Nach der Enron-Pleite: Dem Wirtschaftsprüfer Andersen laufen die Angestellten davon
Nichts wie weg! Der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Andersen steht ein Exodus bevor. Die Mitarbeiter sämtlicher Niederlassungen außerhalb der USA wollen das amerikanische Mutterhaus verlassen und geschlossen zur Konkurrenz von KPMG überlaufen. Sie wollen retten, was noch zu retten ist: ihren guten Ruf.
Die Krise der Andersen-Zentrale in Chicago, die die manipulierten Bilanzen der Pleitefirma Enron testiert hatte, spitzt sich immer weiter zu. Ein großes US-Unternehmen nach dem nächsten kündigt das Prüfungsmandat und wechselt zu anderen Wirtschaftsprüfern. Am Donnerstag vergangener Woche erhob das amerikanische Justizministerium sogar Anklage gegen die gesamte US-Partnerschaft. Der Vorwurf: Behinderung der Behörden. Das Büro in Houston, das für die Enron-Prüfung verantwortlich war, soll tonnenweise Akten vernichtet haben. Nun fürchten die anderen Gesellschaften im weltweiten Andersen-Verbund, dass auch sie unter dem rapide wachsenden Ansehensverlust der US-Partner zu leiden haben. "Macht den Atlantik so breit wie möglich", forderten Unternehmen die europäischen Andersen-Partner auf.
Die Trennung beginnt. In der vergangenen Woche waren Verhandlungen in New York gescheitert, die gesamte Andersen-Gruppe zu übernehmen. Dann sickerte durch, dass der japanische Andersen-Ableger Asahi und KPMG Japan bereits Gespräche über eine mögliche Zusammenarbeit führten. Damit war klar, dass das weltweite Andersen-Netz jederzeit zerbrechen könnte.
Der Abstieg der nationalen Partnerschaften in die regionale Bedeutungslosigkeit drohte. Vor allem die europäischen Partner unter starker deutscher Beteiligung zogen die Verhandlungen über das Wochenende an sich. Schon am Montag unterzeichneten die Geschäftsführer von Andersen und der KPMG eine Absichtserklärung zur künftigen Zusammenarbeit. Damit haben sich alle über den Globus verstreuten 83 Andersen-Büros mit insgesamt 57 000 Mitarbeitern von ihrem US-Partner losgesagt. Die Marke Andersen Worldwide ist bloß noch Geschichte.
Die Andersen-Partner stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie müssen unter die Fittiche der KPMG, wollen sie in der Königsklasse mitspielen. Doch auch bei KPMG sind die Partnerschaften national organisiert - im Falle einer Fusion müsste mit den Spitzen eines jeden Landes abgestimmt werden, welche Jobs und Machtpositionen die wechselwilligen Andersen-Leute denn nun bekommen sollen. "Es ist klar, wer nachgeben muss", sagt ein Andersen-Partner.
Für Deutschland verhandeln die hiesigen Geschäftsführer, Christoph Groß von Andersen und Harald Wiedmann von KPMG, die Modalitäten des Zusammenschlusses. KPMG ist das führende Wirtschaftsprüfungsunternehmen auf dem deutschen Markt, Andersen die Nummer drei. Zusammen kommen beide locker auf einen Marktanteil von mehr als 40 Prozent, heißt es in Branchenkreisen. Das dürfte das Kartellamt stören.
Bereits 1997/98 grummelten die europäischen Wettbewerbshüter, als gleich zwei Fusionen unter den damals noch großen sechs internationalen Prüfungsgesellschaften annonciert wurden. Erst als KPMG und Ernst & Young ihr Vorhaben aufgaben, stimmte Brüssel der Fusion zwischen Price Waterhouse und Coopers & Lybrand zu. Die damalige Begründung: Kollektive Marktbeherrschung ist unwahrscheinlich, wenn mehr als drei oder vier Anbieter um die Großkonzerne buhlen.
Mit dem Verschwinden von Andersen wird der Konzentrationsprozess zunehmen. Ob es denn tatsächlich zu dem Zusammenschluss mit KPMG kommt, spielt dabei keine Rolle. Zersplitterte Andersen-Partnerschaften werden ihre lukrativen Mandanten an die übrig gebliebenen großen Wirtschaftsprüfer verlieren. "Unter Wettbewerbsgesichtspunkten ist das Zusammengehen mit KPMG sogar besser als die alternativ drohende völlige Auflösung", mutmaßt Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer.
