ftd.de, Sa, 15.3.2003, 19:44
Börsenausblick: Irak-Unsicherheit könnte Kursgewinne zunichte machen
Von Doris Grass, Annette Entreß und Nicola Liebert
Akute Rückschlagsgefahr besteht in dieser Woche für die Aktien und den Dollar. Denn Marktbeobachter werten die jüngst wiederentdeckte Risikobereitschaft der Anleger nur als vorübergehendes Phänomen.
Sollten sie Recht behalten, dürften der Euro, die Renten und das Gold davon profitieren. Analysten sahen sich nicht in der Lage, einen Trend für diese Woche zu prognostizieren. Am Freitag war völlig unklar, wie die diplomatische Hängepartie um eine weitere Irak-Resolution ausgeht. Die Möglichkeit eines Kriegsbeginns steht ebenso im Raum wie ein neuerlicher Aufschub. Jede Nachricht, die der Unsicherheit ein Ende bereiten könnte, wird also kräftige Kursausschläge auslösen.
Dies war bereits in der vergangenen Woche der Fall. Zeichen einer Entspannung ließen die Rentenkurse abstürzen, bescherten den Aktien zweistellige Kursgewinne und stärkten den Dollar gegenüber den wichtigsten Währungen. Die europäischen Staatsanleihen erlebten die schlimmste Woche seit Dezember 2001. Binnen zwei Tagen hatte die US-Währung rund drei Cent gegenüber dem Euro gut gemacht. Im späten europäischen Handel notierte der Greenback knapp über 1,07 $. Einzelne Aktienindizes in Europa verbuchten in den letzten beiden Handelstagen Rekordzuwächse. So schnellte der CAC 40 um 13,6, der FTSE 100 um 9,4 und der Stoxx 50 um 11,1 Prozent nach oben. Der Dax schaffte ein Zweitages-Plus von neun Prozent.
Defizit bleibt Gefahr für Dollar
Ein schneller Militärschlag würde dem Dollar zwar kurzfristig noch einmal Auftrieb geben. "Das wird den langfristigen Aufwärtstrend des Euro zum Dollar in den nächsten drei bis neun Monaten jedoch nicht umkehren", schreiben die Analysten von WestLB Research. Stattdessen rücke das riesige Leistungsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten wieder in den Vordergrund und werde den Dollar belasten. Am Freitag meldete Washington für das vierte Quartal einen Anstieg des Fehlbetrags um 8,3 Prozent auf das Rekordniveau von 136,85 Mrd. $, im Gesamtjahr schwoll es um 28 Prozent auf 503 Mrd. $ an.
Für die Rentenmärkte wäre nach Ansicht des Research der Deutschen Bank nur positiv, wenn das politische Gerangel um Irak weiter geht und sich ein Krieg hinauszögert. Denn in diesem Fall würde die Unsicherheit anhalten und die Konjunktur weiter geschwächt. "Sollte sich dagegen eine rasche militärische Lösung abzeichnen, könnte die Korrektur bei den Renten anhalten."
Die Renditen der europäischen Staatsanleihen waren am Freitag auf den höchsten Stand seit gut einem Monat geklettert. Die Rendite zweijähriger Bundesanleihen sprang um 24 Basispunkte auf 2,48 Prozent hoch, die der Zehnjährigen um 19 Basispunkte auf 4,02 Prozent. Der Bund-Future verlor seit Montag zwei Punkte.
Andererseits rücken zunehmend schlechte Wirtschaftsdaten ins Blickfeld. Die stark gestiegenen Ölpreise treiben weltweit die Inflation nach oben und lähmen das Wachstum. So kletterten die Erzeugerpreise in den USA im Februar um ein Prozent. Ohne die stark schwankenden Energie- und Nahrungsmittelpreise wären sie um 0,5 Prozent gesunken. Auch das Verbrauchervertrauen ist weiter schwach. Im März fiel der vorläufige Index der Universität Michigan von 79,9 Punkten auf 75 und damit den niedrigsten Stand seit Oktober 1992.
