An den Finanzmärkten bahnen sich tektonische Verschiebungen an
Washingtons Strategiewechsel bringt Dollar unter Druck / Euro-Renditen sinken auf mehrjähriges Tief / Debatte über Deutschlands AAA-Note / Von Benedikt Fehr
FRANKFURT, 15. Dezember. Er ist der mächtigste Mann der Welt. Doch wenn die Wirtschaft nicht bald in Schwung kommt, könnte er bei den Präsidentenwahlen im Herbst 2004 als "gewogen und zu leicht befunden" sang- und klanglos abserviert werden. Um dieser Schmach zu entgehen, die schon seinem Vater widerfuhr, hat George W. Bush seine Wirtschaftsmannschaft ausgewechselt. Neue Leute sollen es nun richten. Im Vorgriff haben die Finanzmärkte bereits reagiert. Als spektakulärste Folge ist der Euro am Freitag auf den höchsten Stand seit fast drei Jahren gestiegen. Ähnliches gilt für den Preis der Ersatzwährung Gold. Für manche Analysten ist dies erst der Auftakt einer "tektonischen Verschiebung" in der Weltwirtschaft.
Entgegen den Erwartungen tritt die amerikanische Wirtschaft immer noch auf der Stelle, wie die Analysten von Salomon Smith Barney schreiben. Dabei hat die Notenbank den Leitzins bereits drastisch auf 1,25 Prozent gesenkt, Bush zudem das größte Konjunkturprogramm aller Zeiten aufgelegt: So hat die Regierung nach einem Überschuß von 236 Milliarden Dollar im Haushaltsjahr 2000/2001 (Ende September) im vergangenen Haushaltsjahr für 159 Milliarden Dollar Kredite aufgenommen - ein "Swing" von fast 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bei der Notenbank (Fed) beobachtet man voll Sorge, daß dies alles nicht recht wirkt. Wie sich dem vergangene Woche veröffentlichten Protokoll über die Sitzung Anfang November entnehmen läßt, hat sie den Leitzins gesenkt, um dem Risiko "latenter Deflation" vorzubeugen, wie es dort wörtlich heißt.
Soweit bisher bekannt, will Bush sein Heil in beträchtlichen kreditfinanzierten Steuersenkungen suchen. Noch ist freilich nicht klar, ob sein am Donnerstag ernannter Wirtschaftsberater Stephen Friedman diesen Kurs uneingeschränkt befürwortet. Denn Friedman, einem früheren Chef der Investmentbank Goldman Sachs, ist klar, daß Wall Street auf einen weiteren Anstieg des Defizits sauer reagieren könnte: Kämen Inflationssorgen auf, würde dies die Zinsen nach oben treiben - und wohl auch dieses Konjunkturprogramm verpuffen.
Wie sensibel die Finanzmärkte reagieren, zeigte sich bereits in der vergangenen Woche. Spekulationen, daß die neue Mannschaft von der inoffiziellen Politik der Dollar-Stärke Abschied nehmen dürfte, lösten prompt einen Abfluß von Kapital aus dem Dollarraum aus. Das hat den Dollar gegenüber allen wichtigen Währungen unter Druck gebracht, den Euro mit 1,0257 Dollar auf den höchsten Kurs seit Januar 2000 steigen lassen.
Für Thomas Mayer, Chefvolkswirt bei der Deutschen Bank in London, würde eine Abkehr von der Politik der Dollar-Stärke nur "politisch begleiten", was der Markt ohnehin erzwingen würde. Denn das Strickmuster, nach dem die Weltwirtschaft in den vergangenen Jahren funktionierte, habe sich überlebt. Kennzeichen dieses Musters war, daß Amerika mehr verbrauchte, als es selber produzierte - was dem Rest der Welt exportgetriebenes Wirtschaftswachstum ermöglichte. Bislang konnte Amerika die Warenimporte problemlos durch Kapitalimport finanzieren. Doch beginnt der Kapitalstrom in Richtung Amerika abzuebben. Erstens, weil Ausländer schon vollgepumpt sind mit amerikanischen Aktiva, zweitens, weil die Renditen auch in Amerika zu wünschen übriglassen. Damit könnte das Pendel nun zurückschwingen: Demnach stünde eine Periode bevor, in der rückläufige Kapitalzuflüsse einen Abbau des amerikanischen Außenhandelsdefizits erzwingen - mit entsprechenden Folgen für die Kapitalströme an den globalen Finanzmärkten sowie die Weltwirtschaft insgesamt. Investoren mit langem Gedächtnis erinnert die Situation an die achtziger Jahre, als das "Zwillingsdefizit" in Amerikas Staatshaushalt und Leistungsbilanz den Dollar abwerten ließ.
