Auch mit den Zahlen für das erste Quartal will der Online-Händler die Erwartungen der Experten übertreffen
Bonn - Wer Geld verdienen will, muss zuerst Geld ausgeben. Nach dieser alten Kaufmannsregel geht auch Jeff Bezos, Chef des Internetkaufhauses Amazon.com, vor. Wer in Deutschland für mehr als 20 Euro einkauft, dem erlässt der Online-Händler die Frachtkosten. Auch in den USA wird (ab 25 Dollar) frei Haus geliefert. Der Online-Händler wird in diesem Jahr rund 100 Mio. Dollar für die versandkostenfreien Lieferungen ausgeben, erwartet Amazon-Finanzchef Tom Szkutak.
Frei Haus-Lieferungen und Schnäppchenpreise sind das Rezept, mit denen der E-Commerce-Pionier neue Kunden anlocken und Wettbewerber ausstechen will. Bislang mit Erfolg, sagen Branchenkenner: Das Umsatzwachstum war im Jahr 2001 zum Stillstand gekommen, im vergangen Jahr konnte Amazon-Chef Bezos die Zuwachsrate aber wieder auf rund 25 Prozent beschleunigen. In diesem Jahr will Amazon (ISIN: 200 001 9) mindestens um 15 Prozent wachsen.
Ob die Expansionsstrategie aufgeht, wird sich am Donnerstag zeigen. Dann präsentiert der Online-Händler die Gewinn- und Umsatzzahlen für das erste Quartal. Die Anleger hoffen vor allem darauf, dass Bezos die Wachstumsprognose für das laufende Jahr anheben wird. An der Börse kommt das Wachstums-Revival jedenfalls gut an: Der Aktienkurs des Online-Kaufhauses hat sich seit dem Crash-Tief vom September 2001 verfünffacht.
Die Mehrzahl der Analysten ist allerdings skeptisch. Sie stört sich an dem hohen Kurs/Gewinn-Verhältnis von 80. Lanny Baker von Salomon Smith Barney hält den Aktienkurs inzwischen für ausgereizt, weil sein Kursziel von 26 Dollar erreicht wurde. "Wir sehen keine Gründe, die dafür sprechen würden, unsere Prognosen anzuheben", sagt der Analyst, der für dieses Jahr ein Umsatzwachstum von 18 Prozent und ein Gewinnwachstum von 35 Prozent erwartet.
Mit ähnlichen Zuwachsraten rechnen auch die meisten anderen Analysten. Amazon-Bär Mark Rowen von Prudential Securities glaubt sogar, dass sich die Frei-Haus-Strategie bald tot läuft. "Die hohen Wachstumsraten des Jahres 2002 sind nicht dauerhaft", sagt der Skeptiker. Heath Terry von der Investmentbank Credit Suisse First Boston (CSFB) hat noch ein saisonales Argument gegen den Kauf der Aktie parat: In den vergangenen drei Jahren hätte sich die Aktie in den Sommermonaten immer schwach entwickelt, weil der E-Commerce in dieser Zeit ferienbedingt sehr flau sei.
In den vergangenen Quartalen jedoch hat Amazon-Chef Jeff Bezos die Analysten bei Umsatz und Ertrag stets klar geschlagen. Noch im November vergangenen Jahres hatten die Experten im Durchschnitt für 2003 einen Umsatz von 4,4 Mrd. Dollar und einen Gewinn von 24 Cent pro Aktie vorhergesagt. Mittlerweile haben sie ihre Prognosen schon auf 4,7 Mrd. Dollar Umsatz und 32 Cent Gewinn hochgeschraubt. Ein Grund für die positive Überraschung mag sein, dass Amazon-Chef Bezos sich nicht nur auf seine aggressive Verkaufspraxis verlässt, sondern auch das Leistungsangebot seines Konzerns laufend ausbaut. Zunehmend agiert Amazon auch als Dienstleister, vergleichbar mit Yahoo. Gleichzeitig treibt der Internet-Pionier die Expansion im Ausland voran. In Deutschland verkauft Amazon jetzt auch Kaffee-Automaten, Elektro-Rasierer und vieles mehr für Küche, Bad und sonstigen Haushalt. Zum steigenden Auslandsumsatz trägt auch der starke Euro bei.
Anthony Noto von Goldman Sachs bekräftigte zwar vergangene Woche seine "In-Line"-Einstufung, zog sich aber den Kopf aus der Schlinge. Wenn Umsätze und Gewinne höher sind, könne die Aktie auch höher bewertet werden.