Auch nach der Flut von Skandalen am Neuen Markt richten die Aufsichtsbehörden zu wenig gegen Insiderhandel und Kursmanipulation aus
Es wirkt wie das Ende der Lethargie: Deutschlands Staatsanwälte, bisher eher lässig beim Verfolgen von Börsendelikten, wirbeln den Frankfurter Sumpf auf. Fahnder der Staatsanwaltschaft Mannheim durchsuchten vergangene Woche die DG Bank, die BHF-Bank, die Heidelberger Volksbank und die Deutsche Börse. Sie stöberten nach Informationen über Mitglieder des Arbeitskreises Aktienindizes an der Frankfurter Börse. Diese hatte im August entschieden, den Heidelberger Finanzdienstleister MLP nicht in den Dax aufzunehmen. Bevor dieser Entschluss veröffentlicht wurde, hatten offenbar Insider, nachdem sie von Mitgliedern des Ausschusses einen heißen Tipp erhalten hatten, massiv MLP-Aktien auf den Markt geworfen.
Selbst wenn es den Staatsanwälten gelingen sollte, Beschuldigte vor Gericht zu bringen: Das Ansehen des oft als „zahnloser Tiger“ verspotteten Bundesaufsichtsamts für den Wertpapierhandel (BAWe) wird der Fall MLP nicht verbessern. BAWe-Sachbearbeiter nahmen zwar an den Durchsuchungen teil. Angestoßen wurde die Aktion aber durch eine Anzeige, die direkt bei den Staatsanwälten einging. BAWe-Mitarbeiter hatten zwar auch „Auffälligkeiten“ bei der Kursentwicklung von MLP registriert. Weil die Aktie aber immer stark schwankt, hatten sie den Vorgang achselzuckend ad acta gelegt – wie schon so viele Fälle zuvor.
Prüfen, registrieren, wieder vorlegen, abheften, vergessen – Insiderverfahren laufen in Frankfurt fast immer nach dem selben Muster: Eine Aktie fällt, niemand weiß, warum. Dann die Erklärung: Das Unternehmen gibt eine Gewinnwarnung heraus. In den Internetboards schäumen die Anleger vor Wut: „Insider haben etwas gewusst und vorab Aktien verkauft.“ Journalisten rufen beim BAWe an. „Wir prüfen die Angelegenheit“, lässt sich die Pressestelle der Behörde am folgenden Tag in den Zeitungen zitieren. Falls sich, was bei kleineren Auffälligkeiten selten vorkommt, einige Wochen später noch jemand für den Fall interessiert, heißt es fast immer: „Die Sache wurde eingestellt.“ Wenn die BAWe-Beamten tatsächlich etwas gefunden haben, „wurde der Fall an die zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben.“ Die wiederum lässt ihn dann meistens fallen.
„Wenn wir die Tat nachweisen konnten, die Schuld aber gering war und kein öffentliches Interesse an der weiteren Verfolgung bestand“, sagt der Frankfurter Staatsanwalt Claus Hildner, „stellen wir die Ermittlungen ein, oft gegen Zahlung einer Geldauflage.“ Die Quote der Einstellungen sei aber nicht höher als bei anderen Delikten auch. Eine Diskrepanz zwischen den häufigen Unregelmäßigkeiten und der verschwindend geringen Zahl von Bestrafungen sieht Hildner nicht: „Wenn uns keine konkreten Beweise geliefert werden, können wir auch keine Verfahren einleiten,“ sagt er – ein Versuch, den Schwarzen Peter an das BAWe zurückzuschieben.
