Alles muss raus!
Goedart Palm 21.10.2002
Saddam Hussein denkt schon an die Zeit nach der Niederlage
Ob nun gemilderte UN-Resolution in zwei Stufen oder amerikanisch-britischer Alleingang, die Kontrahenten selbst scheinen von der baldigen Neuauflage der Mutter aller Schlachten überzeugt zu sein. Großbritannien soll begonnen haben, Reservisten einberufen. Amerika will die irakische Opposition militärisch auf Vordermann bringen. Aber auch Saddam Hussein weiß längst, dass es nun an das Eingemachte geht.
Zwar hatte er am 18.Oktober 2002 bei Ableistung seines Amtseids noch goldene Worte gefunden für die wirklichen Werte seines Landes: "Because we are part of great and gracious nation which possesses things that are most valuable to the human self, and here I am not referring to the factor of wealth and its raw material or its resources that are changeable in quality, place and kind. I am rather referring to our great history and glorious role in civilization...".
Gegenwärtig geht es ihm aber weniger um die ruhmreiche Rolle des Irak in der Zivilisation als vielmehr um die Rettung des Rohmaterials für (s)eine glückliche Zukunft. Damit die profaneren Werte irakischer Herrlichkeit nicht mit dem Öl zusammen in die Hände der lachenden Sieger fallen, soll der Potentat nach Berichten von Geheimdiensten und der irakischen Opposition schwer beladende LKW-Karawanen mit Gold und wertvoller Kunst aus Museumsbeständen von Bagdad und Mossul an die Grenze nach Abu Kamal geschickt haben. Dort nehmen laut Rundfunksender "Iraq al Hur" syrische und jordanische Kaufleute die kostbare Fracht entgegen. Sollten die gesamten Goldreserven des Irak in das freundlich gesonnene Ausland verkarrt werden, wäre das mit zwei Milliarden Dollar eine staatliche Summe für Saddams persönlichen Neuanfang.
Während der unangefochtene 100%-Champion der Präsidentschaftswahlen seine Sprecher immer wieder vom furchterregenden Häuserkampf in Bagdad schwadronieren lässt, könnte es also sein, dass er bereits erheblich intensiver über die Zeit nach der vorentschiedenen Schlacht nachdenkt. Außer Landes fliehende Diktatoren mit prallen Koffern, aus denen die Dollars rieseln, markieren ein geläufiges Tyrannenschicksal.
Da das Leben jenseits von Bagdad, jenseits der luxuriösen Sicherheit seiner diversen Paläste so seine Unwägbarkeiten birgt, arbeitet Saddam Hussein aber eben so sehr verstärkt am "good will". Der bedrohte Tyrann verkündete nun eine Generalamnestie für alle Gefangenen, ob politische Häftlinge, "Deserteure" oder gewöhnliche Straftäter. Mörder sollen allerdings erst freigelassen werden, wenn die Familien der Opfer nicht Einspruch erheben; Diebe, wenn sie ihre Schulden zurückerstattet haben. Auch das Strafmaß bleibt bei der Generalamnestie unberücksichtigt. Selbst zum Tode Verurteilte können mit ihrer Freilassung rechnen. Einige Freigelassene erklärten vor laufenden Kameras jubilierend, nun bereit zu sein, sich für den Herrn von Bagdad zu opfern. Das kurze Glück der Freiheit?
Des Tyrannen ungewohnt menschenfreundliche Trendwende geht aber noch weiter, da er nun auch mit der Rückführung des vor mehr als zehn Jahren geraubten kuwaitischen Staatsarchivs beginnt. Saddam Hussein, der bisher nicht kleinlich war, Menschenrechte brutal mit Füßen zu treten, entdeckt also die Menschlichkeit als Propagandamaßnahme. Auch wenn es ihm wohl kaum die Moral einflüstert, so zeigt sich doch, dass er es den Siegern und ihrer Moral schwer machen will. Zumindest demonstrieren diese Maßnahmen, dass er wohl kaum der unkalkulierbare Hazardeur in Bush'scher Lesart ist, der allein fiebernd darauf wartet, die westliche Welt mit Massenvernichtungswaffen zu überziehen. Der Mann hat nackte Angst - und das aus gutem Grund.