Das Gespräch über neue wissenschaftliche Denkansätze wird zur Industriespionage und der Werdegang eines Forschers folgt den Gepflogenheiten des Headhunting
In JAMA, dem Journal of the American Medical Association, wurde eine Befragung mit unverkennbarem Trend publiziert: jeder dritte Wissenschaftler ist davon überzeugt, dass der freie Austausch von Informationen erheblich zurückgegangen ist. Jeder zweite Genetiker, der sich von Kollegen anderer Universitäten zusätzliche Informationen, Daten oder weiteres Material erhofft, bleibt ohne Antwort.
Umgekehrt: als Begründung für das Zurückhalten eigener Forschungsergebnisse führen zwei von drei Forscher den Schutz der Arbeiten von Diplomanten und Doktoranden an, und jeder zweite Wissenschaftler bekennt sich zu eigennützigen Interessen. Die Befragung stützt sich auf knapp 2000 Forscher von 100 amerikanischen Universitäten, und das sind viele, die von staatlichen Forschungsgeldern profitieren.
Kommen diese Ergebnisse wirklich überraschend? Wohl kaum. "Medizin heute" orientiert sich weniger denn je am Wohlbefinden des Kranken. Die wissenschaftliche Reputation hat wenig mit der ärztlichen Tätigkeit am Krankenbett zu tun, sondern verlangt hochspezialisierte Kenntnisse und Ideen. Um ihre Zielvorstellungen zu verwirklichen, brauchen die Forscher schlichtweg Geld; und das wird zunehmend in Erwartung profitablen Nutzens vergeben. Kurz- und mittelfristige Projekte dominieren und damit die politisch opportunen Renner. Zum Krebs kommen jetzt die Impfstoffe gegen Aids und Anthrax hinzu, sowie die Früherkennung und Behandlung des Morbus Alzheimer, die reproduktive Medizin und andere in die Öffentlichkeit getragene Hoffnungen. Die politische Orientierung und die Erwartungshaltung, wonach die Gentechnologie eine medizinische Revolution ist, fokussieren gleichermaßen Ideen und Sponsoren. Ins Spiel gekommen ist ferner das Patentrecht, das nicht mehr nur menschlich erzeugte Produkte, sondern auch natürliches biologisches Material schützenswert macht. So entsteht ein enormer Konkurrenzdruck in dessen Folge sich die Wissenschaftler immer mehr gegeneinander abschotten. Da ist der Schritt zur profitablen eigenen Firma nicht weit.
Lee Hartwell, einer der drei medizinischen Nobelpreisträger von 2001, Leiter des Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle hört gleichermaßen auf den Namen Leland H. Hartwell, und der ist in einem anderen Zusammenhang von Bedeutung, nämlich als Begründer von Rosetta Inpharmatics:
Rosetta Inpharmatics was founded in 1996 to design and implement DNA microarray gene expression technologies. The company was established with the goal to overcome the problems limiting the discovery and effective development of pharmaceutical and agricultural products. The founders include: Stephen Friend, M.D., Ph.D., the Company's President and Chief Executive Officer; Leland H. Hartwell, Ph.D., and Leroy Hood, M.D., Ph.D. Rosetta Inpharmatics' technology and patent portfolio were enhanced by its purchase of Acacia Biosciences, Inc. in February 1999, a company founded by Jasper Rine, Ph.D..
Rosetta Inpharmatics wurde im Jahr der Verleihung des Nobelpreises, nämlich im Mai 2001, in aller Stille vom Pharmariesen Merck & Co. Inc. übernommen.
Die immer häufigere Verquickung von Wissenschaft und Kommerz weckt Zweifel an der Wahrheit von Forschungsergebnissen. Zu recht wird danach gefragt, inwieweit die publizierten Daten wissenschaftlich fair oder vom Eigennutz beeinflusst sind. Als Reaktion fordern seriöse Zeitschriften, dass die Autoren ihre finanzielle Verflechtung deklarieren. Das Lippenbekenntnis reicht allerdings nicht aus. Eines von mehreren Beispielen ist die 1998 im New England Journal of Medicine publizierte Recherche, in der 70 wissenschaftliche Artikel über Calcium-Antagonisten auf mögliche Einflüsse durch die Pharmaindustrie abgeklopft wurden. Danach hatten 96 Prozent der Arzneimittelbefürworter zweifelsfrei mit den Pharmafirmen kooperiert. Von den kritischen Autoren war hingegen nur jeder Dritte mit einem Hersteller verbandelt. Das Beispiel Hartwell und Co. bestätigt ferner die Beobachtung, wonach Ergebnisse gezielt lanciert und bei Bedarf zurückgehalten werden bis die Wissenschaftler ihre in der Stille erarbeiteten Patente oder Verträge unter Dach und Fach gebracht haben.
