CDU: Empörung wurde bewusst inszeniert

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Happy End:

CDU: Empörung wurde bewusst inszeniert

 
25.03.02 21:56

Peinliches Possenspiel


Bundesrat oder Komödienstadl - für manche Unionspolitiker gibt es da offenbar keinen Unterschied. Unumwunden gaben Saarlands Ministerpräsident Müller und CSU-General Goppel zu, dass die Empörung bei der Abstimmung zum Zuwanderungsgesetz bewusst inszeniert wurde.

CDU: Empörung wurde bewusst inszeniert 619933
Koch im Bundesrat: Das Pöbeln war abgesprochen
 
Berlin - Bühnenreif war die Showeinlage aus Sicht von Profis nicht. So findet Regisseur Jürgen Flimm etwa, dass der Auftritt der Unionsparteien in der Länderkammer eher einem "ländlichen Possenspiel" geglichen habe:
Freitag vergangener Woche im Bundesrat. Die Union gibt sich empört. Roland Koch haut wütend mit den Händen auf den Tisch, Bernhard Vogel springt ungehalten ans Rednerpult. Eine einstudierte Szene, wie der Saarländer Ministerpräsident Peter Müller (CDU) und CSU-Generalsekretär Thomas Goppel nun einräumten. Der demonstrative Auszug aus dem Bundesrat - ein abgekartetes Spiel.

"Die Empörung hatten wir verabredet", sagte Müller bei einer Veranstaltung in Saarbrücken. "Das war Theater, aber legitimes Theater." Die Aufregung der Union am Freitag im Bundesrat habe schließlich einen echten Hintergrund gehabt. CDU und CSU hätten schon in der Nacht vor der Abstimmung erfahren, dass Bundesratspräsident Klaus Wowereit die Stimmabgabe des Mehrheitsbeschaffers Brandenburg trotz dessen gespaltenen Votums als Ja werten wolle. In dieser Nacht habe unter den Unionsvertretern "ehrliche Empörung" geherrscht. Da kein Journalist dabei gewesen sei, habe man sie am Tag danach wiederholt.

"Da sind wir wütend geworden"

Goppel sagte der ARD: "Wir haben am Donnerstagabend gewusst, morgen wird die SPD ein großes Theater inszenieren." Wowereit habe so lange gefragt, bis der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) nicht mehr geantwortet habe: "Da sind wir wütend geworden", erklärte Goppel. "Und zwar etwas mehr als ausgemacht." Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel erklärte, die CDU habe sich in professioneller Weise auf mögliche Eventualitäten vorbereitet. Es sei aber abwegig anzunehmen, dass emotionale Reaktionen abgesprochen wurden.

Eiskalter Rechtsbruch, spricht der Mime

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) warf Koch wegen dessen Angriffen auf Wowereit "brutalstmögliche Scharfmacherei" vor. Koch hatte dem Bundesratspräsidenten in der Länderkammer "eiskalten Rechtsbruch" vorgehalten.

SPD-Generalsekretär Franz Müntefering sagte, die Union habe ein "Trauerspiel" inszeniert. SPD-Fraktionschef Peter Struck sprach von einem "schlimmen Schmierentheater". Die Chefin der Grünen, Claudia Roth, rief zur Mäßigung und zu einer "unideologischen Debatte über die Gestaltung des Einwanderungslandes Deutschland auf". Es sei skandalös, wie die Union versuche, mit einer formalen Debatte über die Abstimmung im Bundesrat von der eigentlichen Aufgabe der Modernisierung des Einwanderungsrechts abzulenken. Die PDS warf SPD und CDU "eine medienwirksam inszenierte Schmierentragödie mit schlechten Schauspielern" vor.

Kritik kommt auch von den Liberalen: FDP-Chef Guido Westerwelle nannte es "nicht akzeptabel, dass sich Ministerpräsidenten im Bundesrat zu Kulissenschiebern von Parteizentralen machen".

Empörung ohne Ende

Roland Koch, der sich in der Bundesratsdebatte am lautstärksten präsentiert hatte, zeigte sich am Montag wieder einmal empört. Die Behauptung, es sei Theater gespielt worden, sei völlig absurd, so der Unionspolitiker.

Das sieht Jürgen Flimm, ehemaliger Intendant des Hamburger Thalia-Theaters, anders. Die Art, wie Koch explodiert sei, sei nicht echt gewesen: "Er war zu schnell oben unter der Decke. Verräterisch war auch, dass er zu oft mit der Faust auf den Tisch haute - das erinnerte mich in komischer Weise an Chruschtschow, der damals in einer Uno-Versammlung mit seinem Schuh auf den Tisch klopfte", urteilt der Theater-Experte. Anders dagegen Klaus Wowereit. Der habe, so Flimm, direkt und cool agiert. Und Pokerface gezeigt.  

Neee Max!:

Ein Blödmann Namens Clement erteilt Nachhilfe

 
25.03.02 22:01
zum Thema "brutalstmögliche Scharfmacherei"? Gefolgt von den Schmierenkomödianten Müntefering und Struck. Wie weit willst Du das Niveau noch senken, Happy End?
Neee Max!:

Huch, das ging aber schnell mit dem Schwarzen!

 
25.03.02 22:04
Vielen Dank meine Lieben!
Happy End:

Den Begriff "brutalstmögliche Scharfmacherei"

 
25.03.02 22:05
finde ich ich in dem o.g.Zusammenhang sogar sehr treffend gewählt, Neee Max!
Schnorrer:

CDU: die Meldung wurde bewußt lanciert.

 
25.03.02 22:06
Das Machtspiel "Kohl-Geißler" läuft immer noch. Sehr spannend. Die Pappnasen an der Front werden gewechselt, die Drahtzieher bleiben.

Es geht um das Überleben. Entweder der CDU oder von König Kohl.
brudini:

Also Happy

 
25.03.02 22:08
Das ist ja wohl unverschämt. Du brichst mit der Einstellung dieses Artikels die Verfassung von Ariva. Ich fordere eine sofortige Unterbrechung dieses Threads, sowie dessen Ungültigkeit!
Happy End:

Das war aber so nicht abgesprochen, brudini!

 
25.03.02 22:11
Schnorrer:

Das Thema scheint doch einige emotional zu

 
25.03.02 22:14
berühren.

Verstehe ich überhaupt nicht. Da wird eben ein Gesetz gemacht. Eins unter 10 654 898 in den letzten 4 Jahren. Das unterlaufen, ignoriert, nicht verstanden und vom Bundesverfassungsgericht in 20 Jahren aufgehoben wird. So wie der Soli.

So what. Laßt dem Abgeordnetenkindergarten ihren Spaß. Je mehr Gesetze, desto weniger Möglichkeit, sich korrekt zu verhalten. Desto mehr Korruption. Desto mehr Wachstum.

Dinge bewegen sich nur, wenn sie angeschoben werden. Und das geht nur mit einer einzigen Sorte von Treibstoff. Je schlimmer der Gesetzesdschungel, desto größer die Empfänglichkeit für "vernünftige" Lösungen.

In diesem Sinne: Pax Romana
brudini:

Wer entscheidet jetzt?

 
25.03.02 22:15
Du hast mehr Postings als ich. Ich habe aber weniger schwarze Sterne!
Happy End:

Dafür hab ich wesentlich mehr Grüne *lol*

 
25.03.02 22:18
...und die sind momentan in der Regierung....
brudini:

Das hast Du zwar recht, aber

 
25.03.02 22:24
egal wie die Wahl ausgehen wird - die Grünen werden danach wohl nicht mehr regieren!
Happy End:

Wieviel Inszenierung ist erlaubt?