Es ist nicht nur die zunehmende Konzentration, die die Schadenfreude über das Schicksal des Enron-Prüfers dämpft. Auch der Traum von Paul Volcker, einen Qualitätswettbewerb unter den "Big Five" anzustoßen, ist geplatzt. Der ehemalige US-Notenbankchef erhielt von Arthur Andersen Ende Februar eine Carte blanche, die Gesellschaft zu reformieren. Volcker wollte sein Mandat nutzen, um die ganze Zunft umzukrempeln. Wenn ein Großer mit einer neuen Moral vorangeht, die bei den Investoren ankommt, müssen die anderen folgen, so sein Kalkül.
Zu Volckers wichtigsten Vorhaben gehörte, Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung strikt voneinander zu trennen. Denn es ist meist das Schielen auf einträchtige Beratungsaufgaben, das gnädige Prüfungen zur Folge hat. Immer öfter verdienen die großen Wirtschaftsprüfer mehr mit der Beratung als mit ihrer ursprünglichen Aufgabe. Das gefährdet die Unabhängigkeit der Prüfer und damit die Qualität der testierten Abschlüsse. Den Schaden haben die Anleger - sie müssen sich notgedrungen auf den Jahresabschluss verlassen.
Doch der Markt für Wirtschaftsprüfung wächst nur langsam. Wer Umsatz und Gewinn steigern möchte, setzt auf Beratung. Beispiel KPMG: Nach vorläufigen Zahlen legte die Gesellschaft bei der Beratung im vergangenen Jahr um 19 Prozent zu, bei der Prüfung dagegen nur um 7 Prozent. Aber Volcker wollte noch andere Standards setzen. Eine Gruppe von erfahrenen Prüfern sollten in allen Zweifelsfällen bei der Bilanzierung das letzte Wort haben. Das hätte den Interpretationsspielraum der örtlichen Partner im Zaum gehalten. Auch die maximale Mandatsdauer für einen Partner sollte auf fünf Jahre pro Firma begrenzt werden - damit der Blick scharf bleibt.
Daraus wird wohl nichts. Volcker will seine Vorschläge dennoch ausarbeiten, um wenigstens Diskussionen auszulösen. Ändern wird auch dies wenig. Die vier übrig gebliebenen großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften brauchen einen Saubermann in ihrer Mitte nicht zu fürchten.
zeit.de
Nichts wie weg! Der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Andersen steht ein Exodus bevor. Die Mitarbeiter sämtlicher Niederlassungen außerhalb der USA wollen das amerikanische Mutterhaus verlassen und geschlossen zur Konkurrenz von KPMG überlaufen. Sie wollen retten, was noch zu retten ist: ihren guten Ruf.
Die Krise der Andersen-Zentrale in Chicago, die die manipulierten Bilanzen der Pleitefirma Enron testiert hatte, spitzt sich immer weiter zu. Ein großes US-Unternehmen nach dem nächsten kündigt das Prüfungsmandat und wechselt zu anderen Wirtschaftsprüfern. Am Donnerstag vergangener Woche erhob das amerikanische Justizministerium sogar Anklage gegen die gesamte US-Partnerschaft. Der Vorwurf: Behinderung der Behörden. Das Büro in Houston, das für die Enron-Prüfung verantwortlich war, soll tonnenweise Akten vernichtet haben. Nun fürchten die anderen Gesellschaften im weltweiten Andersen-Verbund, dass auch sie unter dem rapide wachsenden Ansehensverlust der US-Partner zu leiden haben. "Macht den Atlantik so breit wie möglich", forderten Unternehmen die europäischen Andersen-Partner auf.
Die Trennung beginnt. In der vergangenen Woche waren Verhandlungen in New York gescheitert, die gesamte Andersen-Gruppe zu übernehmen. Dann sickerte durch, dass der japanische Andersen-Ableger Asahi und KPMG Japan bereits Gespräche über eine mögliche Zusammenarbeit führten. Damit war klar, dass das weltweite Andersen-Netz jederzeit zerbrechen könnte.
Der Abstieg der nationalen Partnerschaften in die regionale Bedeutungslosigkeit drohte. Vor allem die europäischen Partner unter starker deutscher Beteiligung zogen die Verhandlungen über das Wochenende an sich. Schon am Montag unterzeichneten die Geschäftsführer von Andersen und der KPMG eine Absichtserklärung zur künftigen Zusammenarbeit. Damit haben sich alle über den Globus verstreuten 83 Andersen-Büros mit insgesamt 57 000 Mitarbeitern von ihrem US-Partner losgesagt. Die Marke Andersen Worldwide ist bloß noch Geschichte.
