Auf dem Weg zur Europa AG

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Auf dem Weg zur Europa AG

 
09.02.02 21:54
Heimlich, still und leise hat die Europäische Union grundlegende Reformen für Kapitalgesellschaften angestoßen. Bald soll sie möglich sein - die Societas Europeae

Man stelle sich folgenden Fall vor: Die deutsche New Technologies AG hat zunehmend Geschäftsaktivitäten über Tochtergesellschaften und Niederlassungen in Großbritannien; darüber haben sich weitere internationale Geschäfte entwickelt. Man denkt auch über die Fusion mit einem britischen Partnerunternehmen nach.

Der Vorstand der deutschen AG beschließt daher, die Geschäftsleitung nach London zu verlegen. Im vereinten Europa sollte dies doch möglich sein - oder? Bisher geht das wohl nicht. Nach deutschem Recht müsste die AG liquidiert werden; eine ältere Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat dies bestätigt, nach einer etwas jüngeren Entscheidung sind daran Zweifel aufgekommen, eine Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Frage, ob ein solcher Umzug von Gesellschaften innerhalb Europas zulässig ist, steht noch aus. Selbst wenn das Gericht sagt, dass so etwas auf Grund Europäischen Rechts möglich sein muss, wüsste man immer noch nicht, wie es gehen sollte. Jedenfalls das deutsche Recht sieht den Wechsel einer Gesellschaft ins Ausland nicht vor.

Nun aber kommt die EU zu Hilfe: Nach dreißig Jahren Arbeit, begleitet von viel Rangelei, wurde bereits im Oktober 2001 die EU-Verordnung zur europäischen Aktiengesellschaft, der SE (Societas Europeae), verabschiedet. Die vollständige Umsetzung wird möglicherweise noch bis zum Jahre 2004 dauern, vielleicht geht es hier und da aber auch schneller - auf jeden Fall sollte man die neuen Gestaltungsmöglichkeiten bei mittelfristigen Unternehmensplanungen mit Blick auf Europa schon mit ins Kalkül ziehen.

Mit der SE wird für alle EU-Staaten eine teilweise vereinheitlichte neue Gesellschaftsform für Aktiengesellschaften geschaffen. Eine gewisse Unternehmensgröße wird vorausgesetzt: Das Grundkapital muss mindestens 120.000 Euro betragen. Weiter ist erforderlich, dass die Gesellschaft in mindestens zwei europäischen Staaten über Tochtergesellschaften oder Niederlassungen aktiv ist. Um eine SE zu schaffen, müssen zumeist bestehende Unternehmen umgewandelt werden. Dies kann ziemlich einfach im Wege eines Formwechsels geschehen: Unsere deutsche New Technologies AG mit britischen Tochtergesellschaften könnte also die Rechtsform einer SE mit Sitz in Deutschland annehmen. Nachteil davon wäre allerdings, dass ein Formwechsel in eine SE im Zusammenhang mit einer Sitzverlegung ins europäische Ausland nicht zulässig sein soll.

Eine Alternative ohne diese Einschränkung wäre die Verschmelzung von zwei europäischen Gesellschaften zu einer SE in unterschiedlichen Varianten. Insgesamt gibt es ein beträchtliches Sammelsurium von Wegen, auf denen Aktiengesellschaften, die in mehreren EU-Staaten aktiv sind, in die Form einer SE kommen können.

Allerdings hat auch die europäische Aktiengesellschaft immer noch ein Heimatland. Sie kann nur in dem Staat, in dem sie ihre tatsächliche Hauptgeschäftsführung hat, errichtet werden, wird dort im Handelsregister registriert und unterliegt dort auch allen steuerlichen Regelungen und anderen Rechtsvorschriften, soweit die EU-Verordnung zur SE keine Sondervorschriften vorsieht.

Da steckt auch der erste Haken. Das Zusammenspiel der neuen EU-Vorschriften mit Regeln des jeweils nationalen Rechts wird sicher noch einige Probleme mit sich bringen. Neben dem Mindestkapital und der Frage, wie man in die Gesellschaftsform der SE hineinkommt, stehen eine Reihe anderer Dinge bereits fest.

Die europäische Aktiengesellschaft kann beispielsweise wählen, ob sie für die Geschäftsleitung das deutsche System mit der Unterteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand oder ob sie ein einheitliches Geschäftsführungs-"Board" wie im angelsächsischem Raum haben möchte. Viel mehr einheitliche neue Regeln gibt es dann allerdings nicht, mit der Folge, dass sich vieles nach dem Gesellschaftsrecht des Staates richtet, in dem die SE ihren Sitz hat. Das kann aber sehr interessant sein, eröffnet es doch bei Geschäftsaktivitäten in mehreren EU-Staaten die Möglichkeit, sich ein eher "passendes" Gesellschaftsrecht auszusuchen.

