Hohe Nachfrage der USA verstärkt Ungleichgewicht am Energiemarkt
Amerikaner schnappen Europäern ihr Öl weg
Die Amerikaner kaufen im großen Stil Rohöl am Rotterdamer Spotmarkt. Die enorme Nachfrage aus den USA hat das europäische Brentöl überproportional verteuert und das Preisgefüge an den Märkten verschoben. Derzeit kostet Brent etwa genauso viel wie die amerikanische Richtmarkte WTI.
jsn/rp DÜSSELDORF. Die USA sind nach Einschätzung des Essener Energieprofessors Dieter Schmitt am Rohölspotmarkt in Rotterdam „der Preistreiber Nummer eins“. Schmitt hat die Verarbeitung und den Vertrieb von Mineralöl in Deutschland untersucht. Das Ergebnis seiner Studie sei eindeutig, sagte er dem Handelsblatt: Die USA verstärkten mit ihrem kräftig steigenden Ölkonsum die Ungleichgewichte an den Energiemärkten. Ihren Importbedarf decken sie verstärkt in Europa.
Dies führt dazu, dass sich das für Europa maßgebliche Brentöl stark verteuert hat. Derzeit kostet ein Barrel (159 Liter) der Nordsee-Sorte Brent mit knapp 56 Dollar etwa so viel wie das amerikanische Leichtöl WTI. Normalerweise kostet das amerikanische Leichtöl wegen der höheren Transportkosten in den USA rund zwei Dollar mehr als Brentöl. Doch jetzt kaufen die Amerikaner verstärkt Rohöl am Rotterdamer Spotmarkt, um ihren Energiebedarf zu decken.
Nach Schmitts Angaben deutet alles darauf hin, dass wegen schrumpfender Ölreserven in Alaska und unzureichender Raffineriekapazitäten der „ungebrochen steigende Importbedarf“ der USA auch in der Zukunft anhalten werde. Bereits in den vergangenen Monaten haben ausgereizte Raffineriekapazitäten in den USA die Ölpreise auf immer neue Höchststände getrieben. Die Akteure fürchten eine mögliche Unterversorgung des Marktes. Grund dafür sind neben dem Streit um das iranische Atomprogramm auch technische Störungen und Raffinerie-Ausfälle durch Hurrikans im Golf von Mexiko.
„Viele im Markt zahlen die Zeche der Amerikaner“, sagt auch Rainer Wiek vom Energie-Informationsdienst (EID). Die USA hätten es trotz ihres starken Bedarfs über Jahre hinweg versäumt, entsprechende Verarbeitungskapazitäten aufzubauen. Bislang habe sich dies immer deutlich in der Frühjahrszeit gezeigt, wenn die Benzinpreise – losgelöst von der Rohölpreisentwicklung – anzogen. Grund dafür waren Deckungskäufe der USA, da dort Ende Mai die „Driving-Season“, die verkehrsreiche Ferienzeit, beginnt.
Zuletzt haben sich gerade die für die Produktion von Benzin, Heizöl, und Diesel besonders gewünschten leichten Rohölsorten wie Brentöl überdurchschnittlich in Rotterdam verknappt und verteuert. Ohne die zügige Erweiterung der US-Raffineriekapazitäten zur Verarbeitung auch schwererer Ölqualitäten werde sich an der instabilen Verfassung des Rotterdamer Markts nichts grundlegend ändern, meint Energieprofessor Schmitt.
Sandra Ebner, Energieexpertin der Deka-Bank, sieht die Entwicklung ähnlich. „Die USA kaufen in Rotterdam viel ein“, sagt sie. Mit rund elf Mill. Barrel am Tag hätten die Importe inzwischen ein Rekordniveau erreicht. Nach ihrer Einschätzung könnten die verringerten Preisabstände aber noch eine ganz andere Ursache haben. Denn anders als früher fließe auch über spezielle Anlageprodukte wie Zertifikate inzwischen viel Geld in die Ölmärkte. „Diese Finanzinvestoren nutzen den Spread stärker aus“, sagt Ebner.
Wie stark Spekulation die Preise bewegt, zeigte sich erneut vor der gestrigen Bekanntgabe der wöchentlichen US-Lagerbestände. Am Dienstagabend war Brentöl mit gut 68,30 Dollar je Barrel (159 Liter) so teuer wie nie zuvor. Gestern lag der Preis dann mit weniger als 65 Dollar zwar noch auf sehr hohem Niveau, aber deutlich niedriger.
