101 Haudegen: Hans Riegel - Der Unabkömmliche
von Eva Busse, Hamburg
Es war abzusehen. Die Katastrophe kam nicht aus heiterem Himmel: Mit seinen knapp 83 Jahren ist Hans Riegel seit Anfang der Woche wieder der uneingeschränkte, weil nachfolgerlose Chef von Haribo. Sein Neffe Hans-Jürgen hat hingeschmissen.
- Hans Riegel, der Chef von Haribo
Der bisherige Frankreichchef des größten Fruchtgummiherstellers der Welt war der designierte Nachfolger seines Onkels. Doch die Designierung kam nie aus vollem Herzen, nie uneingeschränkt. Mit seiner offen eingestandenen Unfähigkeit loszulassen hat der Patriarch seinen Kronprinzen zu lange getriezt. An der letzten und schwersten Aufgabe jedes Unternehmers ist Riegel gescheitert: an der Nachfolgeregelung.
Dabei hatte er zumindest phonetisch die freie Wahl zwischen seinen Nachfahren. Selbst hat Hans Riegel, der nur einmal und - wie er stets betont - "kurz" verheiratet war, keine Kinder. Sein Bruder aber hat drei Söhne und gab jedem von ihnen einen firmenkompatiblen Namen: Denn Haribo steht für "Hans Riegel Bonn", und die dritte Unternehmergeneration heißt Hans-Jürgen, Hans-Guido und Hans-Arndt. Hans-Jürgen ist das Patenkind des alten Hans, und vor zwei Jahren rang der sich endlich dazu durch, ihn zu seinem Erben zu erklären. Wenn auch nur im Konjunktiv: "Mein Patensohn wäre der Einzige, dem ich die Firma übergeben würde."
Wesentlich eindeutiger dagegen pflegt sich der Herr der Gummibären mit seiner eigenen Rolle im Firmenleben und mit der Rolle der Firma in seinem Leben auseinander zu setzen: "Ich kann einfach nicht aufhören, weil mein Leben dann keinen Sinn mehr hätte", gesteht der dienstälteste deutsche Firmenchef. Und: "Ohne die Firma würde ich krank. Solange mich der liebe Gott lässt, mache ich weiter. Ich liebe meine Arbeit. Am Wochenende geht es mir manchmal gar nicht so gut. Ich fühle mich nicht besonders, wenn ich nichts tue. Am Montag, wenn ich wieder auf meinem Sessel sitze, geht es mir prima."
Das Selbstbewußtsein ist hart erarbeitet
Und weil er nicht ohne die Firma kann, scheint Riegel den logischen Umkehrschluss zu ziehen, dass die Firma auch ohne ihn nicht kann. Seine Unabkömmlichkeit pflegt er unter anderem mit seinen Geschmacksnerven zu begründen: "Vorerst weiß ich noch am besten, was schmeckt." Als er einmal gefragt wurde, ob die Riegel-Junioren nicht schon am Chefsessel rüttelten, lachte der Rheinländer fast verächtlich: "Ich glaube nicht, dass sie das riskieren würden."
- Drei Haribo-Goldbären
Dieses immense Selbstbewusstsein hat sich Hans Riegel 60 Jahre lang bei Haribo erarbeitet. Mit 23 Jahren fing er als Chef von 30 Angestellten an. Heute führt er 6000 Mitarbeiter vom Stammsitz in Bonn aus. Der Umsatz seines Lakritzimperiums mit 18 Fabriken weltweit und mehr als 200 Lutschprodukten, die in 100 Ländern verkauft werden, wird auf 1,5 Mrd. E geschätzt. Riegel ist einer der reichsten Männer der Republik.
Als er 1946 aus der Kriegsgefangenschaft kam, war sein Vater, der gelernte Bonbonkocher Hans Riegel, gestorben. Hans junior und sein jüngerer Bruder Paul übernahmen dessen darbende Fruchtgummifirma in Zeiten des akuten Rohstoffmangels. Und sie kämpften sich nach oben, an die Weltspitze der Schweineschwarten-Gelatine-Verarbeiter, mit der einzigen Wunderwaffe, die sie besaßen: dem Geheimrezept für den Goldbären.
Bruder entwickelte Lakritzschneckenwickelmaschine
Schon Wilhelm II. soll ihn für "das Beste" gehalten haben, "was die Weimarer Republik hervorgebracht hat". Heinz Rühmann und Erich Kästner waren ihm verfallen. Konrad Adenauer versteckte ihn in seinem Schreibtisch. Marias Callas hätte sich bei der Arie "Vissi d'arte" beinahe an einem verschluckt. Und Keith Haring machte ihn zur Kunst.
Hans Riegel senior hatte diese Ikone deutschen Industriedesigns 1922 erfunden. Den Werbespruch "Haribo macht Kinder froh!" kaufte er einem kreativen Handelsreisenden ab. 1962 ergänzte sein geschäftstüchtiger Sohn: "... und Erwachs'ne ebenso!" Damals war die Rollenverteilung zwischen den zwei Brüdern längst klar: Paul war für die Produktion verantwortlich, wo er sich zum Beispiel durch die Erfindung der Lakritzschneckenwickelmaschine unsterblich machte.
Hans kümmerte sich um alles andere. Er war von Anfang an der Chef, der Haribo mit skurrilen Methoden bis heute erfolgreich regiert. Einer seiner Grundsätze lautet: "Ich bin nicht Sklave meiner Bank." Selbst die zahllosen Firmenübernahmen im In- und Ausland pflegt Riegel ohne Kredite zu finanzieren.
"In dieser Kombination kommt der richtige Kaugenuss"
Für die Mitarbeiter gilt das Haribo-Grundgesetz: "Sie dürfen alles essen, aber nicht alles wissen." Alles weiß nur Riegel: So soll kein Brief in Bonn ankommen, ohne vom Chef gelesen zu werden. Jeden Morgen müssen die Abteilungsleiter bei Riegel antreten, um ihre Post abzuholen. Er, der von sich sagt, er habe "das Zeug schon in der Muttermilch eingeflößt" bekommen, der am liebsten vier Gummibärchen und eine Lakritzschnecke auf einmal isst ("In dieser Kombination kommt der richtige Kaugenuss auf"), entscheidet über die etwa 20 Neuzulassungen pro Jahr. Inspirieren lässt sich er sich durch die Lektüre von "Mickey Mouse" und "Bravo", durch die "Sesamstraße" und durch regelmäßige Besuche im Kindergarten.
Auch das Marketing obliegt dem Chef allein. Mit Thomas Gottschalk hält er mittlerweile den Weltrekord für die längste ununterbrochene Werbekampagne. Der Chef des Werbefilmproduzenten "Neue Sentimental" sagt, er habe den Versuch längst aufgegeben, eigene Ideen für die legendären Werbespots einzubringen: Riegel denkt sie sich selbst aus.
Vor Jahren hatte Haribos Personalchef 14 Mio. E unterschlagen, bevor Riegel etwas merkte. Vom Staatsanwalt musste er sich danach "schlampige Unternehmensführung" vorwerfen lassen. Denn ein Mann allein kann einen Weltmarktführer nicht überblicken. Selbst mit fast 83 Jahren nicht. Dass das - zumindest theoretisch - auch Riegel weiß, bewies er im Dezember. Da gab er kleinlaut zu Protokoll: "Unter Umständen ist es günstiger, einen Externen in die Firma zu holen."