Verzweifelter Kampf
Börsen-Chef Seifert am Rande des Abgrunds
Bald erwartet den Deutsche-Börse-Chef eine heiße Hauptversammlung. Nicht mal seine eigenen Leute weiß er hinter sich.
LONSON. Lord Peter Levene ist als Mahner bekannt. Der britische Chairman des Versicherers Lloyd’s of London rügt seine Branche schon mal für ihre Selbstzufriedenheit, oder er verlangt mehr Transparenz. Vorgestern nun warnte er die Deutsche Börse – und musste dafür nicht einmal den Mund aufmachen. Levene trat einfach von seinem Posten im Börsen-Aufsichtsrat zurück.
Seitdem schrillen in Frankfurt die Alarmglocken. Denn nun muss Deutsche-Börse-Chef Werner Seifert nicht nur eine sich abzeichnende Aktionärs-Revolte bei der Hauptversammlung am 25. Mai ersticken – er hat noch dazu dabei sein eigenes Lager nicht hinter sich.
Der überraschende Rückzug Levenes ist auch ein Zeichen dafür, dass der interne Rückhalt schwindet. Noch letzte Woche wurde Levene in einen Dreier-Ausschuss des Aufsichtsrates berufen, der mit den rebellischen Aktionären verhandeln soll. Als City-Banker tritt er auch in London glaubwürdig auf. Mit seinem Rücktritt wird auch dem letzten klar: Seifert kämpft verzweifelt, doch seine Amtszeit könnte tragisch enden.
Als der 55jährige Mitte Dezember 2004 zum zweiten Mal zur Übernahme der Londoner Börse ausholt, ist er auf dem Höhepunkt der Macht. Die Börse hat sich unter seiner Regie von einem national zersplitterten Mittelständler zum wichtigsten europäischen Börsenplatz entwickelt. Seine Terminbörse greift die Konkurrenz in Amerika an. Nun geht es um seinen eigentlichen Traum: Vier Jahre hat er sich auf die Übernahme der London Stock Exchange (LSE) vorbereitet. Nun will er sie im Handstreich übernehmen.
Fünf Monate später steht Seifert am Rande des Abgrunds. Seine eigenen Aktionäre haben den London-Deal blockiert, er muss hohe Geld-Reserven ausschütten, seinem Aufsichtsratschef Rolf Breuer droht in wenigen Tagen die Abwahl, selbst sein eigener Job steht auf der Kippe. Was ist passiert?
Es ist wie so oft bei Seifert. Er war sich seiner Sache zu sicher– und hat die Gegner unterschätzt. Auffällig ist zudem: Obwohl es um die Zukunft der Deutschen Börse und damit letztlich auch um den Finanzplatz Deutschland, springt ihm kaum ein hochrangiger Vertreter der deutschen Wirtschaft öffentlich zu Seite. Nur wenige Hochkaräter bekennen sich offen zu Seifert.
So Rolf Breuer. Seit er 1993 an die Spitze des Aufsichtsrats der Börse rückte, hält der frühere Deutsche-Bank-Chef seine schützende Hand über den Schweizer. Anfangs muss er immer wieder Angriffe gegen die von Seifert forcierte Modernisierung des Börsenplatzes abwehren. Der Widerstand ist gerade unter den Händlern immens, weil sie an Einfluss und Geschäft verlieren.
Lange Zeit läuft das Tandem Breuer-Seifert – auch weil sich Seifert schon bald als Glücksgriff erweist. Unter seiner Ägide mausert sich der verschlafene Aktienmarkt zur technologisch führenden Börse in der Welt. Doch ausgerechnet als Seifert sein Meisterstück „LSE“ schnitzen will, erweist sich Breuer als das schwächste Glied. Als Vertreter des Kapitals und oberster Aufseher muss er sich um die Interessen der Aktionäre kümmern. Doch er hört den Unmut der Investoren über den vermeintlich zu hohen Übernahmepreis über Monate nicht. Das macht ihn nach Meinung mancher Investoren kaum noch tragbar. Klar ist aber: Wenn Breuer gehen muss, ist auch Seifert kaum noch zu halten.