Unterschiedlich sind die Ansichten der Bankvolkswirte über die Zinsentscheidung der US-Notenbank Fed am Dienstag. J.P. Morgan Chase und Merrill Lynch rechnen mit einer Zinssenkung. Sollte sich die Fed zu einer geldpolitischen Lockerung entschließen, erwartet Steven Wieting, US-Volkswirt von Salomon Smith Barney einen halben Prozentpunkt. HSBC hält 25 Basispunkte auf ein Prozent für möglich. Mindestens werde die Fed ihre Bereitschaft zu einem solchen Schritt erkennen lassen (weakening bias). Letzteres erwartet auch die Deutsche Bank. Dagegen hält sie eine Zinssenkung für unwahrscheinlich. Lehman Brothers rechnet erst mit zwei Zinsschritten im April und Mai um insgesamt 75 Basispunkte. "Das Verbrauchervertrauen, die Energiepreise und die Beschäftigung entwickeln sich alle in eine Richtung, und das ist die falsche", sagte Lehman-Volkswirt John Shin.
In den USA stehen diese Woche nur wenige Wirtschaftsdaten an. Der am Donnerstag erwartete Konjunkturindikator der Federal Reserve von Philadelphia für März dürfte gesunken sein. Bei den Verbraucherpreisen am Freitag wird ein Anstieg prognostiziert. In Europa werden als wichtigste Daten die Inflationsrate in der Euro-Zone im Februar und der deutsche ZEW-Stimmungsindikator im verarbeitenden Gewerbe für März erwartet. Letzterer dürfte nach zwei besseren Monaten wieder gesunken sein.
Die Ölnotierungen brachen zum Wochenschluss angesichts zahlreicher marktpositiver Meldungen im Zusammenhang mit dem Irak regelrecht ein. Am Freitag rutschte der Ölpreis um mehr als einen Dollar ab und büßte damit binnen zwei Tagen um mehr als 7 Prozent ein. Von Entwarnung kann allerdings keine Rede sein. Schließlich sind die USA der größte Abnehmer von Öl aus Irak gewesen.
Keine Entwarnung bei den Aktien
Dennoch gaben Marktteilnehmer für die Börsen keine Entwarnung. Hoffnungen, dass ein Irak-Krieg vermieden werden kann, seien trügerisch. "Eine friedliche Lösung wäre schön, ist aber nicht sehr wahrscheinlich", sagte Roland Ziegler, Stratege bei der ING/BHF-Bank. Die Börsenrally zum Wochenschluss sei eine technische Reaktion auf die zuvor übertriebenen Verluste. "Keiner kann so recht daran glauben, dass es die Trendwende war", meinte auch Händler Fidel Helmer von Hauck & Aufhäuser. "Unsicherheit ist kein Argument, Aktien zu kaufen."
Optimistischer ist dagegen Investmentstratege François Trahan von Bear Stearns für die Wall Street. Die Aktien seien inzwischen langsam wieder attraktiv. "Die Bedingungen sind reif für eine interessante Erholung von Aktien, die den S&P-500-Index kurzfristig wieder in die Gegend von 900 oder 950 Punkten bringen könnte." Das käme einer Steigerung um knapp zehn Prozent gleich.
Die Flut anstehender Bilanzpressekonferenzen in Europa kann bei den einzelnen Aktien für Ausschläge sorgen. Zu den wichtigsten Firmen auf dem Terminkalender zählen am Montag RWE, Lagardere und AGF. BASF folgt am Dienstag. Altana, Interbrew BMW und Thiel Logistik sind am Mittwoch dran. Am Donnerstag laden Allianz, Lufthansa und Tiscali ein sowie Euronext am Freitag.
In Amerika legen nur wenige Firmen Quartalszahlen vor, so der Softwarekonzern Oracle (Dienstag), der Paketdienst FedEx und Turnschuhhersteller Nike (Mittwoch) sowie am Chiphersteller Micron (Donnerstag). Näheren Einblick in den Zustand der Finanzbranche geben am Mittwoch und Donnerstag Bear Stearns, Goldman Sachs, Lehman Brothers und Morgan Stanley.
