Der Nikkei-Index haussiert, die Börsenumsätze steigen auf Werte wie zu Zeiten der Blase. Immer mehr Experten sehen Japans Aktienmarkt vor der Trendwende
von Frank Stocker in Welt am Sonntag
Der Weg scheint endlos", trällert Japans Super-Pop-Idol Ayumi Hamasaki, liebevoll auch Ayu genannt, dieser Tage in ihrem neuesten Hit. "Wir selbst" heißt der Song, und Millionen von Fans fallen über die neue CD her. Bis vor einigen Wochen hätten auch die Börsianer in Tokios Finanzdistrikt Kabuto-Cho noch seufzend in die Liedzeile eingestimmt. 13 Jahre Baisse liegen schließlich hinter ihnen - und kein Ende schien absehbar.
Doch jetzt ist plötzlich alles anders. Um fast 30 Prozent legte der Nikkei-Index seit seinem absoluten Tiefstpunkt Ende April zu und kratzt schon wieder an der Marke von 10 000 Punkten. Auch wenn er am Freitag nach schlechten Vorgaben durch die Wallstreet absackte, überschlagen sich die Analysten in ihrem Optimismus. "Japan bietet derzeit die Kaufgelegenheit für eine Generation", befeuert Mark Pignatelli, Chief Investment Officer bei Schroders in London, die neue Hausse. Und die Investmentbank Crédit Suisse First Boston hat Japan gerade in einem drastischen Schritt von einer zweiprozentigen Untergewichtung in ihren Portfolios auf eine zwölfprozentige Übergewichtung hoch gestuft.
Wandelt sich das Land der aufgehenden Sonne nun wieder zu einem Land der aufblühenden Wirtschaft und Börsenkurse? Greifen die Reformen von Premier Koizumi, dem Mann mit der Löwenmähne?
"Aus den Reformen ist nicht viel geworden, es ist weitgehend bei Ankündigungen geblieben", stellt Helmut Becker, Professor für Wirtschaftspolitik an der Sophia Universität in Tokio, nüchtern fest. Allerdings rettete der Staat Mitte Mai die fünftgrößte Bankengruppe des Landes, Resona, mit einer Kapitalspritze vor dem Zusammenbruch. "Das war ein Signal, dass die Regierung eine schwere Finanzkrise nicht zulässt", sagt Becker.
Hinzu kamen einige weitere positive Ereignisse. Der Mitte März ernannte neue Chef der japanischen Notenbank, Toshihiko Fukui, weckte an den Finanzmärkten wieder die Hoffnung, dass es durch unorthodoxe Methoden gelingen könnte, die Krise des Bankensektors und des Finanzsystems endlich zu lösen. Prompt verbesserte sich auch das Geschäftsklima in der Großindustrie im zweiten Quartal, wie der so genannte Tankan-Bericht der Notenbank vor einigen Tagen feststellte. Auch die Produktionskennziffern einiger Branchen weisen wieder nach oben, und der Höhenflug des Yen gegenüber dem Dollar scheint vorerst gestoppt.
Eine "zumindest temporäre Trendwende" sieht auch Håkan Hedström, Japan-Experte bei der Commerzbank. Verschiedene Indikatoren zeigen seiner Meinung nach, dass es sich nicht nur um eine neuerliche Bärenrally handelt - wie es sie in den vergangenen Jahren in Japan allzu oft gab. "Diesmal wird der Aufschwung von erheblichem Volumen und einer besseren Marktbreite getragen", so Hedström. Die Umsätze an der Tokioter Börse sind fast wieder auf dem Niveau wie zu Zeiten der Blase Ende der Achtziger.
Zudem haben sich viele Unternehmen in jüngster Zeit umorientiert. "Man hat in Japan immer eher nach hohen Umsätzen als nach Gewinnmaximierung gestrebt", so Michael Lockrow, Invesco-Mann in Tokio. "Das Gute ist, dass die Marktkräfte dies nun ändern können." So waren denn auch die Gewinne der Unternehmen - ohne den Finanzsektor - im abgelaufenen Geschäftsjahr die zweithöchsten seit dem Platzen der Blase.
