Börse, Psycho, Bauernregeln
"Sell in May and go away." - Wer dieser Börsenweisheit gefolgt ist und seine Wertpapiere frühzeitig verkauft hat, dem ist möglicherweise so mancher Kursverlust durch Einbruch der Aktienmärkte im vergangenen Wonnemonat erspart geblieben. Eine ganze Reihe solcher Sprüche dient Anlegern als Handlungsempfehlung. Für eine grobe Orientierung im komplizierten Börsengeschehen kann mancher dieser Tipps hilfreich sein. Zur konkreten Anlageentscheidung taugen sie dagegen nicht.
"Genauso wie es Bauernregeln gibt, versuchen Anleger den Unsicherheitsfaktor an der Börse in den Griff zu bekommen", sagt Joachim Goldberg, Experte für Finanzmarktpsychologie beim Marktforschungsinstitut cognitrend in Frankfurt/Main. Regelmäßigkeiten erkennen und dem Auf und Ab der Kurse nicht komplett ausgeliefert sein zu wollen, sei ein ganz menschliches Bedürfnis.
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Nicht alles auf eine Karte setzen
"Börsenweisheiten pressen komplexe Themen in eine knappe Formel. Einige sind sinnvoll, andere aber nicht", sagt Olaf Stotz vom Forschungsinstitut für Asset Management (FIFAM) der RWTH Aachen. Als Experte für "Behavorial Finance" untersucht er das Verhalten von Anlegern. Gut beraten seien sie beispielsweise mit der Börsenregel "Don't put all your eggs in one basket", hier zu Lande als "Setze nicht alles auf eine Karte" bekannt. Verschiedene Wertpapiere zu mischen, um extremen Kursverlusten vorzubeugen, zählt zum Börsen-ABC. Auch "Hin und her macht Taschen leer" ist kein schlechter Tipp, denn durch zu häufige Orders können Transaktionskosten gehörig die Rendite schmälern.
Manche Börsenweisheiten können daher durchaus einen spielerischen Einstieg für diejenigen bieten, die sich erstmals mit den Chancen und Risiken des Kapitalmarktes befassen, räumt Joachim Goldberg ein. Doch "Geld lässt sich damit nicht verdienen." Viele dieser Regeln würden die Sachverhalte zu stark vereinfachen.
Der Mai: Kein Grund zur Sorge
"Politische Börsen haben kurze Beine" gehört dazu. So lässt sich zwar immer wieder beobachten, dass die Börse nach Einbrüchen wie beispielsweise durch die Terroranschläge in London und Madrid schnell wieder zur Normalität findet. Doch können etwa Regierungswechsel durchaus die Märkte beflügeln oder bremsen, wenn sich dadurch langfristige Rahmenbedingungen ändern.
Und manchmal lassen sich Börsenregeln bei genauerer Überprüfung auch einfach nicht halten. Die in Stuttgart ansässige Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hat die Verkaufsempfehlung für den Wonnemonat Mai in einen historischen Vergleich von DAX, Dow Jones, Nikkei und FAZ-Index unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: "Der Mai ist zwar kein ausgesprochen erfolgreicher Monat, aber Sorgen muss er einem historisch gesehen nicht bereiten", erklärt LBBW-Aktienstratege Frank Schallenberger. Mit einem Minus von gerade mal 1,2 Prozent in den vergangenen 40 Jahren schnitt der FAZ-Index am schlechtesten ab - hohe Verluste sehen anders aus, zumal hier die gezahlten Dividenden nicht mitberechnet wurden.
Comeback im September
Als verlustreichster Monat des Jahres entpuppte sich in den untersuchten Indizes vielmehr der September. Seit 1988 brachte der Dax in dem Monat ein Minus von 4,4 Prozent ein. Die Börsenweisheit "Sell in May and go away" geht nämlich noch weiter: "...but remember to come back in September." Wenn die Urlaubszeit im Sommerhalbjahr vorüber ist, kann es also durchaus Sinn machen, Ende September an der Börse wieder einzusteigen um die sprichwörtliche Jahresend-Rallye nicht zu verpassen. "Das letzte Quartal schneidet statistisch gut ab", so Schallenberger. Doch das gilt nicht automatisch für jedes Jahresende.