Getrieben werden die Preise insgesamt aber vor allem durch Versorgungsängste im Markt. EID-Experte Wiek sagt zwar, dass das Ölangebot immer noch die Nachfrage übersteigt, „doch geopolitische Faktoren haben an Gewicht gewonnen“. So gibt auch Hans W. Schiffer von RWE Power zu bedenken, dass keine größeren Störungen auftreten dürften. Die auf Hochtouren laufenden US-Raffinerien hätten sich aber zuletzt als störungsanfällig erwiesen; zudem hatten Hurrikans im Golf von Mexiko Versorgungsausfälle bewirkt. Sollte nun der Streit mit Iran über dessen Nuklearprogramm eskalieren, könnten die Preise weiter hochschnellen. Es sei möglich, dass Teheran die Exporte drossele, um die besonders abhängigen Regionen wie Asien und Europa auf Linie zu bringen. Schiffers Resümee: „Wenn im Nahen Osten gravierende Lieferprobleme auftauchen, ist die Ölpreisskala nach oben offen.“
Auch die Spitzenmanager der Weltölindustrie beurteilen die Versorgungslage teilweise eher skeptisch. Vor allem David O’Reilly, Chef von Chevron-Texaco, prognostiziert eine dauerhaft wachsende Verknappung. Die Weltölförderung könne mit dem steigenden Bedarf der Schwellenländer China und Indien nicht Schritt halten. Dagegen schließen Lee Raymond, Chef von Exxon-Mobil, wie auch der renommierte britische Ölexperte Peter Odell nicht aus, dass es sich – wie schon immer in der 140-jährigen Geschichte des Öls – um einen Preiszyklus handelt. Nach einem Bericht des EID besteht laut Odell eine 50-prozentige Chance, dass der Ölpreis den Höhepunkt schon überschritten hat – vorausgesetzt es kommt im Nahen Osten nicht zu neuen Konflikten.
Quelle: HANDELSBLATT, Donnerstag, 18. August 2005, 07:31 Uhr
...be invested
Der Einsame Samariter
Amerikaner schnappen Europäern ihr Öl weg
Die Amerikaner kaufen im großen Stil Rohöl am Rotterdamer Spotmarkt. Die enorme Nachfrage aus den USA hat das europäische Brentöl überproportional verteuert und das Preisgefüge an den Märkten verschoben. Derzeit kostet Brent etwa genauso viel wie die amerikanische Richtmarkte WTI.
jsn/rp DÜSSELDORF. Die USA sind nach Einschätzung des Essener Energieprofessors Dieter Schmitt am Rohölspotmarkt in Rotterdam „der Preistreiber Nummer eins“. Schmitt hat die Verarbeitung und den Vertrieb von Mineralöl in Deutschland untersucht. Das Ergebnis seiner Studie sei eindeutig, sagte er dem Handelsblatt: Die USA verstärkten mit ihrem kräftig steigenden Ölkonsum die Ungleichgewichte an den Energiemärkten. Ihren Importbedarf decken sie verstärkt in Europa.
Dies führt dazu, dass sich das für Europa maßgebliche Brentöl stark verteuert hat. Derzeit kostet ein Barrel (159 Liter) der Nordsee-Sorte Brent mit knapp 56 Dollar etwa so viel wie das amerikanische Leichtöl WTI. Normalerweise kostet das amerikanische Leichtöl wegen der höheren Transportkosten in den USA rund zwei Dollar mehr als Brentöl. Doch jetzt kaufen die Amerikaner verstärkt Rohöl am Rotterdamer Spotmarkt, um ihren Energiebedarf zu decken.
Nach Schmitts Angaben deutet alles darauf hin, dass wegen schrumpfender Ölreserven in Alaska und unzureichender Raffineriekapazitäten der „ungebrochen steigende Importbedarf“ der USA auch in der Zukunft anhalten werde. Bereits in den vergangenen Monaten haben ausgereizte Raffineriekapazitäten in den USA die Ölpreise auf immer neue Höchststände getrieben. Die Akteure fürchten eine mögliche Unterversorgung des Marktes. Grund dafür sind neben dem Streit um das iranische Atomprogramm auch technische Störungen und Raffinerie-Ausfälle durch Hurrikans im Golf von Mexiko.
