von Ralf Andreß
Die ostdeutsche Seele ist Kummer gewöhnt. Und auch die Erkenntnis, dass so manche glänzende Verheißung alsbald an Farbenpracht verliert, ist heute weithin bekannt. Das gilt für die dereinst versprochenen "blühenden Landschaften" ebenso wie für die inzwischen verblichene Euphorie um die ostdeutschen Pioniere auf dem aalglatten Börsenparkett.
Wenig Freude mit Intershop
Sinnbild für die enttäuschten Hoffnungen einer ganzen Region ist der Software-Entwickler Intershop der auszog die Welt zu erobern und nun - geprügelt und gescholten - wieder auf dem Boden der thüringischen Realität angekommen ist (auch wenn der Firmensitz mittlerweile nach Hamburg verlagert wurde). Als die Welt der e-Business-Spezialisten noch in Ordnung war, zahlten Anleger bis zu € 135 für eine Intershop-Aktie - für die sie heute nur mehr zwei Euro erhalten.
Und wenig deutet derzeit darauf hin, dass sich daran in absehbarer Zeit viel ändert. Der verzweifelte Versuch des Intershop-Kapitäns Stephan Schambach, die Anleger wieder auf seine Seite zu bringen scheint kläglich zu scheitern. Hieß es noch in diesem Sommer, dass schon zum Jahresende 2001 endlich die Gewinnschwelle erreicht werden soll, so hat sich auch diese Hoffnung inzwischen zerschlagen.
In der vergangenen Woche musste Intershop die Break-Even-Prognose wieder einkassieren und einen Umsatzeinbruch vermelden. Damit bestätigt sich auf traurige Weise das negative Stimmungsbild der Analystengemeinde: Bei mehr als 20 Researchhäusern die Intershop beobachten findet sich derzeit nicht eines, das die Aktie zum Kauf empfiehlt.
Klare Aussichten für Jenoptik
Ganz anders stellt sich die Lage bei dem zweiten großen Namen der ostdeutschen Börsenwelt - Jenoptik - dar. Dem im Mdax gelisteten Unternehmen, das aus der Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH hervorgegangen ist, halten die Analysten die Treue. Zwar weist auch der Jenoptik-Kurs auf Jahressicht mit einem Minus von knapp 40% auf, bewegt sich damit aber durchaus im Rahmen des Dax-üblichen. Aber auch ohne dies wäre ein Vergleich mit Intershop völlig Fehl am Platze, da es sich bei dem Technologie-Konzern um ein gestandenes Unternehmen mit Milliarden-Umsätzen und realen Gewinnen handelt. Mehr noch. Trotz der angespannten Weltkonjunktur bestätigte Jenoptik-Vorstand Lothar Späth vor wenigen Tagen seine Umsatz- und Ergebnisziele für das laufende Jahr. Demnach sollen die Erlöse um mindestens 25% und der Überschuss (bereinigt um Sondereffekte) sogar um 30% ausgeweitet werden.
Die Präsentation überzeugte und so bestätigten die Strategen bei der Commerzbank ihre "Akkumulieren"-Empfehlung mit einem Kursziel von € 26. Andere Banken, wie etwa Sal. Oppenheim, sind etwas zurückhaltender, was allerdings nicht auf Zweifel an der Qualität des Managements zurückzuführen ist, sondern auf die nach wie vor hohe Abhängigkeit von der Halbleiter-Industrie, die wichtigster Umsatzträger des Jenoptik-Geschäftes ist. Deren Perspektive bleibt vorerst ebenso getrübt, wie die Aussichten für den in den vergangenen Jahren lukrativsten Jenoptik-Geschäftszweig: Asset Management.
Dahinter verbirgt sich die vor allem Venture-Capital-Tochter DEWB, die so etwas wie die Ur-Mutter des ostdeutschen Börsenbooms ist. Mittlerweile haben acht Beteiligungsunternehmen der DEWB den Weg an den Neuen Markt gefunden – darunter die Jenaer Medizin- und Biotechniker Analytik Jena, Asclepion-Meditec und CyBio, sowie die aus der schwäbischen Heimat des Unternehmenslenkers Späth stammenden Caatoosee, 4mbo und Müller - die lila Logistik. An allen genannten Unternehmen ist die DEWB auch heute noch mit zum Teil großen Paketen beteiligt. Ergänzt wird das Neue-Markt-Portefeuille durch Tepla und ID-Media.
