Aus dem Tagebuch eines Start-up-Gründers
> >
> > Der anonyme Autor der folgenden Tagebucheintragungen ist der
> > MitgründerDes Internet-Unternehmens 12TooYou.de, das im Netz ein "
> > contentbasiertes,
> > nutzwertiges E-Commerce-Portal mit Community-Organizer-Funktionen"
> > anbietet.
> >
> > 3. Januar
> >
> > Das Jahr beginnt gut: Wir haben zum Jahresbeginn 20 neue
> > Mitarbeitereingestellt, das Team ist motiviert, und der Umzug von der
> > Torstraße in
> > die Kulturbrauerei ist erfolgreich beendet. Statt zwei Zimmern im
> > Hinterhofhaben wir jetzt 300 Quadratmeter. Toll! Zur Begrüßung für die
> > Neuen gibt
> > es einen Empfang in unserem Fitnessraum (Sushi, Champagner, Jolt).
> >
> > 12. Februar
> >
> > Vortrag in der Industrie- und Handelskammer. Habe den
> > trägenOld-Economy-Säcken tüchtig eingeheizt: "Nicht die
> > Großenfressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen." Daran
> > hatten
> > die Schlafmützen erst mal ganz schön zu kauen!
> >
> > 10. März
> >
> > Gestern beim "First Tuesday" einen der Ebay-Gründ
> er> getroffen, der jetzt einen neuen Start-up aufgemacht hat und
> > michseinem Business Angel vorstellte. Wir denken über
> > gemeinsamePapierserviette auf; bringt vielleicht Glück. Später viel
> > Prosecco.
> >
> > 10. April
> >
> > 72 Stunden am Stück durchgearbeitet. Zwischen vier und
> > achtUhr nachts einige Stunden unter dem Schreibtisch gedöst,
> > dannweitergerackert. Was für ein Flash! Gott sei Dank habe ich
> > eineZahnbürste im Büro.
> >
> > 14. April
> >
> > Der Nasdaq ist eingebrochen. Betrifft zum Glück den deutschen
> > Marktnicht.
> >
> > 15. April
> >
> > Auch am Neuen Markt sind die Kurse um 10 Prozent
> > gefallen. Wir bleiben bei unserem Börsengang im Juni, weil wir
> > gutaufgestellt sind und ein starkes Geschäftsmodell haben,
> > dasunabhängig von kurzfristigen Marktschwankungen funktioniert.
> >
> > 19. Mai
> >
> > Börsengang abgesagt. Erkläre dem Team beim Grillen am Freitagabend
> > dieLage. Weise daraufhin, dass die Stock Options beim neuen
> > Börsengangim September erhalten bleiben. Kommt gut an.
> >
> > 25. August
> >
> > Gestern im "Greenwich" Sandra kennen gelernt. Wir reden
> > denganzen Abend - weil ich versuche, ihr das Geschäftsmodell unserer
> > Firma
> > zu erklären. Sie versteht es nicht. Später vor dem
> > EinschlafenAngstzustände:
> > Habe ich eigentlich unser Geschäftsmodell verstanden? Im
> > Morgengrauenweiß ich wieder, was wir tun. Bei unseren Risikokapitalisten
> > bin ich
> > nicht so sicher. Einer hat mich neulich gefragt, was ein Browser ist.
> > Regen.
> >
> > 28. August
> >
> > Es regnet weiter, und das im August! Wir brauchen neue Ideen,
> > um durch die Krise zu kommen. Bei einem Brainstorming beschließen wir,
> > unser Angebot um einen WAP-Dienst und Realtime-Aktienkurse zu erweitern.
> > Als ich um Mitternacht nach Hause gehe, ist die Hälfte des Teams
> > nochbei der Arbeit. Mein AB ist kaputt. Macht nichts, weil bei mir
> > sowieso
> > niemand mehr anruft.
> >
> > 1. September
> >
> > Seit drei Tagen kann ich mich nicht mehr an meinen
> > Titelerinnern. War es Managing Director? Executive Director? Oder
> > Managing
> > Executive Partner? Ich würde gerne meine Sekretärin fragen. Aber ich
> > habegar keine Sekretärin.
> >
> > 15. September
> >
> > Börsengang wieder abgesagt. Der Neue Markt fällt und fällt.
> > Am Abend Get-Together mit dem Team (Pizza, Rotwein, Red Bull), um
> > dieLage zu erklären. Komischerweise fragt niemand nach den Stock Options.
> >
> > 16. September
> >
> > Unser Business Angel hat einen Kontakt zu Bertels
> ma> nnhergestellt. Wenn die von unserem Geschäftsmodell hören, kaufen
> > siewahrscheinlich gleich die Firma.