Die Investoren, die sich in der vergangenen Woche aus dem Dollarraum verabschiedeten, haben zunächst bevorzugt in europäische Staatsanleihen mittlerer Laufzeit umgeschichtet. Dadurch sind die Renditen für Papiere mit zwei- und fünfjähriger Laufzeit zum Wochenschluß jeweils auf den tiefsten Stand seit dem Frühjahr 1999 gefallen. Auch im kommenden Jahr dürften zunächst wohl vor allem die Euro-Anleihemärkte von Zuflüssen aus dem Dollarraum profitieren. Denn die gedämpften Prognosen für das Wirtschaftswachstum 2003 im Euro-Raum lassen wenig Gutes für die Unternehmensgewinne erwarten. Das hat die Aktienmärkte in den vergangenen Wochen bereits unter Druck gebracht, ein Trend, der fortdauern dürfte.
Allerdings haben am Freitag auch die Kurse zehn- und dreißigjähriger Bundesanleihen nachgegeben. Der Markt reagierte damit auf Spekulationen über eine andere tektonische Verschiebung: daß nämlich deutsche Staatsanleihen die höchste Bewertungsnote AAA verlieren könnten, wenn Berlin die Strukturprobleme nicht bald entschlossen angehe. Als ein erster Schritt in die richtige Richtung könnte sich das neue Interesse von Bundesfinanzminister Hans Eichel an einer Abgeltungssteuer erweisen. Ersten Berichten zufolge soll sie so ausgestaltet werden, daß sie die Rückkehr von "Fluchtkapital" nach Deutschland ermöglicht. Weil dies auf Kapitalabflüsse aus der Schweiz hinauslaufen könnte, ist der Schweizer Franken gegenüber dem Euro auf ein mehrmonatiges Tief gefallen.
Washingtons Strategiewechsel bringt Dollar unter Druck / Euro-Renditen sinken auf mehrjähriges Tief / Debatte über Deutschlands AAA-Note / Von Benedikt Fehr
FRANKFURT, 15. Dezember. Er ist der mächtigste Mann der Welt. Doch wenn die Wirtschaft nicht bald in Schwung kommt, könnte er bei den Präsidentenwahlen im Herbst 2004 als "gewogen und zu leicht befunden" sang- und klanglos abserviert werden. Um dieser Schmach zu entgehen, die schon seinem Vater widerfuhr, hat George W. Bush seine Wirtschaftsmannschaft ausgewechselt. Neue Leute sollen es nun richten. Im Vorgriff haben die Finanzmärkte bereits reagiert. Als spektakulärste Folge ist der Euro am Freitag auf den höchsten Stand seit fast drei Jahren gestiegen. Ähnliches gilt für den Preis der Ersatzwährung Gold. Für manche Analysten ist dies erst der Auftakt einer "tektonischen Verschiebung" in der Weltwirtschaft.
Entgegen den Erwartungen tritt die amerikanische Wirtschaft immer noch auf der Stelle, wie die Analysten von Salomon Smith Barney schreiben. Dabei hat die Notenbank den Leitzins bereits drastisch auf 1,25 Prozent gesenkt, Bush zudem das größte Konjunkturprogramm aller Zeiten aufgelegt: So hat die Regierung nach einem Überschuß von 236 Milliarden Dollar im Haushaltsjahr 2000/2001 (Ende September) im vergangenen Haushaltsjahr für 159 Milliarden Dollar Kredite aufgenommen - ein "Swing" von fast 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bei der Notenbank (Fed) beobachtet man voll Sorge, daß dies alles nicht recht wirkt. Wie sich dem vergangene Woche veröffentlichten Protokoll über die Sitzung Anfang November entnehmen läßt, hat sie den Leitzins gesenkt, um dem Risiko "latenter Deflation" vorzubeugen, wie es dort wörtlich heißt.