Für Joachim Goldberg zeigt die Untersuchung solcher saisonalen Effekte, dass mit Börsenregeln kaum erfolgreiche Entscheidungen zu treffen sind. "Gerade die Mai-Regel ist sehr unscharf. Sie verschweigt, wann genau man kaufen oder verkaufen soll." So fiel der Kurseinbruch des vergangenen Mai auch erst in die zweite Monatshälfte.
Auch andere Börsenregeln, die sich mit dem richtigen Ein- und Ausstiegszeitpunkt befassen, lassen an konkreter Hilfestellung zu wünschen übrig oder widersprechen sich gar. So heißt es zwar "Kaufe, wenn alle verkaufen". Doch gleichzeitig gilt "Greife nie in ein fallendes Messer". Denn auf manchen Kauf einer nach einem Kursverfall vermeintlich günstig bewerteten Aktie folgte das böse Erwachen, weil der Kurs weiter fiel.
Das Timing zählt
Und damit gleich zum nächsten Tip: "The trend is your friend". Dass ein Börsentrend abreißt, gilt als unwahrscheinlicher, als dass er anhält. Doch das Timing zählt: Es hilft wenig, erst einzusteigen, wenn die größten Kursgewinne schon vorbei sind. "Langfristige Auf- und Abwärtsbewegungen werden von Privatanlegern oft erst zu spät erkannt", sagt Joachim Goldberg von cognitrend. Den Aufwärtstrend ab dem Jahr 2003 hätten viele Anleger erst ein bis zwei Jahre später realisiert.
Wer Regeln befolgt und mit dem Strom schwimmt, fühlt sich zwar wohler, sagt Olaf Stotz von FIFAM. Die Kür der Börsenkunst, den richtigen Zeitpunkt für die Order zu finden, nehmen einem die Weisheiten aber nicht ab. Rationale Anleger berücksichtigen bei ihren Entscheidungen also Indikatoren wie Kursbewertung, Zukunftschancen und Risiko. Kurzfristige Trends sollten für sie egal sein, so der Kapitalmarktexperte. Außerdem gilt: "Die Börse folgt nicht immer Regeln, vieles ist auch Zufall", so Frank Schallenberger von der LBBW. Daher gibt es eine Börsenweisheit, die über jeden Zweifel erhaben ist: "Der Markt hat immer Recht."
Quelle: dpa
Euch,
Einsamer Samariter
"Sell in May and go away." - Wer dieser Börsenweisheit gefolgt ist und seine Wertpapiere frühzeitig verkauft hat, dem ist möglicherweise so mancher Kursverlust durch Einbruch der Aktienmärkte im vergangenen Wonnemonat erspart geblieben. Eine ganze Reihe solcher Sprüche dient Anlegern als Handlungsempfehlung. Für eine grobe Orientierung im komplizierten Börsengeschehen kann mancher dieser Tipps hilfreich sein. Zur konkreten Anlageentscheidung taugen sie dagegen nicht.
"Genauso wie es Bauernregeln gibt, versuchen Anleger den Unsicherheitsfaktor an der Börse in den Griff zu bekommen", sagt Joachim Goldberg, Experte für Finanzmarktpsychologie beim Marktforschungsinstitut cognitrend in Frankfurt/Main. Regelmäßigkeiten erkennen und dem Auf und Ab der Kurse nicht komplett ausgeliefert sein zu wollen, sei ein ganz menschliches Bedürfnis.
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Nicht alles auf eine Karte setzen
"Börsenweisheiten pressen komplexe Themen in eine knappe Formel. Einige sind sinnvoll, andere aber nicht", sagt Olaf Stotz vom Forschungsinstitut für Asset Management (FIFAM) der RWTH Aachen. Als Experte für "Behavorial Finance" untersucht er das Verhalten von Anlegern. Gut beraten seien sie beispielsweise mit der Börsenregel "Don't put all your eggs in one basket", hier zu Lande als "Setze nicht alles auf eine Karte" bekannt. Verschiedene Wertpapiere zu mischen, um extremen Kursverlusten vorzubeugen, zählt zum Börsen-ABC. Auch "Hin und her macht Taschen leer" ist kein schlechter Tipp, denn durch zu häufige Orders können Transaktionskosten gehörig die Rendite schmälern.
Manche Börsenweisheiten können daher durchaus einen spielerischen Einstieg für diejenigen bieten, die sich erstmals mit den Chancen und Risiken des Kapitalmarktes befassen, räumt Joachim Goldberg ein. Doch "Geld lässt sich damit nicht verdienen." Viele dieser Regeln würden die Sachverhalte zu stark vereinfachen.