> >
> > 20. September
> >
> > Als ich von der Präsentation bei Bertelsmann zurückkomme,
> > sehe ich, dass jemand das Wort "Betriebsrat" in die
> > Tischtennisplatteeingeritzt hat. Wieso nur?
> >
> > 10. Oktober
> >
> > Heute hat wieder jemand von der IG Medien angerufen, weil
> > erüber die Arbeitsbedingungen bei uns reden möchte. Verstehe nicht,
> > wasder Mann will. Nichts Neues von Bertelsmann.
> >
> > 15. November
> >
> > Jedes Mal, wenn ich bei Bertelsmann anrufen, werde ich
> > mitder Hotline des Buchclubs verbunden. Ob das was zu bedeuten hat?
> >
> > 17. November
> >
> > Noch immer kein Signal von Bertelsmann. Wir überlegen,
> > mitwelchen Partnern wir sonst noch kooperieren können. Auf der Liste
> > stehen
> > die Deutsche Lehrerzeitung, die VDI-Nachrichten und Börse-Online.
> > Gesternhat meine Mutter wieder gefragt, was unsere Firma eigentlich macht.
>
> >
> > Unsere Aktien kaufen will sie nicht mehr.
> >
> > 18. Dezember
> >
> > Der Neue Markt ist auf dem Jahrestiefststand angekommen.
> > Weihnachtsfeier im Team-Zimmer. (Der Fitnessraum ist an ein
> > Grafikbürountervermietet.) Es gibt Knoblauchbrot und Dosenbier. Die
> > Stimmung ist
> > gedrückt. Um halb neun gehen die Letzten.
> >
> > 26. Dezember
> >
> > Gestern Nacht der Durchbruch! Wir haben ein vollkommen
> > neuesGeschäftsmodell. Im nächsten Jahr werden wir uns auf
> > den SMS-Markt konzentrieren, und Wireless Application Services anbieten.
> > Das wird 2001 das große Ding; ich kann es förmlich riechen! Nicht
> > umsonsthat mich die "Wirtschaftwoche" neulich einen "Visionär des 21.
> > Jahrhunderts" genannt. Ich bin ein Genie! Das nächste Jahr wird
> > unserJahr!
> >
> > (PS: Nicht vergessen: im Wörterbuch nachschlagen,
> > was "Application" heißt!)
> >
> > Der anonyme Autor der folgenden Tagebucheintragungen ist der
> > MitgründerDes Internet-Unternehmens 12TooYou.de, das im Netz ein "
> > contentbasiertes,
> > nutzwertiges E-Commerce-Portal mit Community-Organizer-Funktionen"
> > anbietet.
> >
> > 3. Januar
> >
> > Das Jahr beginnt gut: Wir haben zum Jahresbeginn 20 neue
> > Mitarbeitereingestellt, das Team ist motiviert, und der Umzug von der
> > Torstraße in
> > die Kulturbrauerei ist erfolgreich beendet. Statt zwei Zimmern im
> > Hinterhofhaben wir jetzt 300 Quadratmeter. Toll! Zur Begrüßung für die
> > Neuen gibt
> > es einen Empfang in unserem Fitnessraum (Sushi, Champagner, Jolt).
> >
> > 12. Februar
> >
> > Vortrag in der Industrie- und Handelskammer. Habe den
> > trägenOld-Economy-Säcken tüchtig eingeheizt: "Nicht die
> > Großenfressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen." Daran
> > hatten
> > die Schlafmützen erst mal ganz schön zu kauen!
> >
> > 10. März
> >
> > Gestern beim "First Tuesday" einen der Ebay-Gründ
> er> getroffen, der jetzt einen neuen Start-up aufgemacht hat und
> > michseinem Business Angel vorstellte. Wir denken über
> > gemeinsamePapierserviette auf; bringt vielleicht Glück. Später viel
> > Prosecco.
> >
> > 10. April
> >
> > 72 Stunden am Stück durchgearbeitet. Zwischen vier und
> > achtUhr nachts einige Stunden unter dem Schreibtisch gedöst,
> > dannweitergerackert. Was für ein Flash! Gott sei Dank habe ich
> > eineZahnbürste im Büro.
> >
> > 14. April
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> > Der Nasdaq ist eingebrochen. Betrifft zum Glück den deutschen
> > Marktnicht.
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> > 15. April
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> > Auch am Neuen Markt sind die Kurse um 10 Prozent
> > gefallen. Wir bleiben bei unserem Börsengang im Juni, weil wir
> > gutaufgestellt sind und ein starkes Geschäftsmodell haben,
> > dasunabhängig von kurzfristigen Marktschwankungen funktioniert.