Auch die deutsche Regierung erweist sich als kaum hilfreich. Zwar stellt sie sich im Dezember öffentlich hinter Seifert. Das Finanzministerium sieht in dem Angebot für die LSE einen „Ausdruck der Stärke des Finanzplatzes“. Mehr als bedauern kann Minister Hans Eichel das Scheitern aber nicht. Zwar geißelte er erst in der vergangenen Woche noch einmal das „kurzfristige Denken“ von TCI und anderen Aktionären. Doch dass sich die Regierung trotz ihrer neuen, kapitalismus-kritischen Linie zur Helferin der Börse aufschwingt, erscheint unwahrscheinlich – und wäre wohl auch nicht in Seiferts Sinne.
So schwach Seiferts Freunde scheinen, so stark sind seine Gegner. Chris Hohn, zum Beispiel.
Als sich der Chef des Hedge-Fonds TCI Mitte Januar zum ersten Mal kritisch zum Übernahmepreis äußerte, nimmt ihn Seifert nicht ernst. Ein 36-jähriger Hedgefonds-Manager, der einen Aktien-Anteil von rund acht Prozent vertritt? Das kann nicht ernst gemeint sein.
Doch einer wie Hohn reagiert auf eine solche Abfuhr wie Seifert – er nimmt sie persönlich und startet eine Gegenkampagne. Dabei machte er sich die tief sitzende Frustration etablierter Aktionäre zunutze. Deren Investition in die Deutsche Börse hat sich zwar monetär gelohnt. Seifert lässt die Anteilseigner jedoch über Jahre spüren, dass nur er die Firma führt. Bis heute pflegt der Mann das Image eines unnahbaren Konzern-Lenkers, der Nachfrager bei „unverschämten“ Kommentaren gerne anblafft.
Gegner planen Seiferts Sturz
Ein solches Umfeld ist der ideale Nährboden für Hohn. Er schafft es, andere Investoren auf seine Seite zu holen – und das wiederum spornt ihn noch mehr an. Nachdem er den LSE-Deal zum Platzen gebracht hat, fordert er nun Breuers Kopf. Später will er auch Seifert stürzen, wie er jüngst in einem Interview ankündigte.
Bei der Attacke gegen Seifert ist Jean-Francois Theodore der Stratege im Hintergrund. Der 58-jährige Chef der Vierländerbörse Euronext interessiert sich ebenfalls für die Londoner Börse, hält sich jedoch geschickt zurück.
Bislang hat er Interesse bekundet, aber noch keinen Preis genannt. Damit vermeidet er alle Schwierigkeiten mit seinen Aktionären. Vermutlich hätte er ohnehin weniger zu fürchten, weil er gute Kontakte zur Aktionärsbasis pflegt und sie mit einer hohen Ausschüttung im vergangenen Jahr zufrieden stellte.
Kommentatoren weisen gerne darauf hin, dass ein Zusammengehen der Deutschen Börse mit der Euronext strategisch sinnvoller wäre als eine teure Übernahme der LSE. Doch das einzige, was den Chef der Vierländerbörse Euronext mit Seifert verbindet, ist die tiefe gegenseitige Abneigung. „Die beiden sind wie Feuer und Wasser“, weiß ein hochrangiger Börsenmanager. Mag Theodore auch im Ton konzilianter sein: Ebenso wie Seifert strebt er die Vorherrschaft in Europa an.
Seifert jedoch hat sich von seinem Ziel entfernt. Entpuppt sich TCI als kurzfristig orientierter Investor, könnte Seifert vielleicht schon bald nach der Hauptversammlung die Scherben zusammen kehren und einen neuen Anlauf auf die LSE wagen.
Falls Hohn aber der Deutschen Börse erhalten bleibt, muss Seifert sich weitere Konzessionen abringen lassen. Noch ist längst nicht ausgemacht, dass er sich damit wirklich im Amt halten kann.
