"Die Ängste kehren an die Finanzmärkte zurück"
Börsenpsychologe Joachim Goldberg über den 11. September
Am Mittwoch ist ein erneuter Kurssturz möglich, sagt Börsen-Psychologe Joachim Goldberg.
Herr Goldberg, kurz vor dem Jahrestag der Terroranschläge stehen die Aktienkurse wieder auf einem ähnlich niedrigen Niveau wie am 11. September 2001. Ein Zufall?
Nicht ganz. Natürlich sind die schlechte allgemeine wirtschaftliche Lage und die Kriegsgefahr im Irak Gift für die Börse. Aber jetzt kommt noch der Effekt des 11. September hinzu: Da sich das Ereignis nun jährt, kehren die Ängste zurück - das belastet die Kurse zusätzlich.
Ist die Angst vor neuen Anschlägen begründet?
Manche Menschen wollen am 11. September aus Angst nicht einmal außer Haus gehen. Dabei ist das Anschlagsrisiko an jedem anderen Tag faktisch genauso groß. Aber kein Mensch kann garantieren, dass am 11. September nichts passiert. Deswegen blicken alle so gebannt auf diesen Tag.
Ist denn das Risiko eines Kurssturzes an der Börse am 11. September höher als sonst?
Ja, denn die Menschen sind nun einmal auf runde Zahlen und Jahrestage fixiert. Wir haben das auch nach dem Aktiencrash vom Oktober 1987 erlebt. Als sich das Ereignis 1988 und 1989 jährte, kam es jeweils zu auffälligen Kursbewegungen, die eindeutig mit dem Crash in Verbindung gebracht werden können. Am Jahrestag des 11. September kommt noch hinzu, dass nicht jeder Investor sich trauen wird, blind zu kaufen. Wenn er nämlich genau an diesem Tag investiert und es passiert tatsächlich etwas, wird er das seinem Vorgesetzten gegenüber kaum rechtfertigen können.
Ergibt sich dadurch für besonnene Anleger nicht die Chance, diese Situation auszunutzen und Aktien zum Spottpreis zu erwerben?
Wenn der 11. September verstrichen sein wird, kann es tatsächlich zu einem kurzfristigen Aufatmen an der Börse kommen. Doch für eine echte Trendwende fehlt momentan einfach die positive Fantasie. Ich werde mich deshalb hüten, jetzt wieder zum Einstieg zu blasen.
Waren die Kursabschläge nach dem 11. September 2001 fundamental also gerechtfertigt?
Das Fatale ist, dass wir damals an der Börse sowieso schon auf dem Weg nach unten waren. Ohne den 11. September hätte wahrscheinlich ein anderes Ereignis die Kurse abstürzen lassen. Der verordnete Patriotismus in den USA nach den Anschlägen hat danach wieder zu einer kräftigen Erholung geführt. Doch dann hat die reale ökonomische Lage die Oberhand gewonnen und die Kursgewinne aufgezehrt. Und jetzt beeinflusst zusätzlich der 11. September bewusst oder unbewusst das Verhalten der Anleger.
Zu wie viel Prozent besteht die Börse aus Psychologie?
Zu mindestens 80 Prozent. An der Börse haben wir es eben mit Menschen zu tun, und deren Handeln ist allen möglichen auch irrationalen Einflüssen ausgesetzt. Die Psychologie an der Börse äußert sich nicht nur in Panik und Verzweiflung. Viele Anleger wiederholen immer wieder denselben kapitalen Fehler: Liegen sie im Plus, realisieren sie die Gewinne viel zu früh. Liegen sie im Minus, halten sie an den Verlusten fest und vervielfachen bisweilen ihre Einsätze.
Also wie beim Roulette.
Ja, nur gibt es einen gravierenden Unterschied: Beim Roulette sind die Wahrscheinlichkeiten genau bekannt. An der Börse schätzen wir die Gewinnchancen höher ein. Das ist manchmal trügerisch.
Im Moment sieht es so aus, als hätten die meisten Anleger angesichts der hohen Kursverluste resigniert. Sie bleiben auf ihren Verlusten sitzen.
Demotivation kann ein großer Fehler sein. Ich rate immer: Behalten Sie eine Aktie nur, wenn Sie diese auch heute noch kaufen würden. Wenn nicht, müssten Sie konsequenterweise auch verkaufen.
Verhalten sich Profis an der Börse intelligenter als Privatanleger?
Nein. Profis überschätzen sich gern und machen deshalb Fehler. Das ist wie beim Autofahren: 80 Prozent der Deutschen halten sich für überdurchschnittlich. Doch so viele Gewinner kann es nicht geben.
Hilft Erfahrung an der Börse?
Zum Teil schon, weil man bestimmte Fehler nicht wiederholt. Aber andererseits provoziert Erfahrung auch neue Fehler: In früheren Schwächephasen haben Sie vielleicht erfolgreich nachgekauft und so ihren Einstandspreis verbilligt. In einer lang anhaltenden Baisse kann Sie diese Strategie aber ruinieren.