Aus Börsenkreisen ist dagegen unter der Hand immer wieder Kritik an der Frankfurter Staatsanwaltschaft zu hören. August Schäfer, ehemaliger Chef der Frankfurter Handelsüberwachung, hatte nach den Untersuchungen gegen Börsenbriefschreiber Egbert Prior sogar beim Generalstaatsanwalt Beschwerde wegen „unterlassener Ermittlungen“ eingelegt. Rüdiger von Rosen, Präsident des Deutschen Aktieninstituts, monierte erst kürzlich, dass Ermittlungen des BAWe „wegen Untätigkeit einer Staatsanwaltschaft im Sande verlaufen.“
Tatsächlich fällt auf, dass an den wenigen spektakuläreren Verfahren meist weder das BAWe noch die Frankfurter Justiz beteiligt sind. Siehe MLP: Obwohl es um einen Vorfall in Frankfurt geht – hier tagt der Arbeitskreis Aktienindizes, hier sitzen Börse und Banken – schlugen Staatsanwälte aus Mannheim zu. Und Prior stand in Mainz vor Gericht, angeklagt von der Staatsanwaltschaft Koblenz. Die früheren Infomatec-Vorstände Gerhard Harlos und Alexander Häfele wanderten in Augsburg ins Gefängnis. Gegen den Verleger der Anlegerpostille „Der Aktionär“, Bernd Förtsch, gingen Stuttgarter Staatsanwälte vor, der Fall der mit kriminellen Machenschaften an den Rand des Ruins manövrierten Entsorgungsfirmen am Neuen Markt, Loesch und Sero, läuft in Bielefeld, die dubiosen Kursbeeinflussungen mit Ad-hoc-Mitteilungen bei Metabox bearbeitet die Staatsanwaltschaft Hannover. Der erste Fall von Kursmanipulation im Internet wird demnächst in Düsseldorf zur Anklage gebracht.
Fünf gleichzeitig von der Frankfurter Handelsüberwachungsstelle angezeigte Fälle von Kursmanipulation schoben die Frankfurter an fünf verschiedene Staatsanwaltschaften ab – nach Stuttgart, Hamburg, Augsburg, Kiel und Potsdam.
In der Börsenprovinz aber kann es dann passieren, dass Richter, die sonst mit Ladendiebstahl und Drogenmissbrauch, aber nur einmal in ihrem Leben mit einem Börsendelikt zu tun haben, Angeklagten gegenüberstehen, die Professoren für Börsenrecht als Verteidiger aufbieten. So war es etwa in Mainz im Fall Prior.
Manchmal platzt den Staatsanwälten in der Provinz aber auch der Kragen. Ein Verfahren gegen Aktienhändler der WestLB wegen vermuteter Kursmanipulationen bei Gildemeister-Aktien schoben die Frankfurter Staatsanwälte nach Bielefeld ab – weil dort der Sitz des Unternehmens ist. Die Bielefelder aber lehnten eine Übernahme „aus sachlichen Gründen“ ab. Jetzt muss Frankfurt wieder ran.
„Insidergeschäfte sind ein so ernstes Verbrechen wie Bankraub“, sagt Arthur Levitt, bis vor kurzem Chef der legendären US-Wertpapieraufsichtsbehörde SEC . In Deutschland glauben das noch längst nicht alle Justizvertreter.
Das BAWe seinerseits konnte bisher in allen Fällen von Kursmanipulation auf die eigene Nicht-Zuständigkeit verweisen. Das Amt soll sich laut Gesetz auf Insidergeschäfte konzentrieren, nicht aber um in aller Öffentlichkeit verfälschte Kurse kümmern. Das ändert sich in Zukunft: Mit Inkrafttreten des vierten Finanzmarktförderungsgesetzes soll das Amt von 2002 an auch Kursmanipulation verfolgen. Das können heimliche Stützungskäufe sein, mit deren Hilfe ein Kurs hoch- gehalten wird, aber auch Manipulationen seitens der Unternehmen.
Infomatec etwa trieb durch falsche Ad-hoc-Meldungen den Börsenkurs künstlich in die Höhe. „Anschließend haben die Vorstände eigene Aktien abgestoßen und erhebliche Kursgewinne realisiert,“ sagt der Münchner Anwalt Klaus Rotter, der Anleger gegen Infomatec vertritt. „Die Lancierung falscher Meldungen am Markt ist durchaus vergleichbar mit Geldfälschung. Der deutsche Gesetzgeber sollte sich daher auch hier zu einer angemessenen Sanktionierung entschließen,“ fordert der Anwalt.
