Höchster Goldpreis seit Anfang 2000 signalisiert große Unsicherheit nach den Militärschlägen
Bankstrategen erwarten heftige Kursturbulenzen
An der Börse wird nichts mehr gefürchtet als Unsicherheit. Analysten empfehlen ein defensives Verhalten und viel Liquidität, solange nicht klar ist, wie lange die Militärschläge dauern und ob die Taliban Vergeltung üben. Mögliche Selbstmordattentate dürften an den Märkten Turbulenzen und Kurseinbußen auslösen.
ULF SOMMER
HANDELSBLATT, 9.10.2001
DÜSSELDORF. Die Börsen reagierten gestern nur anfangs mit Verlusten auf die Militärschläge. Kaum ein Händler gewann den Eindruck, dass sich die Aktienkurse übermäßig stark durch die Weltpolitik beeindrucken ließen. Vieles deutete auf Gewinnmitnahmen nach den kräftigen Kursanstiegen in den vergangenen zwei Wochen.
„Es ist nicht so ein völlig überraschendes Ereignis, als dass es die Märkte in Unordnung bringen könnte“, sagte Anthony Karydakis von der Banc One in Chicago. Immerhin hatten die Märkte vier Wochen Zeit, sich auf die angekündigten Militärschläge einzustellen. Doch Fondsmanager und Analysten gehen davon aus, dass die Lage an den Börsen schon bald sehr unruhig werden wird.
Während Ökonomen wie der Chefvolkswirt der Dresdner Bank, Klaus Friedrich, keinen deutlichen Abschwung der Aktienkurse in den kommenden Monaten erwartet, sind die meisten Analysten skeptischer. Sie rechnen mit Einbrüchen auf breiter Front, falls die Taliban mit Attentaten antworten. Auf der anderen Seite spekulieren die Strategen auf steigende Kurse, wenn den Verbündeten ein rascher Erfolg gelingt. Fast niemand rechnet mit einer Seitwärtsbewegung.
Die Ungewissheit spiegelte sich gestern in dem Preisanstieg für Gold wider, das Anleger als „sicheren Hafen“ suchten. Die Feinunze kostete zeitweise 294 $. Das war so viel wie seit Anfang 2000 nicht mehr. „Wir sind jetzt alle Ziel potenzieller Anschläge“, fasste Pia-Christina Schulze von Merck Finck die Unsicherheit zusammen.
„Am wichtigsten für die Börse sind im Moment weniger die Militärschläge der Verbündeten, sondern mögliche Gegenreaktionen der Taliban. Wenn Selbstmordattentäter in einem Frankfurter Kaufhaus oder Londoner U-Bahnhof zuschlagen, kann der Dax in zwei, drei Stunden mehr als 10 % verlieren“, meint Kai Franke von der BHF-Bank. Er rät Anlegern, defensiv zu bleiben und Liquidität zu halten.
Angesichts drohender Attentate stufen Analysten die Aktien von Touristik- und Flugliniengesellschaften als sehr unsicher ein. Doch auch Konsumtitel könnten im Falle einer Bombenexplosion in einem Kaufhaus kräftig an Wert verlieren. „Möglich, aber eher unwahrscheinlich ist, dass sich die Menschen über Jahre hinaus, ähnlich wie in Israel, an Attentate gewöhnen müssen“, meint Aktienresearchleiter Franke. In so einem Fall würden die Börsen dauerhaft höhere Risikoprämien „einpreisen“, was Bewertungen wie in der Vergangenheit nicht mehr zuließe.
Das wahrscheinlichste Szenario ist für die meisten Analysten aber ein Erfolg der Verbündeten, was mittelfristig steigende Kurse zu Folge hätte. Sollte sich die weltpolitische Lage in den nächsten Monaten wieder beruhigen, sei ab Dezember oder Anfang 2002 eine Erholungswelle an der Börse möglich, meint Franke. Ähnliches vermutet auch Gertrud Traud von der Bankgesellschaft Berlin. Unter der Voraussetzung, dass keine Terroranschläge mehr folgen und die Terroristen-Führer gefasst würden, werde der deutsche Aktienmarkt sogar von der US-Reaktion profitieren. Amerika habe aber die Rolle eines „sicheren Hafens“ für Anleger verloren.
Einig sind sich die Analysten darin, dass kurzfristig keine großen Kursgewinne zu erwarten sind. Dafür gebe es zu viele Risiken – sowohl für die Konjunktur als auch für die Weltsicherheit. „Solange die Unsicherheit am Markt ist, werden die meisten Investoren nicht bereit sein, größere Aktienpositionen aufzubauen“, meint Activest- Fondsmanager Ernst Konrad.
Konrads Kollegen bei Adig stuften gestern den deutschen Aktienmarkt von „Übergewichten“ auf „Neutral“ zurück. Zwar zeige die Stimmung „Ausverkaufscharakter“. Zudem lägen die Kurse auf einem Niveau, das eine Trendwende wahrscheinlich mache. Allerdings erwartet Adig in den nächsten Monaten stärkere Belastungen.
Klaus Schneider von der Schutzgmeinschaft der Kleinaktionäre warnte Anleger gestern erneut davor, in Panik zu verfallen und zu verkaufen.
