MORD IM MACARTHUR PARK
Bill Gates ist tot...
Im Cyberspace verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion, die Verlässlichkeit von Informationen ist fraglich. Nun ließ ein Team von Webdesignern und Filmemachern Bill Gates erschießen - und arbeitet fieberhaft an der Aufklärung des Attentates.
"Am 2. Dezember 1999", beginnt die von der Bürgerrechtsbewegung "Citizens for Truth" veröffentlichte Chronik der Ereignisse, "wurde Bill Gates, Chairman von Microsoft, im MacArthur Park ermordet".
Bumm, Paukenschlag: Bill Gates ist tot.
Nicht wirklich, aber zumindest virtuell. Rund um das spektakuläre Attentat, dass große Parallelen zur Ermordung John F. Kennedys aufzeigt, ranken sich bereits einige hochprofessionell gestaltete Websites - über Geschmack lässt sich streiten. Neben der Dokumentations-Site "MacArthurpark" gibt es die Bewegung "Citizens for Truth", deren Symbol die zerbrochene Bill-Gates-Brille ist, und den "Garcetti Report", die "offizielle Seite" des ermittelnden Staatsanwaltes im Los Angeles County District.
Natürlich lebt Gates, natürlich sollte das jedem klar sein: Wäre er vor einem Jahr erschossen worden, hätte man das natürlich auch erfahren. Andererseits haben gerade die Macher der Website MacArthurpark.com ihre Erfahrungen gemacht mit Informationen, mit Treu und Glauben und auch mit den Rezepten für kommerziellen Erfolg im Web. Hunderttausende glaubten an die haarsträubenden Informationen, die sie der Webgemeinde in Html- und Filmform als "Blair Witch Project" präsentierten. "Blair Witch" wurde zur Kult-Website, die ihre Macher auf einer Welle des Erfolges in die Kinos schwemmte. Kühl kalkuliert.
Ein Erfolg, der sich mit dem zweiten Teil des Blair-Witch-Konzeptes nicht wiederholen ließ: Blair Witch wurde zum Erfolg, weil ihm sein Ruhm in die Kinos vorauseilt - über Monate angeheizt über eine Website. Am Ende kam der Film in den großen Vertrieb, weil es tatsächlich eine massive Nachfrage gab.
Nun töten ein Team von Webdesignern und Filmemachern eine Figur der Zeitgeschichte, und anders als im Fall Blair Witch spielen sie mit dem Schein der Seriosität: MacArthurpark und die Schwester-Websites Citizens for Truth und Garcetti Report kommen als Informationsangebote daher, die sich in nichts von den Seiten diverser Medienunternehmen und Bürgerrechtsbewegungen unterscheiden. Als Berater stehen dem Team rund um die Multimedia-Produktionsfirma GMDStudios die Blair-Witch-Macher zur Seite.
Das ganze Konzept fußt auf einem Mechanismus, der uns Zuschauern, Lesern, Surfern selten bewusst ist: Alle Realität, die über den Horizont unserer täglichen Lebenswelt hinausgeht, ist konstruiert. Medien machen Realität. Wahr ist, was berichtet, gesendet wird, gedruckt steht - und ja, zunehmend auch das, was man im Web findet, so lang es nur "seriös" aussieht.
Das ist keine philosophische Spinnerei, sondern schlicht eine Erkenntnis der Medienwirkungsforschung. Wenn Medien massiv über Straßengewalt berichten, beginnen sich auch Bürger bedroht zu fühlen, die in hochgradig "sicheren" Wohnvierteln leben. Wenn man eine schwachsinnige Verschwörungstheorie wie die "Bielefeld-Verschwörung" oft genug wiederholt, beginnen manche Leute zu glauben, Bielefeld sei eine Erfindung der Geheimdienste. Wenn bei "Monitor" ein offenkundig satirischer Beitrag läuft, ohne das die Redaktion ein plattes "Vorsicht Satire" einblendet, dann finden sich auch Zuschauer, die selbst den größten Mist für bare Münze nehmen.
Die Welt ist groß, bunt und voller Beknackter: Der Zuschauer, Leser, Surfer ist daran gewöhnt, hanebüchenes Zeug zu hören. In einem seriösen Kontext erscheint selbst das größte Schauermärchen glaubwürdig. Als sich die Macher der britischen Magazinsendung "Panorama" 1977 eine Satire über Aliens leisteten, die im Pakt mit den Amerikanern Menschen kidnappen und auf den Mars deportieren, schufen sie eine Verschwörungstheorie, an die bis heute Tausende von Menschen in aller Welt glauben.
Nun also spielen GMDStudios und die Blair-Witch-Macher mit dem Tod von Bill Gates. Was der davon hält, ist so einfach nicht herauszufinden. Bei Microsoft in München ist die Website seit Donnerstagnachmittag bekannt. Ein Mitarbeiter bewertet sie als "Gag", wenn auch als "ziemlich geschmacklos". Viel mehr ist den Microsoft-Leuten in München derzeit nicht zu entlocken: Jetzt müsse man sich erst einmal mit Redmond kurz schließen. Vielleicht müsse man sogar darüber nachdenken, Schritte gegen die Website-Betreiber einzuleiten...
Ähnlich dürfte auch Gil Garcetti denken, der seinen Namen für den angeblich "offiziellen Bericht" über das Attentat hergeben muss. Garcetti ist tatsächlich oberster Staatsanwalt im Los Angeles-County: Eine Tatsache, die die "Glaubwürdigkeit" der Website erheblich stützt.
Wieder zielen die Macher mit ihren Web-Projekten - angeblich - auf ein Geschäft an der Kinokasse. Längst ist die "Dokumentation" MacArthur Park in Produktion, soll im Rahmen eines bisher nicht genannten Filmfestes im Januar 2001 uraufgeführt werden.
Oder ist der Fake gar noch perfider, noch perfekter? Wird uns hier nur vorgegaukelt, dass eine solche Geschmacklosigkeit in Produktion sei? Persifliert hier jemand die Satire?
Auszuschließen ist nichts. Doch egal, ob MacArthurpark.com nun mit der Leichtgläubigkeit der Zuschauer, Leser und Surfer spielt oder aber mit der Leichtgläubigkeit der Medien, die Bericht erstattend auf die haarsträubende Story einsteigen (siehe oben) - der Effekt wäre derselbe. Sollte sich jemand entschließen oder bereits entschlossen haben, einen Film über die fiktive Ermordung von Bill Gates zu drehen - er wäre auf jeden Fall ein absoluter Box-Office-Hit.