von Matthias Ruch (Düsseldorf) und Stephan Radomsky (Hamburg)
Der neue Aufsichtsratschef von Siemens, Gerhard Cromme, will die meisten seiner anderen Ämter abgeben. Dies erfuhr die FTD aus Finanzkreisen. Siemens-Vorgänger Heinrich von Pierer entschloss sich danach sehr kurzfristig zu seiner Demission.
Bis vor einer Woche sei Heinrich von Pierer noch zu 100 Prozent noch entschlossen gewesen, für seinen Verbleib im Amt zu kämpfen, heißt es in informierten Kreisen. Unterstützt wurde er dabei von Cromme, der selbst Leiter der Siemens-internen Untersuchung der Schmiergeldaffären war.
Im Laufe dieser Woche habe von Pierer dann gemerkt, dass die Arbeitnehmer-Seite nicht mehr hinter ihm stehe, verlautete aus den Kreisen. Ein Grund dafür sei gewesen, dass der Vize-Chef der IG-Metall, Berthold Huber, selbst unter Druck geraten war. Zugleich hatte die IG Metall den Vorwurf erhoben, von Pierer habe die Konkurrenz-Gewerkschaft AUB unterstützt. Damit hatte sich die Situation für den Manager grundlegend verändert. Ihm war bisher - im Gegensatz zu Vorstandschef Klaus Kleinfeld - ein gutes Verhältnis zur Gewerkschaft nachgesagt worden.
Pierer habe dann erkannt, dass er sich nicht mehr halten könne, heißt es in Finanzkreissen weiter. Daraufhin soll Cromme mit der Nachfolge konfrontiert worden sein. Wortwörtlich habe es von Siemens-Seite geheißen: "Extern gibt es keinen, intern nur Dich!"
Daraufhin soll er seine bisherige ablehnende Haltung gegenüber der Pierer-Nachfolge in dieser Woche aufgegeben haben. Um den Vorwurf, er sitze in zu vielen Aufsichtsräten, zu entkräften, entschloss sich Cromme dann dazu, die meisten seiner Ämter abzugeben. Der Aufsichtsratsvorsitz bei ThyssenKrupp soll allerdings nicht dazu gehören, diesen werde Cromme weiter innehaben, wie ein Unternehmenssprecher des Stahlkonzerns sagte. Auch die Corporate-Governance-Kommission der Bundesregierung will Cromme weiter leiten.
"Pauschale Vorverurteilungen in der Öffentlichkeit"
Der 66-jährige von Pierer hatte in der Nacht zum Freitag seinen Rücktritt erklärt. "Ich gehe davon aus, dass die Neubesetzung des Aufsichtsratsvorsitzes auch einen Beitrag leisten wird, unser Unternehmen allmählich wieder aus den Schlagzeilen und in ruhigeres Fahrwasser zu bringen", sagte von Pierer in München. Eine persönliche Verantwortung für die Affäre trage er aber nicht.
Von Pierer hatte sich nach seiner Rücktritts-Ankündigung in einer Email von den Mitarbeitern des Konzerns verabschiedet. "Die prekäre Situation, in die unser Unternehmen in den letzten Monaten trotz seiner hervorragenden wirtschaftlichen Entwicklung geraten ist, hat auch mich außerordentlich betroffen gemacht", schrieb Pierer. Es könne im Zusammenhang mit der Schmiergeldaffäre nicht hingenommen werden, wenn "gegen geltende Gesetze und gegen die einschlägigen, unmissverständlich formulierten internen Regeln verstoßen wird".
Betroffen machten ihn aber auch die "pauschalen Vorverurteilungen in der Öffentlichkeit, die oftmals ohne Rücksicht auf die Faktenlage erfolgen, und das Vorgehen einzelner Behörden gegenüber verdienten Mitgliedern unseres Hauses", kritisierte von Pierer. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel scheine ihm dabei zuweilen in Frage gestellt.
