Finanzvorstände auf Rachefeldzug
Von Marc Pitzke, New York
Ein Fall von Analysten-Mobbing erschüttert die US-Börsen. Der Chip-Hersteller Altera untersagte einen unliebsam-kritischen Beobachter jeden weiteren Kontakt zur Firma. So etwas kommt immer öfter vor - viele Analysten klagen über den Druck der Konzerne.
New York - Analysten sind die Buhmänner der Wall Street. Ihr Job ist ein automatischer Interessenkonflikt. Im Dienste der Investoren sollen sie börsennotierte Konzerne beurteilen und Empfehlungen geben, die die Zukunft dieser Unternehmen beeinflussen. Gleichzeitig aber müssen sie ein engstes Verhältnis zu eben jenen Konzernen pflegen - nicht nur, um so an Insider-Informationen zu kommen, sondern, weil diese Börsenfirmen wiederum Geldquellen für ihre Brokerhäuser sind.
Wenn Analysten also Schlagzeilen machen, dann meist negative. Zum Beispiel Henry Blodget, der vormalige Fürst der Wall Street. Der empfahl einst Aktien, die er privat als "piece of shit" titulierte. Oder Ex-Superstar Jack Grubman, der auf Nieten wie Global Crossing setzte. Oder zuletzt Julien Onillon von HSBC Securities, der im Frühjahr dieses Jahres den weltgrößten Stahlkonzern Mittal anpries - nur um sich dann selbst von Mittal als Direktor der Investorenabteilung einstellen zu lassen.
Genau deshalb ist die Wall Street dieser Tage über eine Geschichte in Aufruhr geraten, in der die Rollen vertauscht sind. Diesmal ist der Analyst nämlich das Opfer. Sein Name ist Tad LaFountain III. und er arbeitet für Wells Fargo Securites in San Francisco. LaFountain - ein unscheinbarer Herr mit schütterem, grauen Haar und ovaler Brille - ist ein Veteran des Geschäfts. Seit 25 Jahren analysiert er im Silicon Valley Tech- und Halbleiter-Werte. Derzeit hat er 21 Firmen im Blick, und nicht immer findet er lobende Worte. So nannte er den PC-Hersteller Dell einmal "widerlich". In den meisten Fällen erfolgt die Kritik jedoch diskret, höflich und in gegenseitigem, wenn auch zähneknirschendem Einvernehmen.
"Nicht im Interesse der Anleger"
Bis jetzt. Kürzlich verschickte LaFountain eine Aufsehen erregende Kundennotiz: Der Computerchip-Konzern Altera habe ihn auf die schwarze Liste gesetzt - nur weil er kritisch sei. Dass ein Analyst derlei Interna ausplaudert, war alleine schon bemerkenswert. Noch bemerkenswerter aber waren die Details: Altera weigere sich plötzlich, seine Telefonate anzunehmen, ihn bei Routine-Konferenzschaltungen zu Wort kommen zu lassen und halte ihm auch sonst Informationen vor, die er brauche. Er könne und werde Altera deshalb nicht länger beobachten.
Dass Altera mit LaFountains Berichterstattung nicht zufrieden war, überraschte nicht. Zuletzt hatte er dem kalifornischen Konzern ein negatives "Sell"-Rating verpasst, also Investoren geraten: Finger weg - ein Urteil, das von jener Unabhängigkeit zeugt, die bei früheren Skandalen vermisst wurde. LaFountains stieß sich besonders an der Gepflogenheit Alteras, den hausinternen Optionsbedarf für Manager mit Aktienrückkäufen auszugleichen. Dies, fand der Princeton-Absolvent, schade den Anlegern.
Die Strafe folgte auf dem Fuße: Eines Tages, sagt LaFountain, habe er einen Anruf von Altera-Finanzchef Nathan Sarkisian erhalten, der ihm spitz mitgeteilt habe, "dass es nicht im Interesse der Anleger sei, meine Arbeit weiter zu unterstützen". In der Tat: Als Altera Ende Juli in einer seiner regulären Schaltkonferenzen mit Analysten seine Quartalsbilanz bekannt gab, blieb LaFountain außen vor.
Kündigungsschreiben vom Finanzchef
Die Affäre hätte aber kaum weiter Kreise gezogen, hätte sich nicht Gretchen Morgenson ihrer angenommen. Die Pulitzer-Preisträgerin und Wirtschaftskolumnistin der "New York Times" bekam von der Sache Wind und machte sie jetzt mit mehreren Berichten publik.
Das Echo auf die Morgenson-Kolumnen war enorm: Kollegen, Börsianer und Blogger gingen auf die Barrikaden - für LaFountain, gegen Altera. "Dies ist unakzeptabel", schrieb etwa der Trader Bill Cara auf seinem Börsenblog www.billcara.com. Der Konzern benehme sich wie "mein vierjähriger Sohn", schimpfte auch John Ray, Präsident der Investmentfirma Heritage Capital Advisors, in seinem Newsletter. "Der Kritiker hat meiner Erfahrung nach entweder Recht oder liegt dicht an der Wahrheit. Die tut wohl so weh, dass die Firma sie nicht hören kann."