 
26.03.02 05:49
Nach dem Eklat im Bundesrat ist eine Debatte über das offensichtlich kalkulierte Vorgehen insbesondere der Unions-Ministerpräsidenten entbrannt.

Führende Vertreter von CDU und CSU haben eingeräumt, dass die Empörung der Unions-Regierungschefs nach der umstrittenen Bundesrats-Entscheidung zur Zuwanderung nicht spontan war. Nach dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) sagte auch CSU-Generalsekretär Thomas Goppel am Montag, den Ministerpräsidenten von CDU und CSU sei bereits am Donnerstag klar gewesen, wie Brandenburg abstimmen und wie Bundesratspräsident Wowereit darauf reagieren werde.

„Wir sind ausgerastet“

Wowereit hatte am Freitag das Votum Brandenburgs als Zustimmung gewertet, obwohl Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) unterschiedlich abgestimmt hatten.

„Wir haben am Donnerstag gewusst, morgen wird die SPD ein großes Theater inszenieren“, sagte Goppel in der ARD. „Und wie wir gemerkt haben, dass er (Wowereit) uns leimen will, da sind wir ausgerastet“, fügte der CSU-Generalsekretär hinzu.

Müller: Legitimes Theater

Müller hatte am Sonntag nach Angaben des Saarländischen Rundfunks in Saarbrücken gesagt, die Unions-Regierungschefs hätten in der Nacht zum Freitag ihre empörten Reaktionen auf die erwartete Entscheidung Wowereits verabredet. Dies sei zwar Theater gewesen, es habe sich aber um ein legitimes Theater gehandelt.

In dieser Nacht habe unter den Unionsvertretern „ehrliche Empörung“ geherrscht. „Diese Empörung war aber in einem kleinen Zimmerchen in einer großen Parteizentrale - da war kein Journalist dabei“, berichtete Müller. Um den Unmut zu dokumentieren, habe man die Empörung am nächsten Tag nachspielen müssen.

Koch: „Nicht Theater gespielt“

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU), der sich unmittelbar nach der Abstimmung im Bundesrat heftige Wortgefechte mit Wowereit geliefert hatte, verschärfte seine Kritik am Berliner Regierenden Bürgermeister. „Dass jemand so dreist und kalt mit der Verfassung umgeht, habe ich bis zu der Sekunde, in der es passierte, nicht für möglich gehalten“, sagte er in einem Interview.

Als „völlig absurd - jedenfalls für meine Person“ - hat Koch gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Äußerung Müllers zurückgewiesen, die Reaktion der Union auf die Entscheidung im Bundesrat über die Einwanderung sei „zwar nicht spontan, aber legitim“ gewesen. Koch sagte der F.A.Z., er habe nicht „Theater gespielt“. „Bis zu der Sekunde, in der es passiert ist, habe ich nicht für möglich gehalten, daß Herr Wowereit wirklich die Verfassung bricht“, sagte Koch. Er sei „empört“ gewesen und „trotz aller vorherigen Spekulationen doch überrascht“ gewesen.

Süssmuth kritisiert Inszenierung

Bei der früheren Bundestagspräsidentin und Leiterin der Zuwanderungskommission der Bundesregierung, Rita Süssmuth (CDU), stieß das Verfahren im Bundesrat auf Kritik. „Wer das Verfahren im Bundesrat mitverfolgt hat, der kann zumindest soviel sagen, dass keine der Seiten vor überraschenden Situationen mit ihren Entscheidungen gestanden haben und alle auf unterschiedliche Szenarien sehr wohl vorbereitet waren“, sagte Süssmuth im Deutschlandfunk.  

Politik habe zwar immer Inszenierungszeichen, die Frage sei nur, welche Glaubwürdigkeit man vor den Menschen behalte. Zugleich bedauerte sie, dass sich durch die Diskussion über das Gesetz der Ton gegenüber Ausländern verschärft habe.

Merkel: Missverständnis

CDU-Chefin Angela Merkel übernahm die Rolle, den Begriff der Inszenierung von der politischen Bühne zu bekommen. Merkel sagte, die CDU habe sich in professioneller Weise auf mögliche Eventualitäten vorbereitet. Es sei abwegig anzunehmen, dass emotionale Reaktionen abgesprochen gewesen seien. „Es muss sich hier um ein größeres Missverständnis handeln.“

Müntefering: Trauerspiel

SPD-Generalsekretär Franz Müntefering sprach von einem „Trauerspiel“ und fühlte sich nach eigenen Worten an das Theaterstück von Peter Weiss „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Chareton unter Anleitung des Herrn de Sade“ erinnert. Im Bundesrat sei „die Schauspielgruppe der CDU/CSU unter Leitung von E. Stoiber“ aufgetreten. Die Rolle des „ersten Brüllers“ habe der hessische Ministerpräsident Roland Koch übernommen. Die Rolle der „tragischen Figur“ sei dem Saarländer Müller zugefallen.
Happy End:

Makel der Trickser

 
26.03.02 05:51
Absurdes Theater, Trauerspiel, dubioses Drama, Rüpelspiel: Nach dem denkwürdigen Freitag im Bundesrat wird die Liste der entsetzten Kommentare, wie sie auch im Forum von FAZ.NET geschrieben werden, länger und länger. Jetzt geben Politiker der Union auch noch zu, dass die Schmähungen den Kern treffen. „Legitimes Theater“, so nennt der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) die inszenierte Empörung der Union - und verspielt damit den moralischen Vorteil, den die niedergewalzte Opposition lautstark für sich reklamiert hatte.

Soll so etwa die Glaubwürdigkeit der Unionsvertreter im Bundesrat untermauert werden? Weil kein Journalist dabei war, als am späten Donnerstagabend das Szenario für die Plenarsitzung ruchbar wurde und der Ärger der Union sich entlud, deshalb mussten Müller und der hessische Ministerpräsident Koch am Freitag noch einmal für die Öffentlichkeit wütend werden, „und zwar etwas mehr als ausgemacht“, wie CSU-Generalsekretär Goppel jetzt sagt - und das nicht einmal kleinlaut.

Letzte Seifenblasen zerplatzt

Wem also am Freitag das klammheimliche Grinsen des bayerischen Europaministers Reinhold Bocklet (CSU) entgangen war, wer nicht bemerkt hatte, dass der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) seinen angeblich spontanen Antrag auf Unterbrechung der Sitzung vorbereitet und abgelesen hatte, dem dürften endgültig die letzten Seifenblasen zerplatzen, in denen der schöne Schein geschimmert haben mochte, es sei doch noch um die Sache gegangen.

Nun wird es nach der Finte im Bundesrat vorerst keine politische Debatte um die Inhalte des Gesetzes mehr geben können. Juristen sind am Zug, aber selbst die sind naturgemäß nicht über jeden Zweifel erhaben. Auch Verfassungsrecht ist Auslegungssache. Und eines ist schon auffällig: Die Bewertung der Abstimmung im Bundesrat sortiert sich klar nach Parteizugehörigkeit und/oder politischer Sympathie. Linksliberale Juristen halten das Zustandekommen der Mehrheit ganz im Sinne der rot-grünen Koalition für akzeptabel, während Konservative der Union beispringen und allzu schnell einen angeblich offensichtlichen Verfassungsbruch erkennen. Unstrittig ist also nur, dass sich trefflich streiten lässt.

Streit als Strategie

Doch das allein reicht der Union schon aus. Kern ihrer Strategie ist es, das rot-grüne Zuwanderungsgesetz wenigstens mit dem Makel der Trickserei zu belegen, wenn sie in der Machtprobe schon unterlegen ist - auf dass Bundeskanzler Schröder der Triumph versagt bleibt, den er in letzter Sekunde zu erhaschen glaubte.