© 2003 Financial Times Deutschland
Börsenausblick: Irak-Unsicherheit könnte Kursgewinne zunichte machen
Von Doris Grass, Annette Entreß und Nicola Liebert
Akute Rückschlagsgefahr besteht in dieser Woche für die Aktien und den Dollar. Denn Marktbeobachter werten die jüngst wiederentdeckte Risikobereitschaft der Anleger nur als vorübergehendes Phänomen.
Sollten sie Recht behalten, dürften der Euro, die Renten und das Gold davon profitieren. Analysten sahen sich nicht in der Lage, einen Trend für diese Woche zu prognostizieren. Am Freitag war völlig unklar, wie die diplomatische Hängepartie um eine weitere Irak-Resolution ausgeht. Die Möglichkeit eines Kriegsbeginns steht ebenso im Raum wie ein neuerlicher Aufschub. Jede Nachricht, die der Unsicherheit ein Ende bereiten könnte, wird also kräftige Kursausschläge auslösen.
Dies war bereits in der vergangenen Woche der Fall. Zeichen einer Entspannung ließen die Rentenkurse abstürzen, bescherten den Aktien zweistellige Kursgewinne und stärkten den Dollar gegenüber den wichtigsten Währungen. Die europäischen Staatsanleihen erlebten die schlimmste Woche seit Dezember 2001. Binnen zwei Tagen hatte die US-Währung rund drei Cent gegenüber dem Euro gut gemacht. Im späten europäischen Handel notierte der Greenback knapp über 1,07 $. Einzelne Aktienindizes in Europa verbuchten in den letzten beiden Handelstagen Rekordzuwächse. So schnellte der CAC 40 um 13,6, der FTSE 100 um 9,4 und der Stoxx 50 um 11,1 Prozent nach oben. Der Dax schaffte ein Zweitages-Plus von neun Prozent.
Defizit bleibt Gefahr für Dollar
Ein schneller Militärschlag würde dem Dollar zwar kurzfristig noch einmal Auftrieb geben. "Das wird den langfristigen Aufwärtstrend des Euro zum Dollar in den nächsten drei bis neun Monaten jedoch nicht umkehren", schreiben die Analysten von WestLB Research. Stattdessen rücke das riesige Leistungsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten wieder in den Vordergrund und werde den Dollar belasten. Am Freitag meldete Washington für das vierte Quartal einen Anstieg des Fehlbetrags um 8,3 Prozent auf das Rekordniveau von 136,85 Mrd. $, im Gesamtjahr schwoll es um 28 Prozent auf 503 Mrd. $ an.
Für die Rentenmärkte wäre nach Ansicht des Research der Deutschen Bank nur positiv, wenn das politische Gerangel um Irak weiter geht und sich ein Krieg hinauszögert. Denn in diesem Fall würde die Unsicherheit anhalten und die Konjunktur weiter geschwächt. "Sollte sich dagegen eine rasche militärische Lösung abzeichnen, könnte die Korrektur bei den Renten anhalten."
Die Renditen der europäischen Staatsanleihen waren am Freitag auf den höchsten Stand seit gut einem Monat geklettert. Die Rendite zweijähriger Bundesanleihen sprang um 24 Basispunkte auf 2,48 Prozent hoch, die der Zehnjährigen um 19 Basispunkte auf 4,02 Prozent. Der Bund-Future verlor seit Montag zwei Punkte.
Andererseits rücken zunehmend schlechte Wirtschaftsdaten ins Blickfeld. Die stark gestiegenen Ölpreise treiben weltweit die Inflation nach oben und lähmen das Wachstum. So kletterten die Erzeugerpreise in den USA im Februar um ein Prozent. Ohne die stark schwankenden Energie- und Nahrungsmittelpreise wären sie um 0,5 Prozent gesunken. Auch das Verbrauchervertrauen ist weiter schwach. Im März fiel der vorläufige Index der Universität Michigan von 79,9 Punkten auf 75 und damit den niedrigsten Stand seit Oktober 1992.