Nicht nur wissenschaftliche Lauterkeit steht deshalb auf dem Prüfstand. Immer drängender stellt sich die Frage, ob die Kommerzialisierung zugleich die Bereitschaft fördert, wissenschaftliche Ergebnisse zu manipulieren. In der "guten alten Zeit" haben sich wissenschaftliche Schulen bis aufs Messer bekämpft. Zornesausbrüche und unflätige Bemerkungen erhellten die Debatten und sorgten dafür, dass öffentlich um eine Lösung gerungen wurde. Die seit Jahren zunehmende pseudo-freundliche Stille verheißt nichts Gutes: viele Streitpunkte werden unter den Teppich gekehrt, damit die Konkurrenten nicht auf bessere Ideen kommen.
Die wirtschaftliche Verflechtung behindert nicht nur den Austausch von Informationen, sondern geht tiefer. Die traditionsreiche Regel hieß bisher: Ehre gebührt dem Wissenschaftler, der das Ergebnis als erster publiziert hat. Dieser ungeschriebene Kodex wird zunehmend außer Kraft gesetzt. Das bedeutet, dass an den Forschungsstätten dieselben Vorschriften eingeführt werden wie sie für R&D, die kommerzielle industrielle Forschung und Entwicklung gelten. Folglich geraten "Forschung und Lehre" in einen Konflikt, der sich unversehens zum kriminellen Delikt auswirken kann: das Gespräch über neue wissenschaftliche Denkansätze wird zur Industriespionage, und der Werdegang eines Forschers folgt den Gepflogenheiten des Headhunting.
Natürlich, ein Jahr nach Abschluss des Human Genome Projects sind Genetiker besonders betroffen. Ihnen wird ein hohes Potential für die zukünftige medizinische Entwicklungen zugesprochen. Hinzu gekommen ist die Erwartung vieler Auguren und Sponsoren, dass die Biotechnologie in die Fußstapfen der Computertechnik treten wird und zum neuen Auffangbecken für Fremdkapital taugt. Diese Hoffnung kann wiederum nur realisiert werden, wenn sich Ideen und Ergebnisse für die Sponsoren in barer Münze auszahlen. Die Konsequenz ist die gut gehütete Zweckforschung. Bei den Bemühungen der USA um die Home Security ist der Weg in besonderen Weise vorgezeichnet: je weniger der Feind weiß, um so geringer ist seine Chance, biologische Waffen wirkungsvoll einzusetzen. Deshalb verwebt die von der Bush-Regierung großzügig gesponserte Forschung zusätzlich die Komponenten militärisches Geheimnis und Nationalstolz .
In JAMA, dem Journal of the American Medical Association, wurde eine Befragung mit unverkennbarem Trend publiziert: jeder dritte Wissenschaftler ist davon überzeugt, dass der freie Austausch von Informationen erheblich zurückgegangen ist. Jeder zweite Genetiker, der sich von Kollegen anderer Universitäten zusätzliche Informationen, Daten oder weiteres Material erhofft, bleibt ohne Antwort.
Umgekehrt: als Begründung für das Zurückhalten eigener Forschungsergebnisse führen zwei von drei Forscher den Schutz der Arbeiten von Diplomanten und Doktoranden an, und jeder zweite Wissenschaftler bekennt sich zu eigennützigen Interessen. Die Befragung stützt sich auf knapp 2000 Forscher von 100 amerikanischen Universitäten, und das sind viele, die von staatlichen Forschungsgeldern profitieren.
Kommen diese Ergebnisse wirklich überraschend? Wohl kaum. "Medizin heute" orientiert sich weniger denn je am Wohlbefinden des Kranken. Die wissenschaftliche Reputation hat wenig mit der ärztlichen Tätigkeit am Krankenbett zu tun, sondern verlangt hochspezialisierte Kenntnisse und Ideen. Um ihre Zielvorstellungen zu verwirklichen, brauchen die Forscher schlichtweg Geld; und das wird zunehmend in Erwartung profitablen Nutzens vergeben. Kurz- und mittelfristige Projekte dominieren und damit die politisch opportunen Renner. Zum Krebs kommen jetzt die Impfstoffe gegen Aids und Anthrax hinzu, sowie die Früherkennung und Behandlung des Morbus Alzheimer, die reproduktive Medizin und andere in die Öffentlichkeit getragene Hoffnungen. Die politische Orientierung und die Erwartungshaltung, wonach die Gentechnologie eine medizinische Revolution ist, fokussieren gleichermaßen Ideen und Sponsoren. Ins Spiel gekommen ist ferner das Patentrecht, das nicht mehr nur menschlich erzeugte Produkte, sondern auch natürliches biologisches Material schützenswert macht. So entsteht ein enormer Konkurrenzdruck in dessen Folge sich die Wissenschaftler immer mehr gegeneinander abschotten. Da ist der Schritt zur profitablen eigenen Firma nicht weit.