Natürlich dürfte man der Opposition nicht absprechen, dass sie auch zum Zeitpunkt der Abstimmung über das Gesetz im Bundesrat noch Punkte hat, über die sie verhandeln möchte - aus tiefster Überzeugung. Nur hat sie es nie verstanden, ihre Bedenken als substanziell darzustellen.

Sollte das Gesetz an ein paar tausend Kindern jährlich scheitern, denen der Familiennachzug gestattet wird, oder an ein paar hundert Frauen, die wegen ihres Geschlechts verfolgt nach Deutschland kommen? Nein, je größer der Druck im Wahlkampf, je größer das unbedingte Verlangen nach Geschlossenheit, desto geringer die Chance auf einen Kompromiss. Das haben beide Lager bewiesen und auf die Spitze getrieben. Macht als Selbstzweck.

Drängen, drohen, hoffen

Deshalb kocht die Union dankbar den Streit um die Entscheidung vom Freitag weiter: Sie bedrängt Bundespräsident Rau, sie droht mit der Option Verfassungsgericht und hofft schließlich, die Bundestagswahl in einem halben Jahr werde zum Plebiszit über Lug und Trug. Nur in der hastigen Flucht nach vorne hofft sie zu vermeiden, dass das auf sie selbst zurückfällt.

„Die Empörung hatten wir verabredet“, hat der Saarländer Müller tatsächlich gesagt. Entlarvende, verwirrende Ehrlichkeit. So verblüffend, dass man kaum noch hören will, wie SPD-Fraktionschef Peter Struck an diesem Montag donnert: „Schlimmes Schmierentheater“.

Kurzer Auftritt noch für den Vorsitzenden der FDP, Guido Westerwelle: „Der Bundesrat ist zu wichtig, um als Bühne für Theaterdonner missbraucht zu werden.“ Union und SPD hätten dem Verfassungsorgan schweren Schaden zugefügt. Stille Zustimmung. Vorhang. Kein Applaus.
Happy End:

Das war ein Satz zuviel

 
26.03.02 05:55
Wie Union und SPD, Schönbohm und Stolpe auf den Eklat im Bundesrat hinsteuerten und am Ende doch nicht alles wie geplant verlief

POTSDAM/BERLIN, 25. März. Die Auftritte von Parteivorsitzenden vor den Jugendverbänden ihrer jeweiligen Parteien sind oft aufmunternde Vorstellungen. Da darf auch ein Parteivorsitzender mal nach Herzenslust loslegen und alle Bedenklichkeiten fahrenlassen. Da kommt mitunter eine Stimmung auf, die man sonst bestenfalls vom politischen Aschermittwoch kennt. In einer solchen Stimmung schilderte der CDU-Landesvorsitzende von Brandenburg, Schönbohm, den Mitgliedern der Jungen Union am 17. November des vergangenen Jahres, welche Konsequenzen das von der rot-grünen Bundesregierung geplante Zuwanderungsgesetz für die Landesregierung in Potsdam haben könnte.

Der Bundestag werde, so Schönbohm, das Gesetz beschließen. Am 20. Dezember würde es zu einer ersten Lesung in den Bundesrat kommen, am 22. März zur Abstimmung. "Dann kommt es zum Schwur", sagte Schönbohm, dem klar war, daß SPD-Ministerpräsident Stolpe dem Gesetz zustimmen, die CDU aber dagegen sein würde. Auf Brandenburgs vier Bundesratsstimmen werde es ankommen, erklärte Schönbohm. Da könne sich für die Potsdamer Koalition die Existenzfrage stellen. Noch heute ist selbst die CDU-Führung erstaunt nicht nur über die Hellsicht ihres Landesvorsitzenden, sondern auch über die Tatsache, daß er das Thema im Kreis der Jungen Union angesprochen, ein paar Stunden zuvor auf einer Veranstaltung seiner Partei mit der Vorsitzenden Merkel jedoch kein Wort davon gesagt hatte.

Es kam die Bundesratssitzung am 20. Dezember heran, die zur ersten Belastungsprobe für die Koalition hätte werden können. Stolpe, immer für Überraschungen gut, trat jedoch ans Mikrofon und verkündete vier Forderungen, die erfüllt werden müßten, damit Brandenburg zustimmen könne. Erst am letzten Februarwochenende einigten sich SPD und Grüne doch noch auf einen Kompromiß. Die SPD verkündete, Stolpes Forderungen seien erfüllt, und nun müsse Brandenburg zustimmen. Für einen Augenblick gab es Verwirrung in der brandenburgischen CDU, auch bei Schönbohm. Der ließ die Vorlage prüfen und hielt offen, ob er zustimmen könne. Schon einen Tag später aber waren sich die Spitzen der Union und Schönbohm einig: Ablehnung des Gesetzes. Die Stolpe-Punkte seien zwar dem Buchstaben nach erfüllt, das Gesetz aber atme einen anderen Geist.

Schon im Januar allerdings war in einem Gespräch zwischen Schönbohm und seinen Freunden die Möglichkeit aufgeblitzt, gegen ein Ja Stolpes ein Nein Schönbohms zu setzen, um so Brandenburgs Stimme ungültig zu machen. Das habe es bislang zwar nur einmal 1949 gegeben, aber es könnte eine Lösung sein. Der Gedanke wurde verworfen. Ende Februar jedoch war diese Idee schon eine der erwogenen Möglichkeiten, wie es die Koalition in Brandenburg schaffen könnte, unter dem Druck des Wahlkampfes und der Bundespolitik nicht zu zerbrechen.

Die Frage, wie bei der geteilten Stimmabgabe eines Bundeslandes zu verfahren sei, war ganz unvermittelt schon einmal im September vergangenen Jahres bei der Vorbereitung einer Personalentscheidung aufgekommen: Als die damalige Justizministerin des Landes Sachsen-Anhalt, Schubert, zur Nachfolgerin des im Mai an die Altersgrenze gelangenden langjährigen Bundesratsdirektors Oschatz nominiert werden sollte, da wurde aus der großen Koalition in Bremen ein gespaltenes Votum angekündigt, der bremische CDU-Koalitonspartner war nicht bereit, den SPD-Vorschlag mitzutragen.

Dieser Fall (der dann nicht eintrat, da die Entscheidung von der Tagesordnung des Bundesrates genommen wurde und die Ministerin ihre Bereitschaft zur Kandidatur aufgab) bewirkte immerhin Nachfragen, Erörterungen und erzeugte so einen Kenntnisstand, der unter anderem auf dem Handbuch des Bundesrates beruhte: Dort heißt es, wenn die Mitglieder eines Landes auf einer uneinheitlichen Stimmabgabe beharren: dann "wäre die Abstimmung dieses Landes wegen Verstoßes gegen Artikel 51 Grundgesetz ungültig".

Aber es gab natürlich noch andere Möglichkeiten: Andere Koalitionen könnten dem Gesetz die Zustimmung verweigern, oder der Vermittlungsausschuß könnte angerufen werden. Die letzten politischen Initiativen zu dem Zweck, den Gang der Verhandlungen über die Einwanderungsnovelle zu beeinflussen, unternahm die Union vor zwei Wochen bei einer Klausurtagung in Wörlitz. Da wurde verabredet, es solle versucht werden, eine Mehrheit im Bundesrat für die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu finden; das Saarland sollte den Antrag vorbereiten. Eine Woche später wurde von der Unionsführung präzisiert, die Überarbeitung des Gesetzes im Vermittlungsausschuß habe grundlegend zu sein, sie solle sich nicht nur auf Einzelpunkte beschränken. Trotzdem kam es einige Tage danach, am Montag/Dienstag vergangener Woche, noch zu einem letzten Versuch der Unionsführung, einen Kompromiß mit dem Land Brandenburg über die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu finden. Die Unionsführung verständigte sich am Montag abend auf acht Punkte, die das Vermittlungsverfahren umfassen sollte.

