Die New Economy entlässt ihre Kinder
Von Michael Kröger
Der Börsen-Crash in Raten wirkt sich jetzt auch auf die Arbeitsplätze in der New Economy aus. Bei den Dot.com-Mitarbeitern geht die Angst vor Entlassungen um.
Hamburg - Die Kündigung musste kommen, das war klar. Schon seit Monaten kursierten Gerüchte, dass die finanziellen Reserven des kalifornischen Internetdienstleisters Burst.com nicht reichen würden. Doch Brad Thayer hatte sich immer wieder von den viel versprechenden Prognosen seiner Chefs blenden lassen. Umso verbitterter ist der Ingenieur über die brutale Art seines Rauswurfs. "Wir hatten nur ein paar Minuten, um unsere persönlichen Sachen zusammenzupacken. Sie haben uns sogar einen Wachmann vor die Nase gestellt, damit wir keine Firmengeheimnisse mitgehen lassen."
Zimperlich durfte noch nie sein, wer sich in der Welt der Start-ups durchsetzen wollte. Arbeit bis zur Erschöpfung, Flexibilität und Risikobereitschaft gehören zum Anforderungsprofil eines Dot.com-Arbeiters. Dafür lockte bisher die Aussicht auf schnellen Reichtum und die Sicherheit, jederzeit einen anderen Job zu finden, wenn einem der alte nicht mehr gefällt. Doch mit dieser Sicherheit ist es vorerst vorbei: Die New Economy entlässt ihre Kinder.
Vor einem Jahr war alles anders
Sehnsüchtig erinnern sich arbeitslose Web-Arbeiter an die Boom-Zeit im vergangenen Jahr. Gastarbeiter sollten den Arbeitskräftemangel lindern. Ein Rückblick.
Die Welle macht weder vor Internetbuden noch vor gestandenen Hightech-Unternehmen Halt. Allein in den USA gaben im vergangenen Jahr mehr als 210 Internetunternehmen auf. Führende IT-Hersteller wie Compaq, Hewlett Packard oder Cisco verkündeten nach Umsatz- und Gewinnwarnungen gleich reihenweise Massenentlassungen. Dell will in den nächsten Monaten noch einmal bis zu 4000 Mitarbeiter entlassen, nachdem im Februar schon einmal 1700 Kündigungen verschickt worden waren.
Ganz so stark wie in den USA ist die Hire-and-fire-Mentalität in Deutschland noch nicht ausgeprägt, doch auch hier zu Lande hat der überhitzte Internetarbeitsmarkt seit Jahresanfang einen spürbaren Dämpfer erfahren. Die Start-up-Interessengemeinschaft Silicon City Club schätzt, dass bislang 6000 Internet-Arbeiter ihren Job verloren haben. Dem stehen rund 3000 offene Stellen gegenüber. Christian Pape, Chef der Pape-Personalberatung in München, bringt es auf den Punkt: "Kündigungen sind offenbar das einzige Mittel, um dem Aktienmarkt zu zeigen, dass man die Kosten senkt."
Feiern für den neuen Job
Ganz nach dem Vorbild in den USA sollten sich die Gestrandeten der New Economy zu einem großen Fest treffen und neue Kontakte knüpfen. Doch die erste Pink-Slip-Party Deutschlands geriet zur peinlichen Veranstaltung.
Nach dem Börsencrash in Raten und etlichen Entlassungen macht sich bei den Dot.com-Arbeitern inzwischen regelrecht Katerstimmung breit. Diejenigen, die von der ersten Entlassungsrunde in ihrem Unternehmen verschont geblieben sind, treibt die Angst vor der nächsten um. In der Regel wächst auch die Arbeitsbelastung, den die Verbliebenen müssen das Pensum der Gefeuerten miterledigen.
Die psychische Belastung schlägt sich auch auf die Stimmung in den zuvor meist freundschaftlich geführten Unternehmen nieder, denn jeder versucht sicherzustellen, dass er nicht von der nächsten Entlassungswelle erfasst wird. Nach oben buckeln, nach unten treten - diese Devise gilt plötzlich. Vor allem die jüngeren, billigeren Mitarbeiter bekommen das zu spüren, denn sie stellen für die älteren Kollegen mit höheren Gehältern die größte Gefahr dar.
Die Zeit der quereinsteiger ist vorbei
Noch vor gut einem Jahr fanden auch engagierte Laien ohne Probleme einen Job in der New Economy. Wer heute bei einem Internet-Unternehmen unterkommen will, muss Qualifikationen vorweisen.