Dadurch sind auch die Bewertungen der Aktien trotz des enormen Kursanstiegs immer noch relativ günstig. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Erwartungen für das kommende Geschäftsjahr liegt bei rund 20 - für japanische Verhältnisse recht niedrig. Auch andere Parameter, wie das Verhältnis des Kurses zum Cash-Flow oder zum Buchwert, zeigen nach Ansicht von Commerzbank-Experte Hedström "zwar keine phänomenale Unterbewertung, aber dennoch attraktive Niveaus".
Dennoch befürchtet er, dass es in nächster Zeit zunächst eine Korrektur bei japanischen Aktien geben könnte. "Der Markt ist im Moment überhitzt." Auch eine Auflage der Regierung an die japanischen Pensionsfonds sowie der anhaltende Abbau von Überkreuzbeteiligungen könnten noch einmal zu Abgabedruck führen. Mittelfristig rechnen inzwischen jedoch fast alle Beobachter damit, dass die Japaner das Schlimmste hinter sich haben - auch wenn einige noch nachhaltige Reformen vermissen (siehe Börsenbrief aus Tokio auf der nächsten Seite).
Am meisten profitieren dürften von einem Aufschwung jene Unternehmen, die die Restrukturierung am erfolgreichsten durchgeführt haben. "Es ist daher nicht ratsam, auf ganze Sektoren zu setzen", so Becker, "Stockpicking ist das Thema." Vorn dabei sieht er zudem jene Firmen, die am solventesten sind, wie beispielsweise Toyota oder Hitachi. Zur Vorsicht mahnt er dagegen bei Unternehmen mit einem besonders hohen Ausländeranteil unter den Aktionären, wie beispielsweise Sony. "Die ziehen sich bei Enttäuschungen sofort wieder zurück."
Gerade die Ausländer waren es jedoch, die den Aufschwung in Japan bisher getragen haben. Allerdings zeigt der neuerliche Run auf alte Zockerpapiere wie Softbank, in die kein institutioneller Anleger investiert, dass auch Japans Privatanleger sich langsam wieder an die Börse zurücktrauen. Vielleicht hören sie ja auch Ayu singen und stimmen in ihr Lied über den ach so langen Weg mit ein: "Aber ganz sicher hat er ein Ende."
von Frank Stocker in Welt am Sonntag
Der Weg scheint endlos", trällert Japans Super-Pop-Idol Ayumi Hamasaki, liebevoll auch Ayu genannt, dieser Tage in ihrem neuesten Hit. "Wir selbst" heißt der Song, und Millionen von Fans fallen über die neue CD her. Bis vor einigen Wochen hätten auch die Börsianer in Tokios Finanzdistrikt Kabuto-Cho noch seufzend in die Liedzeile eingestimmt. 13 Jahre Baisse liegen schließlich hinter ihnen - und kein Ende schien absehbar.
Doch jetzt ist plötzlich alles anders. Um fast 30 Prozent legte der Nikkei-Index seit seinem absoluten Tiefstpunkt Ende April zu und kratzt schon wieder an der Marke von 10 000 Punkten. Auch wenn er am Freitag nach schlechten Vorgaben durch die Wallstreet absackte, überschlagen sich die Analysten in ihrem Optimismus. "Japan bietet derzeit die Kaufgelegenheit für eine Generation", befeuert Mark Pignatelli, Chief Investment Officer bei Schroders in London, die neue Hausse. Und die Investmentbank Crédit Suisse First Boston hat Japan gerade in einem drastischen Schritt von einer zweiprozentigen Untergewichtung in ihren Portfolios auf eine zwölfprozentige Übergewichtung hoch gestuft.
Wandelt sich das Land der aufgehenden Sonne nun wieder zu einem Land der aufblühenden Wirtschaft und Börsenkurse? Greifen die Reformen von Premier Koizumi, dem Mann mit der Löwenmähne?
"Aus den Reformen ist nicht viel geworden, es ist weitgehend bei Ankündigungen geblieben", stellt Helmut Becker, Professor für Wirtschaftspolitik an der Sophia Universität in Tokio, nüchtern fest. Allerdings rettete der Staat Mitte Mai die fünftgrößte Bankengruppe des Landes, Resona, mit einer Kapitalspritze vor dem Zusammenbruch. "Das war ein Signal, dass die Regierung eine schwere Finanzkrise nicht zulässt", sagt Becker.