Am Dienstag, dem 19. März tagte das Potsdamer Kabinett. Schönbohm schrieb acht Punkte auf, die am Gesetz durch ein Vermittlungsverfahren verändert werden sollten. Dann schob er den Zettel zu Stolpe hinüber. Stolpe redigierte die Punkte und gab den Zettel zurück - "entkernt", wie Schönbohm meinte.

An dem Dienstag wurde klar, Brandenburg selbst würde keinen Vermittlungsausschuß beantragen, sich bestenfalls einem Antrag eines anderen Landes anschließen. Aber selbst dann wäre unklar, was der Vermittlungsausschuß vermitteln sollte. Stolpes acht Punkte waren Feinheiten, Schönbohms acht Punkte stellten das Gesetz grundsätzlich in Frage. Klar war nun auch, daß der Ministerpräsident den Koalitionsvertrag brechen würde.

Spätestens am Dienstag also begannen die schlaflosen Nächte. Schönbohm erwog für einen Augenblick, zurückzutreten. Brandenburg hätte ja sagen können, und er wäre politisch nicht beschädigt gewesen. Die SPD streute derweil, in der CDU werde erwogen, ohne Schönbohm weiterzumachen.

Am Mittwoch wurden Hinweise aus Stolpes Umgebung in Brandenburg öffentlich, die Verfassung des Landes billige dem Ministerpräsidenten allein das Recht der Vertretung des Landes nach außen zu; Stolpe selbst wurde mit dem Satz wiedergegeben, er habe die brandenburgische Verfassung bei seinem Berliner Kollegen Wowereit, dem Bundesratspräsidenten, "hinterlegen lassen". Die Botschaft sollte lauten, wenn Schönbohm mit Nein stimmte, überstimmte ihn ein Ja Stolpes. Aus Stolpes Andeutungen läßt sich schließen, daß Wowereit zu diesem Zeitpunkt zumindest schon nahegebracht worden war, wie er sich am Freitag nach einem geteilten Votum im Sinne der SPD verhalten solle.

Am Mittwoch trafen Wowereit und Stolpe anläßlich eines Treffens der ostdeutschen Ministerpräsidenten zusammen. Der sächsische Ministerpräsident Biedenkopf (CDU) berichtete später darüber in Kreisen seiner Partei, er habe während des gemeinsamen Essens der Regierungschefs Wowereit gefragt, wie denn wohl zu verfahren sei, wenn Brandenburg am Freitag gespalten stimme; Wowereit habe gemutmaßt, dann seien die brandenburgischen Stimmen wohl ungültig.

Am Donnerstag stand die Frage, wie Wowereit agieren werde, immer mehr im Zentrum der Erwägungen. Wowereit ging nachmittags aus dem Abgeordnetenhaus in das benachbarte Gebäude des Bundesrates und ließ sich vom scheidenden Bundesratsdirektor Oschatz die herrschende Rechtsauffassung in einem Vermerk vortragen. Am Nachmittag ließ Wowereit erstmals öffentlich erkennen, daß er die geteilte Stimme Brandenburgs womöglich als Zustimmung werten werde. Die Deutsche Presse-Agentur berichtete, auf die Frage, ob er der Empfehlung der Bundesratsverwaltung folge, habe Wowereit entgegnet, er sei "als Präsident des Bundesrates nicht gehalten, mich nach dem Votum der Verwaltung zu richten".

Am Donnerstag abend trafen sich die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten in der bremischen Landesvertretung mit dem Bundeskanzler. In der Bundes-SPD wurde darüber gesprochen, ob Stolpe nicht Schönbohm noch vor der Abstimmung entlassen sollte; das wurde verworfen. Teilnehmer berichteten, es sei Stolpe nochmals bedeutet worden, wie viel von seiner Zustimmung zu dem Gesetz am folgenden Tage abhängen werde; es kann als sicher gelten, daß Wowereit in diese Erwägungen einbezogen wurde.

Die Ministerpräsidenten und die Parteiführung von CDU und CSU erörterten ihre Taktik am Donnerstag Abend in der CDU-Zentrale. Es kam dort nach Berichten von Teilnehmern erst im Verlauf der Sitzung - nachdem Schönbohm zu Beginn sein "Nein" für die Abstimmung angekündigt hatte - die Mutmaßung auf, Wowereit könne womöglich die Jastimme Stolpes für ausschlaggebend halten und statt der Ungültigkeit die Zustimmung Brandenburgs feststellen. Darüber habe es dann eine erregte Debatte gegeben in der Runde der Unionspolitiker; vor allem der thüringische Ministerpräsident Vogel sei aufgebracht gewesen. Es sei für diesen Fall die Verabredung getroffen worden, die unionsregierten Länder sollten dann eine Sitzungsunterbrechung im Bundesrat beantragen; es sei schließlich noch debattiert worden, ob die Union in einem solchen Fall gezwungen sei, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen; darüber habe am Ende Einigkeit geherrscht. Am Montag hieß es, insofern habe der saarländische Ministerpräsident Müller recht mit seiner Bemerkung, daß es am Donnerstag in der Unionsrunde Empörung gegeben habe und daß Verabredungen für den Freitag getroffen worden seien. Es sei jedoch keineswegs die Empörung selbst verabredet worden.

Es kam der Freitag. Am Morgen sahen sich Stolpe und Schönbohm noch einmal unter vier Augen im Brandenburg-Zimmer im Bundesrat. Stolpe sagte, er würde dem Gesetz zustimmen. Er gebe Schönbohm die Möglichkeit, in der Abstimmung einmal nein zu sagen. Vereinbart wurde, daß nicht Stolpe Brandenburgs Stimmverhalten verkünden würde, sondern SPD-Sozialminister Ziel. Ein zweites Nein Schönbohms nach dem Ja Stolpes würde die Entlassung bedeuten, setzte Stolpe hinzu.

Dann begann die Sitzung. Stolpe und Schönbohm sprachen vor dem Bundesrat. Stolpe wünschte ein paar Klarstellungen, die Innenminister Schily pauschal gab. Schönbohm hielt eine bewegende Rede und machte klar, wie er sich bei der Abstimmung verhalten würde. Dabei deutete er auch an, daß er mindestens einige Schritte von Wowereits Reaktion vorausahnte. Er kündigte sein Nein an und bat Wowereit, er möge ihm bei der Abstimmung "Nachfragen ersparen". Auch debattierte Schönbohm mit Stoiber in einer Ecke des Plenarsaales darüber, wie er sich bei Nachfragen verhalten solle, ohne die brandenburgische Koalition doch noch zu gefährden. Stolpe sagte später, er habe nachgezählt: Achtzehn Mal sei Schönbohm in interne CDU-Runden gezogen worden. Schließlich wurde im Bundesrat schon vor der Abstimmung bekannt, die von der Union geführten Länder wollten die Sitzung verlassen, falls Wowereit die brandenburgischen Stimmen als Ja werte und dann das Begehren der Union, die Sitzung zu vertagen, keine Mehrheit finde.