Unterschiedlich sind die Ansichten der Bankvolkswirte über die Zinsentscheidung der US-Notenbank Fed am Dienstag. J.P. Morgan Chase und Merrill Lynch rechnen mit einer Zinssenkung. Sollte sich die Fed zu einer geldpolitischen Lockerung entschließen, erwartet Steven Wieting, US-Volkswirt von Salomon Smith Barney einen halben Prozentpunkt. HSBC hält 25 Basispunkte auf ein Prozent für möglich. Mindestens werde die Fed ihre Bereitschaft zu einem solchen Schritt erkennen lassen (weakening bias). Letzteres erwartet auch die Deutsche Bank. Dagegen hält sie eine Zinssenkung für unwahrscheinlich. Lehman Brothers rechnet erst mit zwei Zinsschritten im April und Mai um insgesamt 75 Basispunkte. "Das Verbrauchervertrauen, die Energiepreise und die Beschäftigung entwickeln sich alle in eine Richtung, und das ist die falsche", sagte Lehman-Volkswirt John Shin.
In den USA stehen diese Woche nur wenige Wirtschaftsdaten an. Der am Donnerstag erwartete Konjunkturindikator der Federal Reserve von Philadelphia für März dürfte gesunken sein. Bei den Verbraucherpreisen am Freitag wird ein Anstieg prognostiziert. In Europa werden als wichtigste Daten die Inflationsrate in der Euro-Zone im Februar und der deutsche ZEW-Stimmungsindikator im verarbeitenden Gewerbe für März erwartet. Letzterer dürfte nach zwei besseren Monaten wieder gesunken sein.
Die Ölnotierungen brachen zum Wochenschluss angesichts zahlreicher marktpositiver Meldungen im Zusammenhang mit dem Irak regelrecht ein. Am Freitag rutschte der Ölpreis um mehr als einen Dollar ab und büßte damit binnen zwei Tagen um mehr als 7 Prozent ein. Von Entwarnung kann allerdings keine Rede sein. Schließlich sind die USA der größte Abnehmer von Öl aus Irak gewesen.
Keine Entwarnung bei den Aktien
Dennoch gaben Marktteilnehmer für die Börsen keine Entwarnung. Hoffnungen, dass ein Irak-Krieg vermieden werden kann, seien trügerisch. "Eine friedliche Lösung wäre schön, ist aber nicht sehr wahrscheinlich", sagte Roland Ziegler, Stratege bei der ING/BHF-Bank. Die Börsenrally zum Wochenschluss sei eine technische Reaktion auf die zuvor übertriebenen Verluste. "Keiner kann so recht daran glauben, dass es die Trendwende war", meinte auch Händler Fidel Helmer von Hauck & Aufhäuser. "Unsicherheit ist kein Argument, Aktien zu kaufen."
Optimistischer ist dagegen Investmentstratege François Trahan von Bear Stearns für die Wall Street. Die Aktien seien inzwischen langsam wieder attraktiv. "Die Bedingungen sind reif für eine interessante Erholung von Aktien, die den S&P-500-Index kurzfristig wieder in die Gegend von 900 oder 950 Punkten bringen könnte." Das käme einer Steigerung um knapp zehn Prozent gleich.
Die Flut anstehender Bilanzpressekonferenzen in Europa kann bei den einzelnen Aktien für Ausschläge sorgen. Zu den wichtigsten Firmen auf dem Terminkalender zählen am Montag RWE, Lagardere und AGF. BASF folgt am Dienstag. Altana, Interbrew BMW und Thiel Logistik sind am Mittwoch dran. Am Donnerstag laden Allianz, Lufthansa und Tiscali ein sowie Euronext am Freitag.
In Amerika legen nur wenige Firmen Quartalszahlen vor, so der Softwarekonzern Oracle (Dienstag), der Paketdienst FedEx und Turnschuhhersteller Nike (Mittwoch) sowie am Chiphersteller Micron (Donnerstag). Näheren Einblick in den Zustand der Finanzbranche geben am Mittwoch und Donnerstag Bear Stearns, Goldman Sachs, Lehman Brothers und Morgan Stanley.
© 2003 Financial Times Deutschland