Soweit bisher bekannt, will Bush sein Heil in beträchtlichen kreditfinanzierten Steuersenkungen suchen. Noch ist freilich nicht klar, ob sein am Donnerstag ernannter Wirtschaftsberater Stephen Friedman diesen Kurs uneingeschränkt befürwortet. Denn Friedman, einem früheren Chef der Investmentbank Goldman Sachs, ist klar, daß Wall Street auf einen weiteren Anstieg des Defizits sauer reagieren könnte: Kämen Inflationssorgen auf, würde dies die Zinsen nach oben treiben - und wohl auch dieses Konjunkturprogramm verpuffen.
Wie sensibel die Finanzmärkte reagieren, zeigte sich bereits in der vergangenen Woche. Spekulationen, daß die neue Mannschaft von der inoffiziellen Politik der Dollar-Stärke Abschied nehmen dürfte, lösten prompt einen Abfluß von Kapital aus dem Dollarraum aus. Das hat den Dollar gegenüber allen wichtigen Währungen unter Druck gebracht, den Euro mit 1,0257 Dollar auf den höchsten Kurs seit Januar 2000 steigen lassen.
Für Thomas Mayer, Chefvolkswirt bei der Deutschen Bank in London, würde eine Abkehr von der Politik der Dollar-Stärke nur "politisch begleiten", was der Markt ohnehin erzwingen würde. Denn das Strickmuster, nach dem die Weltwirtschaft in den vergangenen Jahren funktionierte, habe sich überlebt. Kennzeichen dieses Musters war, daß Amerika mehr verbrauchte, als es selber produzierte - was dem Rest der Welt exportgetriebenes Wirtschaftswachstum ermöglichte. Bislang konnte Amerika die Warenimporte problemlos durch Kapitalimport finanzieren. Doch beginnt der Kapitalstrom in Richtung Amerika abzuebben. Erstens, weil Ausländer schon vollgepumpt sind mit amerikanischen Aktiva, zweitens, weil die Renditen auch in Amerika zu wünschen übriglassen. Damit könnte das Pendel nun zurückschwingen: Demnach stünde eine Periode bevor, in der rückläufige Kapitalzuflüsse einen Abbau des amerikanischen Außenhandelsdefizits erzwingen - mit entsprechenden Folgen für die Kapitalströme an den globalen Finanzmärkten sowie die Weltwirtschaft insgesamt. Investoren mit langem Gedächtnis erinnert die Situation an die achtziger Jahre, als das "Zwillingsdefizit" in Amerikas Staatshaushalt und Leistungsbilanz den Dollar abwerten ließ.
Die Investoren, die sich in der vergangenen Woche aus dem Dollarraum verabschiedeten, haben zunächst bevorzugt in europäische Staatsanleihen mittlerer Laufzeit umgeschichtet. Dadurch sind die Renditen für Papiere mit zwei- und fünfjähriger Laufzeit zum Wochenschluß jeweils auf den tiefsten Stand seit dem Frühjahr 1999 gefallen. Auch im kommenden Jahr dürften zunächst wohl vor allem die Euro-Anleihemärkte von Zuflüssen aus dem Dollarraum profitieren. Denn die gedämpften Prognosen für das Wirtschaftswachstum 2003 im Euro-Raum lassen wenig Gutes für die Unternehmensgewinne erwarten. Das hat die Aktienmärkte in den vergangenen Wochen bereits unter Druck gebracht, ein Trend, der fortdauern dürfte.
Allerdings haben am Freitag auch die Kurse zehn- und dreißigjähriger Bundesanleihen nachgegeben. Der Markt reagierte damit auf Spekulationen über eine andere tektonische Verschiebung: daß nämlich deutsche Staatsanleihen die höchste Bewertungsnote AAA verlieren könnten, wenn Berlin die Strukturprobleme nicht bald entschlossen angehe. Als ein erster Schritt in die richtige Richtung könnte sich das neue Interesse von Bundesfinanzminister Hans Eichel an einer Abgeltungssteuer erweisen. Ersten Berichten zufolge soll sie so ausgestaltet werden, daß sie die Rückkehr von "Fluchtkapital" nach Deutschland ermöglicht. Weil dies auf Kapitalabflüsse aus der Schweiz hinauslaufen könnte, ist der Schweizer Franken gegenüber dem Euro auf ein mehrmonatiges Tief gefallen.