HANDELSBLATT, Dienstag, 8. August 2006, 13:05 Uhr | |||
Die Zukunft der ArbeitAusländische Experten händeringend gesuchtVon Klaus StratmannDeutschland braucht Einwanderer, wenn das Land wettbewerbsfähig bleiben will. Daran besteht unter Fachleuten kein Zweifel. Doch wie kann es Politik und Wirtschaft gelingen, die richtigen Migranten anzuziehen?
BERLIN. Wenn Arnold Kawlath einen Gießerei-Ingenieur aus Polen einstellen will, muss er tief in die Trickkiste greifen: "Wir basteln eine Stellenausschreibung, die auf keinen deutschen Bewerber passt. Wir verlangen etwa polnische Sprachkenntnisse." Kawlath ist geschäftsführender Gesellschafter der traditionsreichen Gießerei Schubert & Salzer. Das Unternehmen, das im sächsischen Erla mehr als 300 Leute beschäftigt, ist europäischer Marktführer bei der Herstellung von Turboladergehäusen und Abgaskrümmern. Die Branche boomt. Sie ist in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren um 30 Prozent gewachsen. Händeringend sucht Kawlath Ingenieure, die der deutsche Markt nicht bieten kann: In Deutschland werden pro Jahr gerademal 20 Gießerei-Ingenieure ausgebildet, die Branche braucht aber hundert dieser Fachkräfte. Das wissen auch die Arbeitsagenturen. Nach dem Buchstaben des Gesetzes muss Kawlath jedoch zunächst einen deutschen Arbeitnehmer suchen. Erst wenn er monatelang erfolglos bleibt, darf er die Stelle mit einem Ausländer besetzen, auf den - nicht ganz zufällig - exakt die Stellenausschreibung passt. Kawlath kann dann mit Fug und Recht sagen, dass nur der polnische Bewerber für die Stelle in Betracht kommt, die Arbeitsagentur gibt dazu ihren Segen. Das Beispiel macht deutlich: Es ist nicht leicht, ausländische Fachleute nach Deutschland zu holen. Die Erfahrungen, die Kawlath macht, werden künftig mehr und mehr Unternehmer machen. Denn die deutsche Wirtschaft wird eine wachsende Zahl von Spezialisten benötigen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben will. Langfristig wird sich dieser Bedarf nicht mehr aus der deutschen Bevölkerung decken lassen, daran besteht unter Fachleuten kein Zweifel. Die Wirtschaft fordert deshalb seit langem flexiblere Zuwanderungsregeln. So will etwa die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), "gesteuerte Zuwanderung in Abhängigkeit vom Bedarf des Arbeitsmarktes flexibel und zeitnah tatsächlich ermöglichen". Die Botschaft der BDA ist klar: Deutschland braucht eine Kehrtwende in der Zuwanderungspolitik und muss für Hochqualifizierte attraktiver werden. <!--nodist-->Lesen Sie weiter auf Seite 2: Im internationalen Vergleich bleiben die deutschen Regeln restriktiv. <!--/nodist-->Bereits heute fehlen in vielen Branchen Fachleute. In einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unter mehr als 20 000 Unternehmen gaben Ende vergangenen Jahres 16 Prozent der Befragten an, sie könnten nicht alle offenen Stellen besetzen, weil es an geeigneten Leuten fehle. In einigen Branchen, etwa im IT-Bereich, liegt der Wert bei einem Viertel. Bis heute dürfte sich die Situation angesichts der positiven konjunkturellen Entwicklung eher verschärft haben. Das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz stellt aus Sicht der Wirtschaft einen ersten Schritt in die richtige Richtung dar. So können Hochqualifizierte erstmals von Beginn an ein Daueraufenthaltsrecht erhalten. Zudem erhalten ausländische Studenten nach erfolgreichem Studienabschluss einen verbesserten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Sie können sich jetzt unmittelbar von Deutschland aus für eine Anschlussbeschäftigung bewerben. Für die Arbeitsplatzsuche kann die Aufenthaltserlaubnis um bis zu einem Jahr verlängert werden. Im internationalen Vergleich bleiben die Regeln allerdings restriktiv. Eine sofortige