Der Mai: Kein Grund zur Sorge
"Politische Börsen haben kurze Beine" gehört dazu. So lässt sich zwar immer wieder beobachten, dass die Börse nach Einbrüchen wie beispielsweise durch die Terroranschläge in London und Madrid schnell wieder zur Normalität findet. Doch können etwa Regierungswechsel durchaus die Märkte beflügeln oder bremsen, wenn sich dadurch langfristige Rahmenbedingungen ändern.
Und manchmal lassen sich Börsenregeln bei genauerer Überprüfung auch einfach nicht halten. Die in Stuttgart ansässige Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hat die Verkaufsempfehlung für den Wonnemonat Mai in einen historischen Vergleich von DAX, Dow Jones, Nikkei und FAZ-Index unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: "Der Mai ist zwar kein ausgesprochen erfolgreicher Monat, aber Sorgen muss er einem historisch gesehen nicht bereiten", erklärt LBBW-Aktienstratege Frank Schallenberger. Mit einem Minus von gerade mal 1,2 Prozent in den vergangenen 40 Jahren schnitt der FAZ-Index am schlechtesten ab - hohe Verluste sehen anders aus, zumal hier die gezahlten Dividenden nicht mitberechnet wurden.
Comeback im September
Als verlustreichster Monat des Jahres entpuppte sich in den untersuchten Indizes vielmehr der September. Seit 1988 brachte der Dax in dem Monat ein Minus von 4,4 Prozent ein. Die Börsenweisheit "Sell in May and go away" geht nämlich noch weiter: "...but remember to come back in September." Wenn die Urlaubszeit im Sommerhalbjahr vorüber ist, kann es also durchaus Sinn machen, Ende September an der Börse wieder einzusteigen um die sprichwörtliche Jahresend-Rallye nicht zu verpassen. "Das letzte Quartal schneidet statistisch gut ab", so Schallenberger. Doch das gilt nicht automatisch für jedes Jahresende.
Für Joachim Goldberg zeigt die Untersuchung solcher saisonalen Effekte, dass mit Börsenregeln kaum erfolgreiche Entscheidungen zu treffen sind. "Gerade die Mai-Regel ist sehr unscharf. Sie verschweigt, wann genau man kaufen oder verkaufen soll." So fiel der Kurseinbruch des vergangenen Mai auch erst in die zweite Monatshälfte.
Auch andere Börsenregeln, die sich mit dem richtigen Ein- und Ausstiegszeitpunkt befassen, lassen an konkreter Hilfestellung zu wünschen übrig oder widersprechen sich gar. So heißt es zwar "Kaufe, wenn alle verkaufen". Doch gleichzeitig gilt "Greife nie in ein fallendes Messer". Denn auf manchen Kauf einer nach einem Kursverfall vermeintlich günstig bewerteten Aktie folgte das böse Erwachen, weil der Kurs weiter fiel.
Das Timing zählt
Und damit gleich zum nächsten Tip: "The trend is your friend". Dass ein Börsentrend abreißt, gilt als unwahrscheinlicher, als dass er anhält. Doch das Timing zählt: Es hilft wenig, erst einzusteigen, wenn die größten Kursgewinne schon vorbei sind. "Langfristige Auf- und Abwärtsbewegungen werden von Privatanlegern oft erst zu spät erkannt", sagt Joachim Goldberg von cognitrend. Den Aufwärtstrend ab dem Jahr 2003 hätten viele Anleger erst ein bis zwei Jahre später realisiert.
Wer Regeln befolgt und mit dem Strom schwimmt, fühlt sich zwar wohler, sagt Olaf Stotz von FIFAM. Die Kür der Börsenkunst, den richtigen Zeitpunkt für die Order zu finden, nehmen einem die Weisheiten aber nicht ab. Rationale Anleger berücksichtigen bei ihren Entscheidungen also Indikatoren wie Kursbewertung, Zukunftschancen und Risiko. Kurzfristige Trends sollten für sie egal sein, so der Kapitalmarktexperte. Außerdem gilt: "Die Börse folgt nicht immer Regeln, vieles ist auch Zufall", so Frank Schallenberger von der LBBW. Daher gibt es eine Börsenweisheit, die über jeden Zweifel erhaben ist: "Der Markt hat immer Recht."
Quelle: dpa
Euch,
Einsamer Samariter