Am schwierigsten ist die Situation für Arbeitnehmer, die vor zwei oder drei Jahren über ein Start-up ins Berufsleben eingestiegen sind und nun auf der Straße stehen. Headhunter oder Personalchefs, die vor einem Jahr noch regelmäßig um einen Rückruf baten, sind nun ihrerseits nicht zu erreichen. Oft dauert die Suche nach einem neuen Job drei bis vier Monate - und dann diktiert das neue Unternehmen die Bedingungen. Gerade Jobs in den kreativen Bereichen, wie etwa die Gestaltung von Internetseiten, Werbung oder die Erstellung von Inhalten, sind Mangelware. Genauso trist sieht es bei den PR-, Verkaufs- oder Marketing-Managern aus.
Ausgewiesene IT-Fachleute haben dagegen nach Recherchen der Fachzeitschrift "Computerwoche" nach wie vor keine Probleme, einen Job zu finden. Allein die Firma Bosch suche in diesem Jahr noch 200 bis 300 Fachleute. Genügend offene Stellen hat auch die Telekom-Tochter T-Systems. Das Systemhaus würde lieber heute als morgen 2800 SAP-Spezialisten, Telekommunikations-Berater und Systemanalytiker einstellen. Für Wolfgang Meier, Personalleiter am Standort Darmstadt, ist die Suche in diesem Jahr nicht leichter geworden. "Vielleicht liegt es auch daran, dass wir weniger mit bunten Webseiten zu tun haben als mit klassischer Software-Entwicklung", sagt Meier.
Den Gestrandeten bleibt derweil nur die Möglichkeit, sich nach amerikanischem Vorbild in Optimismus zu üben. Dort gilt eine Kündigung allenfalls als Pech, in Deutschland wird sie eher als Schmach empfunden.
Wie weit die meisten allerdings von der amerikanischen Leichtigkeit des Seins noch entfernt sind, beweist die erste Pink-Slip-Party, die Anfang Mai in einer alten Fabrikhalle in einem Außenbezirk von Berlin stattfand. Der Name des Fests kommt von den rosa eingefärbten Kündigungsbriefen in den USA. In New York und San Francisco haben Pink-Slip-Partys mittlerweile Kultstatus erlangt und sind zu interessanten Jobforen avanciert. Ganz anders in Berlin: Von den 600 angemeldeten Gästen waren allenfalls knapp 200 überhaupt erschienen, dazu rund 30 Headhunter. Deren Eindruck fasst Sabine Woiwode von Delta-Management zusammen: "Wir haben nur schwer Vermittelbare getroffen."
Quelle: Spiegel
V2000
Von Michael Kröger
Der Börsen-Crash in Raten wirkt sich jetzt auch auf die Arbeitsplätze in der New Economy aus. Bei den Dot.com-Mitarbeitern geht die Angst vor Entlassungen um.
Hamburg - Die Kündigung musste kommen, das war klar. Schon seit Monaten kursierten Gerüchte, dass die finanziellen Reserven des kalifornischen Internetdienstleisters Burst.com nicht reichen würden. Doch Brad Thayer hatte sich immer wieder von den viel versprechenden Prognosen seiner Chefs blenden lassen. Umso verbitterter ist der Ingenieur über die brutale Art seines Rauswurfs. "Wir hatten nur ein paar Minuten, um unsere persönlichen Sachen zusammenzupacken. Sie haben uns sogar einen Wachmann vor die Nase gestellt, damit wir keine Firmengeheimnisse mitgehen lassen."
Zimperlich durfte noch nie sein, wer sich in der Welt der Start-ups durchsetzen wollte. Arbeit bis zur Erschöpfung, Flexibilität und Risikobereitschaft gehören zum Anforderungsprofil eines Dot.com-Arbeiters. Dafür lockte bisher die Aussicht auf schnellen Reichtum und die Sicherheit, jederzeit einen anderen Job zu finden, wenn einem der alte nicht mehr gefällt. Doch mit dieser Sicherheit ist es vorerst vorbei: Die New Economy entlässt ihre Kinder.
Vor einem Jahr war alles anders
Sehnsüchtig erinnern sich arbeitslose Web-Arbeiter an die Boom-Zeit im vergangenen Jahr. Gastarbeiter sollten den Arbeitskräftemangel lindern. Ein Rückblick.
Die Welle macht weder vor Internetbuden noch vor gestandenen Hightech-Unternehmen Halt. Allein in den USA gaben im vergangenen Jahr mehr als 210 Internetunternehmen auf. Führende IT-Hersteller wie Compaq, Hewlett Packard oder Cisco verkündeten nach Umsatz- und Gewinnwarnungen gleich reihenweise Massenentlassungen. Dell will in den nächsten Monaten noch einmal bis zu 4000 Mitarbeiter entlassen, nachdem im Februar schon einmal 1700 Kündigungen verschickt worden waren.