Der Zank um LaFountain trifft offenbar einen Nerv. Denn der Analyst ist nicht der einzige, der dank unliebsamer Ratings auf der Strafbank landet - er ist nur der erste, dessen Fall der Öffentlichkeit bekannt wird. Im Zuge der Affäre kam heraus, dass Altera zuvor bereits einen ebenfalls kritischen Kollegen LaFountains ausgesperrt hatte: Chris Danely von J.P. Morgan Securities. Der bekam eine Art Kündigungsschreiben von Altera-Finanzchef Sarkisian: "Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir keine weitere Interaktion oder Kommunikation mit Ihnen oder Ihrem Team beabsichtigen."
Auch andere Analysten berichten unter der Hand, nach schlechten Ratings oder Berichten von Firmen mit "Strafmaßnahmen" bedroht worden zu sein. Die US-Börsenaufsicht SEC und die Securities Industry Association (SIA), die die Brokerbranche kontrolliert, sind sich des Problems ebenfalls schon länger bewusst. "Ich kann zwar nicht sagen, ob das jeden Tag passiert oder nicht", sagte SIA-Justiziar George Kramer der "New York Times". "Aber es passiert, und es ist falsch."
Die SIA kennt die unterschiedlichsten Droh- und Rachegebährden von Konzernen gegen aufmüpfige Analysten: Kein Zugang zum Management, Informationssperre, die Ankündigung, dem Brokerhaus des Analysten andere lukrative Geschäfte zu entziehen. Andere greifen zu verbalen Ausfällen, wie Douglas Smith, der Finanzchef des Software-Herstellers Mercury Interactive, der der Analystin Katherine Egbert in einer E-Mail vorgeworfen haben soll, sie sei eine Gossenjournalistin à la "National Enquirer".
Doch genug ist genug. Der Lärm um die Verbannung LaFountains wurde schließlich so laut, dass Altera klein beigab. "Unsere Entscheidung, den Dialog abzubrechen, war ein Irrtum", räumte Finanzchef Sarkisian in einer zerknirschten Erklärung ein - eine Erklärung, zu der er sich nach eigenem Bekunden nicht zuletzt durch die "Berichterstattung in der Presse" genötigt sah. "Ich entschuldige mich bei Mr. LaFountain, unseren Aktionären und der Investment-Gemeinde." Altera werde fortan "allen Wall-Street-Analysten, die Altera covern, Zugang zum Management" gewähren.
Quelle: www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,368753,00.html
Von Marc Pitzke, New York
Ein Fall von Analysten-Mobbing erschüttert die US-Börsen. Der Chip-Hersteller Altera untersagte einen unliebsam-kritischen Beobachter jeden weiteren Kontakt zur Firma. So etwas kommt immer öfter vor - viele Analysten klagen über den Druck der Konzerne.
New York - Analysten sind die Buhmänner der Wall Street. Ihr Job ist ein automatischer Interessenkonflikt. Im Dienste der Investoren sollen sie börsennotierte Konzerne beurteilen und Empfehlungen geben, die die Zukunft dieser Unternehmen beeinflussen. Gleichzeitig aber müssen sie ein engstes Verhältnis zu eben jenen Konzernen pflegen - nicht nur, um so an Insider-Informationen zu kommen, sondern, weil diese Börsenfirmen wiederum Geldquellen für ihre Brokerhäuser sind.
Wenn Analysten also Schlagzeilen machen, dann meist negative. Zum Beispiel Henry Blodget, der vormalige Fürst der Wall Street. Der empfahl einst Aktien, die er privat als "piece of shit" titulierte. Oder Ex-Superstar Jack Grubman, der auf Nieten wie Global Crossing setzte. Oder zuletzt Julien Onillon von HSBC Securities, der im Frühjahr dieses Jahres den weltgrößten Stahlkonzern Mittal anpries - nur um sich dann selbst von Mittal als Direktor der Investorenabteilung einstellen zu lassen.
Genau deshalb ist die Wall Street dieser Tage über eine Geschichte in Aufruhr geraten, in der die Rollen vertauscht sind. Diesmal ist der Analyst nämlich das Opfer. Sein Name ist Tad LaFountain III. und er arbeitet für Wells Fargo Securites in San Francisco. LaFountain - ein unscheinbarer Herr mit schütterem, grauen Haar und ovaler Brille - ist ein Veteran des Geschäfts. Seit 25 Jahren analysiert er im Silicon Valley Tech- und Halbleiter-Werte. Derzeit hat er 21 Firmen im Blick, und nicht immer findet er lobende Worte. So nannte er den PC-Hersteller Dell einmal "widerlich". In den meisten Fällen erfolgt die Kritik jedoch diskret, höflich und in gegenseitigem, wenn auch zähneknirschendem Einvernehmen.