Daueraufenthaltserlaubnis bekommt derzeit nur, wer ein Jahresgehalt von mehr als 84 000 Euro nachweisen kann. Damit liegt die Latte sehr hoch. Der Wert entspricht dem Dreifachen des Durchschnittseinkommens deutscher Arbeitnehmer. Vielen hoch qualifizierten ausländischen Arbeitskräften bleibt so ein Job in Deutschland verwehrt. Obwohl das Zuwanderungsgesetz gegenüber den vorherigen Regelungen als eine Verbesserung empfunden wird, bleibt es nach Auffassung von Thomas Straubhaar, Leiter des Hamburgischen Weltwirtschafts-Instituts (HWWI), doch "durch eine bürokratische Grundtendenz charakterisiert, die eher abschreckend wirkt". Spitzenpolitiker der großen Koalition haben zwar in den vergangenen Tagen Nachbesserungen in Aussicht gestellt; so ist etwa im Gespräch, den Schwellenwert von 84 000 Euro auf 64 000 Euro zu senken. Langfristig kann es aber nach Auffassung vieler Fachleute nicht nur darum gehen, die einzelnen Bestimmungen des Zuwanderungsgesetzes immer wieder anzupassen. Vielmehr erscheint ein Systemwechsel unausweichlich, wenn Deutschland im Kampf um die besten Köpfe besser abschneiden will. <!--nodist-->Lesen Sie weiter auf Seite 3: Ausländische Spitzenkräfte werden oftmals durch die hohen Steuern abgeschreckt. <!--/nodist-->Schon die im Jahr 2000 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung ins Leben gerufene Zuwanderungskommission wollte Deutschland zu einem "Einwanderungsland für Qualifizierte" machen und hatte 2001 bei der Präsentation ihres Abschlussberichtes empfohlen, die Zuwanderung über ein Punktesystem zu steuern. Entscheidend sind demnach allein Alter, Qualifikation, Integrationsfähigkeit und Sprachkenntnisse potenzieller Zuwanderer. Ein konkretes Arbeitsplatzangebot soll dagegen keine Voraussetzung für eine die Zuwanderung nach Deutschland sein. Wird über diese Merkmale eine bestimmte Mindestpunktzahl erreicht, wird eine Arbeitserlaubnis erteilt. Die so angeworbenen Hochqualifizierten leisten nebenbei einen Beitrag zur Verjüngung der Erwerbsbevölkerung. Der Gesetzgeber kann die Gewichtung und die erforderliche Mindestpunktzahl regelmäßig den Erfordernissen der Wirtschaft anpassen und eine Höchstgrenze der ausländischen Arbeitskräfte festlegen, die jährlich angeworben werden sollen. Das Punktesystem war zwar auch bei der jüngsten Reform des Zuwanderungsgesetzes in der Diskussion, wurde aber in letzter Minute von der Politik verworfen. "Das ist für uns unverständlich. Länder wie Neuseeland, Australien und Kanada haben mit dem Punktesystem gute Erfahrungen gemacht. Nichts spricht dagegen, das System auch bei uns anzuwenden", sagt Susanne Wittkämper, die sich bei der BDA mit dem Thema befasst. Doch es sind nicht nur die Zuwanderungsregeln, die es ausländischen Arbeitnehmern schwer machen, in Deutschland Fuß zu fassen. So beklagt etwa die American Chamber of Commerce, US-Spitzenkräfte empfänden einen Job-Angebot aus Deutschland nicht gerade als Verlockung. Sie sind abgeschreckt durch hohe Steuern und die oft unzureichenden Ausbildungsmöglichkeiten für ihre Kinder. Eine Studie, die Pricewaterhouse und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung angefertigt haben, bestätigt die Vorbehalte. Untersucht wurde, wie attraktiv Deutschland im Vergleich mit europäischen, amerikanischen und asiatischen Staaten im Wettbewerb um Auswanderer ist. Deutschland nimmt der Studie zufolge bei der Besteuerung Hochqualifizierter allenfalls eine Position im Mittelfeld ein. Unionspolitiker wie der hessische Ministerpräsident Roland Koch fordern daher regelmäßig, ausländische Spitzenkräfte mit niedrigeren Steuersätzen zu locken. Andere EU-Staaten - etwa Belgien - haben sich mit solchen Lösungen im Kampf um die besten Köpfe bereits einen Wettbewerbvorteil erarbeitet. |