Eine Flucht aus dem engen Korsett der deutschen Mitbestimmungsregelungen ist dabei allerdings nicht so einfach möglich. Gleichzeitig mit der EU-Verordnung zur europäischen Aktiengesellschaft ist nämlich die Richtlinie über die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE verabschiedet worden, die die EU-Mitgliedsstaaten bis 2004 in ihr innerstaatliches Recht umsetzen müssen.

Die Form der Arbeitnehmervertretung und der Mitbestimmung soll dabei im Wege freier Verhandlungen zwischen den beteiligten Unternehmen und deren Arbeitnehmern festgelegt werden. Die Arbeitnehmer werden von einem zu diesem Zweck gewählten besonderen Verhandlungsgremium vertreten. Wenn man sich einig ist, kann das Ergebnis der Verhandlungen auch zu weniger Mitbestimmung als vorher führen; wenn etwa in der New Technologies AG die Hälfte der Aufsichtsräte nach deutschen Mitbestimmungsregeln von den Arbeitnehmern gewählt wurde, kann dies in der britischen SE nur noch ein Drittel sein.

Für den Fall des Scheiterns dieser Verhandlungen gilt eine Auffangregelung, nach der die SE eine Art Betriebsrat mit weit gehenden Informations- und Anhörungsrechten erhalten muss. Überdies können Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmer - etwa im Aufsichtsrat - entstehen, wenn eine solche Mitbestimmung in einem Land, in dem mehr als 25 Prozent der Beschäftigten der SE oder ihrer Unternehmensgruppe tätig sind, schon bestanden hat. Gab es bei Gründung der SE im Wege einer Fusion bei keiner der beteiligten Gesellschaften eine Mitbestimmungsregelung, bleibt auch die SE mitbestimmungsfrei.

Will unsere deutsche New Technologies AG über den Weg einer Verschmelzung in eine britische SE "auswandern", muss also zunächst mit deutschen und britischen Arbeitnehmervertretern über die Vertretung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer verhandelt werden. Kommt es zu keiner Einigung, gelten entweder die bisherigen Regelungen fort oder es kommt die Auffangregelung zur Anwendung, wenn die Fusion nicht scheitern soll. Erst wenn hier nach bis zu zwölfmonatigen Verhandlungen Klarheit herrscht, kann die eigentliche Verschmelzung angegangen werden. Es kann also eine lange Reise werden, bis die SE endlich in England angekommen ist.

Bislang stehen dem Weg in die SE auch noch allerhand steuerliche Hindernisse entgegen. Der Formwechsel von einer deutschen AG in eine SE ist zwar steuerlich neutral. Will unsere New Technologie SE aber später von Deutschland nach Großbritannien auswandern, ergibt sich nach bisherigem Steuer-recht jedoch noch eine sogenannte "Schlussbesteuerung"; in Deutschland werden steuerwirksam stille Reserven aufgedeckt. Das heißt, der Unterschiedsbetrag zwischen Bilanzwert der AG und tatsächlichem Geschäftswert - wo immer der auch liegen mag - wird in Deutschland steuerpflichtig. Gibt es keine solchen stillen Reserven, so liegt dies meist an vorangegangenen Verlusten. Die Mitnahme von Verlustvorträgen von einem EU-Staat in einen anderen ist bisher aber nicht möglich. An einer EU-Richtlinie hierzu wird gearbeitet, das kann aber noch dauern. Für das Einbringen von Mehrheitsbeteiligungen innerhalb der EU, also etwa für den Fall, dass die Anteile unserer deutschen New Technologies AG in eine damit neu gegründete britische SE eingebracht werden, gibt es aber bereits jetzt Regelungen, die dies steuerneutral ermöglichen. Ähnliches ist EU-weit für grenzüberschreitende Verschmelzungen vorgesehen. Einiges geht also schon, anderes ist noch im Werden. Eine kostenlose Steuerflucht in EU-Niedrigsteuerländer wie etwa Irland dürfte im Ergebnis nicht ohne weiteres gelingen. Für viele EU-Fusionen und -Sitzverlegungen unter Zuhilfenahme der Rechtsform der europäischen Aktiengesellschaft wird sich aber sicherlich ein steuergünstiger Weg finden lassen.


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