Chancen 2003
Von Folker Dries
Leitzinssenkungen sind nur des Schuldners Glück. Für Sparer bedeutet die Großzügigkeit der Zentralbanker, daß sie sich auf kleinere Zinskupons einstellen müssen. Wer hierzulande Geld nur parkt, muß schon auf Lockangebote mit geringen Halbwertszeiten zurückgreifen, um noch eine Rendite mit einer 3 vor dem Komma zu ergattern. Viel mehr als den Inflationsausgleich wollen und können die Banken nicht mehr bieten. Heißt dies, daß die Liquiditätsberge verängstigter Sparer bald abgetragen und im Aktienmarkt reinvestiert werden? Sind die Geldmarktrenditen inzwischen unerträglich niedrig geworden?
Die Erfahrungen in Amerika sprechen dagegen, daß es eine Schmerzschwelle für absolute Renditen gibt, die Wanderungsbewegungen auslösen. Denn dort ist der Leitzins mit 1,25 Prozent nicht einmal mehr halb so hoch wie in Euroland. Wer Geld nicht auf längere Zeit festlegt, nimmt in Amerika real, also preisbereinigt, sogar eine Vermögensminderung in Kauf. Die Geldmarktfonds werfen im Durchschnitt noch eine Rendite von gut einem Prozent ab. Gleichwohl sind in den Vereinigten Staaten allein in diesen Fonds immer noch 2,4 Billionen Dollar geparkt, in etwa das gleiche Volumen wie vor einem Jahr. Daneben sind seit Jahresbeginn die Spareinlagen bei den Banken von 2,3 auf 2,8 Billionen Dollar gestiegen. Dies erklärt sich damit, daß viele Banken ihre Sparzinsen nicht mehr so schnell zurücknehmen wie die Fed ihren Leitzins und Spareinlagen somit deutlich attraktiver werden als Geldmarktfonds.
Kurzum: Die Amerikaner haben mehr als 5 Billionen Dollar in niedrig verzinslichen Anlagen geparkt. Dem steht ein Vermögen von nur mehr 2,4 Billionen Dollar in Aktienfonds gegenüber. Der Vergleich mag manchen Aktieninvestor sinnlich machen - auch hierzulande, denn das Wohlergehen der Wall Street pflegt auf den Rest der Welt abzufärben. Für eine tektonische Verschiebung zwischen den skizzierten Anlageklassen gibt es freilich noch keine Anzeichen. Dennoch spricht einiges dafür, daß die Aktie im nächsten Jahr - beiderseits des Atlantiks - als Kapitalanlage wieder ein wenig populärer werden wird. Der Hoffnungswert ist dabei nicht unbedingt die Liquidität auf Spar- und Geldmarktkonten, sondern das absehbare Ende der Hausse am Rentenmarkt. Wenn Amerika nicht doch noch wider Erwarten in eine erneute Rezession abgleiten sollte, dürften die Kurse der Staatsanleihen im Oktober dieses Jahres ihr zyklisches Hoch und damit die Renditen ihr Tief gesehen haben.
Umschichtungen aus dem Rentenmarkt in den Aktienmarkt sind damit absehbar. De facto haben sie schon vor zwei Monaten eingesetzt. Das Comeback der Aktie wird jedoch, wenn es denn nachhaltig ist, unspektakulär ausfallen. Denn die Erfahrungen der vergangenen drei Jahre waren bitter - so bitter, daß viele Anleger mit dem Aktienmarkt nichts mehr zu tun haben wollen. Die Hausse der späten neunziger Jahre entsprang nämlich nicht nur dem im nachhinein naiv erscheinenden Glauben an eine New Economy. Der Aktienboom bestand auch aus unzähligen Lügengebäuden, deren Ruinen jetzt nicht nur die Konkursrichter beschäftigen. Ob amerikanische Giganten wie Enron oder Worldcom oder Kinder des Neuen Marktes wie EM.TV oder Comroad - sie alle haben der Aktienkultur enormen Schaden zugefügt. Aber vielleicht war diese Vertrauenskrise notwendig, um einen Reinigungsprozeß bei Unternehmen, Banken und Wirtschaftsprüfern einzuleiten, der den Aktienhandel wieder zu einer fairen und transparenten Veranstaltung macht.
