und der Pessimismus liegen also dicht beieinander. Der Verstand wehrt sich mit letzter Kraft gegen das Gefühl, was gerade deswegen auch wieder optimistisch macht, weil alles so aussieht, als ob er kurz davor ist, sein letztes Gefecht erfolgreich zu verlieren.