Lee Hartwell, einer der drei medizinischen Nobelpreisträger von 2001, Leiter des Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle hört gleichermaßen auf den Namen Leland H. Hartwell, und der ist in einem anderen Zusammenhang von Bedeutung, nämlich als Begründer von Rosetta Inpharmatics:
Rosetta Inpharmatics was founded in 1996 to design and implement DNA microarray gene expression technologies. The company was established with the goal to overcome the problems limiting the discovery and effective development of pharmaceutical and agricultural products. The founders include: Stephen Friend, M.D., Ph.D., the Company's President and Chief Executive Officer; Leland H. Hartwell, Ph.D., and Leroy Hood, M.D., Ph.D. Rosetta Inpharmatics' technology and patent portfolio were enhanced by its purchase of Acacia Biosciences, Inc. in February 1999, a company founded by Jasper Rine, Ph.D..
Rosetta Inpharmatics wurde im Jahr der Verleihung des Nobelpreises, nämlich im Mai 2001, in aller Stille vom Pharmariesen Merck & Co. Inc. übernommen.
Die immer häufigere Verquickung von Wissenschaft und Kommerz weckt Zweifel an der Wahrheit von Forschungsergebnissen. Zu recht wird danach gefragt, inwieweit die publizierten Daten wissenschaftlich fair oder vom Eigennutz beeinflusst sind. Als Reaktion fordern seriöse Zeitschriften, dass die Autoren ihre finanzielle Verflechtung deklarieren. Das Lippenbekenntnis reicht allerdings nicht aus. Eines von mehreren Beispielen ist die 1998 im New England Journal of Medicine publizierte Recherche, in der 70 wissenschaftliche Artikel über Calcium-Antagonisten auf mögliche Einflüsse durch die Pharmaindustrie abgeklopft wurden. Danach hatten 96 Prozent der Arzneimittelbefürworter zweifelsfrei mit den Pharmafirmen kooperiert. Von den kritischen Autoren war hingegen nur jeder Dritte mit einem Hersteller verbandelt. Das Beispiel Hartwell und Co. bestätigt ferner die Beobachtung, wonach Ergebnisse gezielt lanciert und bei Bedarf zurückgehalten werden bis die Wissenschaftler ihre in der Stille erarbeiteten Patente oder Verträge unter Dach und Fach gebracht haben.
Nicht nur wissenschaftliche Lauterkeit steht deshalb auf dem Prüfstand. Immer drängender stellt sich die Frage, ob die Kommerzialisierung zugleich die Bereitschaft fördert, wissenschaftliche Ergebnisse zu manipulieren. In der "guten alten Zeit" haben sich wissenschaftliche Schulen bis aufs Messer bekämpft. Zornesausbrüche und unflätige Bemerkungen erhellten die Debatten und sorgten dafür, dass öffentlich um eine Lösung gerungen wurde. Die seit Jahren zunehmende pseudo-freundliche Stille verheißt nichts Gutes: viele Streitpunkte werden unter den Teppich gekehrt, damit die Konkurrenten nicht auf bessere Ideen kommen.
Die wirtschaftliche Verflechtung behindert nicht nur den Austausch von Informationen, sondern geht tiefer. Die traditionsreiche Regel hieß bisher: Ehre gebührt dem Wissenschaftler, der das Ergebnis als erster publiziert hat. Dieser ungeschriebene Kodex wird zunehmend außer Kraft gesetzt. Das bedeutet, dass an den Forschungsstätten dieselben Vorschriften eingeführt werden wie sie für R&D, die kommerzielle industrielle Forschung und Entwicklung gelten. Folglich geraten "Forschung und Lehre" in einen Konflikt, der sich unversehens zum kriminellen Delikt auswirken kann: das Gespräch über neue wissenschaftliche Denkansätze wird zur Industriespionage, und der Werdegang eines Forschers folgt den Gepflogenheiten des Headhunting.
Natürlich, ein Jahr nach Abschluss des Human Genome Projects sind Genetiker besonders betroffen. Ihnen wird ein hohes Potential für die zukünftige medizinische Entwicklungen zugesprochen. Hinzu gekommen ist die Erwartung vieler Auguren und Sponsoren, dass die Biotechnologie in die Fußstapfen der Computertechnik treten wird und zum neuen Auffangbecken für Fremdkapital taugt. Diese Hoffnung kann wiederum nur realisiert werden, wenn sich Ideen und Ergebnisse für die Sponsoren in barer Münze auszahlen. Die Konsequenz ist die gut gehütete Zweckforschung. Bei den Bemühungen der USA um die Home Security ist der Weg in besonderen Weise vorgezeichnet: je weniger der Feind weiß, um so geringer ist seine Chance, biologische Waffen wirkungsvoll einzusetzen. Deshalb verwebt die von der Bush-Regierung großzügig gesponserte Forschung zusätzlich die Komponenten militärisches Geheimnis und Nationalstolz .