07.09.2002
Ausland
Kolumne von Mumia Abu-Jamal
Rückkehr der »Spitzel-Patrouillen«
Justizminister Ashcroft macht mit T.I.P.S. die USA zum Polizeistaat
Das Justizministerium unter Ashcroft hat ein neues ziviles Spionagesystem auf die Tagesordnung gesetzt, mit dem Fernfahrer, Taxifahrer, Postboten und Klempner im jüngsten »endlosen Krieg« – dem Krieg gegen den Terrorismus – zu inoffiziellen Agenten gemacht werden. Sie sollen rekrutiert werden, um ihre Nachbarn und Kunden zu bespitzeln und unverzüglich alle »verdächtigen« Vorgänge an T.I.P.S.-Hotlines und Kontaktstellen im US-Justizministerium zu melden.
Mit T.I.P.S. (Terrorism Information and Prevention System), also nach offizieller Lesart ein System zur Sammlung von Daten zur Verhinderung des Terrorismus, soll jede Straßenecke in den USA, also potentiell jedes Haus und jeder Hof, permanenter öffentlichen Überwachung unterworfen werden. Und wenn der »Krieg gegen den Terrorismus« wie angekündigt viele Generationen dauern soll, wird dann nicht auch diese Überwachung viele Generationen dauern?
Wenn so etwas in, sagen wir einmal: Kuba angekündigt würde, würden dann nicht die US-Medien überschäumen davon, daß es sich um einen »Polizeistaat« handelt, in dem »Nachbarn ihre Nachbarn ausspionieren«?
Die Geschichte, jene Dame mit dem langen Gedächtnis, lehrt uns, daß sich nur wenig Neues unter dem sonnigen Firmament ereignet: Im Sommer 1917 zogen über eine Million Amerikaner in den Ersten Weltkrieg gegen Deutschland. Und wie immer in Zeiten des Krieges (und der Erste Weltkrieg war in den USA alles andere als populär) versuchte die Regierung, jeden Dissenz im Keim zu ersticken, und sie wollte ihre Bürger dazu bringen, sich an einer großangelegten »privaten« Spitzelkampagne gegen »unloyale« Mitbürger zu beteiligen. Die damalige Administration unter Präsident Woodrow Wilson meinte mit »unloyalem« Verhalten jeden, der sich kritisch gegenüber dem Krieg äußerte. Das US-Justizministerium finanzierte und förderte die sogenannte American Protective League (A.P.L. – Amerikanische Schutz-Liga), die bereits im Juni 1917 über 100000 »patriotische« Mitglieder zählte. Die US-Regierung forderte die A.P.L.-Mitglieder auf, ihre Nachbarn und Arbeitskollegen auszuspionieren. Sie durchstöberten die Post, infiltrierten private Zusammenkünfte und bespitzelten öffentliche Veranstaltungen. Kritik am »europäischen Krieg« wurde als ein Verbrechen angesehen. Die A.P.L. gab an, sie habe etwa drei Millionen Vorkommnisse von »unloyalem« Verhalten gegenüber der Wilson-Regierung aufgedeckt, was den damaligen Justizminister A. Mitchell Palmer unendlich zufrieden machte: »Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, daß dieses Land noch nie zuvor in seiner Geschichte derart perfekt überwacht worden ist«, prahlte er.
Der große Sozialist und Gewerkschafter Eugene V. Debs wurde ins Gefängnis geworfen, weil er sich öffentlich gegen den Krieg ausgesprochen hatte: »Alle Kriege sind im Verlaufe der Geschichte geführt worden, um zu erobern und zu plündern. ... Und genau das ist Krieg auf den kurzen Nenner gebracht. Die Klasse der Herren hat immer schon die Kriege erklärt, die Klasse der Abhängigen mußte immer schon für sie in die Schlachten ziehen.« Für diese Worte wurde der 62jährige Debs zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Hunderte andere folgten ihm, abgesegnet durch einstimmige Gerichtsbeschlüsse des Obersten Bundesgerichts der USA.
Achtzig Jahre hat diese Nation gebraucht, um von A.P.L. zu T.I.P.S zu kommen. Wieviel hat sich verändert von einem zum anderen Spitzelprogramm? Trauen Sie noch Ihrem Nachbarn? Oder, vielleicht noch wichtiger: Trauen Sie noch Ihrer Regierung?
(Übersetzung: Jürgen Heiser)