„Viele im Markt zahlen die Zeche der Amerikaner“, sagt auch Rainer Wiek vom Energie-Informationsdienst (EID). Die USA hätten es trotz ihres starken Bedarfs über Jahre hinweg versäumt, entsprechende Verarbeitungskapazitäten aufzubauen. Bislang habe sich dies immer deutlich in der Frühjahrszeit gezeigt, wenn die Benzinpreise – losgelöst von der Rohölpreisentwicklung – anzogen. Grund dafür waren Deckungskäufe der USA, da dort Ende Mai die „Driving-Season“, die verkehrsreiche Ferienzeit, beginnt.
Zuletzt haben sich gerade die für die Produktion von Benzin, Heizöl, und Diesel besonders gewünschten leichten Rohölsorten wie Brentöl überdurchschnittlich in Rotterdam verknappt und verteuert. Ohne die zügige Erweiterung der US-Raffineriekapazitäten zur Verarbeitung auch schwererer Ölqualitäten werde sich an der instabilen Verfassung des Rotterdamer Markts nichts grundlegend ändern, meint Energieprofessor Schmitt.
Sandra Ebner, Energieexpertin der Deka-Bank, sieht die Entwicklung ähnlich. „Die USA kaufen in Rotterdam viel ein“, sagt sie. Mit rund elf Mill. Barrel am Tag hätten die Importe inzwischen ein Rekordniveau erreicht. Nach ihrer Einschätzung könnten die verringerten Preisabstände aber noch eine ganz andere Ursache haben. Denn anders als früher fließe auch über spezielle Anlageprodukte wie Zertifikate inzwischen viel Geld in die Ölmärkte. „Diese Finanzinvestoren nutzen den Spread stärker aus“, sagt Ebner.
Wie stark Spekulation die Preise bewegt, zeigte sich erneut vor der gestrigen Bekanntgabe der wöchentlichen US-Lagerbestände. Am Dienstagabend war Brentöl mit gut 68,30 Dollar je Barrel (159 Liter) so teuer wie nie zuvor. Gestern lag der Preis dann mit weniger als 65 Dollar zwar noch auf sehr hohem Niveau, aber deutlich niedriger.
Getrieben werden die Preise insgesamt aber vor allem durch Versorgungsängste im Markt. EID-Experte Wiek sagt zwar, dass das Ölangebot immer noch die Nachfrage übersteigt, „doch geopolitische Faktoren haben an Gewicht gewonnen“. So gibt auch Hans W. Schiffer von RWE Power zu bedenken, dass keine größeren Störungen auftreten dürften. Die auf Hochtouren laufenden US-Raffinerien hätten sich aber zuletzt als störungsanfällig erwiesen; zudem hatten Hurrikans im Golf von Mexiko Versorgungsausfälle bewirkt. Sollte nun der Streit mit Iran über dessen Nuklearprogramm eskalieren, könnten die Preise weiter hochschnellen. Es sei möglich, dass Teheran die Exporte drossele, um die besonders abhängigen Regionen wie Asien und Europa auf Linie zu bringen. Schiffers Resümee: „Wenn im Nahen Osten gravierende Lieferprobleme auftauchen, ist die Ölpreisskala nach oben offen.“
Auch die Spitzenmanager der Weltölindustrie beurteilen die Versorgungslage teilweise eher skeptisch. Vor allem David O’Reilly, Chef von Chevron-Texaco, prognostiziert eine dauerhaft wachsende Verknappung. Die Weltölförderung könne mit dem steigenden Bedarf der Schwellenländer China und Indien nicht Schritt halten. Dagegen schließen Lee Raymond, Chef von Exxon-Mobil, wie auch der renommierte britische Ölexperte Peter Odell nicht aus, dass es sich – wie schon immer in der 140-jährigen Geschichte des Öls – um einen Preiszyklus handelt. Nach einem Bericht des EID besteht laut Odell eine 50-prozentige Chance, dass der Ölpreis den Höhepunkt schon überschritten hat – vorausgesetzt es kommt im Nahen Osten nicht zu neuen Konflikten.
Quelle: HANDELSBLATT, Donnerstag, 18. August 2005, 07:31 Uhr
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Der Einsame Samariter