In der Vergangenheit erwies sich das Venture-Capital und Beteiligungsgeschäft in Hinblick auf die Kursentwicklung der Jenoptik-Aktie sowohl als Vor- wie auch als Nachteil - denn je nach der Stimmung am Neuen Markt stieg und fiel die Aktie, wobei das eigentliche Stammgeschäft häufig nur eine Nebenrolle spielte.
Gemäßigte Prognosen - aber reale Aussichten
Aber die Aktienlandschaft im Osten der Republik ist ohnehin unrettbar mit dem Neuen Markt verbunden, der beinahe alle Börsenvertreter der Neuen Bundesländer beherbergt. Den Schwerpunkt bilden dabei eindeutig Unternehmen aus dem Umfeld der Medizin- und Biotechnik. Zu den bereits genannten Thüringer Jenoptik-Beteiligungen gesellen sich die ebenfalls in Jena ansässige Biolitec, sowie die weiter nördlich beheimateten Co.don (Brandenburg) und Plasmaselect (Mecklenburg-Vorpommern). Manch einer wurde beim Börsengang ob der moderaten Wachstumsprognosen milde belächelt, was sich aus heutiger Sicht als Fehler erweist. Denn im Gegensatz zu manchem Jubel-Wert, gelten bei einigen dieser Vertreter die gemäßigten Prognosen von damals auch heute noch.
Herauszuheben ist hier beispielsweise Analytik Jena, die im September ihre zuvor angehobene Umsatzprognose für das Geschäftsjahr 2000/2001 bestätigten und bislang ihre Versprechen auch einlösen konnten. Das 1990 gegründete Unternehmen entwickelt Analysegeräte mit denen feste oder flüssige Substanzen auf Inhaltsstoffe und Zusammensetzung untersucht werden können. Von besonderer Relevanz ist dies etwa bei der Bestimmung von Schwermetall- oder Schadstoffanteilen. Die Anwendungsgebiete sind jedoch vielfältig. Sie reichen von der Bodenanalyse über biotechnologische Vorgänge bis zur Kriminalistik.
Entsprechend breit ist das Kundenspektrum, zu dem wissenschaftliche Einrichtungen, Pharma- und Biotech-Unternehmen, sowie Industriekunden wie Siemens gehören. Neben den bislang abgelieferten Zahlen überzeugt auch das strategische Vorgehen des Managements. Statt überhasteter Aktivität im unmittelbaren Anschluss an den Börsengang tun sich die Thüringer gerade in den vergangenen Monaten als eifriger Aufkäufer von Groß-Beteiligungen hervor. Auch bei der internationalen Expansion schreitet Analytik Jena weiter voran und eröffnete in den vergangenen Monaten eine Repräsentanz in China und eine Tochter in Italien.
Enttäuschungen nicht ausgeschlossen
Ähnlich positiv fällt die Bilanz bei dem Jenaer Laser-Spezialisten Biolitec und dem Tissue-Engineering-Pionier Co.don aus, die bislang ebenfalls ihre Vorgaben erfüllen konnten. In den Aktienkursen spiegelt sich dies allerdings kaum wider, was aber im wesentlichen auf desolate Gesamtmarkt-Stimmung zurückzuführen sein dürfte. Negativ-Beispiele liefern indes CyBio und Plasmaselect. Während der Anbieter von Anlagen für die automatisierte Suche nach Pharma-Wirkstoffen, Cybio, über die Ratschläge ihres einstigen Wirtschaftsprüfers und die sich verschlechternde Marktlage stolperte, ist das Plasmaselect-Debakel vor allem auch auf Fehleinschätzungen und die Überheblichkeit der Führungsmannschaft zurückzuführen.
Der Kurs sackte nach einem Ausgabepreis von € 45 und Kursen um € 170 an den ersten Börsentagen bis auf € 2 ab - und das alles binnen weniger Monate. Damit hat sich aber zumindest eine Prognose von Finanzvorstand Sabine Kalisch bewahrheitet - im Vorfeld des Börsenganges hatte sie vollmundig angekündigt, dass Plasmaselect zur EM.TV im Biotech-Sektor werden wolle. Das ist eindrucksvoll gelungen - wobei zur Ehrenrettung der Unternehmenskultur Ost hinzugefügt werden muss, dass die Ursprünge des Entwicklers eines innovativen Blut-Reinigungsverfahrens im süddeutschen München liegen.