Gespräch: Sebastian Wolff
www.berlinonline.de/aktuelles/.../wirtschaft/.html/175485.html
Börsenpsychologe Joachim Goldberg über den 11. September
Am Mittwoch ist ein erneuter Kurssturz möglich, sagt Börsen-Psychologe Joachim Goldberg.
Herr Goldberg, kurz vor dem Jahrestag der Terroranschläge stehen die Aktienkurse wieder auf einem ähnlich niedrigen Niveau wie am 11. September 2001. Ein Zufall?
Nicht ganz. Natürlich sind die schlechte allgemeine wirtschaftliche Lage und die Kriegsgefahr im Irak Gift für die Börse. Aber jetzt kommt noch der Effekt des 11. September hinzu: Da sich das Ereignis nun jährt, kehren die Ängste zurück - das belastet die Kurse zusätzlich.
Ist die Angst vor neuen Anschlägen begründet?
Manche Menschen wollen am 11. September aus Angst nicht einmal außer Haus gehen. Dabei ist das Anschlagsrisiko an jedem anderen Tag faktisch genauso groß. Aber kein Mensch kann garantieren, dass am 11. September nichts passiert. Deswegen blicken alle so gebannt auf diesen Tag.
Ist denn das Risiko eines Kurssturzes an der Börse am 11. September höher als sonst?
Ja, denn die Menschen sind nun einmal auf runde Zahlen und Jahrestage fixiert. Wir haben das auch nach dem Aktiencrash vom Oktober 1987 erlebt. Als sich das Ereignis 1988 und 1989 jährte, kam es jeweils zu auffälligen Kursbewegungen, die eindeutig mit dem Crash in Verbindung gebracht werden können. Am Jahrestag des 11. September kommt noch hinzu, dass nicht jeder Investor sich trauen wird, blind zu kaufen. Wenn er nämlich genau an diesem Tag investiert und es passiert tatsächlich etwas, wird er das seinem Vorgesetzten gegenüber kaum rechtfertigen können.
Ergibt sich dadurch für besonnene Anleger nicht die Chance, diese Situation auszunutzen und Aktien zum Spottpreis zu erwerben?
Wenn der 11. September verstrichen sein wird, kann es tatsächlich zu einem kurzfristigen Aufatmen an der Börse kommen. Doch für eine echte Trendwende fehlt momentan einfach die positive Fantasie. Ich werde mich deshalb hüten, jetzt wieder zum Einstieg zu blasen.
Waren die Kursabschläge nach dem 11. September 2001 fundamental also gerechtfertigt?
Das Fatale ist, dass wir damals an der Börse sowieso schon auf dem Weg nach unten waren. Ohne den 11. September hätte wahrscheinlich ein anderes Ereignis die Kurse abstürzen lassen. Der verordnete Patriotismus in den USA nach den Anschlägen hat danach wieder zu einer kräftigen Erholung geführt. Doch dann hat die reale ökonomische Lage die Oberhand gewonnen und die Kursgewinne aufgezehrt. Und jetzt beeinflusst zusätzlich der 11. September bewusst oder unbewusst das Verhalten der Anleger.
Zu wie viel Prozent besteht die Börse aus Psychologie?
Zu mindestens 80 Prozent. An der Börse haben wir es eben mit Menschen zu tun, und deren Handeln ist allen möglichen auch irrationalen Einflüssen ausgesetzt. Die Psychologie an der Börse äußert sich nicht nur in Panik und Verzweiflung. Viele Anleger wiederholen immer wieder denselben kapitalen Fehler: Liegen sie im Plus, realisieren sie die Gewinne viel zu früh. Liegen sie im Minus, halten sie an den Verlusten fest und vervielfachen bisweilen ihre Einsätze.
Also wie beim Roulette.
Ja, nur gibt es einen gravierenden Unterschied: Beim Roulette sind die Wahrscheinlichkeiten genau bekannt. An der Börse schätzen wir die Gewinnchancen höher ein. Das ist manchmal trügerisch.
Im Moment sieht es so aus, als hätten die meisten Anleger angesichts der hohen Kursverluste resigniert. Sie bleiben auf ihren Verlusten sitzen.
Demotivation kann ein großer Fehler sein. Ich rate immer: Behalten Sie eine Aktie nur, wenn Sie diese auch heute noch kaufen würden. Wenn nicht, müssten Sie konsequenterweise auch verkaufen.
Verhalten sich Profis an der Börse intelligenter als Privatanleger?
Nein. Profis überschätzen sich gern und machen deshalb Fehler. Das ist wie beim Autofahren: 80 Prozent der Deutschen halten sich für überdurchschnittlich. Doch so viele Gewinner kann es nicht geben.
Hilft Erfahrung an der Börse?
Zum Teil schon, weil man bestimmte Fehler nicht wiederholt. Aber andererseits provoziert Erfahrung auch neue Fehler: In früheren Schwächephasen haben Sie vielleicht erfolgreich nachgekauft und so ihren Einstandspreis verbilligt. In einer lang anhaltenden Baisse kann Sie diese Strategie aber ruinieren.
Gespräch: Sebastian Wolff
www.berlinonline.de/aktuelles/.../wirtschaft/.html/175485.html