HANDELSBLATT, Dienstag, 09. Oktober 2001
Bankstrategen erwarten heftige Kursturbulenzen
An der Börse wird nichts mehr gefürchtet als Unsicherheit. Analysten empfehlen ein defensives Verhalten und viel Liquidität, solange nicht klar ist, wie lange die Militärschläge dauern und ob die Taliban Vergeltung üben. Mögliche Selbstmordattentate dürften an den Märkten Turbulenzen und Kurseinbußen auslösen.
ULF SOMMER
HANDELSBLATT, 9.10.2001
DÜSSELDORF. Die Börsen reagierten gestern nur anfangs mit Verlusten auf die Militärschläge. Kaum ein Händler gewann den Eindruck, dass sich die Aktienkurse übermäßig stark durch die Weltpolitik beeindrucken ließen. Vieles deutete auf Gewinnmitnahmen nach den kräftigen Kursanstiegen in den vergangenen zwei Wochen.
„Es ist nicht so ein völlig überraschendes Ereignis, als dass es die Märkte in Unordnung bringen könnte“, sagte Anthony Karydakis von der Banc One in Chicago. Immerhin hatten die Märkte vier Wochen Zeit, sich auf die angekündigten Militärschläge einzustellen. Doch Fondsmanager und Analysten gehen davon aus, dass die Lage an den Börsen schon bald sehr unruhig werden wird.
Während Ökonomen wie der Chefvolkswirt der Dresdner Bank, Klaus Friedrich, keinen deutlichen Abschwung der Aktienkurse in den kommenden Monaten erwartet, sind die meisten Analysten skeptischer. Sie rechnen mit Einbrüchen auf breiter Front, falls die Taliban mit Attentaten antworten. Auf der anderen Seite spekulieren die Strategen auf steigende Kurse, wenn den Verbündeten ein rascher Erfolg gelingt. Fast niemand rechnet mit einer Seitwärtsbewegung.
Die Ungewissheit spiegelte sich gestern in dem Preisanstieg für Gold wider, das Anleger als „sicheren Hafen“ suchten. Die Feinunze kostete zeitweise 294 $. Das war so viel wie seit Anfang 2000 nicht mehr. „Wir sind jetzt alle Ziel potenzieller Anschläge“, fasste Pia-Christina Schulze von Merck Finck die Unsicherheit zusammen.
„Am wichtigsten für die Börse sind im Moment weniger die Militärschläge der Verbündeten, sondern mögliche Gegenreaktionen der Taliban. Wenn Selbstmordattentäter in einem Frankfurter Kaufhaus oder Londoner U-Bahnhof zuschlagen, kann der Dax in zwei, drei Stunden mehr als 10 % verlieren“, meint Kai Franke von der BHF-Bank. Er rät Anlegern, defensiv zu bleiben und Liquidität zu halten.
Angesichts drohender Attentate stufen Analysten die Aktien von Touristik- und Flugliniengesellschaften als sehr unsicher ein. Doch auch Konsumtitel könnten im Falle einer Bombenexplosion in einem Kaufhaus kräftig an Wert verlieren. „Möglich, aber eher unwahrscheinlich ist, dass sich die Menschen über Jahre hinaus, ähnlich wie in Israel, an Attentate gewöhnen müssen“, meint Aktienresearchleiter Franke. In so einem Fall würden die Börsen dauerhaft höhere Risikoprämien „einpreisen“, was Bewertungen wie in der Vergangenheit nicht mehr zuließe.
Das wahrscheinlichste Szenario ist für die meisten Analysten aber ein Erfolg der Verbündeten, was mittelfristig steigende Kurse zu Folge hätte. Sollte sich die weltpolitische Lage in den nächsten Monaten wieder beruhigen, sei ab Dezember oder Anfang 2002 eine Erholungswelle an der Börse möglich, meint Franke. Ähnliches vermutet auch Gertrud Traud von der Bankgesellschaft Berlin. Unter der Voraussetzung, dass keine Terroranschläge mehr folgen und die Terroristen-Führer gefasst würden, werde der deutsche Aktienmarkt sogar von der US-Reaktion profitieren. Amerika habe aber die Rolle eines „sicheren Hafens“ für Anleger verloren.
Einig sind sich die Analysten darin, dass kurzfristig keine großen Kursgewinne zu erwarten sind. Dafür gebe es zu viele Risiken – sowohl für die Konjunktur als auch für die Weltsicherheit. „Solange die Unsicherheit am Markt ist, werden die meisten Investoren nicht bereit sein, größere Aktienpositionen aufzubauen“, meint Activest- Fondsmanager Ernst Konrad.
Konrads Kollegen bei Adig stuften gestern den deutschen Aktienmarkt von „Übergewichten“ auf „Neutral“ zurück. Zwar zeige die Stimmung „Ausverkaufscharakter“. Zudem lägen die Kurse auf einem Niveau, das eine Trendwende wahrscheinlich mache. Allerdings erwartet Adig in den nächsten Monaten stärkere Belastungen.
Klaus Schneider von der Schutzgmeinschaft der Kleinaktionäre warnte Anleger gestern erneut davor, in Panik zu verfallen und zu verkaufen.
HANDELSBLATT, Dienstag, 09. Oktober 2001