Vieles mag an diesem Tag abgesprochen und gekungelt gewesen sein. Die Entscheidung aber, die Schönbohm dann traf, traf er für sich allein. Die Abstimmung begann. Nach Ziels Ja kam Schönbohms Nein. Bundesratspräsident Wowereit fragte daraufhin den Ministerpräsidenten. Stolpe sagte, als Ministerpräsident des Landes Brandenburg stimme er dem Gesetz zu. Schönbohm hätte nach dem Drehbuch jetzt schweigen müssen. Er sagte aber: "Sie kennen meine Auffassung, Herr Präsident."

Der Bundesrat hielt in diesem Moment buchstäblich den Atem an. Das war kein Nein, aber doch ein mutiges letztes Wort. Wowereit fragte ein drittes Mal. Stolpe beugte sich zu Schönbohm herüber und sagte: "Das war ein Satz zuviel." Schönbohm entgegnete: "Dann sei es so."

Wowereit wertete die Stimme Brandenburgs als Jastimme. Es brach der vorbereitete Tumult los. Stolpe entließ seinen Innenminister nicht, sondern sprach vielmehr nach der Sitzung davon, daß er selbst den Koalitionsvertrag gebrochen habe und die Vertrauensfrage im Landtag stellen wolle. Schönbohm wurde mit Beifallsstürmen von seinen Anhängern am Freitag abend auf einer CDU-Delegiertenversammlung gefeiert. Daß die gemeinsame Bilanzpressekonferenz zur Halbzeit der Legislaturperiode von SPD und CDU an diesem Dienstag aus dem Programm genommen wurde, ist der geringste Verlust. Es heißt, sie sei nur nach Ostern verschoben. Der Koalitionsausschuß soll noch in dieser Woche tagen. Er wird wohl die Fortsetzung der großen Koalition empfehlen. Allein über die Bedingungen wird zu verhandeln sein.
Happy End:

Wirtschaftsbosse kritisieren die Theaterbühne BR

 
26.03.02 10:04
In der Posse um die Bundesrats-Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz schieben sich Union und SPD nach wie vor gegenseitig die Schuld zu. Vertretern der Wirtschaft stößt die peinliche Inszenierung indes übel auf.

Berlin - Das politische System in Deutschland neige zu Blockaden und verschleppe Entscheidungen, monierten führende Wirtschaftsvertreter. Wie das Zuwanderungsgesetz zu Stande gekommen sei, werfe "kein gutes Licht auf den Föderalismus", sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Das sei "wenig effizient und damit zum Nachteil unseres Staates".
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, beklagte Politikblockaden im Bundesrat. Über die Verteilung der Verantwortung zwischen Bundestag und Bundesrat müsse neu gesprochen werden. Verfahrensweisen müssten klarer geregelt werden, um "hochnotpeinliche" Situationen wie am vorigen Freitag zu vermeiden. Der Bundesrat solle nur mit Gesetzen beschäftigt werden, "in denen es wirklich um länderspezifische Themen geht", sagte Wansleben.

Im Streit um die Rechtmäßigkeit der Bundesratsentscheidung für das Zuwanderungsgesetz wies der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) unterdessen Vorwürfe der SPD-Spitze zurück, die Union setzte Bundespräsident Johannes Rau unter Druck. Vielmehr seien es Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) gewesen, die Rau mit ihrem "unhaltbaren Vorgehen" in die "schwierige Situation" gebracht hätten.

Wowereit hatte im Bundesrat das Votum Brandenburgs auf Nachfrage bei Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) als Zustimmung gewertet, obwohl Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) zuvor Nein gerufen hatte. Bundespräsident Rau kann das Zuwanderungsgesetz nun ausfertigen oder dies ablehnen.

Wowereit wollte eindeutiges Votum Brandenburgs

Wowereit gab zu, dass das Gesetz bei einer anderen Präsidentschaft im Bundesrat gescheitert wäre. "Dann wäre das natürlich in eine andere Richtung gelaufen und die Sache abgelehnt worden", bemerkte er in der n-tv- Sendung "Maischberger". Er habe ein einheitliches Votum Brandenburgs gewollt. "Deshalb habe ich mehrmals nachgefragt. Das ist auch meine Aufgabe", sagte Wowereit.

Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) wies den Vorwurf zurück, die Union habe ihre Empörung bei der Bundesratsabstimmung einstudiert. "Das war kein Theater, bei allem Respekt vor Interpretationsversuchen, die Aufregungen von einigen Kollegen waren möglicherweise etwas zu groß, aber da war nichts einstudiert", sagte er in der Sendung "MDR Aktuell".

Biedenkopf gab allerdings zu, dass die Union "ungefähr aus den Pressemitteilungen und aus den Äußerungen von Herrn Wowereit" gewusst habe, was auf sie zukommt. Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU) hatte zuvor ausgeplaudert, die laute Empörung der Unionsseite nach der Abstimmung sei nicht spontan, sondern verabredet gewesen.

Struck: Keine Verfassungskrise

Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Peter Struck, wies den Unionsvorwurf einer Verfassungskrise zurück. "Wenn jemand der Meinung ist, dass das Gesetz nicht ordentlich zu Stande gekommen sei, dann muss er zunächst die Prüfung durch das Bundespräsidialamt abwarten", sagte er im InfoRadio Berlin-Brandenburg.

Wenn der Bundespräsident das Gesetz unterschreibe, dann habe die Union weiterhin die Möglichkeit, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu klagen. "Ich halte es aber für falsch, das Gesetz nur in diesem formalen Punkt anzugreifen. Wenn man der Meinung ist, das Gesetz ist inhaltlich falsch, dann muss man politisch argumentieren und nicht nach Karlsruhe gehen", sagte Struck.
Happy End:

Plauderte Müller aus eigennützigen Motiven?

 
26.03.02 12:35
Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) hatte freimütig über den inszenierten Protest der Union während der Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat berichtet. In der CSU wird ihm unterstellt, dies ganz gezielt getan zu haben.

CDU: Empörung wurde bewusst inszeniert 620443
Spielten Theater: Peter Müller (l.) und Hessens Ministerpräsident Roland Koch
 
Passau - Die "Passauer Neue Presse" berichtete, die CSU sei in heller Aufregung ob Müllers Geständnis. Der saarländische Ministerpräsident hatte der Presse verraten, dass die Empörung der Union im Bundesrat am vergangenen Freitag abgesprochen und inszeniert gewesen war. Dies habe Müller absichtlich gesagt, erklärte ein Mitglied der Parteiführung dem Blatt: Müller wolle auf diese Weise eine Klage vor dem Verfassungsgericht gegen das Zustandekommen des Gesetzes verhindern. Der Saar-Regierungschef, der für die CDU das Zuwanderungs-Thema federführend betreut, sei gegen den Gang nach Karlsruhe.
Angesichts der SPD-Spendenaffäre und des abgesprochenen Abstimmungseklats im Bundesrat beklagte unterdessen der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner den Verfall politischer Werte. Man könne den Eindruck gewinnen, dass sich Politiker moralisch zu gar nichts mehr verpflichtet fühlen, sagte er der "Bild"-Zeitung. "Die aktuellen Fälle führen dazu, dass die politische Atmosphäre vergiftet wird und dass sich Vorbilder selbst demontieren."

Struck: Stolpe und Schönbohm spielten kein Theater

SPD-Fraktionschef Peter Struck behauptet derweil, Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und dessen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hätten bei der Abstimmung zum Zuwanderungsgesetz kein Theater gespielt. Im Inforadio Berlin-Brandenburg sagte Struck, beide Politiker hätten lediglich ihre Position deutlich gemacht und zugleich das Ziel verfolgt, ihre Koalition zu erhalten. "Und das haben sie ja offenbar auch geschafft."

