Auszahlungssummen wegen Börsenbaisse oft stark gesunken / Information nur auf Nachfrage
sfu. FRANKFURT, 24. Januar. Viele Lebensversicherte sind sich noch gar nicht bewußt, wie stark sich eine verminderte Überschußbeteiligung auf ihre Verträge auswirkt. Das liegt unter anderem daran, daß die Mehrzahl der deutschen Lebensversicherer während der Laufzeit nur auf Nachfrage Hochrechnungen an die Kunden verschickt, aus denen hervorgeht, mit welcher Auszahlungssumme unter den aktuellen Umständen zu rechnen ist. Somit haben die meisten Lebensversicherten keine Möglichkeit, die in der Beispielrechnung bei Vertragsabschluß prognostizierte Ablaufleistung mit derjenigen Ablaufleistung zu vergleichen, die sich aktuell - als Folge der Aktienbaisse - ergibt.
Manchen Anbietern mag die fehlende Vergleichbarkeit durchaus recht sein, denn vor allem Verträge in der Mitte ihrer Laufzeit bergen böse Überraschungen, die verärgerte Kundenreaktionen nach sich ziehen könnten. In einem konkreten Fall in dieser Woche hat ein Axa-Kunde wegen seines 30 Jahre laufenden Vertrags, den er 1991 abgeschlossen hat, bei dem Versicherer in Köln angerufen. Er wollte wissen, wieviel Geld er nach den jüngsten Absenkungsrunden bei der Überschußbeteiligung eigentlich zum Vertragsende ausgezahlt bekommen dürfte. In seiner Beispielrechnung wird die Summe von 158 000 Euro genannt. Unter den gegenwärtigen Umständen würde er jedoch nur 96 286 Euro bekommen, erfuhr er.
Dabei ist die Axa in dieser Hinsicht weder besonders gut noch besonders schlecht. Bei den meisten Anbietern dürfte sich der Abschlag in einer ähnlichen Dimension bewegen. Zwar wird bei dieser Hochrechnung angenommen, daß sich die aktuell geltende Überschußbeteiligung bis zum Laufzeitende nicht mehr verändert. Aber selbst, wenn in absehbarer Zeit die Verzinsung angehoben wird, dürfte sich allein aufgrund des Zinseszinseffektes weiterhin eine nennenswerte Differenz zwischen ursprünglicher Beispielrechnung und tatsächlicher Auszahlungssumme ergeben. Vor diesem Hintergrund empfehlen Versicherungsexperten wie der Frankfurter Makler Claus-Dieter Gorr, selbst aktiv zu werden, wenn die Gesellschaft eine Hochrechnung der Ablaufleistung nicht automatisch zur Verfügung stellt. Man dürfe sich nicht der Realität verschließen, sondern müsse die Gegebenheiten rechtzeitig in die persönliche Finanzplanung einbeziehen. "Die wichtigste Frage lautet dann: Wie ist die sich auftuende Lücke zu schließen?" sagt Gorr.
Brisant wird die Thematik vor allem, wenn eine Hausfinanzierung an die Lebensversicherung gekoppelt ist. Allein die deutschen Versicherer haben derzeit ausgezahlte Baudarlehen von rund 3,5 Milliarden Euro in ihren Büchern stehen. Mindestens zwei Drittel davon dürften über Kapital-Lebensversicherungen getilgt werden. Hinzu kommt noch das Geschäft aus dem Bankenvertrieb. Derzeit hielten sich die Darlehensgeber mit Nachforderungen an ihre Kunden noch zurück, ist zu hören. In einer gewissen Bandbreite würden Schwankungen bei der Überschußbeteiligung toleriert. Allerdings ist nur derjenige auf der sicheren Seite, der seine Finanzierung ausschließlich auf die Garantieleistung stützt. Darüber hinaus tut sich auch bei der Altersvorsorge über eine kapitalbildende Lebensversicherung plötzlich eine neue Versorgungslücke auf.
Einen Standard, wie Versicherungsnehmer über die hochgerechnete Ablaufleistung informiert werden, gibt es in der Branche nicht. So werden beispielsweise Kunden, die über die gesamte Laufzeit den gleichen Beitrag einzahlen, anders informiert als Kunden mit Verträgen, die eine dynamisierte Beitragsanpassung vorsehen. So ist zwar ein Informationsschreiben vom Marktführer Allianz Leben seit drei Jahren beispielhaft: Es gibt die hochgerechnete Ablaufleistung nicht nur unter Berücksichtigung der aktuellen Überschußbeteiligung an, sondern auch für die Szenarios, wenn die Verzinsung um ein Prozent steigt oder fällt. Allerdings bekommen eine solche Benachrichtigung nur Kunden mit nicht dynamisierten Verträgen. Andere Anbieter wiederum verschicken nur nichtssagende Mitteilungen, in denen etwa der Versicherungsschutz bei Tod oder das aktuelle Vertragsguthaben angegeben ist. Deren Nutzwert ist für die Versicherten im Gegensatz zur Ablaufleistung aber beschränkt. Manche Anbieter schließlich verschicken überhaupt keine jährlichen Mitteilungen, sondern melden sich nur bei Vertragsänderungen.
Carlos Reiss vom Frankfurter Versicherungsmakler Hoesch & Partner regt vor diesem Hintergrund eine branchenweite Standardisierung der Kundenmitteilungen an. Jährlich sollten dann Versicherungsnehmer nicht nur die voraussichtliche Ablaufleistung erfahren, sondern auch den Rückkaufswert sowie die Höhe der bisher eingezahlten Beiträge und der bisher gutgeschriebenen Überschußanteile.
Das würde auch die Service-Telefondienste der Versicherer entlasten. Derzeit nehmen die Anfragen zu, berichtete etwa die Beraterin am Axa-Telefon. Die Reaktionen auf die unangenehme Überraschung seien dabei zweigeteilt: "Die einen freuen sich, daß überhaupt noch was da ist. Und die anderen sind stinkig."