Die große Ausnahme?
Mit der Fusion von AOL und Time Warner vereinnahmte zum ersten Mal in der Geschichte ein Unternehmen der New Economy ein Unternehmen der alte Schule. AOL-Time Warner ist damit eines der weltweit größten Internet- und Medienunternehmen. Die Erfolgsstory kann sich mit dem vereinten Unternehmen fortsetzen.
Nach langem Ringen mit Wettbewerbsgremien und immer neuen Zugeständnissen wurde am 11. Januar 2001 der Zusammenschluß des Internetunternehmens America Online und des Medienkonzerns Time Warner von den Behörden endgültig genehmigt. AOL Time Warner (AOL) konzentriert sich nach den notwendigen Aktivitäten im Rahmen der Fusion (Zugeständnisse, Abwehrmaßnahmen) derzeit wieder auf seine einzelnen Geschäftsbereiche.
Besonderes Augenmerk legt man bei AOL auf die Aktivitäten von Microsoft. Die Teilung des Softwaregiganten war Anfang Juli vorerst abgewendet worden. Analysten äußerten die Befürchtung, Anleger könnten in dem Urteil eine Schwächung AOLs erkennen. Es könne bedeuten, dass Microsoft nun Verhalten jeglicher Art an den Tag legen könnte, so das Verdikt von Merrill Lynch. Das Unternehmen könnte sich also beispielsweise sehr wettbewerbsorientiert zeigen, was AOL oder andere Microsoft-Konkurrenten beeinflussen würde. Die Wettbewerber hatten sich nach dem Gerichtsurteil allerdings wenig beeinflusst gezeigt. Eine tatsächliche Schwächung von AOL erkennt man auch bei Merrill Lynch nicht.
Wesentlicher erscheint der ergebnislose Verlauf der letzten Verhandlungen zwischen AOL und Microsoft um die Zusammenarbeit bei den Internetdiensten. Die Unternehmen streiten in mehreren Geschäftsfeldern um die Vorherrschaft im Bereich Online-Kommunikation ("Instant Messaging"), bei der Software für Audio- und Videoinhalte und nicht zuletzt auch bei der Werbung um Kunden für das eigene Internetangebot.
Bis zum vergangenen Jahr agierten die Gegner Seite an Seite, dann endete ein 1996 geschlossener Kooperationsvertrag. Der Vertrag hatte dem Microsoft-Browser Internet Explorer bei seinem Siegeszug geholfen, indem er ihn zum Standardprogramm für Millionen von AOL-Kunden machte. Die Abmachung garantierte AOL im Gegenzug beste Integration der eigenen Software ins Windows-Betriebssystem. Auf eine Verlängerung des Vertrages konnten sich beide Seiten trotz wochenlanger Bemühungen bisher nicht einigen.
Microsoft will im Herbst sein neues Betriebssystem Windows XP auf den Markt bringen. Einige Bestandteile werden von AOL als geschäftsschädigend angesehen, so soll der Instant Messaging-Service von Microsoft nun fest in Windows XP integriert werden. AOL bietet jedoch mit dem Instant Messenger (AIM) seinen Nutzern einen eigenen Service zum Austauschen von Textnachrichten in Echtzeit.
Microsoft plant für Windows XP die Integration digitaler Bausteine, die eine deutlich verbesserte Stimmwiedergabe via Internet ermöglichen. Sollte AOL in diesem Bereich auf eine eigene Software setzen, könnte dies für Nutzer Probleme ergeben: Dann nämlich, wenn die unterschiedlichen Telefon-Programme der beiden Anbieter nicht miteinander kommunizieren können.
AOL erwägt, statt des Internet Explorers von Microsoft den Netscape-Browser in die Zugangssoftware für den eigenen Online-Dienst zu integrieren. Schließlich gehört Netscape zum AOL-Firmenimperium. Weiterhin hat AOL sogar die Entwicklung eines eigenen Betriebssystems ins Auge gefasst - in Zusammenarbeit mit PC-Herstellern. Das Unternehmen setzt bereits jetzt bei den Audio- und Videoinhalten auf die Software von RealNetworks und nicht auf Microsofts Windows Media Player. Analysten erwarten auf diesem Gebiet einen zunehmenden zwischen den beiden Unternehmen
Microsofts Onlinedienst MSN ist in diesem Markt mit etwa fünf Millionen Kunden der weit abgeschlagene Zweite. Mit dieser Rolle gibt sich das Unternehmen aber nicht zufrieden und greift AOL zur Zeit direkt mit einer Werbekampagne rund um besonders günstige Monatstarife an. AOL verteuert kürzlich in den USA die monatliche Flatrate um neun Prozent. MSN wirbt nun mit dem alten AOL-Tarif und einem dreimonatigen kostenlosen Zugang für alle Neukunden, die von AOL zu MSN wechseln.
Für die Mehrzahl der Analysten liegt der Hauptansatzpunkt für Prognosen in fundamentalen Betrachtungen sowie im Geschäft mit den Kunden. Nach Ansicht der Experten vom Berliner Börsenbrief befindet sich die Marktkapitalisierung mit 230 Mrd. Dollar noch gut 50% über einer nahezu fairen Bewertung. Bei der Akquisition von Time Warner habe AOL für das aktuelle Jahr ein Umsatzziel von 40 Mrd. Dollar sowie einen Cash-flow von 11 Mrd. Dollar angegeben. Der Cash-flow werde von AOL als Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen definiert. Die unvorhersehbare, starke Abschwächung des US-Wirtschaftswachstums scheine das Erreichen dieser Prognosen allerdings zu erschweren. Die angekündigte Erhöhung der Preise um neun Prozent solle dies kompensieren. Das Ergebnis nach Steuern werde aber negativ ausfallen.
Wichtig für eine Minderung der Verluste im laufenden Geschäftsjahr halten Analysten auch das Voranschreiten der Integration. Ebenso sei abzuwarten, wie sich die Preiserhöhung für AOL auf die Kunden auswirken würde. AOL hatte allerdings nach der Anhebung gemeldet, dass es seine Marktführerschaft ausbauen konnte. Man verfüge nun über 30 Millionen Kunden. Aufgrund der Marketing-Allianz mit Hewlett-Packard und der im Herbst erwarteten, neu zu veröffentlichten Software, hoffe man, diese Zahl noch weiter steigern zu können. Der Erfolg von Restrukturierungsmaßnahmen beim Fernsehsender CNN, der innerhalb kurzer Zeit knapp 40 Prozent seiner Mitarbeiter entlassen hatte, könnten das Ergebnis ebenfalls verbessern.
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