Quelle: HANDELSBLATT, Mittwoch, 27. April 2005, 09:38 Uhr
...be invested
Der Einsame Samariter
Börsen-Chef Seifert am Rande des Abgrunds
Bald erwartet den Deutsche-Börse-Chef eine heiße Hauptversammlung. Nicht mal seine eigenen Leute weiß er hinter sich.
LONSON. Lord Peter Levene ist als Mahner bekannt. Der britische Chairman des Versicherers Lloyd’s of London rügt seine Branche schon mal für ihre Selbstzufriedenheit, oder er verlangt mehr Transparenz. Vorgestern nun warnte er die Deutsche Börse – und musste dafür nicht einmal den Mund aufmachen. Levene trat einfach von seinem Posten im Börsen-Aufsichtsrat zurück.
Seitdem schrillen in Frankfurt die Alarmglocken. Denn nun muss Deutsche-Börse-Chef Werner Seifert nicht nur eine sich abzeichnende Aktionärs-Revolte bei der Hauptversammlung am 25. Mai ersticken – er hat noch dazu dabei sein eigenes Lager nicht hinter sich.
Der überraschende Rückzug Levenes ist auch ein Zeichen dafür, dass der interne Rückhalt schwindet. Noch letzte Woche wurde Levene in einen Dreier-Ausschuss des Aufsichtsrates berufen, der mit den rebellischen Aktionären verhandeln soll. Als City-Banker tritt er auch in London glaubwürdig auf. Mit seinem Rücktritt wird auch dem letzten klar: Seifert kämpft verzweifelt, doch seine Amtszeit könnte tragisch enden.
Als der 55jährige Mitte Dezember 2004 zum zweiten Mal zur Übernahme der Londoner Börse ausholt, ist er auf dem Höhepunkt der Macht. Die Börse hat sich unter seiner Regie von einem national zersplitterten Mittelständler zum wichtigsten europäischen Börsenplatz entwickelt. Seine Terminbörse greift die Konkurrenz in Amerika an. Nun geht es um seinen eigentlichen Traum: Vier Jahre hat er sich auf die Übernahme der London Stock Exchange (LSE) vorbereitet. Nun will er sie im Handstreich übernehmen.
Fünf Monate später steht Seifert am Rande des Abgrunds. Seine eigenen Aktionäre haben den London-Deal blockiert, er muss hohe Geld-Reserven ausschütten, seinem Aufsichtsratschef Rolf Breuer droht in wenigen Tagen die Abwahl, selbst sein eigener Job steht auf der Kippe. Was ist passiert?
Es ist wie so oft bei Seifert. Er war sich seiner Sache zu sicher– und hat die Gegner unterschätzt. Auffällig ist zudem: Obwohl es um die Zukunft der Deutschen Börse und damit letztlich auch um den Finanzplatz Deutschland, springt ihm kaum ein hochrangiger Vertreter der deutschen Wirtschaft öffentlich zu Seite. Nur wenige Hochkaräter bekennen sich offen zu Seifert.
So Rolf Breuer. Seit er 1993 an die Spitze des Aufsichtsrats der Börse rückte, hält der frühere Deutsche-Bank-Chef seine schützende Hand über den Schweizer. Anfangs muss er immer wieder Angriffe gegen die von Seifert forcierte Modernisierung des Börsenplatzes abwehren. Der Widerstand ist gerade unter den Händlern immens, weil sie an Einfluss und Geschäft verlieren.
Lange Zeit läuft das Tandem Breuer-Seifert – auch weil sich Seifert schon bald als Glücksgriff erweist. Unter seiner Ägide mausert sich der verschlafene Aktienmarkt zur technologisch führenden Börse in der Welt. Doch ausgerechnet als Seifert sein Meisterstück „LSE“ schnitzen will, erweist sich Breuer als das schwächste Glied. Als Vertreter des Kapitals und oberster Aufseher muss er sich um die Interessen der Aktionäre kümmern. Doch er hört den Unmut der Investoren über den vermeintlich zu hohen Übernahmepreis über Monate nicht. Das macht ihn nach Meinung mancher Investoren kaum noch tragbar. Klar ist aber: Wenn Breuer gehen muss, ist auch Seifert kaum noch zu halten.