"Nicht im Interesse der Anleger"
Bis jetzt. Kürzlich verschickte LaFountain eine Aufsehen erregende Kundennotiz: Der Computerchip-Konzern Altera habe ihn auf die schwarze Liste gesetzt - nur weil er kritisch sei. Dass ein Analyst derlei Interna ausplaudert, war alleine schon bemerkenswert. Noch bemerkenswerter aber waren die Details: Altera weigere sich plötzlich, seine Telefonate anzunehmen, ihn bei Routine-Konferenzschaltungen zu Wort kommen zu lassen und halte ihm auch sonst Informationen vor, die er brauche. Er könne und werde Altera deshalb nicht länger beobachten.
Dass Altera mit LaFountains Berichterstattung nicht zufrieden war, überraschte nicht. Zuletzt hatte er dem kalifornischen Konzern ein negatives "Sell"-Rating verpasst, also Investoren geraten: Finger weg - ein Urteil, das von jener Unabhängigkeit zeugt, die bei früheren Skandalen vermisst wurde. LaFountains stieß sich besonders an der Gepflogenheit Alteras, den hausinternen Optionsbedarf für Manager mit Aktienrückkäufen auszugleichen. Dies, fand der Princeton-Absolvent, schade den Anlegern.
Die Strafe folgte auf dem Fuße: Eines Tages, sagt LaFountain, habe er einen Anruf von Altera-Finanzchef Nathan Sarkisian erhalten, der ihm spitz mitgeteilt habe, "dass es nicht im Interesse der Anleger sei, meine Arbeit weiter zu unterstützen". In der Tat: Als Altera Ende Juli in einer seiner regulären Schaltkonferenzen mit Analysten seine Quartalsbilanz bekannt gab, blieb LaFountain außen vor.
Kündigungsschreiben vom Finanzchef
Die Affäre hätte aber kaum weiter Kreise gezogen, hätte sich nicht Gretchen Morgenson ihrer angenommen. Die Pulitzer-Preisträgerin und Wirtschaftskolumnistin der "New York Times" bekam von der Sache Wind und machte sie jetzt mit mehreren Berichten publik.
Das Echo auf die Morgenson-Kolumnen war enorm: Kollegen, Börsianer und Blogger gingen auf die Barrikaden - für LaFountain, gegen Altera. "Dies ist unakzeptabel", schrieb etwa der Trader Bill Cara auf seinem Börsenblog www.billcara.com. Der Konzern benehme sich wie "mein vierjähriger Sohn", schimpfte auch John Ray, Präsident der Investmentfirma Heritage Capital Advisors, in seinem Newsletter. "Der Kritiker hat meiner Erfahrung nach entweder Recht oder liegt dicht an der Wahrheit. Die tut wohl so weh, dass die Firma sie nicht hören kann."
Der Zank um LaFountain trifft offenbar einen Nerv. Denn der Analyst ist nicht der einzige, der dank unliebsamer Ratings auf der Strafbank landet - er ist nur der erste, dessen Fall der Öffentlichkeit bekannt wird. Im Zuge der Affäre kam heraus, dass Altera zuvor bereits einen ebenfalls kritischen Kollegen LaFountains ausgesperrt hatte: Chris Danely von J.P. Morgan Securities. Der bekam eine Art Kündigungsschreiben von Altera-Finanzchef Sarkisian: "Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir keine weitere Interaktion oder Kommunikation mit Ihnen oder Ihrem Team beabsichtigen."
Auch andere Analysten berichten unter der Hand, nach schlechten Ratings oder Berichten von Firmen mit "Strafmaßnahmen" bedroht worden zu sein. Die US-Börsenaufsicht SEC und die Securities Industry Association (SIA), die die Brokerbranche kontrolliert, sind sich des Problems ebenfalls schon länger bewusst. "Ich kann zwar nicht sagen, ob das jeden Tag passiert oder nicht", sagte SIA-Justiziar George Kramer der "New York Times". "Aber es passiert, und es ist falsch."
Die SIA kennt die unterschiedlichsten Droh- und Rachegebährden von Konzernen gegen aufmüpfige Analysten: Kein Zugang zum Management, Informationssperre, die Ankündigung, dem Brokerhaus des Analysten andere lukrative Geschäfte zu entziehen. Andere greifen zu verbalen Ausfällen, wie Douglas Smith, der Finanzchef des Software-Herstellers Mercury Interactive, der der Analystin Katherine Egbert in einer E-Mail vorgeworfen haben soll, sie sei eine Gossenjournalistin à la "National Enquirer".
Doch genug ist genug. Der Lärm um die Verbannung LaFountains wurde schließlich so laut, dass Altera klein beigab. "Unsere Entscheidung, den Dialog abzubrechen, war ein Irrtum", räumte Finanzchef Sarkisian in einer zerknirschten Erklärung ein - eine Erklärung, zu der er sich nach eigenem Bekunden nicht zuletzt durch die "Berichterstattung in der Presse" genötigt sah. "Ich entschuldige mich bei Mr. LaFountain, unseren Aktionären und der Investment-Gemeinde." Altera werde fortan "allen Wall-Street-Analysten, die Altera covern, Zugang zum Management" gewähren.
Quelle: www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,368753,00.html