Struck wies den Unionsvorwurf einer Verfassungskrise zurück. Wenn der Bundespräsident das Gesetz unterschreibe, habe die Union weiterhin die Möglichkeit, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu klagen. "Ich halte es aber für falsch, das Gesetz nur in diesem formalen Punkt anzugreifen. Wenn man der Meinung ist, das Gesetz ist inhaltlich falsch, dann muss man politisch argumentieren und nicht nach Karlsruhe gehen", sagte er.

Bundeswirtschaftsminister Werner Müller warf dem Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU) einen Rückfall in die Endzeit der Weimarer Republik vor: "Was ich von Herrn Stoiber in den vergangenen Tagen gehört habe, erinnert an die letzten demokratischen Zeiten in Deutschland vor über 70 Jahren", sagte der parteilose Politiker der "Passauer Neuen Presse". Man könne nicht an einen Bundespräsidenten über das Fernsehen den Satz richten, er dürfe die Verfassung nicht kaltschnäuzig brechen.
numpsi99:

Nehmts mir nicht über, aber ....

 
26.03.02 12:49

wenn die CDU/CSU-Repräsentanten sich auf die Entscheidung Wowereits absprechen konnten, dann stellt sich doch die Frage wann eigentlich diese Entscheidung gefallen ist.
Nachdem was man inzwischen so mitbekommt befand sich Herr Wowereit scheinbar doch nicht erst während der Abstimmung im Dilemma eine "Tatsachenentscheidung" über die Wertung der Brandenburger Stimmen fällen zu müssen.
Falls die CDU / CSU - wie in den Medien unterstellt - Wowereits Entscheidung zu diesem Punkt schon in der Nacht vorher kannte, dann war diese erstens schon gefällt gewesen und zweitens hat bei der SPD jemand nicht dicht gehalten.

Glaubt man der Mehrheit der Staatsrechtler (inklusive dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister) so war Wowereits Entscheidung unrechtmäßig.

Jetzt stellt sich mir natürlich die Frage, warum ging die SPD mit diesem Gesetz nicht in den Vermittlungsausschuß, und inszienierte dann - nach jetziger Sicht wohl wider besseren Wissens - eine illegetime Abstimmungswertung ?

Tatsache ist, beide Seiten können jetzt das Thema Zuwanderung zum Wahlkampfthema machen und damit andere Themen verdrängen.
Und Tatsache ist auch, der Föderalismus hat ein deutliches Stück an Glaubwürdigkeit verloren.

Numpsi99  
prom:

Der Vermerk des Bundesratsdirektors für Wowereit:

 
26.03.02 12:54
Der Vermerk des Bundesratsdirektors für Klaus Wowereit:

Berlin (dpa) - Die Bundesratsverwaltung unter Leitung von Direktor Georg-Berndt Oschatz hat für den Bundesratspräsidenten Klaus Wowereit (SPD) einen Vermerk zur Abstimmung über das umstrittene Zuwanderungsgesetz am vorigen Freitag erstellt. Darin wurde Wowereit aus verfassungsrechtlicher Sicht geraten, wie er sich als Präsident verhalten soll, falls es zu einem gesplitteten Votum eines Landes kommen sollte. dpa dokumentiert die entscheidenden Passagen.


"1. Gemäß Artikel 51 Abs. 3 Satz 2 GG können im Bundesrat die Stimmen eines Landes nur einheitlich abgegeben werden. Landesrechtliche Regelungen gleich welcher Art lassen diese Regel unberührt.. ..

Rechtsprechung zur Frage, welche Folgen ein Verstoß gegen das Gebot der einheitlichen Stimmabgabe hat, liegt nicht vor. Dagegen hat sich die Rechtslehre mit der Frage befasst. Nach einer vereinzelt vertretenen Ansicht im etwas jüngeren Schrifttum soll bei widersprüchlichem Abstimmungsverhalten die Stimme des Regierungschefs maßgeblich sein. ... Diese Auffassung ist mit dem klaren Wortlaut des Grundgesetzes nicht vereinbar und verkennt den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichwertigkeit der Stimmen der Mitglieder des Bundesrates.

Die ganz herrschende Lehre hält deshalb mit Recht alle Stimmen des betreffenden Landes für ungültig, wenn sie nicht einheitlich abgegeben werden.

2. Für den Fall, dass bei der Abstimmung durch Aufruf nach Ländern die Stimmen eines Landes nicht einheitlich abgegeben würden, sollte Herrn Präsidenten vorgeschlagen werden, die Vertreter des betreffenden Landes auf das Gebot der einheitlichen Stimmabgabe wie folgt hinzuweisen:

"Gemäß Artikel 51 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes können die Stimmen eines Landes nur einheitlich abgegeben werden. Ich bitte deshalb um einheitliche Beantwortung der Abstimmungsfrage, anderenfalls die Stimmabgabe als ungültig gewertet wird."

Bliebe es bei der uneinheitlichen Stimmabgabe, sollte er die Feststellung treffen, dass das betreffende Land ungültig gestimmt hat, und mit der Abstimmung fortfahren."


numpsi99:

@prom

 
26.03.02 13:13

Falls diese dpa-Info richtig ist, ergibt sich daraus die Folgerung, daß Wowereit wider besseren Wissens seine Position als Bundesratspräsident auszunutzte um eine Entscheidung im Bundesrat rechtswidrig zugunsten seiner Partei zu beeinflussen.

Unabhängig wie gut oder wie schlecht dieses Gesetz ist, wenn das nun der Standart wird, sollten wir unsere Exekutivorgane wieder auf den Kanzler und nicht länger auf die Verfassung einschwören ...

Numpsi99
prom:

Wowereit

 
26.03.02 13:23
Ein Trickser mit dem Auftrag seines Herrn
mehlmann:

so ähnlich wie numpsi99 seh ich es auch

 
26.03.02 13:26
Wenn die CDU sich absprechen konnte, hat die SPD sich vorher abgesprochen!
Letztlich haben beide Parteien geplant wie sie vorgehen und sicher auch mit welchem Risiko. Wobei für mich die CDU immer noch Varianten hatte. Es hätte ja auch eine andere Entscheidung über das Abstimmungsverhalten geben können, da war der Vorsitzende ja "frei". Da es dann doch so gekommen ist (wie angekündigt), kann es schon zum Maß der "Empörung" beigetragen haben. Auch wenn es kaum zu glauben ist, vielleicht gab es doch ein paar Leichtgläubige bei der CDU, die einen anderen Ausgang erwartet hatten.

Hier will eben die eine Partei die andere vorführen. Die Sache ist doch zweitrangig. Die sich für die Besseren halten sollten mal vorn weg gehen und mehr die Langfristigkeit der Problemlösung ins Auge fassen. Scheinbar gibt es aber keine Besseren und deshalb auch keine Problemlösungen mehr.
Mir wird schlecht...

gruß mehlmann
prom:

Henning Voscherau (SPD)

 
26.03.02 13:27
Entscheidung „ein Unding“

Mit dem früherem Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau bezweifelte unterdessen auch ein SPD-Politiker, dass die umstrittene Mehrheit im Bundesrat einer rechtlichen Prüfung standhält. Voscherau sagte dem Nachrichtensender n-tv, das Stimmverhalten Brandenburgs stehe diametral dem Grundgesetz entgegen, das einheitliche Stimmabgabe verlange. „Brandenburg hat auf dem Rücken von Bundesrat und Verfassung versucht, seine Koalition zu retten“, sagte er. Dies sei „ein Unding“.
www.focus.de/G/GN/gn.htm?snr=103284&streamsnr=7&q=1
brudini:

Wowereit

 
26.03.02 13:28
Wowereit entscheidet mit Ja, ob er darf oder nicht,
Die CDU sägt an seinem Stuhl - und das ist auch gut so,
Er sorgt für einen Eklat, ob es einer war oder nicht,
Wowereit bleibt cool - und das ist auch gut so!
Happy End:

Schelte für Müllers Petze

 
27.03.02 06:04
Er ist im Moment der Prügelknabe der Union: Saarlands Ministerpräsident Peter Müller. Dass er die im Bundesrat zur Schau gestellte Empörung als Inszenierung bezeichnete, passt den Parteikollegen gar nicht. Die CSU wittert gar eine Intrige.