Notwendig war die Baisse aber auch, um die Risikowahrnehmung der Anleger zu schärfen. Bankberater suggerierten ihren Kunden noch in den neunziger Jahren, daß Aktienanlagen im historischen Durchschnitt für Renditen von 8 bis 9 Prozent gut sind und damit alle anderen Anlageklassen in den Schatten stellen. Durchschnittsrenditen sind aber gerade bei Aktienanlagen irreführend, da die tatsächlichen Renditen in der Regel dramatisch von den Durchschnittswerten abweichen. Wer Aktien mit einem Anlagehorizont von Jahrzehnten kauft, mag die Durchschnittsrendite realisieren. In der Regel denken Anleger aber kurzfristiger. Was sollen Japaner sagen, die 1989 erstmals in ihren Aktienmarkt investierten? Sie haben heute - dreizehn Jahre später - nur mehr gut ein Viertel ihres Kapitaleinsatzes. Und wer im Frühjahr 2000 in den Deutschen Aktienindex investierte, muß selbst bei einer unterstellten Wertsteigerung von jährlich 10 Prozent noch fast 10 Jahre ausharren, um sein eingesetztes Kapital wieder herauszubekommen.
Fünf guten Börsenjahren sind jetzt drei schlechte gefolgt. Gegen ein viertes Jahr mit Kursverlusten spricht die Erfahrung. Drei Jahre mit aufeinander folgenden Kurseinbußen hatte es letztmals 1939 bis 1941 gegeben. Die aufkeimende Zuversicht speist sich aber auch aus der Konjunktur - nicht der deutschen, sondern einmal mehr der amerikanischen. Die Wirtschaft der Vereinigten Staaten dürfte 2003 von einer seltenen Kombination stimulativer Geld- und Fiskalpolitik profitieren. Notenbank, Regierung und Kongreß ziehen an einem Strang. Diese Harmonie der makroökonomischen Politik gab es selbst in Amerika sehr selten. Als etwa die Reagan-Administration in den frühen achtziger Jahren ein dramatisches Haushaltsdefizit produzierte, war die Fed auf einem rigorosen Antideflationskurs. Und als die Notenbank Anfang 2001 ihren Zinssenkungszyklus einleitete, fuhr Washington noch einen Haushaltsüberschuß.
Über diesem zugegebenermaßen positiven Marktausblick hängt zwar wie ein Damoklesschwert ein möglicher Militärschlag gegen den Irak. Die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher geopolitischer Risiken läßt sich aber schwer abschätzen. Eine wieder positivere Sicht des Aktienmarktes sollte den Anleger ohnehin nicht davon abhalten, sein Vermögen gut zu streuen. Welche Chancen und Risiken andere Anlageklassen im neuen Jahr bieten, hat die Wirtschafts- und Finanzredaktion dieser Zeitung heute in ihrer Beilage "Chancen 2003" zusammengestellt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.12.2002, Nr. 287 / Seite 9
Von Folker Dries
Leitzinssenkungen sind nur des Schuldners Glück. Für Sparer bedeutet die Großzügigkeit der Zentralbanker, daß sie sich auf kleinere Zinskupons einstellen müssen. Wer hierzulande Geld nur parkt, muß schon auf Lockangebote mit geringen Halbwertszeiten zurückgreifen, um noch eine Rendite mit einer 3 vor dem Komma zu ergattern. Viel mehr als den Inflationsausgleich wollen und können die Banken nicht mehr bieten. Heißt dies, daß die Liquiditätsberge verängstigter Sparer bald abgetragen und im Aktienmarkt reinvestiert werden? Sind die Geldmarktrenditen inzwischen unerträglich niedrig geworden?
Die Erfahrungen in Amerika sprechen dagegen, daß es eine Schmerzschwelle für absolute Renditen gibt, die Wanderungsbewegungen auslösen. Denn dort ist der Leitzins mit 1,25 Prozent nicht einmal mehr halb so hoch wie in Euroland. Wer Geld nicht auf längere Zeit festlegt, nimmt in Amerika real, also preisbereinigt, sogar eine Vermögensminderung in Kauf. Die Geldmarktfonds werfen im Durchschnitt noch eine Rendite von gut einem Prozent ab. Gleichwohl sind in den Vereinigten Staaten allein in diesen Fonds immer noch 2,4 Billionen Dollar geparkt, in etwa das gleiche Volumen wie vor einem Jahr. Daneben sind seit Jahresbeginn die Spareinlagen bei den Banken von 2,3 auf 2,8 Billionen Dollar gestiegen. Dies erklärt sich damit, daß viele Banken ihre Sparzinsen nicht mehr so schnell zurücknehmen wie die Fed ihren Leitzins und Spareinlagen somit deutlich attraktiver werden als Geldmarktfonds.