Die Andersen-Partner stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie müssen unter die Fittiche der KPMG, wollen sie in der Königsklasse mitspielen. Doch auch bei KPMG sind die Partnerschaften national organisiert - im Falle einer Fusion müsste mit den Spitzen eines jeden Landes abgestimmt werden, welche Jobs und Machtpositionen die wechselwilligen Andersen-Leute denn nun bekommen sollen. "Es ist klar, wer nachgeben muss", sagt ein Andersen-Partner.
Für Deutschland verhandeln die hiesigen Geschäftsführer, Christoph Groß von Andersen und Harald Wiedmann von KPMG, die Modalitäten des Zusammenschlusses. KPMG ist das führende Wirtschaftsprüfungsunternehmen auf dem deutschen Markt, Andersen die Nummer drei. Zusammen kommen beide locker auf einen Marktanteil von mehr als 40 Prozent, heißt es in Branchenkreisen. Das dürfte das Kartellamt stören.
Bereits 1997/98 grummelten die europäischen Wettbewerbshüter, als gleich zwei Fusionen unter den damals noch großen sechs internationalen Prüfungsgesellschaften annonciert wurden. Erst als KPMG und Ernst & Young ihr Vorhaben aufgaben, stimmte Brüssel der Fusion zwischen Price Waterhouse und Coopers & Lybrand zu. Die damalige Begründung: Kollektive Marktbeherrschung ist unwahrscheinlich, wenn mehr als drei oder vier Anbieter um die Großkonzerne buhlen.
Mit dem Verschwinden von Andersen wird der Konzentrationsprozess zunehmen. Ob es denn tatsächlich zu dem Zusammenschluss mit KPMG kommt, spielt dabei keine Rolle. Zersplitterte Andersen-Partnerschaften werden ihre lukrativen Mandanten an die übrig gebliebenen großen Wirtschaftsprüfer verlieren. "Unter Wettbewerbsgesichtspunkten ist das Zusammengehen mit KPMG sogar besser als die alternativ drohende völlige Auflösung", mutmaßt Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer.
Es ist nicht nur die zunehmende Konzentration, die die Schadenfreude über das Schicksal des Enron-Prüfers dämpft. Auch der Traum von Paul Volcker, einen Qualitätswettbewerb unter den "Big Five" anzustoßen, ist geplatzt. Der ehemalige US-Notenbankchef erhielt von Arthur Andersen Ende Februar eine Carte blanche, die Gesellschaft zu reformieren. Volcker wollte sein Mandat nutzen, um die ganze Zunft umzukrempeln. Wenn ein Großer mit einer neuen Moral vorangeht, die bei den Investoren ankommt, müssen die anderen folgen, so sein Kalkül.
Zu Volckers wichtigsten Vorhaben gehörte, Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung strikt voneinander zu trennen. Denn es ist meist das Schielen auf einträchtige Beratungsaufgaben, das gnädige Prüfungen zur Folge hat. Immer öfter verdienen die großen Wirtschaftsprüfer mehr mit der Beratung als mit ihrer ursprünglichen Aufgabe. Das gefährdet die Unabhängigkeit der Prüfer und damit die Qualität der testierten Abschlüsse. Den Schaden haben die Anleger - sie müssen sich notgedrungen auf den Jahresabschluss verlassen.
Doch der Markt für Wirtschaftsprüfung wächst nur langsam. Wer Umsatz und Gewinn steigern möchte, setzt auf Beratung. Beispiel KPMG: Nach vorläufigen Zahlen legte die Gesellschaft bei der Beratung im vergangenen Jahr um 19 Prozent zu, bei der Prüfung dagegen nur um 7 Prozent. Aber Volcker wollte noch andere Standards setzen. Eine Gruppe von erfahrenen Prüfern sollten in allen Zweifelsfällen bei der Bilanzierung das letzte Wort haben. Das hätte den Interpretationsspielraum der örtlichen Partner im Zaum gehalten. Auch die maximale Mandatsdauer für einen Partner sollte auf fünf Jahre pro Firma begrenzt werden - damit der Blick scharf bleibt.
Daraus wird wohl nichts. Volcker will seine Vorschläge dennoch ausarbeiten, um wenigstens Diskussionen auszulösen. Ändern wird auch dies wenig. Die vier übrig gebliebenen großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften brauchen einen Saubermann in ihrer Mitte nicht zu fürchten.
zeit.de