Hamburg - Mit seinen Äußerungen hat sich Peter Müller aus Sicht vieler Unionsvertreter ins Abseits bugsiert. Seine Version über den Eklat vergangener Woche im Bundesrat - sie wirft kein gutes Licht auf die Union. Und erst recht nicht auf deren Kanzlerkandidaten Stoiber.
Müllers Geständnis ("Das war Theater, aber legitimes Theater") stößt bei vielen Parteikollegen auf Unverständnis. Hatte die Union nach der skandalträchtigen Sitzung der Länderkammer noch alle Trümpfe gegen das unliebsame Zuwanderungsgesetz in der Hand, hat Müllers Eingeständnis die Position der Union nun zumindest geschwächt. Nicht mehr der angebliche Verfassungsbruch ist zurzeit in aller Munde, sondern die Theater-Aufführung von Stoiber, Koch und Co. Entsprechend schießt es jetzt aus allen Ecken Richtung Saarland.

So kritisierte etwa der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm, die Äußerung des saarländischen Ministerpräsidenten sei "nicht schlau" gewesen. "Ich persönlich habe das nicht als Inszenierung erlebt, sondern selbst durchlitten." Er habe deswegen bereits mit Müller telefoniert und seine Kritik ausgedrückt.

Falsch-Zeichner oder unliebsame Petze?

Harsche Kritik kommt vor allem aus Bayern: Der CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Alois Glück, warf Müller falsche Angaben vor. Mit seinen Äußerungen über die inszenierte Empörung bei der Einwanderungsdebatte habe Müller ein falsches Bild gezeichnet, sagte Glück am Dienstag in München. Selbstverständlich habe sich die Union auf den möglichen Ablauf der Sitzung vorbereitet. Aber Gefühlsreaktionen seien eine andere Sache.

Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber erklärte, natürlich hätten die Ministerpräsidenten der unionsgeführten Länder und die Spitzen von CDU und CSU alle anstehenden Möglichkeiten einschließlich einer uneinheitlichen Stimmabgabe des Landes Brandenburg erörtert. "Wir haben uns selbstverständlich auf alle Möglichkeiten vorbereitet, aber es wurden keine Rollen verteilt und keine Inszenierung vorbereitet."

Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) hatte bereits am Montag Vorwürfe zurückgewiesen, die Union habe ihre Empörung bei der Bundesratsabstimmung einstudiert. "Das war kein Theater, bei allem Respekt vor Interpretationsversuchen, die Aufregungen von einigen Kollegen waren möglicherweise etwas zu groß, aber da war nichts einstudiert."

Warum nun Müller am Sonntag in Saarbrücken plauderte, ist Spitzen-Politikern in der Union ein Rätsel. So viel allerdings dürfte fest stehen: Die CSU, so berichtet die "Passauer Neue Presse" sei in heller Aufregung ob Müllers Geständnisses. Ein Mitglied der Parteiführung mutmaßt gar in dem Blatt: Müller wolle auf diese Weise eine Klage vor dem Verfassungsgericht gegen das Zustandekommen des Gesetzes verhindern. Der Saar-Regierungschef, der für die CDU das Zuwanderungs-Thema federführend betreut, sei gegen den Gang nach Karlsruhe.

Unterdessen bleiben die Hintergründe für Müllers Plauderei weiter im Dunkeln. Bis zum Dezember vergangenen Jahres war der 46-Jährige Jurist Müller bundespolitisch auf dem aufsteigenden Ast.

Er schien in der Union am meisten den Kompromiss mit der Regierung zu suchen. Manche argwöhnten schon, Müller mache Alleingänge. Nachdem Stoiber aber zum Kanzlerkandidaten gekürt worden war, hielt er sich an die Linie des CSU-Chefs.

Da sich der Saarländer nun ganz offensichtlich den Zorn des Bayern zugezogen hat, rudert Müller wieder zurück. Die Kritik an seinen Äußerungen über die Bundesratsentscheidung wies er als "böswillige Fehlinterpretation" zurück. Seine Aussage vom Sonntag sei "auf den Kopf gestellt worden", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Er habe deutlich machen wollen, daß es gestattet sein müsse, in einem Falle, in dem ein "kaltschnäuziger Verfassungsbruch stattfindet, darauf auch mit theatralischen Mitteln" zu antworten.

Edmund der Ausbügler

Stoiber selbst ist nunmehr sichtlich bemüht, die Wogen zu glätten. Er kündigte wegen der umstrittenen Abstimmung über die Zuwanderung einen Brief an Bundespräsident Johannes Rau an. Stoiber erklärte am Dienstag in München, dass "die Ministerpräsidenten der unionsregierten Länder in einem sehr besonnenen und sachlichen Schreiben noch in dieser Woche dem Staatsoberhaupt die aus ihrer Sicht maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte darlegen" wollten. Dabei solle als rechtlicher Kern die Frage der uneinheitlichen Stimmabgabe des Landes Brandenburg in den Mittelpunkt gestellt werden.

Der bayerische Ministerpräsident forderte, die Diskussion über das Zuwanderungsgesetz wieder in sachliche Bahnen zu lenken. "Wir haben Vertrauen in die Unabhängigkeit des Amtes des Bundespräsidenten." Zu seinen Pflichten gehöre die Prüfung, ob das Zuwanderungsgesetz rechtmäßig zu Stande gekommen sei. "Wir werden dieses Vorrecht des Bundespräsidenten strikt achten und erst nach der Entscheidung des Bundespräsidenten über einen Gang nach Karlsruhe entscheiden."

Der CSU-Chef erklärte, der Bundespräsident sei durch die Wertung der Stimmen Brandenburgs als gültig "unverschuldet in eine schwierige rechtliche Situation" gekommen. "In dieser Situation ist es notwendig, nach den zum Teil sehr emotionalen Äußerungen der letzten Tage mit Besonnenheit und Respekt vor dem Amt des Staatsoberhauptes die Entscheidung des Bundespräsidenten abzuwarten."
Happy End:

Müller fühlt sich "böswillig uminterpretiert"

 
27.03.02 09:07
Er gehe davon aus, dass sich der Bundespräsident nicht über die vorherrschende Juristenmeinung hinwegsetze, sagt der arg gescholtene Saarlands Ministerpräsident Peter Müller. Edmund Stoiber schreibt Johannes Rau gar einen Brief. Aber in einem sind sich die Unionspolitiker einig: Unter Druck wollen sie das Staatsoberhaupt ganz gewiss nicht setzen.