> >
> > 19. Mai
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> > Börsengang abgesagt. Erkläre dem Team beim Grillen am Freitagabend
> > dieLage. Weise daraufhin, dass die Stock Options beim neuen
> > Börsengangim September erhalten bleiben. Kommt gut an.
> >
> > 25. August
> >
> > Gestern im "Greenwich" Sandra kennen gelernt. Wir reden
> > denganzen Abend - weil ich versuche, ihr das Geschäftsmodell unserer
> > Firma
> > zu erklären. Sie versteht es nicht. Später vor dem
> > EinschlafenAngstzustände:
> > Habe ich eigentlich unser Geschäftsmodell verstanden? Im
> > Morgengrauenweiß ich wieder, was wir tun. Bei unseren Risikokapitalisten
> > bin ich
> > nicht so sicher. Einer hat mich neulich gefragt, was ein Browser ist.
> > Regen.
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> > 28. August
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> > Es regnet weiter, und das im August! Wir brauchen neue Ideen,
> > um durch die Krise zu kommen. Bei einem Brainstorming beschließen wir,
> > unser Angebot um einen WAP-Dienst und Realtime-Aktienkurse zu erweitern.
> > Als ich um Mitternacht nach Hause gehe, ist die Hälfte des Teams
> > nochbei der Arbeit. Mein AB ist kaputt. Macht nichts, weil bei mir
> > sowieso
> > niemand mehr anruft.
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> > 1. September
> >
> > Seit drei Tagen kann ich mich nicht mehr an meinen
> > Titelerinnern. War es Managing Director? Executive Director? Oder
> > Managing
> > Executive Partner? Ich würde gerne meine Sekretärin fragen. Aber ich
> > habegar keine Sekretärin.
> >
> > 15. September
> >
> > Börsengang wieder abgesagt. Der Neue Markt fällt und fällt.
> > Am Abend Get-Together mit dem Team (Pizza, Rotwein, Red Bull), um
> > dieLage zu erklären. Komischerweise fragt niemand nach den Stock Options.
> >
> > 16. September
> >
> > Unser Business Angel hat einen Kontakt zu Bertels
> ma> nnhergestellt. Wenn die von unserem Geschäftsmodell hören, kaufen
> > siewahrscheinlich gleich die Firma.
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> > 20. September
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> > Als ich von der Präsentation bei Bertelsmann zurückkomme,
> > sehe ich, dass jemand das Wort "Betriebsrat" in die
> > Tischtennisplatteeingeritzt hat. Wieso nur?
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> > 10. Oktober
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> > Heute hat wieder jemand von der IG Medien angerufen, weil
> > erüber die Arbeitsbedingungen bei uns reden möchte. Verstehe nicht,
> > wasder Mann will. Nichts Neues von Bertelsmann.
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> > 15. November
> >
> > Jedes Mal, wenn ich bei Bertelsmann anrufen, werde ich
> > mitder Hotline des Buchclubs verbunden. Ob das was zu bedeuten hat?
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> > 17. November
> >
> > Noch immer kein Signal von Bertelsmann. Wir überlegen,
> > mitwelchen Partnern wir sonst noch kooperieren können. Auf der Liste
> > stehen
> > die Deutsche Lehrerzeitung, die VDI-Nachrichten und Börse-Online.
> > Gesternhat meine Mutter wieder gefragt, was unsere Firma eigentlich macht.
>
> >
> > Unsere Aktien kaufen will sie nicht mehr.
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> > 18. Dezember
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> > Der Neue Markt ist auf dem Jahrestiefststand angekommen.
> > Weihnachtsfeier im Team-Zimmer. (Der Fitnessraum ist an ein
> > Grafikbürountervermietet.) Es gibt Knoblauchbrot und Dosenbier. Die
> > Stimmung ist
> > gedrückt. Um halb neun gehen die Letzten.
> >
> > 26. Dezember
> >
> > Gestern Nacht der Durchbruch! Wir haben ein vollkommen
> > neuesGeschäftsmodell. Im nächsten Jahr werden wir uns auf
> > den SMS-Markt konzentrieren, und Wireless Application Services anbieten.
> > Das wird 2001 das große Ding; ich kann es förmlich riechen! Nicht
> > umsonsthat mich die "Wirtschaftwoche" neulich einen "Visionär des 21.
> > Jahrhunderts" genannt. Ich bin ein Genie! Das nächste Jahr wird
> > unserJahr!
> >
> > (PS: Nicht vergessen: im Wörterbuch nachschlagen,
> > was "Application" heißt!)