Aus der FTD vom 8.4.2002
Leitartikel: Abgekartetes Spiel in Nahost
Harsch sollte sich die Ermahnung von US-Präsident George W. Bush
anhören, Israel solle sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen -
zumindest in den Ohren der Europäer und Araber. Denn die starken
Worte sind Teil eines Spiels.
Das Spiel geht so: Die Amerikaner mahnen, die Israelis kündigen eine
Umsetzung an und setzen ihre Offensive fort. Washington mahnt erneut,
Israel gibt sich willig, aber zögerlich. Und so wird es weitergehen, bis
US-Außenminister Powell in einigen Tagen in Israel eintrifft.
Der scheinbar entschlossenen Rhetorik wie "genug ist genug" zum Trotz hat
Bush Premierminister Ariel Scharon von Anfang an Zeit gewährt. Israel solle
so "schnell wie möglich" mit dem Rückzug "beginnen", hieß es. Was
möglich ist und wie ein Beginn aussehen sollte, bleibt Scharon überlassen.
Im Prinzip sind sich Washington und Jerusalem in der Einschätzung der
Lage einig: Der palästinensische Terror muss militärisch bekämpft werden,
da alle anderen Bemühungen gescheitert sind. Dass daran
Palästinenserführer Jassir Arafat nicht unschuldig ist, steht für beide außer
Frage, auch wenn Washington noch nicht bereit ist, Arafat fallen zu lassen.
Israel klagt dasselbe Recht auf Terrorbekämpfung ein, wie es die USA auch
für sich beanspruchen. Widerspruch gibt es dazu von Bush zwar nicht
grundsätzlich. Die Militäroffensive stört allerdings empfindlich die
amerikanischen Pläne eines Militärschlags gegen Irak, denn die arabischen
Länder laufen Sturm. Das Spiel auf Zeit ist folglich der Kompromiss. Israel
kann mit dem Segen aus Washington fortfahren, aber es soll sich bitte schön
beeilen.
In dieses Bild passt natürlich auch die kürzlich erfolgte Lieferung von Kampfhubschraubern aus den USA nach Israel. Wenn man auf eine diplomatische Lösung gesetzt hätte, wäre eine Lieferung von reinen Angriffswaffen wohl kaum zu verstehen.