Berlin - Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) räumte ein, dass seine Äußerungen über das "legitime Theater" der Union im Bundesrat ein Fehler waren. "Natürlich ist mir ein Fehler passiert. Ich habe ungenügend bedacht, wie meine Bemerkung böswillig uminterpretiert und missverstanden werden kann", sagte Müller der Zeitung "Die Welt". Die Debatte um seine Aussage sei ein "grandioser Sturm im Wasserglas" ohne sachlichen Hintergrund, sagte er in den ARD-"Tagesthemen". Berichte über Differenzen mit dem Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU) wies Müller zurück.
Müller verstärkte unterdessen den Druck auf Bundespräsident Johannes Rau. Er sagte der "Bild"-Zeitung: "Ich gehe davon aus, dass sich der Bundespräsident nicht einfach über die vorherrschende Meinung in der Rechtswissenschaft hinwegsetzen kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das Gesetz unterschreiben wird."

Der bayerische Staatskanzleichef Erwin Huber versicherte der Hörfunkagentur BLR/Radio Dienst dagegen, Rau werde nicht unter Druck gesetzt. Stoiber werde Rau keineswegs schriftlich auffordern, die Unterzeichnung des Gesetzes zu verweigern. Der bayerische Ministerpräsident hatte am Dienstag ein "sehr besonnenes und sachliches Schreiben" der Unions-Ministerpräsidenten an Rau angekündigt. Die Union behalte sich aber alle rechtlichen Schritte vor, falls der Bundespräsident das Gesetz doch abzeichnen sollte, sagte Huber.

Die FDP forderte Rau auf, mit einem Allparteiengespräch eine Verfassungsklage über das Gesetz zu verhindern. Parteivize Rainer Brüderle sagte der "Osnabrücker Zeitung", dabei müsse eine einvernehmliche Lösung der verfahrenen Situation erarbeitet werden. Dadurch könne das Thema Zuwanderung aus der heißen Phase des Wahlkampfs herausgehalten werden.

SPD-Generalsekretär Franz Müntefering äußerte Verständnis für die Kritik an der Bundesratsabstimmung über das Zuwanderungsgesetz. "Wir dürfen uns solche Sachen nicht öfter leisten", sagte Müntefering dem Nachrichtensender Phoenix. In der "Süddeutschen Zeitung" warf Müntefering Stoiber Unglaubwürdigkeit vor. Stoiber habe am Freitag im Bundesrat zunächst eine künstliche Aufregung inszeniert. Noch zwei Tage später habe er gesagt, er könne sich nicht vorstellen, dass der Bundespräsident genauso kaltschnäuzig die Verfassung brechen werde wie der Bundesratspräsident. Nun rufe er plötzlich zur Mäßigung auf.

In einer Forsa-Umfrage kritisierte die überwiegende Mehrzahl der Befragten, dass CDU und CSU Druck auf Rau ausübten. Nach der Umfrage im Auftrag der "Berliner Zeitung" sagten 66 Prozent, es sei nicht zulässig, dass die Union Rau auffordere, das Gesetz nicht abzuzeichnen. Selbst 51 Prozent der Unionsanhänger hielten dies für unzulässig.

Der Präses der Evangelischen Kirche, Manfred Kock, zeigte sich erschüttert über die aktuelle Entwicklung. "Wenn die Aufrichtigkeit bei der Diskussion auf der Strecke bleibt, ist für den Bundestagswahlkampf Schlimmes zu befürchten", sagte Kock der "Kölnischen Rundschau". Die Inszenierung im Bundesrat sei von beiden Seiten geplant worden. "Das belastet die politische Kultur unseres Staates."
Happy End:

Legitimes Theater

 
29.03.02 08:30
29. März 2002 Das Erschrecken in der Union war groß. Da hatte man zunächst den Erfolg des Kanzlers bei der Abstimmung im Bundesrat über die Zuwanderung zum Pyrrhus-Sieg werden lassen. Dann kam wenige Tage später der CDU-Ministerpräsident des Saarlandes, Peter Müller, und sprach von einem „legitimen Theater“ der Opposition in der Länderkammer.

Der Applaus des Publikums verwandelte sich unversehens in ungläubiges Staunen ob dieser Offenheit. Allerdings verwunderte nur die darob geäußerte Empörung wirklich. Denn welchem interessierten Zuschauer war nicht entgangen, dass im Bundesrat zwei genau geplante Drehbücher zur Aufführung gekommen waren: Bundesratpräsident Klaus Wowereit, der für die SPD eine tragende Rolle spielte, war von der ersten Sekunde der Sitzung die Konzentration auf das Finale anzumerken.

„Darstellungskunst auf der politischen Bühne“

Müllers Beitrag über „Darstellungskunst auf der politischen Bühne“ hängt der Union aber ungeachtet seines nachfolgenden Rückziehers (“Natürlich ist mir ein Fehler passiert“) immer noch nach. Die bei der Inszenierung ebenso engagierten Sozialdemokraten meinen hingegen, sich schadlos halten zu können.

Bundeskanzler Gerhard Schröder - bestimmt ein begnadeter Selbstdarsteller - sieht sich in seiner Rolle bestätigt: „Ich war an dem Theater, das da aufgeführt worden ist, nicht beteiligt“, resümierte er eine Woche später den Ablauf des Dramas. Seinen Unionsherausforderer Edmund Stoiber tadelte er statt dessen für die „schlechte Regie“. Wer dagegen gute Regie geführt hat, dürfte angesichts der bestens präparierten Soufleure Wowereits kaum in Frage stehen.

Deus ex machina für das Drama der Konsensdemokratie

„Ist Politik also Theater? Ja, Politik ist Theater“, hatte Müller in seiner Rede festgestellt, die nur zu einem sehr geringen Teil auf Vorgänge im Bundesrat einging, wohl aber auf die Bühne des Politischen insgesamt abhob. „Aber auch dieser Umstand ist weder gut noch schlecht“, fuhr Müller fort. „So lange das politische Theater einen Beitrag dazu leistet, Aufmerksamkeit zu erreichen für die vertretenen Inhalte, ist das politische Theater gut. Es ist schlecht, wenn dadurch von den Inhalten abgelenkt werden soll. Ohne Theater kann in dieser Gesellschaft keine erfolgreiche Politik gestaltet werden.“

Und damit sind wir dann doch wieder beim Kanzler. In kritischen Kommentaren ist zwar nun sogar von „Manipulationen“ die Rede und selbstverständlich auch von dem „schmutzigen Geschäft“ der Politik. Aber müssen wir Gerhard Schröder nicht dankbar sein? Der Deus ex machina ist eine stehende Figur des Theaters, der für das Finale furioso für die dramatische Wende sorgt. Schröder hat dieses Mal den Deus ex machina für die Konsensdemokratie gegeben.

Abwendung vom Overkill-Konsens

Die Wende in der deutschen Außenpolitik ist uns allen seit 1989 in dramatischen Szenen immer wieder vor Augengeführt worden. Seitdem haben wir auf diesem Feld den Konsens der Overkill-Weltunordnung verlassen. Die Mittelmacht Deutschland muss nun lernen ihre Interessen zunächst zu definieren und dann wenn möglich auch durchzusetzen.

In der Innenpolitik dagegen endeten die so genannten Partikularinteressen bislang sehr oft am Overkill-Konsens. Ein Berliner Regierungschef hat dieses Mal im Bundesrat seine Handlungsfähigkeit und Durchsetzungskraft bis zum Letzten ausgereizt. Er hat den Interessen seiner Regierung unumstrittene Priorität verordnet und Vorrang vor dem Konsens eingeräumt. Insofern kann der Beschluss der Länderkammer wohl wirklich als historisch, als richtungsweisend  bezeichnet werden. Die Exekutive hat sich als solche in der Tat bewiesen. Die sich nun anschließende Debatte über ein Re-Engineering der Strukturen der deutschen Politik ist diesem - wie wahr und wie richtig - „legitimen Theater“ geschuldet.

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