Hinzu kamen einige weitere positive Ereignisse. Der Mitte März ernannte neue Chef der japanischen Notenbank, Toshihiko Fukui, weckte an den Finanzmärkten wieder die Hoffnung, dass es durch unorthodoxe Methoden gelingen könnte, die Krise des Bankensektors und des Finanzsystems endlich zu lösen. Prompt verbesserte sich auch das Geschäftsklima in der Großindustrie im zweiten Quartal, wie der so genannte Tankan-Bericht der Notenbank vor einigen Tagen feststellte. Auch die Produktionskennziffern einiger Branchen weisen wieder nach oben, und der Höhenflug des Yen gegenüber dem Dollar scheint vorerst gestoppt.
Eine "zumindest temporäre Trendwende" sieht auch Håkan Hedström, Japan-Experte bei der Commerzbank. Verschiedene Indikatoren zeigen seiner Meinung nach, dass es sich nicht nur um eine neuerliche Bärenrally handelt - wie es sie in den vergangenen Jahren in Japan allzu oft gab. "Diesmal wird der Aufschwung von erheblichem Volumen und einer besseren Marktbreite getragen", so Hedström. Die Umsätze an der Tokioter Börse sind fast wieder auf dem Niveau wie zu Zeiten der Blase Ende der Achtziger.
Zudem haben sich viele Unternehmen in jüngster Zeit umorientiert. "Man hat in Japan immer eher nach hohen Umsätzen als nach Gewinnmaximierung gestrebt", so Michael Lockrow, Invesco-Mann in Tokio. "Das Gute ist, dass die Marktkräfte dies nun ändern können." So waren denn auch die Gewinne der Unternehmen - ohne den Finanzsektor - im abgelaufenen Geschäftsjahr die zweithöchsten seit dem Platzen der Blase.
Dadurch sind auch die Bewertungen der Aktien trotz des enormen Kursanstiegs immer noch relativ günstig. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Erwartungen für das kommende Geschäftsjahr liegt bei rund 20 - für japanische Verhältnisse recht niedrig. Auch andere Parameter, wie das Verhältnis des Kurses zum Cash-Flow oder zum Buchwert, zeigen nach Ansicht von Commerzbank-Experte Hedström "zwar keine phänomenale Unterbewertung, aber dennoch attraktive Niveaus".
Dennoch befürchtet er, dass es in nächster Zeit zunächst eine Korrektur bei japanischen Aktien geben könnte. "Der Markt ist im Moment überhitzt." Auch eine Auflage der Regierung an die japanischen Pensionsfonds sowie der anhaltende Abbau von Überkreuzbeteiligungen könnten noch einmal zu Abgabedruck führen. Mittelfristig rechnen inzwischen jedoch fast alle Beobachter damit, dass die Japaner das Schlimmste hinter sich haben - auch wenn einige noch nachhaltige Reformen vermissen (siehe Börsenbrief aus Tokio auf der nächsten Seite).
Am meisten profitieren dürften von einem Aufschwung jene Unternehmen, die die Restrukturierung am erfolgreichsten durchgeführt haben. "Es ist daher nicht ratsam, auf ganze Sektoren zu setzen", so Becker, "Stockpicking ist das Thema." Vorn dabei sieht er zudem jene Firmen, die am solventesten sind, wie beispielsweise Toyota oder Hitachi. Zur Vorsicht mahnt er dagegen bei Unternehmen mit einem besonders hohen Ausländeranteil unter den Aktionären, wie beispielsweise Sony. "Die ziehen sich bei Enttäuschungen sofort wieder zurück."
Gerade die Ausländer waren es jedoch, die den Aufschwung in Japan bisher getragen haben. Allerdings zeigt der neuerliche Run auf alte Zockerpapiere wie Softbank, in die kein institutioneller Anleger investiert, dass auch Japans Privatanleger sich langsam wieder an die Börse zurücktrauen. Vielleicht hören sie ja auch Ayu singen und stimmen in ihr Lied über den ach so langen Weg mit ein: "Aber ganz sicher hat er ein Ende."