Kurzum: Die Amerikaner haben mehr als 5 Billionen Dollar in niedrig verzinslichen Anlagen geparkt. Dem steht ein Vermögen von nur mehr 2,4 Billionen Dollar in Aktienfonds gegenüber. Der Vergleich mag manchen Aktieninvestor sinnlich machen - auch hierzulande, denn das Wohlergehen der Wall Street pflegt auf den Rest der Welt abzufärben. Für eine tektonische Verschiebung zwischen den skizzierten Anlageklassen gibt es freilich noch keine Anzeichen. Dennoch spricht einiges dafür, daß die Aktie im nächsten Jahr - beiderseits des Atlantiks - als Kapitalanlage wieder ein wenig populärer werden wird. Der Hoffnungswert ist dabei nicht unbedingt die Liquidität auf Spar- und Geldmarktkonten, sondern das absehbare Ende der Hausse am Rentenmarkt. Wenn Amerika nicht doch noch wider Erwarten in eine erneute Rezession abgleiten sollte, dürften die Kurse der Staatsanleihen im Oktober dieses Jahres ihr zyklisches Hoch und damit die Renditen ihr Tief gesehen haben.
Umschichtungen aus dem Rentenmarkt in den Aktienmarkt sind damit absehbar. De facto haben sie schon vor zwei Monaten eingesetzt. Das Comeback der Aktie wird jedoch, wenn es denn nachhaltig ist, unspektakulär ausfallen. Denn die Erfahrungen der vergangenen drei Jahre waren bitter - so bitter, daß viele Anleger mit dem Aktienmarkt nichts mehr zu tun haben wollen. Die Hausse der späten neunziger Jahre entsprang nämlich nicht nur dem im nachhinein naiv erscheinenden Glauben an eine New Economy. Der Aktienboom bestand auch aus unzähligen Lügengebäuden, deren Ruinen jetzt nicht nur die Konkursrichter beschäftigen. Ob amerikanische Giganten wie Enron oder Worldcom oder Kinder des Neuen Marktes wie EM.TV oder Comroad - sie alle haben der Aktienkultur enormen Schaden zugefügt. Aber vielleicht war diese Vertrauenskrise notwendig, um einen Reinigungsprozeß bei Unternehmen, Banken und Wirtschaftsprüfern einzuleiten, der den Aktienhandel wieder zu einer fairen und transparenten Veranstaltung macht.
Notwendig war die Baisse aber auch, um die Risikowahrnehmung der Anleger zu schärfen. Bankberater suggerierten ihren Kunden noch in den neunziger Jahren, daß Aktienanlagen im historischen Durchschnitt für Renditen von 8 bis 9 Prozent gut sind und damit alle anderen Anlageklassen in den Schatten stellen. Durchschnittsrenditen sind aber gerade bei Aktienanlagen irreführend, da die tatsächlichen Renditen in der Regel dramatisch von den Durchschnittswerten abweichen. Wer Aktien mit einem Anlagehorizont von Jahrzehnten kauft, mag die Durchschnittsrendite realisieren. In der Regel denken Anleger aber kurzfristiger. Was sollen Japaner sagen, die 1989 erstmals in ihren Aktienmarkt investierten? Sie haben heute - dreizehn Jahre später - nur mehr gut ein Viertel ihres Kapitaleinsatzes. Und wer im Frühjahr 2000 in den Deutschen Aktienindex investierte, muß selbst bei einer unterstellten Wertsteigerung von jährlich 10 Prozent noch fast 10 Jahre ausharren, um sein eingesetztes Kapital wieder herauszubekommen.
Fünf guten Börsenjahren sind jetzt drei schlechte gefolgt. Gegen ein viertes Jahr mit Kursverlusten spricht die Erfahrung. Drei Jahre mit aufeinander folgenden Kurseinbußen hatte es letztmals 1939 bis 1941 gegeben. Die aufkeimende Zuversicht speist sich aber auch aus der Konjunktur - nicht der deutschen, sondern einmal mehr der amerikanischen. Die Wirtschaft der Vereinigten Staaten dürfte 2003 von einer seltenen Kombination stimulativer Geld- und Fiskalpolitik profitieren. Notenbank, Regierung und Kongreß ziehen an einem Strang. Diese Harmonie der makroökonomischen Politik gab es selbst in Amerika sehr selten. Als etwa die Reagan-Administration in den frühen achtziger Jahren ein dramatisches Haushaltsdefizit produzierte, war die Fed auf einem rigorosen Antideflationskurs. Und als die Notenbank Anfang 2001 ihren Zinssenkungszyklus einleitete, fuhr Washington noch einen Haushaltsüberschuß.
Über diesem zugegebenermaßen positiven Marktausblick hängt zwar wie ein Damoklesschwert ein möglicher Militärschlag gegen den Irak. Die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher geopolitischer Risiken läßt sich aber schwer abschätzen. Eine wieder positivere Sicht des Aktienmarktes sollte den Anleger ohnehin nicht davon abhalten, sein Vermögen gut zu streuen. Welche Chancen und Risiken andere Anlageklassen im neuen Jahr bieten, hat die Wirtschafts- und Finanzredaktion dieser Zeitung heute in ihrer Beilage "Chancen 2003" zusammengestellt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.12.2002, Nr. 287 / Seite 9