Ganz so stark wie in den USA ist die Hire-and-fire-Mentalität in Deutschland noch nicht ausgeprägt, doch auch hier zu Lande hat der überhitzte Internetarbeitsmarkt seit Jahresanfang einen spürbaren Dämpfer erfahren. Die Start-up-Interessengemeinschaft Silicon City Club schätzt, dass bislang 6000 Internet-Arbeiter ihren Job verloren haben. Dem stehen rund 3000 offene Stellen gegenüber. Christian Pape, Chef der Pape-Personalberatung in München, bringt es auf den Punkt: "Kündigungen sind offenbar das einzige Mittel, um dem Aktienmarkt zu zeigen, dass man die Kosten senkt."
Feiern für den neuen Job
Ganz nach dem Vorbild in den USA sollten sich die Gestrandeten der New Economy zu einem großen Fest treffen und neue Kontakte knüpfen. Doch die erste Pink-Slip-Party Deutschlands geriet zur peinlichen Veranstaltung.
Nach dem Börsencrash in Raten und etlichen Entlassungen macht sich bei den Dot.com-Arbeitern inzwischen regelrecht Katerstimmung breit. Diejenigen, die von der ersten Entlassungsrunde in ihrem Unternehmen verschont geblieben sind, treibt die Angst vor der nächsten um. In der Regel wächst auch die Arbeitsbelastung, den die Verbliebenen müssen das Pensum der Gefeuerten miterledigen.
Die psychische Belastung schlägt sich auch auf die Stimmung in den zuvor meist freundschaftlich geführten Unternehmen nieder, denn jeder versucht sicherzustellen, dass er nicht von der nächsten Entlassungswelle erfasst wird. Nach oben buckeln, nach unten treten - diese Devise gilt plötzlich. Vor allem die jüngeren, billigeren Mitarbeiter bekommen das zu spüren, denn sie stellen für die älteren Kollegen mit höheren Gehältern die größte Gefahr dar.
Die Zeit der quereinsteiger ist vorbei
Noch vor gut einem Jahr fanden auch engagierte Laien ohne Probleme einen Job in der New Economy. Wer heute bei einem Internet-Unternehmen unterkommen will, muss Qualifikationen vorweisen.
Am schwierigsten ist die Situation für Arbeitnehmer, die vor zwei oder drei Jahren über ein Start-up ins Berufsleben eingestiegen sind und nun auf der Straße stehen. Headhunter oder Personalchefs, die vor einem Jahr noch regelmäßig um einen Rückruf baten, sind nun ihrerseits nicht zu erreichen. Oft dauert die Suche nach einem neuen Job drei bis vier Monate - und dann diktiert das neue Unternehmen die Bedingungen. Gerade Jobs in den kreativen Bereichen, wie etwa die Gestaltung von Internetseiten, Werbung oder die Erstellung von Inhalten, sind Mangelware. Genauso trist sieht es bei den PR-, Verkaufs- oder Marketing-Managern aus.
Ausgewiesene IT-Fachleute haben dagegen nach Recherchen der Fachzeitschrift "Computerwoche" nach wie vor keine Probleme, einen Job zu finden. Allein die Firma Bosch suche in diesem Jahr noch 200 bis 300 Fachleute. Genügend offene Stellen hat auch die Telekom-Tochter T-Systems. Das Systemhaus würde lieber heute als morgen 2800 SAP-Spezialisten, Telekommunikations-Berater und Systemanalytiker einstellen. Für Wolfgang Meier, Personalleiter am Standort Darmstadt, ist die Suche in diesem Jahr nicht leichter geworden. "Vielleicht liegt es auch daran, dass wir weniger mit bunten Webseiten zu tun haben als mit klassischer Software-Entwicklung", sagt Meier.
Den Gestrandeten bleibt derweil nur die Möglichkeit, sich nach amerikanischem Vorbild in Optimismus zu üben. Dort gilt eine Kündigung allenfalls als Pech, in Deutschland wird sie eher als Schmach empfunden.
Wie weit die meisten allerdings von der amerikanischen Leichtigkeit des Seins noch entfernt sind, beweist die erste Pink-Slip-Party, die Anfang Mai in einer alten Fabrikhalle in einem Außenbezirk von Berlin stattfand. Der Name des Fests kommt von den rosa eingefärbten Kündigungsbriefen in den USA. In New York und San Francisco haben Pink-Slip-Partys mittlerweile Kultstatus erlangt und sind zu interessanten Jobforen avanciert. Ganz anders in Berlin: Von den 600 angemeldeten Gästen waren allenfalls knapp 200 überhaupt erschienen, dazu rund 30 Headhunter. Deren Eindruck fasst Sabine Woiwode von Delta-Management zusammen: "Wir haben nur schwer Vermittelbare getroffen."
Quelle: Spiegel
V2000