Weniger gravierende Fälle von Kursmanipulation, die bisher von Staatsanwaltschaften nur widerwillig verfolgt wurden, können künftig direkt mit einem Bußgeld geahndet werden. BAWe-Vizepräsident Georg Dreyling wünscht sich etwas Ähnliches auch für kleinere Insidervergehen: „In minder schweren Fällen sollte das als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld bestraft werden.“ In Berlin hat man rechtspolitische Bedenken, weil bei Insiderdelikten Straftaten von bloßen Ordnungswidrigkeiten nur schwer abzugrenzen seien.
Ebenfalls wenig wahrscheinlich ist, dass Insidern generell der Aktienhandel verboten wird. Auch das hatte das BAWe zeitweise gefordert. Bisher untersagt das Gesetz Insidern nur, „unter Ausnutzung“ ihres Wissensvorsprungs zu handeln. Wer glaubhaft machen kann, er habe verkauft, weil sein Banker das geraten habe oder weil er gerade Geld für ein Haus brauchte, kommt straffrei davon.
Eine weitere Schwäche der Gesetze: Gängige Instrumente zur Kursmanipulation wie Ad-hoc-Mitteilungen oder Aktientipps in obskuren Börsenbriefen schützt das hessische Presserecht. Folge: Die Delikte sind bereits nach sechs Monaten verjährt. In dieser kurzen Zeit aber kann kaum ein Fall zu Ende ermittelt werden. „Unsere amerikanischen Kollegen schütteln darüber nur mit dem Kopf“, schimpft Anwalt Rotter.
2002 will Finanzminister Hans Eichel das BAWe zusammen mit Banken- und Versicherungsaufsichtsämtern zu einer Allfinanzbehörde verschmelzen. Wichtiger als eine Mammut-Aufsichtsbehörde scheint indes, dass bestimmte Strafverfolger und Gerichte sich auf Börsenfälle spezialisieren. Der Frankfurter Staatsanwalt Hildner wehrt sich zwar dagegen: „Ich muss nicht einen jahrelang geschulten Kollegen auf diese Fälle ansetzen. Man kann sich in diese Materie einlesen.“ Die schwache Bilanz der Justiz in Sachen Kursmanipulation und Insiderhandel spricht aber dafür, dass am per definitionen immer zuständigen Finanzplatz Frankfurt eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft eingerichtet wird, die sich ausschließlich mit Kapitalmarktdelikten beschäftigt.
Als Kandidat für die Leitung einer solchen Behörde wird in Frankfurt Klaus-Dieter Benner gehandelt. Benner überführte als Staatsanwalt in Frankfurt bis Mitte der Neunzigerjahre die ersten Insider in Deutschland überhaupt. 1997 wechselte der in der Frankfurter Staatsanwaltschaft als übereifrig verschriene Ermittler als Staatskommissar zur hessischen Börsenaufsichtsbehörde. Seit dem Regierungswechsel in Hessen liegt der Staatskommissar aber auch hier mit seinen Wiesbadener Vorgesetzten im Clinch. Mancher im Landeswirtschaftsministerium wäre vermutlich froh, wenn er den unbequemen Benner auf diesem Weg loswürde.
Selbst eine motivierte Schwerpunkt-staatsanwaltschaft wird aber auch in Zukunft nichts ausrichten, wenn Unternehmen gegen das Regelwerk des Neuen Markts verstoßen. Um die Regeln selbst bestimmen zu können, hatte die Börse den Neuen Markt 1997 bewusst als privatrechtliches Gebilde konstruiert. Der Staat ist außen vor. Wenn Unternehmen Aktienverkäufe von Managern vertuschen oder Sperrfristvereinbarungen brechen, drohen nur die von der Börse festgelegten Sanktionen. Die Börse aber sieht in den gelisteten Unternehmen vor allem eigene Kunden, die man lieber nicht vergraulen möchte.
HAUKE REIMER
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Viele Grüße
aus dem Ruhrpott