Auch die deutsche Regierung erweist sich als kaum hilfreich. Zwar stellt sie sich im Dezember öffentlich hinter Seifert. Das Finanzministerium sieht in dem Angebot für die LSE einen „Ausdruck der Stärke des Finanzplatzes“. Mehr als bedauern kann Minister Hans Eichel das Scheitern aber nicht. Zwar geißelte er erst in der vergangenen Woche noch einmal das „kurzfristige Denken“ von TCI und anderen Aktionären. Doch dass sich die Regierung trotz ihrer neuen, kapitalismus-kritischen Linie zur Helferin der Börse aufschwingt, erscheint unwahrscheinlich – und wäre wohl auch nicht in Seiferts Sinne.
So schwach Seiferts Freunde scheinen, so stark sind seine Gegner. Chris Hohn, zum Beispiel.
Als sich der Chef des Hedge-Fonds TCI Mitte Januar zum ersten Mal kritisch zum Übernahmepreis äußerte, nimmt ihn Seifert nicht ernst. Ein 36-jähriger Hedgefonds-Manager, der einen Aktien-Anteil von rund acht Prozent vertritt? Das kann nicht ernst gemeint sein.
Doch einer wie Hohn reagiert auf eine solche Abfuhr wie Seifert – er nimmt sie persönlich und startet eine Gegenkampagne. Dabei machte er sich die tief sitzende Frustration etablierter Aktionäre zunutze. Deren Investition in die Deutsche Börse hat sich zwar monetär gelohnt. Seifert lässt die Anteilseigner jedoch über Jahre spüren, dass nur er die Firma führt. Bis heute pflegt der Mann das Image eines unnahbaren Konzern-Lenkers, der Nachfrager bei „unverschämten“ Kommentaren gerne anblafft.
Gegner planen Seiferts Sturz
Ein solches Umfeld ist der ideale Nährboden für Hohn. Er schafft es, andere Investoren auf seine Seite zu holen – und das wiederum spornt ihn noch mehr an. Nachdem er den LSE-Deal zum Platzen gebracht hat, fordert er nun Breuers Kopf. Später will er auch Seifert stürzen, wie er jüngst in einem Interview ankündigte.
Bei der Attacke gegen Seifert ist Jean-Francois Theodore der Stratege im Hintergrund. Der 58-jährige Chef der Vierländerbörse Euronext interessiert sich ebenfalls für die Londoner Börse, hält sich jedoch geschickt zurück.
Bislang hat er Interesse bekundet, aber noch keinen Preis genannt. Damit vermeidet er alle Schwierigkeiten mit seinen Aktionären. Vermutlich hätte er ohnehin weniger zu fürchten, weil er gute Kontakte zur Aktionärsbasis pflegt und sie mit einer hohen Ausschüttung im vergangenen Jahr zufrieden stellte.
Kommentatoren weisen gerne darauf hin, dass ein Zusammengehen der Deutschen Börse mit der Euronext strategisch sinnvoller wäre als eine teure Übernahme der LSE. Doch das einzige, was den Chef der Vierländerbörse Euronext mit Seifert verbindet, ist die tiefe gegenseitige Abneigung. „Die beiden sind wie Feuer und Wasser“, weiß ein hochrangiger Börsenmanager. Mag Theodore auch im Ton konzilianter sein: Ebenso wie Seifert strebt er die Vorherrschaft in Europa an.
Seifert jedoch hat sich von seinem Ziel entfernt. Entpuppt sich TCI als kurzfristig orientierter Investor, könnte Seifert vielleicht schon bald nach der Hauptversammlung die Scherben zusammen kehren und einen neuen Anlauf auf die LSE wagen.
Falls Hohn aber der Deutschen Börse erhalten bleibt, muss Seifert sich weitere Konzessionen abringen lassen. Noch ist längst nicht ausgemacht, dass er sich damit wirklich im Amt halten kann.
Quelle: HANDELSBLATT, Mittwoch, 27. April 2005, 09:38 Uhr
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Der Einsame Samariter