Im Osten viel neues
Aber auch jenseits vom Gesundheitsmarkt tat sich in Deutschlands Osten einiges. Eine eher trübe Börsenhistorie weist etwa der traditionsreiche Sachsenring auf. Nach einem schwierigen Jahr 2000 ist der Spezialist für Automobiltechnik und Spezialfahrzeugbau, Analystenangeben zufolge, zwar wieder auf Kurs - große Euphorie weckt dies bei den Anlagestrategen bislang aber nicht. Eher gebremst ist auch die Begeisterung für den Foto-Entwickler Pixelnet, der vor wenigen Wochen seine Ergebnisprognosen nach unten revidieren musste. Das ursprünglich als Betreiber eines Internet-Fotolabors gestartete Unternehmen aus Sachsen-Anhalt übernahm Anfang des Jahres die Filial-Kette Photo Porst, die gemessen an den Umsätzen zehnmal größer ist als das eigentliche Online-Geschäft, das für die Aufnahme an den Neuen Markt ausschlaggebend war. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich allerdings die Frage, was die neue Pixelnet am Neuen Markt verloren hat.
Nachgelassen hat auch das Interesse an dem Hardware-Unternehmen Lintec Computer, die ähnlich wie Jenoptik eine Zeitlang von der IPO-Fantasie ihres Beteiligungsportefeuilles profitieren konnten, aus dem auch Pixelnet kommt. Mit der nachlassenden Euphorie bei Neuemissionen rückt das wenig margenträchtige Computer-Geschäft wieder in den Vordergrund - und das scheint die Börsianer derzeit eher kalt zu lassen. Das gilt auch für den Software-Lizensierer PC-Ware, dessen Aussichten von Analysten - zumindest kurzfristig - ebenfalls als eher moderat eingeschätzt werden.
Ganz anders stellt sich die Situation bei Funkwerk dar. Der Entwickler von Technologie für mobile Datenübertragung avanciert zum heimlichen Star der ostdeutschen Börsenlandschaft. Vor gut zwei Wochen wurden die Planvorgaben bestätigt, was von Analystenseite mit Kaufempfehlungen honoriert wurde. Die Unternehmensgeschichte der heutigen Funkwerk AG reicht bis in die "Vor-Wende-Zeit" zurück. Bereits zu DDR-Zeiten entwickelte das Unternehmen Zugfunk-Ausrüstung und konnte sich in diesem Segment später auch im gesamtdeutschen Wettbewerb durchsetzen und so gehört die Deutsche Bahn zu den wichtigsten Kunden des im thüringischen Kölleda beheimateten Unternehmens.
Ein weiteres Positiv-Beispiel ist die in Dresden beheimatete SAP Systems Integration (kurz SAP SI), eine Tochter des Software-Hauses SAP. Der sächsische IT-Berater legte im Oktober erfreulich positive Zahlen für das dritte Quartal vor. Trotz der allgemeinen Nachfrageschwäche im IT-Sektor überraschte SAP SI mit robusten Umsätzen, loben Analysten. Die Erlöse aus Service-Leistungen stiegen um 40% im Vergleich zum Vorjahr. Damit scheint die Gesellschaft auf bestem Wege das anvisierte Wachstumsziel von 32-38% im Gesamtjahr zu erreichen. Das Ergebnis wird indes noch durch Goodwill-Abschreibungen belastet, so dass SAP SI derzeit noch Verluste ausweist. Ließe man diese außen vor, ergäbe sich jedoch ein sattes Plus, das im laufenden Jahr - Analystenschätzungen folgend - beinahe doppelt so hoch ausfallen soll, wie im Vorjahr. Als weiteres Plus wird eine prall gefüllte Akquisitionskasse (€ 117 Mio.) genannt.
Realismus ersetzt die Fantasie
Insgesamt lässt sich feststellen, dass die ostdeutschen Börsenvertreter in den vergangenen Monaten zwar viel an Fantasie eingebüßt haben, aber dennoch einen positiven Gesamt-Eindruck hinterlassen. Einzelne Vertreter erweisen sich zudem als erfrischend solide und verlässlich – was am Neuen Markt längst nicht mehr selbstverständlich ist. Mit einigen wenigen Ausnahmen (Intershop, Plasmaselect, Cybio) blieben die ganz großen Enttäuschungen aus. Und auch das derzeit heiß diskutierte Thema "Delisting von Penny-Stocks" spielt zwischen Usedom und Zwickau - zumindest wenn man die Berliner Gesellschaften ausklammert - keine nennenswerte Rolle.