Rücktritt am kommenden Mittwoch
Von Pierer stellt sein Amt als Aufsichtsratsvorsitzender mit Beginn der Aufsichtsratssitzung am kommenden Mittwoch zur Verfügung. Er war in den vergangenen Wochen stark unter Druck geraten. Das System schwarzer Kassen bei Siemens, das derzeit die Justiz beschäftigt, war in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender aufgebaut worden. Von Pierer hatte stets betont, dass er keine Kenntnis von den möglichen illegalen Vorgängen hatte und als Vorstandschef weit weg gewesen sei vom operativen Geschäft. Zuletzt war wegen möglicher Schmiergeldzahlungen an den Gründer der Arbeitnehmerorganisation AUB der Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer verhaftet worden.
Cromme ist Vorsitzender der Regierungskommission Corporate Governance und leitet bereits den Prüfungsausschuss im Siemens-Aufsichtsrat, der die Affäre aufklären soll. Zudem steht er dem ThyssenKrupp-Aufsichtsrat vor. Cromme solle den Aufsichtsratsvorsitz für den Rest der laufenden Amtsperiode bis zur Hauptversammlung von Siemens am 24. Januar 2008 übernehmen. In Branchenkreisen wird damit gerechnet, dass danach ein neuer Aufsichtsrats-Vorsitzender den Posten übernehmen soll.
"Pflicht gegenüber dem Unternehmen"
Von Pierer sagte zu seinem Rücktritt, der zu diesem Zeitpunkt im Unternehmen für viele überraschend kam: "Ich habe immer die Überzeugung vertreten, dass die Pflicht gegenüber dem Unternehmen und seinen weit mehr als 400.000 Mitarbeitern in aller Welt Vorrang vor eigenen Interessen haben muss."
Der langjährige Siemenschef wolle mit seinem Rückzug einen Beitrag leisten, "unser Unternehmen allmählich wieder aus den Schlagzeilen und in ruhigeres Fahrwasser zu bringen", hatte es in der Ad-hoc-Mitteilung vom Donnerstagabend geheißen.
Dank und Zuspruch aus dem Unternehmen
Vorstand und Aufsichtsrat dankten von Pierer für seine Arbeit und stärkten ihm moralisch den Rücken. "Ich habe mit Heinrich von Pierer immer Rechtschaffenheit und Vorbildlichkeit verbunden", sagte Kleinfeld. "Das war so, und das gilt gerade jetzt in diesen schwierigen Zeiten." Das ganze Unternehmen sei ihm zu Dank verpflichtet. Der designierte Nachfolger Cromme sagte, von Pierer habe die Interessen des Unternehmens über seine eigenen gestellt. "Hierfür spreche ich ihm höchste Anerkennung aus."
Von Pierer war lange Zeit einer der angesehensten Manager in Deutschland. Er berät Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und galt zeitweise sogar als Unions-Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Siemens führte er als Vorstandsvorsitzender von 1992 bis Ende Januar 2005. Anschließend wechselte er an die Spitze des Aufsichtsrats.
Zu den Korruptionsermittlungen gegen sechs ranghohe Siemens-Mitarbeiter sagte von Pierer: "'Siemens ist trotz einer hervorragenden wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens aufgrund von teilweise offensichtlichen, teilweise behaupteten Verfehlungen einer Reihe von Führungskräften und Mitarbeitern in eine prekäre Situation geraten." Sein Ziel sei es, das Unternehmen nachhaltig zu unterstützen und zu fördern.
Erfolg erleichtert Entscheidung
Durch die wirtschaftlichen Erfolge von Siemens falle ihm die Rücktrittsentscheidung leichter. "Ich gehe davon aus, dass die Neubesetzung des Aufsichtsratsvorsitzes auch einen Beitrag leisten wird, unser Unternehmen allmählich wieder aus den Schlagzeilen und in ruhigeres Fahrwasser zu bringen."
Bei Siemens sind in den vergangenen Jahren bis zu 420 Mio. Euro in schwarzen Kassen verschwunden und möglicherweise im Ausland als Schmiergeld eingesetzt worden. Zu den Beschuldigten zählt unter anderem auch der frühere Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger, der ein enger Vertrauter von Pierers war. Durch die bekannt gewordenen Millionenzahlungen an den Gründer der Arbeitnehmerorganisation AUB verschärfte sich die Krise bei Siemens. Auch aus dem Aufsichtsrat wurden Stimmen laut, die Pierer zum Rücktritt drängten.
Gruß
uS