An der Wall Street gibt es noch zu viele Optimisten
Der Optimismus an der Wall Street ist ungebrochen. Das ist problematisch, weil trotz sich stabilisierender Frühindikatoren Enttäuschungen wahrscheinlich sind.
Man betrachte die Analystenschätzungen für 2002. Nach einem erwarteten Rückgang der laufenden Gewinne im S&P 500 von knapp 12 Prozent, sollen’s im nächsten Jahr schon wieder plus 26 Prozent werden, so die Gemeinde. Auch die Überinvestitionen werden nur als kurzfristiges Phänomen wahrgenommen. Die Gewinne der Anbieter von Informationstechnologie legen demnach 2002 um 146 Prozent zu und erreichen fast schon wieder das 2000er-Niveau. Bei der letzten Rezession Anfang der 90er dauerte die Wende länger - und das, obwohl die Margen damals deutlich niedriger waren als heute. Die Gewinne sanken 1990 und 1991 insgesamt um über ein Fünftel, um dann 1992 um gemächliche acht Prozent anzusteigen.
Mehr Entlassungen
Woher soll jetzt das erwartete Wachstum kommen? Da der verschuldete US-Konsument noch nicht kollabiert ist, kann er auch schwerlich in einen neuen Kaufrausch verfallen, um den Unternehmen die erforderlichen Gewinne zu bescheren. Das rezessionsbedrohte Ausland steht ebenfalls nicht Schlange nach US-Waren. Zweifelhaft ist, ob sich die hohen Investitionsraten der zweiten Hälfte der 90er trotz aller Bemühungen der Notenbank wiederholen lassen. Und die Wirtschaftsschwäche hat sich noch lange nicht auf dem Arbeitsmarkt niedergeschlagen. Bei den letzten Rezessionen ist die Zahl der Beschäftigten im Jahresvergleich um bis zu anderthalb Prozent zurückgegangen. Der Beschäftigtenstand ist derzeit nur knapp unter seinem historischen Hoch im Januar - und vor zehn Jahren war der Arbeitsmarkt auch schon erzliberal. So paradox es klingt: Für einen nächsten Aufschwung müssen erst mehr Leute entlassen werden.
Das enorme anlagebereite Geld - knapp 18 Prozent der Kapitalisierung des umfassenden Wilshire 5000 sind am Geldmarkt geparkt - mag das Kursrisiko nach unten begrenzen und auf gute Einzelnachrichten anspringen. Aber die drohenden Gewinnrevisionen sollten weiterhin große Kurssprünge verhindern. Nicht zuletzt sind US-Aktien mit einem KGV von über 24, absolut betrachtet, teuer. Und bei einem Anleihen-KGV von unter 20 sind sie sogar auch relativ teuer.
Fragezeichen bei DaimlerChrysler
Durchwachsen, so lassen sich die Quartalszahlen von DaimlerChrysler bezeichnen. Der Konzern hat erfolgreich gekämpft, aber noch ist nicht alles ausgestanden.
Die Ergebnisse der Chrysler-Sparte haben den Anlegern Vertrauen zurück gegeben. Der Verlust war geringer als befürchtet. Statt 200 bis 300 Mio. Euro betrug er nur 148 Mio. Euro. Dennoch gibt es einige Fragezeichen. Die Neuzulassungen sind gegenüber 2000 rückläufig. Der Wettbewerb mit den Asiaten bleibt hart, die Preisnachlässe bei Neufahrzeugen sind hoch. Unklar ist, wie groß diese Rabatte für die neuen beiden Fahrzeugmodelle ausfallen werden. Der Jeep Liberty wird seit April produziert, der neue Ram Pickup folgt demnächst. Zwar hat Chrysler nach Einführung dieser Modelle gegenüber Ford und GM die jüngste Produktpalette, aber es wird wegen des Preiskampfes noch lange dauern, bis die frühere Rentabilität wieder erreicht ist.
Bei der Nutzfahrzeugsparte kommt die Restrukturierung voran, aber die schwache Konjunktur dürfte das Geschäft auch im laufenden Quartal belasten. Eine weitere Baustelle bleibt Mitsubishi. Hier ist DaimlerChrysler genaue Zahlen schuldig geblieben. Die Sanierung dürfte sich noch bis Jahresende hinziehen, eventuell muss der Konzern auch nochmal Geld nachschießen.
Finandienstleister legen zu
Die Finanzdienstleistungssparte hat überraschend stark zugelegt. Da haben die Zinssenkungen in den USA geholfen. Das zusätzliche Leasing-Geschäft bindet weiteres Eigenkapital. Das ist an sich kein Problem. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass ein Teil des Neugeschäfts wertberichtigt werden muss, wenn der Arbeitsmarkt in den USA schwächelt, die Kunden ihre Jobs verlieren und die Raten nicht mehr zahlen können.
Der große Hoffnungsträger ist Mercedes. Der Autoabsatz ist zwar auch in Europa rückläufig, insbesondere wegen des deutschen Marktes, der von Januar bis Mai rund vier Prozent schrumpfte. Dennoch konnte Mercedes allein in Deutschland um sieben Prozent zulegen, indem die Sparte den Marktanteil auf 12 Prozent ausgebaut hat.
Auf Basis der bisherigen Schätzungen notiert DaimlerChrysler mit dem rund 17fachen des für 2002 prognostizierten Gewinns, BMW mit dem 16fachen. Da sich BMW stärker auf das Premiumsegment konzentriert und nicht an allen Ecken und Enden restrukturieren muss, scheint die Bewertung von Daimler mehr als angemessen. Wenn die Stuttgarter ihre Probleme in den Griff kriegen, sollten die Gewinnschätzungen zwar steigen und einen höheren Kurs ermöglichen. Aber die Analysten sind vorsichtig. Im laufenden Quartal kann es noch Rückschläge geben.